Öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis – Aufwendungen
VG Leipzig – Az.: 3 K 1406/18 – Urteil vom 09.07.2020
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der beklagten Polizeidirektion L…, mit dem ihm die Standgebühren für die Aufbewahrung des von ihm genutzten Fahrzeugs auferlegt werden.
Der auf seine Mutter zugelassene, vom Kläger genutzte Pkw … … brannte am …. März 2014 aus, nachdem er zuvor von unbekannt gebliebenen Tätern in Brand gesetzt worden war. Die vor Ort ermittelnden Polizeibeamten stellten das Fahrzeug nach § 94 Abs. 1 Strafprozessordnung – StPO – sicher und ließen es zur kriminaltechnischen Untersuchung abschleppen. Am 20. März 2014 wurde dem Kläger die Freigabe mitgeteilt. Ausweislich eines Aktenvermerkes der beklagten Polizeidirektion vom 24. März 2014 über ein Gespräch mit der Firma … … wollte der Kläger am 20. März 2014 das Fahrzeug mit Hilfe des ADAC abholen. Der ADAC weigerte sich, das noch „ausblutende“ Fahrzeug auf eine Gartenparzelle zu transportieren. Aufgrund der fehlenden Möglichkeit eines Standortes verblieb der Pkw zunächst vor Ort. Mit Schreiben vom 10. April 2014 wurde der Kläger erneut aufgefordert, das Fahrzeug abzuholen und darauf hingewiesen, dass ansonsten zusätzliche Kosten in Rechnung gestellt werden würden. Mit Schreiben vom 15. April 2014 teilte der Kläger mit, dass er im Moment nicht über das Fahrzeug verfügen könne, da es an der Freigabe durch Versicherung und Bank fehle. Er könne das Fahrzeug, das im Sicherungseigentum einer Bank stünde, nicht weiterveräußern und auch nicht abmelden, da er nicht über den Kfz-Brief verfüge.
Mit Rechnungen vom 30. April 2014 und 20. Mai 2014 machte die Firma A… GmbH gegenüber der beklagten Polizeidirektion Standgebühren bis zum 29. April 2014 i. H. v. 382,70 € und für den Zeitraum bis 18. Mai 2014 i. H. v. 169,10 € geltend.
Gegen den gegenüber der Mutter des Klägers erlassenen Kostenbescheid vom 17. September 2014 legte diese mit Schreiben vom 24. September 2014 Widerspruch ein, über den – soweit erkennbar – nicht entschieden wurde. Sie führte aus, das Fahrzeug sei zwar auf sie zugelassen, werde aber von ihrem Sohn für ihre Versorgung genutzt.
Auf Anfrage teilte die … … Bank AG der beklagten Polizeidirektion mit Schreiben vom 9. Oktober 2017 mit, dass das Fahrzeug an sie sicherheitsübereignet war und dass der Abschluss der Finanzierung und die Freigabe des Kfz-Briefs im Mai 2014 erfolgt seien. Der Kläger sei seinerzeit aufgefordert worden, das Fahrzeug abzuholen und es wieder in seinen Besitz zu bringen. Hierzu sei er aus Sicht der Bank auch vor der Aufforderung berechtigt gewesen.
Mit Bescheid vom 20. November 2017 machte die beklagte Polizeidirektion Kosten i. H. v. 624,87 € gegenüber dem Kläger geltend (59 Tage zu je 8,90 € zuzügl. Umsatzsteuer).
Den Widerspruch des Klägers vom 4. Dezember 2017 wies die Polizeidirektion mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juni 2018, nach dem Empfangsbekenntnis zugegangen am 18. Juni 2018, zurück und führte aus, dass mit der Sicherstellung ein öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis nach den §§ 688 ff. Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – entstanden sei. Der Kläger habe nach Mitteilung der Freigabe am 20. März 2014 das Fahrzeug erst am 19. Mai 2014 abgeholt.
