Überraschende Wende im Betrugsfall
In einem ungewöhnlichen Fall von Missverständnissen und Fehlern im Justizsystem wurde ein Urteil des Landgerichts Aurich aufgehoben, das einen Angeklagten betrifft, der wegen Betrugs verurteilt wurde. Der Schlüssel zum Fall ist eine Verwechslung der Uhrzeiten, die dazu führte, dass der Angeklagte eine wichtige Gerichtsverhandlung versäumte.
Direkt zum Urteil Az: 1 Ws 425/21 springen.
Übersicht
Missverständnisse und Fehlinformationen
Der Angeklagte war vom Amtsgericht Wittmund am 4. Mai 2021 wegen Betrugs zu einer neunmonatigen unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Als die Berufung des Angeklagten verhandelt werden sollte, wurde der Angeklagte irrtümlich in dem Glauben gelassen, die Verhandlung beginne um 13:30 Uhr, obwohl sie tatsächlich um 11:30 Uhr beginnen sollte. Diese Verwechslung führte dazu, dass der Angeklagte die Verhandlung verpasste, was zur Verwerfung seiner Berufung nach § 329 StPO führte.
Kontroverse um Fehlurteile
Infolgedessen legte die Verteidigung des Angeklagten eine sofortige Beschwerde ein, die von OLG Oldenburg gehört wurde. Der Angeklagte argumentierte, dass er aufgrund des Missverständnisses rechtzeitig zur Verhandlung hätte erscheinen können, wenn das Gericht gewartet hätte. In einer eidesstattlichen Versicherung versicherte der Angeklagte, dass er unmittelbar nach dem Telefonat mit seiner Anwältin losgefahren sei und innerhalb von 45 Minuten, also um 12:15 Uhr, im Gericht hätte eintreffen können.
Der umstrittene Beschluss
Trotz dieser Argumente verwarf die Kammer den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet. Sie argumentierte, dass der Angeklagte selbst die Nichtbeachtung der korrekten Uhrzeit am Terminstag zu verantworten habe. Doch das Oberlandesgericht Oldenburg sah dies anders.
Das Urteil des OLG Oldenburg
Das OLG Oldenburg hob den Beschluss des Landgerichts Aurich vom 4. Oktober 2021 auf und setzte den Angeklagten auf seine Kosten in den Stand vor Versäumen der Berufungshauptverhandlung vor der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 7. September 2021 wieder ein. Darüber hinaus wurden die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegt. Dieser unerwartete Ausgang betont die Bedeutung von Genauigkeit und Klarheit in der Kommunikation innerhalb des Justizsystems.
Das vorliegende Urteil
OLG Oldenburg – Az.: 1 Ws 425/21 – Beschluss vom 15.11.2021
1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Aurich vom 4. Oktober 2021 aufgehoben.
Der Angeklagte wird auf seine Kosten in den Stand vor Versäumen der Berufungshauptverhandlung vor der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 7. September 2021 wiedereingesetzt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatkasse auferlegt.
2. Das Urteil der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 7. September 2021 und die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten sind gegenstandslos.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Wittmund hatte den Angeklagten am 4. Mai 2021 wegen Betruges zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Auf dessen Berufung beraumte die 2. kleine Strafkammer des Landgerichts Aurich den Hauptverhandlungstermin auf den 7. September 2021 um 11:30 Uhr an. Der zu diesem Termin ordnungsgemäß geladene Angeklagte erschien – im Gegensatz zu seiner Pflichtverteidigerin – bei Aufruf der Sache jedoch nicht. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung wurde nach einem Telefonat der Pflichtverteidigerin mit dem Angeklagten um 11:35 Uhr festgestellt, dass der Angeklagte fälschlich von einem Sitzungsbeginn um 13:30 Uhr ausgegangen sei. Daraufhin wurde die Hauptverhandlung um 11:36 Uhr für zwei Minuten unterbrochen und bei erneutem Aufruf um 11:45 Uhr festgestellt, dass der Angeklagte noch immer nicht erschienen sei. Im Anschluss daran verwarf das Landgericht um 11:47 Uhr die Berufung des Angeklagten nach § 329 StPO.
