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Berufungsverwerfung – Wiedereinsetzung bei neue Tatsachen – Entschuldigungsgrund

Wiedereinsetzung in Berufungshauptverhandlung gewährt

In einem aktuellen Fall hat das OLG Brandenburg einem Angeklagten Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung gewährt. Der Angeklagte war aufgrund einer Corona-Infektion nicht zur Hauptverhandlung erschienen, woraufhin seine Berufung verworfen wurde.

Direkt zum Urteil: Az.: 1 ORs 5/23 springen.

Hintergrund des Falls

Der Angeklagte wurde vom Amtsgericht Zossen wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt und legte dagegen Berufung ein. Am Tag der Berufungshauptverhandlung teilte der Verteidiger dem Gericht mit, dass der Angeklagte positiv auf Corona getestet wurde und daher nicht erscheinen könne. Trotzdem wurde die Berufung wegen unentschuldigten Ausbleibens verworfen.

Entscheidung des OLG Brandenburg

Das OLG Brandenburg hob den Beschluss des Landgerichts Potsdam auf und gewährte dem Angeklagten die Wiedereinsetzung. Das Gericht stellte fest, dass die Corona-Infektion des Angeklagten eine hinreichende Entschuldigung für das Ausbleiben darstellte und das Landgericht Potsdam den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung zu Unrecht als unzulässig verworfen hatte.

Erfolgreiche Beschwerde des Angeklagten

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 29. März 2022 war erfolgreich. Dies führt zur Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung. Der Angeklagte hat glaubhaft gemacht, dass er ohne Verschulden verhindert war, an der Berufungsverhandlung teilzunehmen, da er an einer SARS-Cov-2-Infektion litt. Die Wiedereinsetzung ist nicht durch die gleichzeitig erhobene Revision ausgeschlossen.

Rechtsfehlerhafte Würdigung des Berufungsgerichts

Das Berufungsgericht hat das tatsächliche Vorbringen des Angeklagten nicht gewürdigt und den Entschuldigungsgrund als nicht genügend angesehen, weil er nicht glaubhaft gemacht wurde. Dies ist rechtsfehlerhaft, da dem Angeklagten im Rahmen des § 329 Abs. 1 StPO keine Pflicht zur Glaubhaftmachung oder einem lückenlosen Nachweis zukommt. Durch das im Beschwerdeverfahren eingereichte positive Ergebnis des PCR-Tests ist die Coronainfektion des Angeklagten glaubhaft gemacht worden, wodurch sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung genügend entschuldigt ist.

Entschuldigter Angeklagter

Der Angeklagte hatte einen Entschuldigungsgrund für sein Fernbleiben von der Berufungshauptverhandlung, da er nachweislich an einer Coronainfektion litt. Der Verdacht einer vorgetäuschten Erkrankung reicht nicht aus, um ihn als unentschuldigt zu behandeln. Es wurden keine begründeten Zweifel an seiner Infektion festgestellt. Das vorgelegte Testergebnis des Labors bestätigt seine Erkrankung und wurde als glaubhaft erachtet, obwohl keine Personalausweis- oder Reisepassnummer angegeben war.

Wiedereinsetzung und Kostenentscheidung

Durch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird das Verwerfungsurteil des Landgerichts Potsdam aufgehoben und die eingelegte Revision gegenstandslos. Der angefochtene Beschluss vom 29. März 2022 erfüllt nicht die Schriftformerfordernis, da der Angeklagte nicht ausreichend identifiziert wurde. Dieser Mangel wird auch nicht durch eine nachträglich erstellte Abschrift geheilt. Die Kostenentscheidung zur Wiedereinsetzung beruht auf § 473 Abs. 7 StPO und die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse. Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

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Das vorliegende Urteil

OLG Brandenburg – Az.: 1 ORs 5/23 – Beschluss vom 15.03.2023

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 29. März 2022 aufgehoben.

Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung gewährt.

Das Verwerfungsurteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 27. Januar 2022 und die dagegen von dem Angeklagten eingelegte Revision sind gegenstandslos.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Zossen hat mit Urteil vom 23. Juni 2021 den Angeklagten wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. Gegen diese Verurteilung hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers ebenfalls vom 23. Juni 2021 Rechtsmittel eingelegt, das als Berufung weiterverfolgt wurde.

