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Beurteilung Schuldfähigkeit – Bedeutung eines polizeilichen Alkohol-Vortests

Ein alkoholisierter Seriendieb, der trotz hoher Promillewerte noch erstaunlich detaillierte Erinnerungen an seine Taten haben soll, bringt die Berliner Justiz in Erklärungsnot. Das Kammergericht hebt ein Urteil wegen eklatanter Mängel in der Beweiswürdigung auf und schickt den Fall zurück an den Start, da weder die Alkoholisierung noch die Schuldfähigkeit des Angeklagten ausreichend geprüft wurden. Nun muss das Amtsgericht Tiergarten erneut entscheiden, ob der Mann für seine Taten verantwortlich gemacht werden kann.

Das Wichtigste: Kurz & knapp

  • Das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten wurde aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an eine andere Abteilung zurückverwiesen.
  • Der Angeklagte war wegen mehrerer Diebstähle verurteilt worden, das Urteil wies jedoch Rechtsfehler auf.
  • Die Beweiswürdigung war widersprüchlich und unklar, es fehlten detaillierte Feststellungen zu den einzelnen Taten.
  • Die Tatzeit, der Warenwert und der Aufbewahrungsort des Diebesguts waren nicht ausreichend überprüft und dokumentiert.
  • Das Gericht berücksichtigte irrtümlich Atemalkoholkonzentrationswerte als Promillewerte, was zu einer falschen Beurteilung der Alkoholisierung führte.
  • Eine Atemalkoholmessung kann keine genaue Blutalkoholkonzentration darstellen und hat nur Indizwirkung.
  • Die Schuldunfähigkeit des Angeklagten aufgrund hoher Alkoholisierung wurde nicht ausreichend geprüft.
  • Ein Ausschluss der Schuldfähigkeit wurde unzureichend mit der Alkoholgewöhnung und der Erinnerung des Angeklagten begründet.
  • Das Urteil enthielt keine sachverständige Unterstützung zur Beurteilung der Schuldfähigkeit trotz erheblicher Alkoholmengen.
  • Das Gericht muss sicherstellen, dass keine irrtümlich unzutreffenden Messergebnisse in die Beurteilung der Schuldfähigkeit einfließen.

Alkohol-Vortest: Entscheidendes Indiz für Schuldfähigkeit bei Verkehrsunfall?

Die Frage der Schuldfähigkeit spielt im Strafrecht eine zentrale Rolle. Sie entscheidet darüber, ob ein Tatverdächtiger für seine Tat verantwortlich gemacht werden kann und gegebenenfalls mit einer Strafe belegt wird. Besondere Bedeutung erlangt diese Frage im Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol. Denn Alkoholgenuss kann die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigen und die Fähigkeit, sich selbst und die Folgen des eigenen Handelns zu kontrollieren, erheblich reduzieren.

Genau an dieser Schnittstelle von Alkohol und Schuldfähigkeit kommt der polizeiliche Alkohol-Vortest ins Spiel. Der Vortest dient in erster Linie dazu, einen Verdacht auf Alkoholisierung zu erhärten und einen weiteren Nachweis durch eine Blutentnahme zu begründen. Doch welche Bedeutung hat der Vortest im Strafprozess? Kann ein positiver Vortest bereits zu einer Einschränkung der Schuldfähigkeit führen? Diese Fragen beschäftigen Gerichte und Juristen immer wieder. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen die Beweislage, insbesondere der Wert des Vortests, im Mittelpunkt der juristischen Auseinandersetzung steht.

Ein aktuelles Urteil eines deutschen Gerichts befasst sich mit genau diesem Thema. In diesem Fall stand die Frage im Mittelpunkt, ob ein positiver Alkohol-Vortest im Zusammenhang mit einer Verkehrsunfallflucht als Grundlage für eine Einschränkung der Schuldfähigkeit dienen kann.

