Begrenzte Berufung und Frage der Schuldfähigkeit: Eine Untersuchung eines Falls von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
In dem Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts München (BayObLG München), Az.: 203 StRR 481/22, vom 06. Dezember 2022, dreht sich die Kontroverse um die Anwendung einer Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch und die Infragestellung der Schuldfähigkeit des Angeklagten. Der Angeklagte wurde ursprünglich wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat verurteilt. Während seiner Berufung wurde eine Begrenzung des Rechtsmittels auf die Rechtsfolgen als gültig angesehen.
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Übersicht
Schlüsselfrage der Schuldfähigkeit
Eine zentrale Frage in diesem Fall war die Einschränkung der Schuldfähigkeit des Angeklagten. Die Frage der Schuldunfähigkeit wurde intensiv debattiert, insbesondere im Hinblick auf den Umstand, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt erheblich alkoholisiert war. Es war jedoch unklar, ob die hohe Alkoholkonzentration im Blut des Angeklagten (BAK) tatsächlich zur vollständigen Aufhebung seiner Steuerungsfähigkeit geführt hat, wie in § 20 des Strafgesetzbuchs (StGB) festgelegt.
Anfechtung der Berufungsbeschränkung
Im Rahmen der Berufungsverhandlung wurde die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch als wirksam betrachtet, trotz der bestehenden Fragen hinsichtlich der Schuldfähigkeit des Angeklagten. Im Urteil stellte das Berufungsgericht fest, dass es die Schuldunfähigkeit des Angeklagten geprüft und verneint hatte. Dies stieß auf Widerstand und führte zur weiteren Prüfung der Rechtmäßigkeit der Berufungsbeschränkung.
Hochgradige Alkoholisierung und mögliche Aufhebung der Steuerungsfähigkeit
Ein entscheidender Punkt der Auseinandersetzung war die hochgradige Alkoholisierung des Angeklagten zum Tatzeitpunkt. Trotz sichtbarer motorischer Einschränkungen, verbaler Entgleisungen und hoher Aggressivität des Angeklagten wurde die Möglichkeit einer Aufhebung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 20 StGB nicht hinreichend berücksichtigt. Es fehlten konkrete Feststellungen zur BAK, was dazu führte, dass das Gericht aufgefordert wurde, die Angelegenheit noch einmal zu überprüfen.
Prüfung des Strafmilderungsgrunds und schweren Falls
Schließlich wurde auch die Anwendung des Strafmilderungsgrunds nach § 21 StGB und die Anerkennung eines besonders schweren Falls nach §§ 114, 113 StGB in Frage gestellt. Das Gericht hat noch nicht abschließend geklärt, ob trotz der Voraussetzungen für die Annahme eines Regelbeispiels die Zusammenarbeit mit anderen allgemeinen Milderungsgründen dazu führt, einen besonders schweren Fall zu verneinen.
Das vorliegende Urteil
BayObLG München – Az.: 203 StRR 481/22 – Beschluss vom 06.12.2022
Leitsätze:
1. Grundsätzlich ist eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch auch dann zulässig, wenn eine Einschränkung der Schuldfähigkeit im Raum steht. Hat jedoch das Amtsgericht die Frage der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB nicht geprüft, obwohl aufgrund seiner eigenen Feststellungen Anlass hierfür bestand, und hat es auch eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit nach § 21 StGB nicht rechtsfehlerfrei begründet, erweist sich eine Rechtsmittelbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch von vorneherein als unwirksam.
2. Kommt das Berufungsgericht nach eigener Prüfung der Voraussetzungen von § 21 StGB zu dem Ergebnis, dass entgegen dem erstinstanzlichen Urteil die Voraussetzungen sogar des § 20 StGB erfüllt sind, muss das Berufungsgericht die Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch als unwirksam und im Berufungsverfahren als unbeachtlich beurteilen.