Nach Eingang der Akten beim Landgericht Potsdam beraumte die Vorsitzende der zuständigen Berufungskammer mit Verfügung vom 25. August 2021 Termin zur Hauptverhandlung an auf den 27. Januar 2022, 15:00 Uhr, zu der der Angeklagte ausweislich der Zustellungsurkunde am 11. Dezember 2021 sowie der Verteidiger des Angeklagten am 23. Dezember 2021 förmlich geladen wurden.

Am Tag der Hauptverhandlung, am 27. Januar 2022, beantragte der Verteidiger mit Telefaxschreiben, eingegangen bei Gericht um 11:57 Uhr, den Hauptverhandlungstermin aufzuheben. Zur Begründung führte er aus, der Angeklagte habe ihm am heutigen Vormittag telefonisch mitgeteilt, dass er sich per Schnelltest positiv auf Corona getestet habe. Der Angeklagte habe einen PCR-Test durchführen lassen, dessen Ergebnis noch ausstehe, und sich vorsorglich in die häusliche Quarantäne begeben.

Bei Aufruf zur Berufungshauptverhandlung am 27. Januar 2022 erschienen der Angeklagte und der Verteidiger nicht. Mit Urteil vom selben Tag hat die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Zossen vom 23. Juni 2021 wegen unentschuldigten Ausbleibens zur Hauptverhandlung verworfen. Zur Begründung führt das Berufungsgericht aus: „Das statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel war gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO zu verwerfen. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen, wenn bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erscheint und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist. Diese Voraussetzungen liegen vor, da der Angeklagte der Berufungshauptverhandlung am 27. Januar 2022 trotz ordnungsgemäßer Ladung und Belehrung über die Folgen eines unentschuldigten Fernbleibens unentschuldigt ferngeblieben ist. Eine Verhinderung, an dem Termin teilzunehmen, ist nicht ersichtlich. Die Mitteilung des Verteidigers, der Angeklagte habe auf einen positiven Selbsttest einen sogenannten PCR-Test vornehmen lassen und sich in häusliche Quarantäne begeben müssen, entbehrt der erforderlichen Glaubhaftmachung etwa durch einen Nachweis über die Durchführung eines positiv ausgefallenen Schnelltests bzw. die Teilnahme an einer sogenannten PCR-Testung. Die Einreichung eines Nachweises wäre auch zeitlich möglich gewesen, nachdem der Angeklagte ausweislich des eingereichten Schriftsatzes bereits in den Morgenstunden des Terminstags von einer potentiellen Infektion Kenntnis hatte und die Terminsstunde erst auf 15:00 Uhr angesetzt war. Eine Terminsverlegung war auf dieser Grundlage nicht veranlasst.“

Am 31. Januar 2022 teilte der Verteidiger dem Landgericht Potsdam über den elektronischen Postweg mit, dass der PCR-Test des Angeklagten positiv ausgefallen sei. Eine Anlage mit dem entsprechenden Befundbericht wurde entweder nicht korrekt übermittelt oder nicht ausgedruckt, sodass das Testergebnis an diesem Tag nicht zur Akte gelangt ist. Auf die Mitteilung des Berufungsgerichts an den Verteidiger per E-Mail am 2. Februar 2022, dass zu dem Schriftsatz vom 31. Januar 2022 keine Anlage eingegangen sei, erfolgte keine Reaktion.

Nach Urteilsübersendung hat der Angeklagte mit dem am 14. Februar 2022 bei Gericht angebrachten Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tag sowohl Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung als auch Revision eingelegt und die Rechtsmittel zugleich begründet. Hierbei führt der Verteidiger des Angeklagten aus, dass der Angeklagte am 27. Januar 2022 ausweislich des dem Gericht bereits vorliegenden Attestes am Verhandlungstag unter einer akuten SARS-Cov-2-Infektion gelitten habe.