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Der Fall vor Gericht


Alkoholisierter Dieb vor Gericht: Urteil wegen Beweiswürdigungsmängeln aufgehoben

Alkohol und Schuldfähigkeit
(Symbolfoto: monartfoto – 123rf.com)

Der Fall eines mehrfachen Diebstahls, bei dem der Angeklagte unter erheblichem Alkoholeinfluss gehandelt haben soll, wurde vom Kammergericht Berlin zur erneuten Verhandlung an das Amtsgericht zurückverwiesen. Das ursprüngliche Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 12. September 2023 wurde aufgrund von Mängeln in der Beweiswürdigung aufgehoben. Der Angeklagte war zunächst wegen drei Fällen des Diebstahls und einem Fall des Diebstahls mit Waffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt worden.

Lückenhafte Feststellungen und fehlerhafte Beweiswürdigung

Das Kammergericht Berlin stellte fest, dass die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO genügten. Die Beweiswürdigung wurde als lückenhaft bewertet und trug den erfolgten Schuldspruch nicht. Insbesondere bemängelte das Gericht, dass keine detaillierten Angaben des Angeklagten zum Tathergang mitgeteilt oder Beweiserhebungen zu den einzelnen Tatumständen vorgenommen wurden.

Ein besonders kritischer Punkt war die fehlende Überprüfung des Geständnisses auf seine Richtigkeit. Das Kammergericht betonte, dass eine Beschränkung der Beweiswürdigung auf den alleinigen Hinweis, ein Angeklagter sei geständig gewesen, nicht ausreiche. Dies gelte insbesondere, da das jeweilige Tatgeschehen im Zustand erheblicher Alkoholisierung stattgefunden haben soll. Das Gericht forderte konkrete Ausführungen in den Urteilsgründen, anhand derer nachvollzogen werden kann, dass sich der Angeklagte trotz seiner Alkoholisierung an Einzelheiten, wie den genauen Warenwert, erinnern konnte.

Fragwürdige Feststellung der Alkoholisierung und deren rechtliche Bewertung

Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt des Kammergerichts betraf die Feststellung der Alkoholisierung des Angeklagten. Das Amtsgericht hatte bei den Taten 2, 3 und 4 eine mit Promille-Werten bestimmte Atemalkoholkonzentration festgestellt. Das Kammergericht wies darauf hin, dass dies rechtlich problematisch sei, da das Ergebnis einer Atemalkoholmessung nur eine in Gramm oder Milligramm bestimmte Äthylalkoholmenge in einem bestimmten Atemvolumen darstelle, nicht aber den Wert in Promille Ethanol im Vollblut.

Das Kammergericht betonte, dass eine Blutalkoholkonzentration aufgrund von Atemalkoholtestgeräten nicht sicher festgestellt werden könne und solche Messungen nur Indizwirkung entfalten. Es kritisierte, dass das Amtsgericht möglicherweise ein unzutreffendes Messergebnis mitgeteilt und bei seiner Beurteilung der Schuldfähigkeit einen unzutreffenden Grad der Alkoholisierung zugrunde gelegt habe.

Unzureichende Prüfung der Schuldfähigkeit

Das Kammergericht bemängelte zudem die unzureichende Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten. Angesichts der im Urteil festgestellten Werte von 2,8 bis zu 3,77 Promille und der Angaben des Angeklagten, er habe damit begonnen, erhebliche Mengen Alkohol zu trinken, hätte sich eine vertiefte Klärung der Frage der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB aufgedrängt.

Das Amtsgericht hatte den Ausschluss der Aufhebung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten allein auf seine Alkoholgewöhnung, seine „recht gute Erinnerung an die einzelnen Taten“ und deren „recht kontrollierte“ Begehung gestützt. Das Kammergericht kritisierte, dass diese Bewertung ohne sachverständige Unterstützung und ohne Hinweise auf eine eigene ausreichende Sachkunde des Gerichts erfolgt sei. Es wies darauf hin, dass planmäßiges, zielstrebiges oder folgerichtiges Verhalten einer Schuldunfähigkeit nicht entgegenstehe, da sich gerade trinkgewohnte Personen im Rausch noch motorisch kontrolliert und geordnet verhalten könnten.