3. Im Urteil muss das Berufungsgericht, wenn das Erstgericht die verminderte Schuldfähigkeit nicht rechtsfehlerfrei begründet hat und der Tatrichter der zweiten Instanz nach den durchgeführten Beweiserhebungen die Beschränkung für wirksam hält, erkennen lassen, dass es die Frage der Schuldunfähigkeit geprüft und verneint hat.
4. Für eine rechtsfehlerfreie Prüfung der Voraussetzungen von §§ 20, 21 StGB ist der Tatrichter nach der gefestigten höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich verpflichtet, die Tatzeit-Blutalkoholkonzentration (BAK) des Täters für das Revisionsgericht nachvollziehbar zu errechnen, sobald und soweit die Schuldfähigkeit durch Alkoholmissbrauch eingeschränkt oder ausgeschlossen gewesen sein könnte.
5. Fehlt ein Blutprobe-Blutalkoholkonzentrationswert, rechtfertigt dies nicht, von Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration abzusehen. Vielmehr hat der Tatrichter in diesem Fall den Alkoholgehalt der insgesamt konsumierten Alkoholmenge festzustellen, auch wenn er auf die Trinkmengenangaben des Angeklagten angewiesen ist. Erst wenn sich auch nach der Ausschöpfung der vorhandenen Beweise keine annähernd verlässliche Berechnung der BAK zur Tatzeit durchführen ließ, richtet sich die Beurteilung der Schuld nach psychodiagnostischen Kriterien.
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 7. Juli 2022 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Nürnberg hat den Angeklagten mit Urteil vom 10. Februar 2022 wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und mit versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen sowie wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr ein Monat verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hin hat das Landgericht eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Rechtsfolgen für wirksam erachtet und mit Urteil vom 7. Juli 2022 das Urteil des Amtsgerichts im Rechtsfolgenausspruch abgeändert, den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und die Berufung im übrigen als unbegründet verworfen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat beantragt, die Revision als unbegründet kostenpflichtig zu verwerfen
II.
Die gemäß § 333 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO) Revision des Angeklagten hat bereits deshalb – zumindest vorläufigen – Erfolg, weil dem Senat eine Überprüfung, ob das Landgericht zu Recht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen ist, auf der Grundlage der im Berufungsurteil zum Ausmaß der Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten getroffenen Feststellungen nicht möglich ist. Die knappen Ausführungen zur Steuerungsfähigkeit lassen nicht nachvollziehen, ob das Landgericht zu Recht nur die Voraussetzungen des § 21 StGB angenommen hat.
1. Auf eine zulässige Revision hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen, ob eine Berufungsbeschränkung nach § 318 StPO rechtswirksam war (BayObLG, Beschluss vom 2. Februar 2001 – 5 StRR 20/01 –, juris; KK-Paul, StPO, 8. Aufl., § 318 Rn. 11 m.w.N.). Grundsätzlich ist eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch auch dann zulässig, wenn eine Einschränkung der Schuldfähigkeit im Raum steht. Denn die Frage der erheblich verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB, welche zur Rechtsfolge gehört, ist von der Frage der Schuldfähigkeit nach § 20 StGB, die dem Schuldspruch zuzurechnen ist, trennbar (Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 65. Aufl., § 318 Rn.16, 17; KK-Paul, a.a.O. § 318 Rn. 7 ff.). Sie ist daher durch das Berufungsgericht an Hand eigener Feststellungen und auf Grund eigener Würdigung zu beantworten.