Der Kläger hat am 13. Juli 2018 Klage erhoben und führt zur Begründung aus, er sei weder Schadensverursacher, noch habe er das Abstellen des Fahrzeugs bei der … GmbH veranlasst. Es sei auch nicht sein Verschulden, dass der Versicherer auf den Verfahrenseinstellungsbescheid gewartet habe, bevor eine weitere Sachbearbeitung erfolgt sei. Erst nachdem der Versicherer den Bescheid erhalten habe, sei der noch laufende Bankkredit abgelöst worden. In der Folgezeit habe der Kläger dann von der Bank den Kfz-Brief erhalten und habe über das Fahrzeug verfügen können. Für diese Bearbeitungszeit sei der Kläger nicht verantwortlich. Nach Erhalt des Kfz-Briefes habe er sofort den Abtransport des Fahrzeugs durch den ADAC und die weitere Verwertung veranlasst. Zuvor habe er über das Fahrzeug nicht verfügen können, da es aufgrund des Zustandes nicht im öffentlichen Verkehrsraum habe abgestellt werden können und er nicht über den Kfz-Brief verfügt habe. Auch habe die Möglichkeit bestanden, dass die Firma A… das Fahrzeug verwerte, so dass es unvernünftig erschienen sei, das Fahrzeug von dort abzutransportieren. Dies sei letztendlich nur daran gescheitert, dass man sich nicht auf einen angemessenen Preis habe einigen können und die Firma bereits vorab mit der Demontage begonnen habe.
Der Kläger beantragt, den Kostenbescheid der Polizeidirektion L… vom 20. November 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Juni 2018 aufzuheben.
Die beklagte Polizeidirektion beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und führt weiter aus, dass nach Beendigung der strafprozessualen Beschlagnahme ein öffentlich-rechtliches Verwahrverhältnis fortbestanden habe. Aus diesem resultiere der Erstattungsanspruch. Dieser könne mit einem Leistungsbescheid geltend gemacht werden. Eine Pflicht der Polizeidirektion zum Rücktransport bestehe nach § 697 BGB nicht.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht durch den Berichterstatter als Einzelrichter, nachdem ihm die Kammer das Verfahren zur Entscheidung übertragen hat (§ 6 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -).
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kostenbescheid der Polizeidirektion … vom 20. November 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Juni 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Geltendmachung der Standgebühr durch die beklagte Polizeidirektion gegenüber dem Kläger ist § 693 BGB. Nach dieser hier entsprechend anzuwendenden Regelung steht der Polizeidirektion aus einem öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnis (nachfolgend 1.) ein Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen zu, die sie zum Zweck der Aufbewahrung gemacht hat und die sie den Umständen nach für erforderlich halten durfte. Zu den danach erstattungsfähigen Aufwendungen für die Aufbewahrung gehören grundsätzlich auch solche Kosten, die durch das Abstellen von abgeschleppten Fahrzeugen auf gesichertem oder bewachtem Gelände anfallen (nachfolgend 2.). Diese Aufwendungen durfte die Polizeidirektion durch Erlass eines Leistungsbescheids geltend machen (nachfolgend 3.).