Die Schlüsselerkenntnisse


Diese Entscheidung unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Beweiswürdigung, insbesondere bei alkoholbedingten Straftaten. Sie verdeutlicht, dass Atemalkoholtests allein nicht ausreichen, um die Schuldfähigkeit zu beurteilen. Bei hohen Alkoholwerten ist eine vertiefte Prüfung der Schuldfähigkeit unter Einbeziehung sachverständiger Expertise erforderlich, selbst wenn der Angeklagte geständig ist und sich kontrolliert verhalten hat. Die Entscheidung mahnt zu besonderer Sorgfalt bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit alkoholisierter Täter.


Was bedeutet das Urteil für Sie?

Dieses Urteil ist für Sie von Bedeutung, wenn Sie in eine Situation geraten, in der Ihre Schuldfähigkeit aufgrund von Alkoholkonsum in Frage steht. Ein positiver Alkohol-Vortest allein reicht nicht aus, um Ihre Schuldfähigkeit einzuschränken oder aufzuheben. Die Gerichte müssen eine gründliche Prüfung vornehmen, die über das bloße Testergebnis hinausgeht. Selbst wenn Sie sich an Details erinnern können oder kontrolliert gewirkt haben, bedeutet das nicht automatisch, dass Sie voll schuldfähig waren. Bei hohen Alkoholwerten ist eine umfassende Beurteilung Ihrer Schuldfähigkeit erforderlich, möglicherweise unter Einbeziehung von Sachverständigen. Dies kann in Ihrem Fall zu einer milderen rechtlichen Bewertung führen.


FAQ – Häufige Fragen

Alkohol und Schuldfähigkeit – ein Thema, das viele Fragen aufwirft. Ob im Straßenverkehr, bei Kontroversen am Arbeitsplatz oder im privaten Kontext, die Frage nach der Schuldfrage unter Alkoholeinfluss beschäftigt uns. Alkohol und Schuldfähigkeit sind komplexe Themen, die im Detail betrachtet werden müssen. Mit unseren häufigen Fragen und Antworten möchten wir Ihnen ein besseres Verständnis für die rechtlichen und gesellschaftlichen Aspekte dieses Themas verschaffen.


Was ist ein polizeilicher Alkohol-Vortest und wie wird er durchgeführt?

Ein polizeilicher Alkohol-Vortest ist eine erste Überprüfung des Atemalkoholgehalts, die von Polizeibeamten bei Verkehrskontrollen oder bei Verdacht auf Trunkenheit im Straßenverkehr durchgeführt wird. Dieser Test dient als schnelle Orientierung für die Beamten, ob ein Fahrzeugführer möglicherweise unter Alkoholeinfluss steht.
Die Durchführung erfolgt in der Regel mit tragbaren elektronischen Messgeräten, sogenannten Handmessgeräten oder Vortestgeräten. Der Betroffene wird aufgefordert, in das Gerät zu pusten, welches dann den Alkoholgehalt in der Atemluft misst. Wichtig zu wissen ist, dass diese Geräte nicht geeicht sind und ihre Messergebnisse vor Gericht nicht als Beweismittel verwendet werden können.
Der Alkohol-Vortest ist freiwillig, das heißt, niemand ist rechtlich verpflichtet, daran teilzunehmen. Eine Verweigerung des Vortests hat zunächst keine direkten rechtlichen Konsequenzen. Allerdings können die Beamten bei einem begründeten Verdacht auf Alkoholkonsum auch ohne Vortest weitere Maßnahmen einleiten.
Fällt der Vortest positiv aus, also wird ein erhöhter Alkoholwert festgestellt, dient dies den Beamten als Grundlage für weitere Schritte. In der Regel wird dann ein gerichtsverwertbarer Atemalkoholtest mit einem geeichten Gerät auf der Polizeidienststelle durchgeführt oder eine Blutentnahme angeordnet.
Es ist wichtig zu verstehen, dass der Vortest lediglich ein Indiz darstellt und keine rechtliche Bindungswirkung hat. Selbst wenn der Vortest einen Wert unter dem gesetzlichen Grenzwert anzeigt, können die Beamten bei Anzeichen von Fahruntüchtigkeit weitere Maßnahmen ergreifen.
Die Genauigkeit der Vortestgeräte ist begrenzt. Sie können durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden, wie zum Beispiel Restalkohol im Mundraum oder bestimmte Lebensmittel. Daher wird bei einem positiven Vortest immer eine präzisere Messung zur rechtssicheren Feststellung des Alkoholgehalts durchgeführt.
Für die rechtliche Beurteilung einer möglichen Alkoholfahrt sind ausschließlich die Ergebnisse der geeichten Messgeräte oder einer Blutuntersuchung maßgeblich. Der Vortest dient lediglich dazu, den Anfangsverdacht zu erhärten oder zu entkräften und die Entscheidung über weitergehende Maßnahmen zu unterstützen.
Betroffene sollten sich bewusst sein, dass die Verweigerung eines Vortests zwar ihr Recht ist, dies aber unter Umständen den Verdacht der Beamten verstärken und zu einer Anordnung weiterer Maßnahmen führen kann. In jedem Fall ist es ratsam, sich ruhig und kooperativ zu verhalten, um die Situation nicht unnötig zu eskalieren.