Mit Beschluss vom 29. März 2022 hat die 7. kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung als unzulässig verworfen und zur Begründung ausgeführt, dass zur Zulässigkeit des Antrages die Angabe eines Versäumnisgrundes erforderlich sei, der unter Behauptung von Tatsachen derart begründet werden müsse, dass ihm die unverschuldete Verhinderung des Antragstellers entnommen werden könne. Die dargelegten Tatsachen seien glaubhaft zu machen, wobei die Glaubhaftmachung den Richter in die Lage versetzen solle, ohne den Fortgang des Verfahrens verzögernde weitere Ermittlungen über den Antrag zu entscheiden. Weiter führt die Strafkammer aus: „Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Angeklagte hat sich vielmehr ohne jede Glaubhaftmachung unter Bezugnahme auf ein bereits am 2. Februar 2022 erbetenes, angekündigtes, indes nicht zur Akte gelangtes Attest oder Testergebnis auf eine bei ihm bestehende Infektion berufen.“

Gegen diese Entscheidung hat der Angeklagte mit dem bei Gericht am 19. Mai 2022 angebrachten Anwaltsschriftsatz vom 18. Mai 2022 sofortige Beschwerde eingelegt und um Überprüfung des elektronischen Postfaches beim Landgericht Potsdam gebeten. Als Anlage ist das hinsichtlich einer SARS-Cov-2-Infektion positive Testergebnis vom 28. Januar 2022 (Probeentnahme am 26. Januar 2022) bezüglich des Angeklagten beigefügt worden.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat mit Stellungnahme vom 13. Januar 2023 beantragt, die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 29. März 2022 als unbegründet zu verwerfen und die Revision des Angeklagten gegen das Verwerfungsurteil vom 27. Januar 2022 als unbegründet zu verwerfen. Dem Angeklagten wurde über seinen Verteidiger rechtliches Gehör gewährt.

II.

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 29. März 2022 hat Erfolg und führt zur Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung, sodass das Verwerfungsurteil beseitigt und die dagegen erhobene Revision gegenstandslos ist.

1. a) Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 29. März 2022 ist gemäß § 46 Abs. 3 StPO statthaft und nach §§ 306, 311 Abs. 1 StPO form- und fristgerecht eingelegt worden.

b) In der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg.

aa) Nach §§ 329 Abs. 7 StPO kann ein Angeklagter unter den Voraussetzungen von §§ 44, 45 StPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beanspruchen, wenn er darlegt und glaubhaft macht, dass er ohne Verschulden verhindert war, an der Berufungsverhandlung teilzunehmen. Hierzu sind nach § 329 Abs. 7 i. V. m. § 45 Abs. 2 S. 1 StPO binnen Wochenfrist nach Wegfall des Hindernisses die Tatsachen so vollständig vorzutragen, dass ihnen – als wahr unterstellt – die unverschuldete Verhinderung des Angeklagten ohne weiteres entnommen werden kann. Hierzu bedarf es einer genauen Darstellung der Tatsachen, die für die Frage bedeutsam sind, wie und durch welche Umstände es zur Versäumung der Berufungsverhandlung gekommen ist. Das Mittel der Glaubhaftmachung kann auch im Beschwerderechtszug nachgereicht werden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 45 Rn. 7 m. w. N.).

Diesen Formerfordernissen hat der Angeklagte entsprochen, indem er mit den am 14. Februar 2022 und am 19. Mai 2022 bei Gericht angebrachten Anwaltsschriftsätzen, spätestens am 19. Mai 2022 unter Vorlage des positiven PCR-Testergebnisses vom 28. Januar 2022, dargelegt hat, dass er im Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung an einer SARS-Cov-2-Infektion gelitten habe.

bb) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung ist nicht durch die gleichzeitig erhobene Revision ausgeschlossen (vgl. § 342 StPO).

(1.) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung nach § 329 Abs. 7 StPO setzt voraus, dass zur Entschuldigung geeignete Tatsachen geltend und glaubhaft gemacht werden, die dem Berufungsgericht nicht bekannt waren (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 31. Juli 2008, 3 Ss 288/08, zit. n. juris; OLG Köln StV 1989, 53; OLG München NStZ 1988, 377). Die Rechtsfehlerhaftigkeit der Verwerfung der Berufung bei fehlerhafter Würdigung gerichtsbekannter Tatsachen kann nicht im Wiedereinsetzungsverfahren, sondern nur mit der Revision geltend gemacht werden (vgl. OLG Hamm wistra 2008, 40; OLG Hamm wistra 1997, 157; OLG Düsseldorf StV 2009, 13; OLG Düsseldorf wistra 2003, 399 f.; OLG Düsseldorf VRS 97, 139; OLG Jena VRS 205, 299). Auch auf neue Beweismittel für die vom Berufungsgericht schon gewürdigten Tatsachen kann der Wiedereinsetzungsantrag nicht gestützt werden (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 28. September 2017, 4 Ws 120/17, zit. n. juris; OLG Düsseldorf NStZ 1992, 99f.; OLG Hamburg MDR 1991, 469; zum Ganzen: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. § 329 Rdnr. 42 m.w.N.).