In den Urteilsgründen wird ausgeführt, dass der Angeklagte am Terminstage ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei. Der Umstand, dass er von einem Beginn um 13:30 Uhr ausgegangen sei, entschuldige ihn nicht.
Mit bei Gericht am 14. September 2021 eingegangenem Schreiben seiner Verteidigerin vom 13. September 2021 – soweit das Schreiben selbst einen Eingangsstempel des Landgerichts vom 14. Oktober 2021 trägt, dürfte es sich angesichts des weiteren Akteninhalts ersichtlich um einen Fehler der Wachtmeisterei handeln – beantragte der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legte zugleich – für den Fall der Verwerfung – Revision ein. Zur Begründung führte dieser aus, dass er sich in der Uhrzeit versehen habe. Er habe zudem durch seine Verteidigerin noch in der Hauptverhandlung erklären lassen, dass er sich unverzüglich auf den Weg machen und spätestens in 45 Minuten, also um 12:15 Uhr, bei Gericht eintreffen werde. Selbst unter Annahme einer insgesamt einstündigen Verspätung hätte die Berufungshauptverhandlung spätestens ab 12:30 Uhr durchgeführt werden können, zumal die nächste Sache am Terminstage erst auf 14:00 Uhr angesetzt worden sei.
Mit weiterem Schreiben vom 21. September 2021 reichte die Verteidigerin eine „eidesstattliche Versicherung“ des Angeklagten zum Zwecke der Glaubhaftmachung zur Akte, in welcher der Angeklagte weitergehend ausführt, sich nach dem um 11:30 Uhr erfolgten Telefonat sofort ins Auto gestiegen und losgefahren zu sein. Unterwegs sei ihm gegen 11:50 Uhr in einem weiteren Telefonat seitens der Verteidigerin mitgeteilt worden, dass die Berufung inzwischen verworfen worden sei, woraufhin er wieder umgekehrt und nach Hause gefahren sei.
Mit der angefochtenen Entscheidung vom 4. Oktober 2021 verwarf die Kammer den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet. Der Angeklagte habe sich selbst die Nichtbeachtung der korrekten Uhrzeit am Terminstage zuzuschreiben. Ein Zuwarten sei nicht zumutbar, zumal es ausgeschlossen erscheine, dass der Angeklagte innerhalb vertretbarer Zeiträume die Wegstrecke zwischen seine Wohnung in Ort1 und dem Terminsort Aurich innerhalb der angegebenen 45 Minuten hätte zurücklegen können. Laut einer Internetrecherche hätte er ohnehin mindestens 51 Minuten zuzüglich der Zeit für eine Parkplatzsuche aufwenden müssen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Angeklagte mit seiner sofortigen Beschwerde.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorbezeichneten Schriftsätze und Entscheidungen Bezug genommen.
II.
Das gem. § 329 Abs. 7, 46 Abs. 3 StPO statthafte und rechtzeitig erhobene Rechtsmittel ist begründet.
1.
Der Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig.
a)
Dem steht der Sachvortrag der Verteidigung im Wiedereinsetzungsgesuch vom 13. September 2021 nicht entgegen, wonach der Angeklagte dem Gericht durch seine Verteidigerin vor Verwerfung seiner Berufung nicht nur mitgeteilt habe, dass er sich in der Uhrzeit versehen habe, sondern darüber hinaus auch, dass er sich sofort auf den Weg machen und voraussichtlich in 45 Minuten bei Gericht eintreffen werde. Zwar kann eine Wiedereinsetzung nur dann erfolgen, wenn die zur Entschuldigung geeigneten Tatsachen dem Gericht bei seiner Verwerfungsentscheidung nicht bekannt waren mit der Folge, dass – in Abgrenzung zum Vorbringen in der Revision – „neue“ Tatsachen zur Begründung vorgetragen werden müssen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 329 Rn. 42 m.w.N.). Ein Angeklagter kann indes im Wiedereinsetzungsverfahren ausnahmsweise auch zu solchen Tatsachen gehört werden, welche das Berufungsgericht hätte würdigen müssen, die es im Berufungsurteil tatsächlich jedoch nicht gewürdigt hat, wobei allein die Urteilsgründe der Verwerfungsentscheidung Aufschluss über die Frage geben, ob sich das Berufungsgericht tatsächlich mit dem Entschuldigungsvorbringen inhaltlich auseinandergesetzt hat (vgl. OLG München, Beschluss vom 21.04.1988 – 2 Ws 191/88, NStZ 1988, 377 <378>; OLG Hamm, Beschluss vom 16.05.1997 – 2 Ws 165/97, NStZ-RR 1997, 368 <369>; Beschluss vom 07.05.2007 – 3 Ws 225/07, juris Rn. 17; OLG Köln, Beschluss vom 08.07.2013 – 2 Ws 354/13, juris Rn. 10; KG, Beschluss vom 14.02.2019 – 4 Ws 12/19, juris Rn. 19).