1. Durch die gemäß § 94 Abs. 2 StPO vollzogene Beschlagnahme des vom Kläger genutzten Kraftfahrzeugs durch die Polizeibeamten ist daran amtlicher Gewahrsam der Polizeidirektion Leipzig begründet worden. Dies hatte zur Folge, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten ein öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis entstanden ist. Dabei handelt es sich um ein verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis, das dadurch zustande kommt, dass ein Verwaltungsträger (hier: die Polizeidirektion L…) bei Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben fremde bewegliche Sachen in Besitz nimmt und den Berechtigten (hier: den Kläger) von Einwirkungen ausschließt, insbesondere an eigenen Sicherungs- und Obhutsmaßnahmen hindert. Anders als im Privatrecht entsteht das Rechtsverhältnis bei Eintritt dieses Tatbestands, ohne dass es eines Vertrags bedarf. An die Stelle der Willenseinigung Privater treten öffentlich-rechtliche Maßnahmen. Auf das öffentlich-rechtliche Verwahrungsverhältnis sind die bürgerlich-rechtlichen Verwahrungsvorschriften der §§ 688 ff BGB entsprechend anzuwenden (st. Rspr. des BGH, zuletzt Urt. v. 16. Mai 2019 – III ZR 6/18 -, juris Rn. 14 m. w. N.; VG Leipzig, Urt. v. 27. Juli 2006 – 3 K 1880/04 -; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., § 54 Rn. 52; Dr. Schäfer, Die Rückgabe beschlagnahmter Beweismittel nach Rechtskraft des Urteils, wistra 1984, 136; zurückhaltender SächsOVG, Beschl. v. 25. Juli 2019 – 3 K 1406/18 -; bejahend bei Sicherstellung SächsOVG, Urt. v. 12. Okt. 1995 – 3 S 111/95 -, juris).
Dieses Verwahrverhältnis bestand auch nach der Freigabe des Fahrzeugs am 20. März 2014 fort. Es besteht dann nicht mehr zum Zweck der Beweissicherung, sondern nur noch zum Zweck der Abwicklung und Rückgabe fort (vgl. BGH, a. a. O., Rn 19 m. w. N.; Maurer, Erstattung von Kosten für die Verwahrung eines Kraftfahrzeugs durch die Polizei, JuS 1981, 809, 812 zu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22. August 1977 – I 2555/76 -, BaWüVPr 1978, 150, 151).
2. Der beklagten Polizeidirektion sind die aus der Verwahrung mit Bescheid vom 17. September 2019 geltend gemachten Aufwendungen entsprechend der Regelung des § 693 BGB zu erstatten.
Die Aufhebung der Beschlagnahme ist geboten, sobald der beschlagnahmte Gegenstand nicht mehr für Zwecke des Strafverfahrens benötigt wird. Dies ist hier am 20. März 2014 erfolgt. Aus dem öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnis folgt dann nicht nur die Verpflichtung des Beklagten zur unverzüglichen Rückgabe an dem Ort der Aufbewahrung (vgl. §697 BGB; so BGH a. a. O., Rn. 13 ff.; eher ablehnend SächsOVG, Beschl. v. 25. Juli 2019, a. a. O., Rn. 6). Der Betroffene ist zugleich gehalten, den Gegenstand unverzüglich abzuholen. Kommt er dem nicht nach, so hat er für die dadurch entstehenden Kosten einzustehen (vgl. VGH Bad.-Württ., a. a. O.; Maurer, a. a. O.). Denn der Betroffene kann grundsätzlich nicht davon ausgehen, das Fahrzeug werde unentgeltlich abgestellt. Dieser Verpflichtung ist der Kläger nicht rechtzeitig nachgekommen, weshalb weitere Standgebühren in Höhe von 624,87 € angefallen sind. Die Höhe der geltend gemachten Kosten unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Auch der Kläger ist dem nicht entgegengetreten. Daher wird insoweit nach § 117 Abs. 5 VwGO auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Bescheids vom 20. November 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Juli 2018 verwiesen.