(2.) Es kann vorliegend dahinstehen, ob die Tatsache, dass der Angeklagte auch mit dem PCR-Test positiv auf eine Coronainfektion getestet wurde, eine neue Tatsache ist, die die Prüfung der Wiedereinsetzung veranlasst. Denn der Grundsatz, dass eine Wiedereinsetzung nicht mit der gleichen Tatsachenbehauptung beantragt werden kann, mit der ein Angeklagter sein Nichterscheinen bereits entschuldigt hat, gilt jedenfalls dann nicht, wenn es das Berufungsgericht versäumt hat, diese Tatsache in dem Urteil nach § 329 Abs. 1 StPO zu würdigen (vgl. OLG München, Beschluss vom 21. April 1988, 2 Ws 191/88, NStZ 1988, 377 f.; Löwe/Rosenberg, StPO, 23. Aufl., § 329 Rn. 118; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 329 Rn. 42 jeweils m.w.N.).

Ein solcher Fall liegt hier vor. Das Berufungsgericht hat das tatsächliche Vorbringen des Angeklagten nicht gewürdigt. In dem Verwerfungsurteil des Landgerichts Potsdam vom 29. März 2022 ist zwar ausgeführt, dass der Verteidiger mitgeteilt habe, „der Angeklagte habe sich per Schnelltest positiv auf Corona getestet und habe sich vorsorglich in die häusliche Quarantäne begeben“, jedoch erachtet das Berufungsgericht diesen Vortrag als unbeachtlich, da diese Mitteilung des Verteidigers „der erforderlichen Glaubhaftmachung etwa durch einen Nachweis eines positiv ausgefallenen Schnelltestes“ entbehre. Die von der Berufungskammer postulierte Notwendigkeit einer Glaubhaftmachung, aufgrund derer in die Prüfung der Entschuldigungsgründe nicht eingetreten wurde, ist rechtsfehlerhaft. Eine Entschuldigung gemäß § 329 Abs. 1 StPO ist dann genügend, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Angeklagten einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d.h. wenn dem Angeklagten unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolgedessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 8. April 2010, 1 Ss OWi 84 B/10; Senatsbeschluss vom 23. Februar 2009 – 1 Ss (OWi) 9 B/09; OLG Bamberg DAR 2008, 217). Dabei trifft den Angeklagten hinsichtlich des Entschuldigungsgrundes im Rahmen des § 329 Abs. 1 StPO – anders als im Wiedereinsetzungsverfahren (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO) – keine Pflicht zur Glaubhaftmachung oder auch zu einem lückenlosen Nachweis (vgl. bereits BGHSt 17, 391, 396, KG JR 1978, 36; OLG Celle StV 1987, 192; OLG Koblenz VRS 64, 211, 212; OLG Köln NZV 1999, 261, jeweils m.w.N.). Daraus wiederum folgt, dass eine genügende Entschuldigung nicht schon deshalb zu verneinen ist, weil der Entschuldigungsgrund nicht glaubhaft gemacht worden ist (vgl. BayObLG NJW 1998, 172; OLG Köln NJW 1953, 1046).

Erforderlich und ausreichend ist hier, dass der Angeklagte vor der Hauptverhandlung schlüssig einen Sachverhalt vorträgt oder vortragen lässt, der geeignet ist, sein Ausbleiben genügend zu entschuldigen, dem Gericht somit hinreichende Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung zur Kenntnis gebracht sind (vgl. Senatsbeschluss vom 8. April 2010 a.a.O.; OLG Bamberg DAR 2008, 217).