Dies ist hier der Fall. Das Landgericht hat sich darauf beschränkt, die Nachlässigkeit des Angeklagten, die fraglos in dem Irrtum über den Beginn der Hauptverhandlung liegt, herauszuarbeiten. Der weitere Vortrag, dass der Angeklagte über seine am Terminsort anwesende Verteidigerin hat mitteilen lassen, dass er sich sofort auf den Weg mache und in etwa 45 Minuten bei Gericht sei, findet in den Urteilsgründen hingegen keine Erwähnung, obwohl dies dem Entschuldigungsvorbringen ein weiteres, „anderes Gepräge“ gibt (vgl. KG a.a.O., juris Rn. 21 f.), welches darauf abzielt, ein Ausbleiben im Sinne von § 329 Abs. 1 StPO nicht nur zu entschuldigen, sondern im Ergebnis sogar zu vermeiden. Insoweit hat das Landgericht den Gesichtspunkt der – ein längeres Zuwarten gebietenden – Fürsorgepflicht erkennbar übersehen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 07.05.2007 – 3 Ws 225/07, juris Rn. 17). Dieser Aspekt kann damit als nicht „verbrauchter“ Vortrag im Rahmen des Wiedereinsetzungsverfahrens Berücksichtigung finden (vgl. KG a.a.O., juris Rn. 21), ohne dass der Angeklagte darauf beschränkt wäre, sich mit der Revision gegen das Verwerfungsurteil zu wenden (vgl. OLG Köln a.a.O.).
b)
Der Umstand, dass der „eidesstattlichen Versicherung“ des Angeklagten vom 13. September 2021 nur der Wert einer eigenen schlichten Erklärung zukommt und für sich genommen regelmäßig nicht den an eine Glaubhaftmachung zu stellenden Anforderungen genügt, vermag ebenfalls nicht die Unzulässigkeit des Wiedereinsetzungsgesuchs zu begründen, da eine (weitergehende) Glaubhaftmachung hier nicht erforderlich ist.
Die Verteidigerin hat die aus dem Telefonat mit dem Angeklagten gewonnenen Informationen – namentlich der Irrtum über die angesetzte Terminstunde, die unverzüglich aufgenommene Anreise und das zugesicherte Erscheinen in etwa 45 Minuten am Terminsort – und deren Weiterleitung an das Landgericht sowie die spätere fernmündliche Unterrichtung des Angeklagten von der Berufungsverwerfung im Wiedereinsetzungsgesuch vom 13. September 2021 bestätigt. Damit hat die Verteidigerin eigene Wahrnehmungen zur Glaubhaftmachung angeführt; insoweit war eine zusätzliche anwaltliche Versicherung der Richtigkeit dieser Wahrnehmungen entbehrlich (vgl. BGH, Beschluss vom 29.08.2006 – 1 StR 371/06, NStZ 2007, 161 Rn. 9).
2.
Der Wiedereinsetzungsantrag hat auch in der Sache Erfolg.