Die Verpflichtung zur Abholung oblag dem Kläger als tatsächlichem Nutzer sowie Besitzer und damit als „Hinterleger“ im Sinn des § 693 BGB. Auch wenn es aufgrund des Fahrzeugzustands für den Kläger schwierig war, dieser Pflicht zu genügen, so war es ihm jedoch nicht rechtlich unmöglich. Die Sicherungsübereignung des Fahrzeugs an die … … Bank stand dem nicht entgegen. Denn der Pkw selbst war dem Kläger zur Nutzung überlassen. Auch die Haltereigenschaft der Mutter ändert daran nichts, denn sie hat, ohne dass der Kläger dem in der Sache entgegengetreten wäre, vorgetragen, dass das Fahrzeug von dem Kläger für ihre Versorgung genutzt wurde. Unerheblich ist weiter, ob der Kläger über das Fahrzeug vor Erhalt des Kfz-Briefes frei verfügen und es veräußern konnte. Die Situation war insofern, bezogen auf die Verfügungsbefugnis über das Fahrzeug, nicht anders als vor dem Brand und der Sicherstellung. Unerheblich ist weiter, dass das Fahrzeug aufgrund seines Zustandes weder im öffentlichen Verkehrsraum noch privat abgestellt werden konnte. Es war die Aufgabe des Klägers, nach der Freigabe für die weitere Aufbewahrung und Verwendung des Pkws Sorge zu tragen.
Ob daneben mit § 17 des Sächsischen Verwaltungskostengesetzes – SächsVwKG – eine weitere Ermächtigungsgrundlage von der Beklagten hätte herangezogen werden können (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 25. Juli 2019, a. a. O., Leitsatz und Rn. 5) bedarf keiner abschließenden Beurteilung.
3. Der Beklagte konnte den Kläger auch im Wege des Kostenbescheids in Anspruch nehmen (eher ablehnend: SächsOVG, Beschl. v. 25. Juli 2019, a. a. O., Rn. 7). Zwar ist anerkannt, dass im Rahmen von verwaltungsvertraglichen Ansprüchen die Verwaltung gehalten ist, ihre Kosten bei Fehlen einer anderweitigen Rechtsgrundlage im Wege der Leistungsklage durchzusetzen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24. Januar 1992 – 3 C 33/86 -, juris Rn. 129 ff.; Urt. v. 13. Februar 1976 – IV C 44.74 -, juris Rn. 29; OVG LSA, Urt. v. 14. Mai 2009 – 2 L 78/08 -, juris Rn. 32). Von dem öffentlich-rechtlichen Verwaltungsvertrag im Sinn des § 54 VwVfG ist jedoch das verwaltungsrechtliche Schuldverhältnis im weiteren Sinn zu unterscheiden. Nicht jedes öffentlich-rechtliche Schuldverhältnis entsteht durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, in dem sich die Vertragspartner gleichrangig gegenüber treten. Bei lediglich einseitiger Begründung des Schuldverhältnisses wie dem öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnis (vgl. BGH. a. a. O., Rn. 14) fehlt daher die Waffengleichheit, die ansonsten als Ausdruck der spezifisch vertraglichen Gleichordnung der Vertragsparteien der Geltendmachung von Ansprüchen durch Verwaltungsakt entgegensteht und deren fehlen hier zugleich die Geltendmachung von Stand- und Verwahrkosten als Aufwendungsersatz entsprechen § 693 BGB mittels Leistungsbescheid ermöglicht (vgl. HessVGH, Urt. v. 27. November 1990 – 11 UE 2350/90 -, juris; Stelkens/Bonk/Sachs, a. a. O., § 54 Rn. 52; VGH Bad.-Württ., a. a. O., Maurer, a. a. O., S. 812).
Der Anwendung des § 693 BGB als Ermächtigungsgrundlage steht auch nicht das Urteil des VGH Bad.-Württ. vom 28. August 2006 – 5 S 2497/05 – (juris) entgegen (vgl. dazu SächsOVG, Beschl. v. 25. Juli 2019, a. a. O., Rn .4). Die dort entschiedene Fallkonstellation ist nicht vergleichbar.
Die Kosten des nach alldem erfolglosen Klageverfahrens fallen gemäß § 154 Abs. 1 VwGO dem Kläger zur Last. Das Gericht hat in Ausübung des ihm durch § 167 Abs. 2 VwGO eingeräumten Ermessens davon abgesehen, das Urteil wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Beschluss: Der Streitwert wird auf 624,87 € festgesetzt (§ 52 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Gerichtskostengesetz – GKG -).