Dadurch, dass das Berufungsgericht das Verwerfungsurteil (rechtsfehlerhaft) auf die fehlende Glaubhaftmachung eines Entschuldigungsgrundes gestützt hat, folgt, dass es das tatsächliche Vorbringen des Angeklagten, sich am Tag der Hauptverhandlung wegen eines positiven Corona-Schnelltests in häuslicher Quarantäne befunden zu haben, nicht bei seiner Entscheidung erwogen und gewürdigt hat, ja nicht einmal konkrete Tatsachen festgestellt hat und auch nicht in das Freibeweisverfahren, beispielsweise zur Ermittlung des Aufenthalts des Angeklagten, eingetreten ist. Die Verwehrung einer Sachentscheidung im Wiedereinsetzungsverfahren ist nur gerechtfertigt, wenn sich aus der Wiederholung des Tatsachenvortrages ergibt, dass sich der Antragsteller damit lediglich gegen die Beweiswürdigung wendet und rügt, dass das Berufungsgericht das Vorbringen zu Unrecht als zur Entschuldigung nicht genügend angesehen habe. In einem solchen Fall ist im Hinblick auf die Möglichkeit der Revision kein Schutzbedürfnis dafür gegeben, dass der gleiche Sachverhalt von dem Berufungsgericht ein zweites Mal entschieden werden soll. Die Berechenbarkeit des Rechts erfordert aber, dass der Angeklagte auch weiß, dass sein Entschuldigungsvorbringen bereits in vollem Umfang gewürdigt wurde. Ein solches Wissen ist nur aus dem Urteil selbst zu gewinnen. Gibt das Urteil darüber keinen ausreichenden Aufschluss, kann der Angeklagte durchaus der Meinung sein, dass sein Vorbringen zumindest teilweise übersehen oder auch nur im Tatsächlichen verkannt wurde, also über erhebliche Gründe möglicherweise noch gar nicht entschieden ist (vgl. OLG München, Beschluss vom 21. April 1988, 2 Ws 191/88 NStZ 1988, 377 f.). Letzteres ist hier der Fall, da das Berufungsgericht das Verwerfungsurteil auf die fehlende Glaubhaftmachung gestützt hat und die vorgebrachten Tatsachen dazu konsequent nicht erwogen hat.

Nach alledem ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung der maßgebliche Rechtsbehelf (vgl. § 342 StPO).

cc) Aufgrund der über seinen Verteidiger vorgetragenen Coronainfektion ist das Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung am 27. Januar 2022 genügend entschuldigt und im Wiedereinsetzungsverfahren durch das im Beschwerdeverfahren eingereichte positive Ergebnis des PCR-Tests auch ausreichend glaubhaft gemacht worden.

Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung ist § 329 Abs. 1 StGB eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift, die sich bei der Frage der genügenden Entschuldigung in Zweifelsfällen zu Gunsten des Angeklagten auswirkt (vgl. OLG Stuttgart Justiz 2004, 126 m. zahlr. N.; BayObLG StV 2001, 338). Entscheidend ist nicht, ob sich der Angeklagte genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist (ganz h. M., vgl. statt vieler: BayObLG NZV 1998, S. 426; OLG Düsseldorf VRS 92, S. 259; OLG Koblenz VRS 60, S. 465; OLG Stuttgart NZV 1992, S. 462). Eine Entschuldigung ist dann genügend, wenn die im Einzelfall abzuwägenden Belange des Angeklagten einerseits und seine öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung andererseits den Entschuldigungsgrund als triftig erscheinen lassen, d.h. wenn dem Angeklagten unter den gegebenen Umständen ein Erscheinen billigerweise nicht zumutbar war und ihm infolgedessen wegen seines Fernbleibens auch nicht der Vorwurf schuldhafter Pflichtverletzung gemacht werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 8. April 2010, 1 Ss OWi 84 B/10; Senatsbeschluss vom 23. Februar 2009 – 1 Ss (OWi) 9 B/09; OLG Bamberg DAR 2008, 217). Dabei ist es, wie bereits ausgeführt, erforderlich, dass der Angeklagte mit dem Wiedereinsetzungsantrag schlüssig einen Sachverhalt vorträgt oder vortragen lässt, der geeignet ist, sein Ausbleiben genügend zu entschuldigen. Eine Krankheit stellt dabei einen ausreichenden Entschuldigungsgrund dar, wenn sie nach ihrer Art und nach ihren Wirkungen, insbesondere nach dem Umfang der von ihr ausgehenden körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unzumutbar erscheinen lässt (OLG Düsseldorf NStZ 1984, 331; OLG Köln DAR 1987, 267). Ein Sachvortrag, der dem Gericht eine Bewertung von Krankheit eines Angeklagten als Entschuldigungsgrund nach diesen Kriterien ermöglichen soll, erfordert für seine Schlüssigkeit daher zumindest die Darlegung eines krankheitswertigen Zustandes, also eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustands, der ärztlicher Behandlung bedarf (vgl. auch BSGE 35, 10 ff., 12). Für den Fall, dass eine Infektion mit dem Coronavirus vorgebracht wird, ist ein solches Vorbringen indes nicht erforderlich, denn das Fernbleiben ist in diesem Fall nicht lediglich durch eine Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten, sondern bereits durch die Schutzbedürftigkeit anderer Prozessbeteiligter vor einer Infektion gerechtfertigt (BayObLG, Beschluss vom 25.10.2022 – 206 StRR 286/22 – BeckRS 2022, 30918). Eine Infektion mit dem Coronavirus rechtfertigte und gebot zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung schon aufgrund bestehender öffentlich-rechtlicher Vorschriften (auch ohne das Vorliegen von Krankheitssymptomen) das Fernbleiben von einer Gerichtsverhandlung (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 2. SARS-CoV-2-EindV).