2. Kommt das Berufungsgericht nach eigener Prüfung der Voraussetzungen von § 21 StGB zu dem Ergebnis, dass entgegen dem erstinstanzlichen Urteil die Voraussetzungen sogar des § 20 StGB erfüllt sind, muss das Berufungsgericht die Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch als unwirksam und im Berufungsverfahren als unbeachtlich beurteilen (vgl. Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 3. März 2016 – 2 Rev 4/16 –, juris Rn. 13; KG Berlin, Beschluss vom 27. August 2013 – (4) 161 Ss 101/13 (116/13) –, juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 7. März 1985, Az. 1 Ss 112/84, juris; OLG Köln, Urteil vom 14. Februar 1984 – 3 Ss 586/83 –, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31. August 1983 – 2 Ss 439/83 – 264/83 II –, juris; im Ergebnis auch OLG Hamm, Beschluss vom 18. Februar 2021 – III-4 RVs 11/21 –, juris; Franke in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 353 Rn. 31). Hat das Amtsgericht die Frage der Schuldfähigkeit nach § 20 StGB nicht geprüft, obwohl aufgrund seiner eigenen Feststellungen Anlass hierfür bestand, und hat es auch eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit nach § 21 StGB nicht rechtsfehlerfrei begründet, erweist sich eine Rechtsmittelbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch von vorneherein als unwirksam (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2001 – 2 StR 500/00 –, BGHSt 46, 257-261, juris Rn. 5, 6; BayObLG, Beschluss vom 1. Februar 2021 – 202 StRR 10/21 –, juris Rn. 6; BayObLG, Beschluss vom 2. Februar 2001 – 5 St RR 20/01 –, juris Rn. 6; BayObLG, Beschluss vom 14. September 2000 – 5 St RR 154/00 –, juris Rn. 11; Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 3. März 2016 – 2 Rev 4/16 –, juris Rn. 13; OLG Bamberg, Beschluss vom 7. Februar 2017 – 2 OLG 7 Ss 105/16 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 14. Januar 2014 – III-3 RVs 97/13 –, juris Rn. 4; KK-Paul, a.a.O. § 318 Rn. 7a; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. § 318 Rn. 17).
3. Das Berufungsgericht vermag die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung daher endgültig erst unter Berücksichtigung durchgeführter Beweiserhebungen zum Rechtsfolgenausspruch aus der Sicht des Ergebnisses der Beratung über die zu treffende Entscheidung zu prüfen (OLG Bamberg, Beschluss vom 7. Februar 2017 – 2 OLG 7 Ss 105/16 –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 27. August 2013 – (4) 161 Ss 101/13 (116/13) –, juris; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 318 Rn. 8; KK-Paul, a.a.O. § 318 Rn. 1). Im Urteil muss das Berufungsgericht, wenn das Erstgericht die verminderte Schuldfähigkeit nicht rechtsfehlerfrei begründet hat und der Tatrichter der zweiten Instanz die Beschränkung für wirksam hält, erkennen lassen, dass es die Frage der Schuldunfähigkeit geprüft und verneint hat (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18. Februar 2021 – III-4 RVs 11/21 –, juris Rn. 2; OLG Köln, Urteil vom 14. Februar 1984 – 3 Ss 586/83 –, juris).