Die Möglichkeit der Verwerfung einer Berufung ohne Verhandlung zu Sache nach § 329 StPO beruht auf der Vermutung, dass derjenige sein Rechtsmittel nicht weiterverfolgt wissen will und auf eine sachliche Überprüfung des Urteils verzichtet, der sich ohne ausreichende Entschuldigung zur Verhandlung nicht einfindet. Sie dient dem Zweck, den Berufungsführer daran zu hindern, die Sachentscheidung über seine Berufung dadurch zu verzögern, dass er sich der Verhandlung entzieht. Demgegenüber ist es nicht Sinn der Vorschrift, bloße Nachlässigkeiten zu bestrafen, die einem zur Mitwirkung bereiten Angeklagten bei seiner Pflicht zum pünktlichen Erscheinen unterlaufen sind. Dementsprechend ist eine enge Auslegung der Vorschrift des § 329 Abs. 1 StPO bzw. eine weite Auslegung des Rechtsbegriffs der genügenden Entschuldigung angezeigt, um zu verhindern, dass der grundgesetzlich gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör verkürzt wird. (vgl. BayObLG, Beschluss vom 15.07.1988 – RReg 1 St 90/88, juris Rn. 5; OLG Hamm, Beschluss vom 16.05.1997 – 2 Ws 165/97, NStZ-RR 1997, 368 f.; OLG Köln, Beschluss vom 07.03.2008 – 2 Ws 106/08, juris Rn. 6; Beschluss vom 05.02.2013 – 1 RVs 12/13, juris Rn. 48; Beschluss vom 08.07.2013 – 2 Ws 354/13, juris Rn. 12; OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.05.2012 – 53 Ss 60/12, juris Rn. 13; KG, Beschluss vom 30.04.2013 – 161 Ss 89/13, juris Rn. 4; Beschluss vom 14.02.2019 – 4 Ws 12/19, juris Rn. 30; OLG Jena, Beschluss vom 18.09.2012 – 1 Ss 71/12, juris Rn. 9 f. jew. m.w.N.).
Danach ist ein Ausbleiben des Angeklagten im Sinne des § 329 StPO nicht immer schon dann anzunehmen, wenn er bei Anruf der Sache nicht im Sitzungssaal erscheint. Es besteht vielmehr für das Gericht innerhalb verständiger Grenzen die Pflicht, eine angemessene Zeit zuzuwarten. So ist schon bei nicht angekündigtem Ausbleiben des Angeklagten ein Zeitraum von etwa 15 Minuten zuzuwarten, bevor mit der Hauptverhandlung begonnen werden kann. In Fällen, in denen sich der Angeklagte zwar verspätet, innerhalb der regelmäßigen Wartezeit sein Kommen jedoch mit der Angabe zusichert, sich unverzüglich auf den Weg zu machen, ist ausnahmsweise eine deutlich über 15 Minuten hinausgehende Wartezeit geboten, deren Länge sich unter gebotener Abwägung nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere der Schwere des zu verhandelnden Delikts und dem damit einhergehenden Interesse des Angeklagten an einer Sachentscheidung sowie den weiteren terminlichen Belangen des Gerichts am selben Verhandlungstag bestimmt. Denn mit einem solchen Verhalten bringt der Angeklagte zum Ausdruck, die anstehende Sachentscheidung über seine Berufung gerade nicht verzögern zu wollen (vgl. KG, Beschluss vom 05.05.1997 – 1 Ss 94/97, juris Rn. 9 f.; Beschluss vom 30.04.2013 – 161 Ss 89/13, juris Rn. 4; OLG Hamm, Beschluss vom 16.05.1997 – 2 Ws 165/97, NStZ-RR 1997, 368 <369>; Beschluss vom 07.05.2007 – 3 Ws 225/07, juris Rn. 16; OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.05.2012 – 53 Ss 60/12, juris Rn. 11 und Rn. 13; OLG Köln, Beschluss vom 07.03.2008 – 2 Ws 106/08, juris Rn. 6; Beschluss vom 05.02.2013 – 1 RVs 12/13, juris Rn. 46 f.; Beschluss vom 08.07.2013 – 2 Ws 354/13, juris Rn. 13; OLG Jena, Beschluss vom 18.09.2012 – 1 Ss 71/12, juris Rn. 11 jew. m.w.N.; siehe auch OLG Oldenburg, Urteil vom 26. Januar 2009 – Ss 472/08, NJW 2009, 1762 <1763>).