Der bloße Verdacht, dass ein Entschuldigungsgrund nur vorgeschützt sein könnte, rechtfertigt es im Übrigen nicht, den Angeklagten als unentschuldigt zu behandeln. Bleibt zweifelhaft, ob er genügend entschuldigt ist, dann sind die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht gegeben; solche Zweifel verpflichten vielmehr zu ihrer Klärung (Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 329 Rn. 26).

Mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat der Angeklagte weit mehr als den Verdacht einer bei ihm akut vorliegenden Coronainfektion vorgetragen und durch den Befundbericht vom 28. Januar 2022 über das positive Ergebnis des PCR-Tests vom 26. Januar 2022 glaubhaft gemacht, nämlich dass er tatsächlich im Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung mit dem SARS-Cov-2-Virus infiziert war. Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft bestehen keine begründeten Zweifel an einer Coronainfektion des Angeklagten zu jenem Zeitpunkt.

Zur Glaubhaftmachung der Wiedereinsetzungstatsache genügt es, dass dem Gericht in einem nach Lage der Sache vernünftigerweise zur Entscheidung hinreichendem Maß die Wahrscheinlichkeit ihrer Richtigkeit dargetan wird (OLG Düsseldorf NJW 1985, 2207, wistra 1990, 364). Das vorgelegte Testergebnis des Labors bezieht sich auf den Angeklagten, dessen Vor- und Zuname sowie sein Geburtsdatum dort korrekt angegeben sind. Zwar ist eine Personalausweis- oder Reisepassnummer nicht eingetragen, sodass die Testung eines anderen mit dem Coronavirus infizierten Mannes, der die Personalien des Angeklagten angegeben hat, theoretisch möglich ist. Der Senat betrachtet dies jedoch unter Berücksichtigung der üblichen Gepflogenheiten im medizinischen Bereich als fernliegend, Anhaltspunkte dafür sind jedenfalls nicht ersichtlich.

Nach alledem ist der Angeklagte unverschuldet der Berufungshauptverhandlung am 27. Januar 2022 ferngeblieben, mithin als entschuldigt anzusehen, so dass er unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 29. März 2022 gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung am 27. Januar 2022 in den vorigen Stand zu setzen ist.

2. Durch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird das Verwerfungsurteil des Landgerichts Potsdam vom 27. Januar 2022 beseitigt und die von dem Angeklagten eingelegte Revision gegenstandslos (vgl. RGSt 65, 231; BayObLG NJW 1972, 1724; OLG Oldenburg VRS 68, 282; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. § 342 Rn. 2).

III.

Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass in Beschlüssen, die Außenwirkung entfalten, der Angeklagte zum Zwecke seiner Identifizierbarkeit mit Familiennamen, etwaigem Geburtsnamen und Vornamen sowie mit Tag und Ort der Geburt zu bezeichnen ist (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.07.1993 – 1 Ws 619/93 – bei juris). Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss vom 29. März 2022 nicht gerecht und genügt damit nicht in hinreichendem Maß der Schriftformerfordernis. Der vorliegende Mangel des Beschlusses wird auch nicht dadurch geheilt, dass nachträglich seitens der Geschäftsstelle eine Abschrift erstellt worden ist, welche ein Rubrum enthält, da die Geschäftsstelle zur Erstellung einer vom Original abweichenden Beschlussausfertigung nicht befugt ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 30. Oktober 2018 – 1 Ws 497/18 – bei juris).

IV.

Die Kostenentscheidung zur Wiedereinsetzung beruht auf § 473 Abs. 7 StPO. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse, weil sonst niemand für sie haftet. Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers in diesem Rechtszug folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

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