4. Für eine rechtsfehlerfreie Prüfung der Voraussetzungen von §§ 20, 21 StGB ist der Tatrichter nach der gefestigten höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich verpflichtet, die Tatzeit-Blutalkoholkonzentration (BAK) des Täters für das Revisionsgericht nachvollziehbar zu errechnen, sobald und soweit die Schuldfähigkeit durch Alkoholmissbrauch eingeschränkt oder ausgeschlossen gewesen sein könnte (BayObLG, Beschluss vom 2. Februar 2001 – 5 St RR 20/01 –, juris Rn. 9). Bei einem erkennbar alkoholisierten Täter hat für die Beurteilung der Schuldfähigkeit die Berechnung der BAK zur Tatzeit vorauszugehen, um den Grad der Alkoholisierung auf einer hinreichenden Faktenbasis einschätzen zu können (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 28. April 2010 – 5 StR 135/10-, juris; BGH, Beschluss vom 26. Mai 2009 – 5 StR 57/09-, juris; BayObLG, Beschluss vom 1. Februar 2021 – 202 StRR 10/21 –, juris Rn. 5; BayObLG, Urteil vom 15. Januar 2021 – 202 StRR 111/20 –, juris Rn. 6; BayObLG, Beschluss vom 6. März 2003 – 1 St RR 13/03 –, juris Rn. 17). Alleine aus dem Leistungsverhalten sind verlässliche Schlüsse auf eine BAK – und damit auch auf eine Höchst-BAK – nicht möglich (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl., § 20 Rn. 26). Fehlt – wie hier – ein Blutprobe-Blutalkoholkonzentrationswert, rechtfertigt dies nicht, von Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration abzusehen. Vielmehr hat der Tatrichter in diesem Fall den Alkoholgehalt der insgesamt konsumierten Alkoholmenge festzustellen, auch wenn er auf die Trinkmengenangaben des Angeklagten angewiesen ist (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 1997 – 2 StR 478/97 –, juris; BayObLG, Urteil vom 15. Januar 2021 – 202 StRR 111/20 –, juris Rn. 6; BayObLG, Beschluss vom 2. Februar 2001 – 5 St RR 20/01 –, juris Rn. 9). Hiervon kann der Tatrichter nicht schon dann Abstand nehmen, wenn sich die Berechnung als schwierig erweist, etwa weil die Angaben zum konsumierten Alkohol nicht exakt sind. Vielmehr ist in solchen Fällen eine Berechnung der BAK aufgrund von Schätzungen unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes auch dann vorzunehmen, wenn die Einlassung des Angeklagten sowie gegebenenfalls die Bekundungen von Zeugen zwar keine sichere Berechnungsgrundlage ergeben, jedoch eine ungefähre zeitliche und mengenmäßige Eingrenzung des Alkoholkonsums ermöglichen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 19. März 2020 – 3 StR 443/19 –, juris Rn. 4 m.w.N.; BayObLG, Urteil vom 15. Januar 2021 – 202 StRR 111/20 –, juris Rn. 6). Erst wenn sich auch nach der Ausschöpfung der vorhandenen Beweise keine annähernd verlässliche Berechnung der BAK zur Tatzeit durchführen ließ, was der Tatrichter im Urteil nachvollziehbar dartun muss (vgl. BGH, Beschluss vom 19. März 2020 – 3 StR 443/19 –, juris Rn. 4), richtet sich die Beurteilung der Schuld nur nach psychodiagnostischen Kriterien (BGH, Urteil vom 26. November 1998 – 4 StR 406/98 –, juris; BayObLG, Urteil vom 15. Januar 2021 – 202 StRR 111/20 –, juris Rn. 7; BayObLG, Beschluss vom 6. März 2003 – 1 StRR 13/03 –, juris Rn. 17; BayObLG, Beschluss vom 2. Februar 2001 – 5 St RR 20/01 –, juris Rn. 9; OLG Köln, Beschluss vom 20. Oktober 2009 – 81 Ss 72/09 –, juris Rn. 11; Fischer, a.a.O. Rn. 15, 26).
5. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gibt es zwar keinen Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration die Schuldfähigkeit regelmäßig aufgehoben ist (BGH, Beschluss vom 30. April 2015 – 2 StR 444/14 –, juris; BGH, Beschluss vom 13. Februar 2013 – 4 StR 557/12 –, juris Rn. 9). Vielmehr kommt es für die Beurteilung der Anwendbarkeit von §§ 20, 21 StGB auf einen alkoholisierten Täter stets auf den Einzelfall an. Jedoch kommt der Blutalkoholkonzentration – neben dem Leistungsverhalten und anderen psychodiagnostischen Kriterien (vgl. dazu BGHSt 43, 66) – ein maßgebliches indizielles Gewicht für die Beurteilung der Schuldunfähigkeit zu (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 19. März 2020 – 3 StR 443/19 –, juris Rn. 4; BGH, Beschluss vom 13. Februar 2013 – 4 StR 557/12 –, juris Rn. 9; Fischer, a.a.O. § 20 Rn. 23, 23a). Bei einer BAK ab 3,0 Promille kommt Schuldunfähigkeit in Betracht (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2013 – 4 StR 557/12 –, juris; Fischer, a.a.O. § 20 Rn. 20); derartige Werte veranlassen daher regelmäßig zu einer Prüfung einer Aufhebung der Schuldfähigkeit (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2010 – 2 StR 447/09, juris). Gleichwohl ist auch nicht ausgeschlossen, dass bei entsprechenden Ausfallerscheinungen, spezieller persönlicher Disposition, affektiver Erregung oder sonstigen Auffälligkeiten in Person und Tat die Voraussetzungen des § 20 StGB auch schon bei einer BAK unter den angegebenen Werten vorliegen können (BGH, Beschluss vom 22. Mai 2007 – 5 StR 26/07 –, juris zu einem Wert von 2,64 Promille; BayObLG, Beschluss vom 6. März 2003 – 1 St RR 13/03 –, juris Rn. 16; OLG Köln, Beschluss vom 13. November 2012 – III-1 RVs 228/12 –, juris zu einem Wert von 2,59 Promille; Fischer, a.a.O. Rn. 20a; Schöch in Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2007, § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen Rn. 100). Dann ist jedenfalls beim Vorliegen von psychophysischen Auffälligkeiten nicht nur die Frage der verminderten Schuldfähigkeit, sondern auch die Frage eines Ausschlusses der Schuldfähigkeit zu prüfen (BayObLG, Beschluss vom 2. November 2004 – 1 StRR 109/04 –, juris Rn. 15 zu einem Wert von 2,5 Promille; BayObLG, Beschluss vom 6. März 2003 – 1 StRR 13/03 –, juris Rn. 16 zu einem Wert von 2,64 Promille; BayObLG, Beschluss vom 14. September 2000 – 5 StRR 154/00 –, juris Rn. 10 f. zu einem Wert von 2,73 Promille; OLG Frankfurt, Beschluss vom 9. Juli 1995 – 3 Ss 164/94 –, juris zu einem Wert von 2,5 Promille). Zudem können insbesondere bei hochgradig trinkgewohnten Personen das äußere Erscheinungsbild des Handelns und die innere Steuerungsfähigkeit gravierend auseinanderfallen (BGH, Urteil vom 27. März 2019 – 2 StR 382/18 –, juris Rn. 13). Zielgerichtetes, auch äußerlich geordnetes, motorisch kontrolliertes und situationsangepasstes Verhalten besagt etwa bei alkoholgewohnten Tätern nach ständiger Rechtsprechung wenig (vgl. Schöch, a.a.O. Rn. 104 m.w.N.). Der zweite Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat dementsprechend bereits entschieden, dass in einem Fall, in dem nach den getroffenen Feststellungen eine erhebliche Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit vorlag, das Ersturteil jedoch ohne Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration (BAK) lediglich mitgeteilt hat, dass der Angeklagte bei der Tat mit „über“ 2 Promille erheblich alkoholisiert gewesen wäre, nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Angeklagte schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB war (BayObLG, Beschluss vom 1. Februar 2021 – 202 StRR 10/21 –, juris Rn. 5).