Nach diesem Maßstab ergab sich hier für das Landgericht eine Wartepflicht, die bei Verkündung des Verwerfungsurteils 17 Minuten nach Verhandlungsbeginn noch nicht abgelaufen war. Denn aufgrund der über seine Verteidigerin erfolgten Zusicherung, sich sofort zum Terminsort begeben zu wollen, war dem Gericht mehr als deutlich gemacht worden, dass sich der Angeklagte dem Verfahren gerade nicht hat entziehen wollen. Daran vermag auch der Umstand, dass dem Angeklagten – wie hier bei einem Versehen hinsichtlich des Terminzeitpunktes – ein Verschulden trifft, nichts zu ändern, da sein Irrtum über den exakten Beginn der Hauptverhandlung auf einem bloßen Versehen beruht; jedenfalls sind keine Anhaltspunkte für grobe Fahrlässigkeit oder gar Mutwilligkeit erkennbar (vgl. KG, Beschluss vom 05.05.1997 – 1 Ss 94/97, juris Rn. 9 zum Fall des „Verschlafens“; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18.01.2007 – 1 Ss 188/06, juris Rn. 4 zum Irrtum über den Hauptverhandlungsbeginn; OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.05.2012 – 53 Ss 60/12, juris Rn. 11 f. zum Irrtum über den Terminstag; BayObLG, Beschluss vom 15.07.1988 – RReg 1 St 90/88, juris Rn. 8 und OLG München, Beschluss vom 05.07.2007 – 4 St RR 122/07, juris Rn. 10 ff. jew. zum Fall der Verwechslung des Gerichtsortes).
Schließlich vermag auch der in der den Wiedereinsetzungsantrag verwerfenden Entscheidung ausgeführte Einwand nicht durchzugreifen, wonach – mit Blick
auf eine sich aus einer Internetrecherche ergebenden Fahrzeit von mindestens 51 Minuten – ein weiteres Zuwarten dem Landgericht nicht zumutbar gewesen sein soll. Der Umstand, dass die Verhandlung hier wohl erst mit einstündiger Verspätung hätte begonnen werden können, lässt zumindest in der vorliegenden Fallkonstellation die Wartepflicht nämlich nicht entfallen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 07.03.2008 – 2 Ws 106/08, juris Rn. 6 m.w.N.). Denn angesichts der unwidersprochen gebliebenen Tatsache, dass der nächste Hauptverhandlungstermin erst um 14:00 Uhr angesetzt war, hätte der Hauptverhandlungstermin, zu dem nur zwei Zeugen im viertelstündigen Abstand geladen worden waren, auch bei einem Beginn um 12:30 Uhr noch ordnungsgemäß durchgeführt werden können; ein Zeitmangel war demnach nicht zu besorgen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16.05.1997 – 2 Ws 165/97, NStZ-RR 1997, 368 <369>; Beschluss vom 07.05.2007 – 3 Ws 225/07, juris Rn. 16; KG, Beschluss vom 05.05.1997 – 1 Ss 94/97, juris Rn. 9). Überdies steht die Verurteilung zu einer (unbedingten) neunmonatige Freiheitsstrafe im Raum (vgl. OLG München, Beschluss vom 05.07.2007 – 4 St RR 122/07, juris Rn. 11; ferner KG, Beschluss vom 05.05.1997 – 1 Ss 94/97, juris Rn. 10 unter Hinweis auf die Höhe einer erstinstanzlich festgesetzten Geldstrafe); mit anderen Worten, selbst eine verschuldete Versäumnis um mehr als 45 Minuten steht zu der schwerwiegenden Folge der Berufungsverwerfung in einem Missverhältnis, welches die Vermutung eines Verzichts auf Durchführung des Verfahrens sowie die Annahme einer Verwirkung durch Säumnis nicht zulässt (so OLG Oldenburg, Beschluss vom 21.12.1984 – Ss 579/84, MDR 1985, 430).
3.
Nach alledem war der Beschluss des Landgerichts Aurich vom 4. Oktober 2021 aufzuheben und der Angeklagte auf seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) wieder in den Stand vor Versäumen der Berufungshauptverhandlung einzusetzen.
Die Kostenentscheidung bezüglich des Beschwerdeverfahrens entspricht § 467 StPO.
III.
Durch die gewährte Wiedereinsetzung sind das Urteil der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 7. September 2021 und die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten gegenstandslos geworden (vgl.Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 342 Rn. 2 m.w.N.).