6. Die danach gebotene Feststellung des Blutalkoholwerts hat das Amtsgericht versäumt. Nach den insoweit von Amts wegen zu prüfenden Feststellungen des Amtsgerichts stand der Angeklagte „sichtlich“ unter Alkoholeinfluss und wurde daher beim Treppengehen gestützt (Urteil Amtsgericht S. 3). In der Hauptverhandlung berief sich der im wesentlichen geständige Angeklagte auf „gewisse“ Erinnerungslücken, da er an diesem Tag so viel getrunken hätte, dass er fast einen Filmriss gehabt hätte (Urteil Amtsgericht S. 6). Aufgrund dessen sei zu Gunsten des Angeklagten von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit auszugehen (Urteil Amtsgericht S. 5, 8). Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration, zu möglichen weiteren Ausfallerscheinungen, psychischen Auffälligkeiten und zu seinen Trinkgewohnheiten fehlen, obwohl sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung auch zu seiner Trinkmenge verhalten hat (Urteil Amtsgericht S. 6), und dem Gericht zudem mit den geschädigten Polizeibeamten und dem ärztlichen Bereitschaftsdienst (Urteil Amtsgericht S. 5) gleich mehrere Zeugen zur Verfügung standen, von denen auszugehen ist, dass sie bereits von Berufs wegen über geschulte Wahrnehmungen bezüglich alkoholisierter Personen verfügten. Das Amtsgericht hat somit ersichtlich die Voraussetzungen des § 20 StGB nicht geprüft, es hat lediglich zu Gunsten des Angeklagten eine erhebliche Alkoholisierung angenommen und ohne hinreichende Feststellungen die Voraussetzungen des § 21 StGB im Sinne einer alkoholbedingten Enthemmung als nicht ausgeschlossen angesehen.
7. Das Landgericht hätte daher nicht von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung ausgehen dürfen und das Urteil des Amtsgerichts umfassend im Schuldspruch mit eigenen Feststellungen zur Frage der Schuldfähigkeit überprüfen müssen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 2. Februar 2001 – 5 StRR 20/01 –, juris Rn. 6 ff., 9). Die Ausführungen der Strafkammer zur eingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten genügen dem nicht. Sie zeigen nicht in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise auf, warum die Strafkammer von den grundsätzlich gebotenen Feststellungen zur BAK abgesehen und ungeachtet der nach den Feststellungen hochgradigen Alkoholisierung des Täters, die mit motorischen Einschränkungen, verbalen Entgleisungen und hoher Aggressivität einherging, nicht auch die Möglichkeit einer Aufhebung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 20 StGB in den Blick genommen hat. Allein der Umstand, dass der Angeklagte noch in der Lage war, sich körperlich und verbal gegen die Festnahme zu wehren, entband das Berufungsgericht nicht, sich ohne weitere Feststellungen zur Alkoholgewöhnung mit der Frage der Schuldfähigkeit auseinanderzusetzen. Gerade bei Alkoholikern zeigt sich oft eine durch „Übung“ erworbene erstaunliche Kompensationsfähigkeit im Bereich grobmotorischer Auffälligkeiten (BGH, Beschluss vom 12. Juni 2007 – 4 StR 187/07 –, juris Rn. 6; Fischer, a.a.O. Rn 23). Dass es dem Landgericht im vorliegenden Fall an einer Berechnungsgrundlage für die Feststellung der Blutalkoholkonzentration gefehlt haben könnte, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Dass diese Prämisse erfüllt sein könnte, liegt hier auch deshalb nicht nahe, da sich der Angeklagte auch in der Berufungsinstanz zur Sache im wesentlichen geständig eingelassen hat (Urteil S. 8). Desweiteren dürften Wahrnehmungen und Befunde des ärztlichen Bereitschaftsdienstes vorliegen (vgl. Urteil S. 4), die möglicherweise ebenfalls Rückschlüsse auf den Alkoholisierungsgrad zulassen. Im übrigen hat es das Landgericht auch versäumt, die nach der Rechtsprechung gebotene Erörterung aller sonstigen Umstände, die Aufschluss über die psychische Verfassung eines Täters zur Tatzeit geben können, vorzunehmen, in die Beurteilung einzubeziehen und im Urteil darzulegen (vgl. BGHSt 43, 67 ff.; zu Auffälligkeiten in der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten BGH, Beschluss vom 22. Mai 2007 – 5 StR 26/07 –, juris; Fischer, a.a.O. Rn. 21 a.E.). Die bisherigen Feststellungen tragen zudem keine Verurteilung wegen Vollrausches nach § 323a StGB, so dass der Senat offen lassen kann, ob in diesem Fall die Beschränkung der Berufung wirksam wäre.
8. Die neue Strafkammer wird – gegebenenfalls unter Inanspruchnahme von sachverständiger Hilfe – die tatsächlichen Grundlagen, die für die Beurteilung der Schuldfähigkeit mit Blick auf den der Tat vorangegangenen Alkoholkonsum von Bedeutung sind, zu klären und hierzu Feststellungen zu treffen haben. Sie hat sodann in eigener Verantwortung die Subsumtion unter §§ 20, 21 StGB vorzunehmen und auf dieser Grundlage die Frage der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung erneut zu prüfen.
III.
Für den Fall, dass die neue Verhandlung eine lediglich erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten ergeben sollte, wird Folgendes zu bedenken sein:
1. Die Strafkammer hat bislang hinsichtlich der ersten Tat die Annahme eines Regelbeispiels nach § 114 Abs. 2 i.V.m. § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB nicht ausreichend begründet. Subjektiv setzt ein Beisichführen voraus, dass der Täter die Waffe oder das Werkzeug bewusst gebrauchsbereit bei sich hat (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 31. Oktober 2007 – (4) 1 Ss 422/07 (235/07) –, juris). Zudem kann das Vorliegen eines vertypten Milderungsgrundes Anlass geben, trotz Vorliegens eines Regelbeispiels einen besonders schweren Fall zu verneinen (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2008 – 4 StR 387/08 –, juris Rn. 4; Fischer, a.a.O. § 46 Rn. 92 m.w.N.). Danach ist auch eine festgestellte erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit zu berücksichtigen; sie kann bei der gebotenen Gesamtwürdigung allein oder zusammen mit weiteren Umständen zu dem Ergebnis führen, dass ein besonders schwerer Fall zu verneinen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 1986 – 1 StR 31/86 –, juris; Schöch, a.a.O. § 21 Verminderte Schuldfähigkeit Rn. 38; Fischer, a.a.O. § 113 Rn. 35 zur alkoholbedingten Enthemmung).
Das Gericht hat hier bislang nicht erörtert, ob der vertypte Strafmilderungsgrund nach § 21 StGB im Zusammenwirken mit weiteren allgemeinen Milderungsgründen trotz der Voraussetzungen für die Annahme eines Regelbeispiels im vorliegenden Fall dazu führt, einen besonders schweren Fall nach §§ 114, 113 StGB zu verneinen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 1986 – 1 StR 31/86 –, juris).
2. Die Strafkammer hat es zudem bislang versäumt, bei beiden Taten eine Strafmilderung nach § 46a StGB zu prüfen. Wenn Wiedergutmachungsbemühungen des Täters vorliegen, ist vorrangig zu prüfen, ob die Voraussetzungen von § 46a StGB gegeben sind, andernfalls der Strafausspruch keinen Bestand hat (BGH, Beschluss vom 12. Juli 2000 – 1 StR 281/00 –, juris Rn. 3; Fischer, a.a.O. § 46a Rn. 6; Schneider in Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 46a Täter-Opfer-Ausgleich, Schadenswiedergutmachung Rn. 7 m.w.N.). Kommt der Tatrichter hinsichtlich eines jeden Geschädigten zur Anwendbarkeit von § 46a StGB, hat er abschließend zu prüfen, ob die konkret verwirkte Strafe innerhalb der Grenze von nicht über einem Jahr Freiheitsstrafe liegt und ob in diesem Fall ein Absehen von Strafe in Betracht kommt.
Ausweislich der Urteilsgründe hat der im wesentlichen geständige, nicht unerheblich verschuldete Angeklagte nach der Tat an die vier Geschädigten S1., E., B. und E. jeweils eine Zahlung von 1000.- Euro geleistet und sich gegenüber sämtlichen Geschädigten entschuldigt, woraufhin auch das Landgericht – ohne weitere Feststellungen – von einem „zwischenzeitlich durchgeführte(n) Täter-Opfer-Ausgleich“ ausgegangen ist (Urteil S. 5, 8). Gleichwohl hat die Strafkammer von einer Erörterung von § 46a StGB abgesehen und ihr diesbezügliches Ermessen nicht ausgeübt.
Damit setzt sich die Kammer nicht rechtsfehlerfrei mit der Regelung in § 46a StGB auseinander. Die gebotene Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 46a StGB konnte nicht durch eine strafmildernde Berücksichtigung der Zahlung und Entschuldigung ersetzt werden (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2019 – 3 StR 184/19 –, juris Rn. 3; BGH, Beschluss vom 21. September 2006 – 4 StR 386/06 –, juris; BGH, Beschluss vom 12. Juli 2000 – 1 StR 281/00 –, juris Rn. 3; OLG Bamberg, Beschluss vom 22. August 2017 – 3 OLG 7 Ss 88/17 –, juris).
Das Landgericht wird daher die nach § 46a StGB erforderlichen Feststellungen (vgl. dazu OLG Bamberg, a.a.O.) bezüglich sämtlicher Geschädigter, etwa zu einem Kommunikationsprozess (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 2020 – 2 StR 412/19 –, juris Rn. 8 ff. zu den Voraussetzungen § 46a Nr. 1; Fischer, a.a.O. Rn. 11), aber auch zu den finanziellen Verhältnissen des Angeklagten zum Zeitpunkt der Entschädigung nachzuholen haben. Es wird klären müssen, ob auch bezüglich des Geschädigten S2., der nach den Feststellungen des Landgerichts keine Geldzahlung erhalten hat, die Voraussetzungen nach § 46a StGB vorliegen. Gegebenenfalls wird es das durch § 46a StGB eingeräumte Ermessen ausüben und bei positiver Entscheidung zunächst nach §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB den jeweiligen Strafrahmen unter Berücksichtigung einer verminderten Schuldfähigkeit festlegen müssen, um anschließend zu entscheiden, inwieweit eine Bestrafung als erforderlich erscheint und ob noch auf eine Freiheitsstrafe erkannt werden soll.
3. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass, soweit das Landgericht das Vorleben des Angeklagten als „geprägt“ von hoher Rückfallgeschwindigkeit und Bewährungsversagen erachtet hat (Urteil S. 9), sich diese Beurteilung in den Feststellungen zu den Vorstrafen nicht widerspiegelt. Die Verurteilungen aus den Jahren 2010 und 2011 liegen schon gehörige Zeit zurück. Ein vormaliges Bewährungsversagen ist den Feststellungen zu den Vorstrafen nicht zu entnehmen. Die letzte einschlägige Tat fand am 1. September 2019 statt.
4. Schließlich werden auch bei der Frage der Unerlässlichkeit nach § 47 Abs. 1 StGB ein möglicher Täter-Opfer-Ausgleich nach § 46a StGB, zudem die noch zu treffenden Feststellungen zum Alkoholisierungsgrad und zu etwaigen weiteren psychophysischen Auffälligkeiten sowie eine bezüglich der Rückfallgeschwindigkeit und des Bewährungsverlaufs stimmige Beurteilung des strafrechtlichen Vorlebens des Angeklagten einzustellen sein.
5. Das neue Tatgericht wird bei der Bemessung des Unrechts- und Schuldgehalts der Taten auch in den Blick nehmen können, dass, sollte ein Hang nach § 64 StGB vorliegen, die Voraussetzungen der Anordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt der Erörterung bedürften.
IV.
Auf die Revision des Angeklagten hin ist daher das angefochtene Urteil bereits wegen der fehlenden Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 349 Abs. 4, § 353 Abs. 1 und Abs. 2 StPO), ohne dass es auf das Vorliegen weiterer Rechtsfehler bei der Strafzumessung ankommt. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).