Welche Bedeutung hat das Ergebnis eines Alkohol-Vortests im Strafverfahren?

Alkohol-Vortests spielen im Strafverfahren eine begrenzte, aber nicht unbedeutende Rolle. Diese Tests dienen in erster Linie der Verdachtsgewinnung und -erhärtung, sind jedoch nicht als beweissicher einzustufen. Die Ergebnisse eines Vortests können die Grundlage für weiterführende Maßnahmen bilden, wie etwa eine Blutentnahme oder eine gerichtsverwertbare Atemalkoholmessung.
Im Hinblick auf die Beurteilung der Schuldfähigkeit eines Beschuldigten haben Vortestergebnisse keine direkte rechtliche Relevanz. Die Schuldfähigkeit wird anhand präziserer Messverfahren und umfassender medizinischer Gutachten beurteilt. Dennoch können Vortestergebnisse den Ermittlungsbehörden wichtige Anhaltspunkte liefern und den Verlauf des Verfahrens beeinflussen.
Für die Verwertbarkeit im Strafverfahren ist entscheidend, dass die Durchführung des Vortests ordnungsgemäß erfolgt. Hierbei müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, wie etwa die Einhaltung einer Wartezeit von mindestens 20 Minuten nach dem letzten Alkoholkonsum. Zudem darf der Proband in den 10 Minuten vor der Messung keine Substanzen zu sich nehmen, die das Ergebnis verfälschen könnten.
Die Rechtsprechung betont, dass Vortestergebnisse nicht als alleinige Grundlage für eine Verurteilung herangezogen werden dürfen. Sie können jedoch als Indiz gewertet werden und in Verbindung mit anderen Beweismitteln zur Urteilsfindung beitragen. Gerichte berücksichtigen dabei die Ungenauigkeit von Vortestgeräten und die möglichen Fehlerquellen bei der Durchführung.
In Bezug auf die Schuldfähigkeit ist zu beachten, dass erst ab einem Blutalkoholwert von 3,0 Promille von einer möglichen Schuldunfähigkeit ausgegangen wird. Bei Tötungsdelikten liegt dieser Wert sogar bei 3,3 Promille. Vortestergebnisse können hier allenfalls einen ersten Anhaltspunkt liefern, sind aber für die endgültige Beurteilung der Schuldfähigkeit nicht ausreichend.
Es ist wichtig zu verstehen, dass die Verwertbarkeit von Vortestergebnissen im Strafverfahren stark von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Gerichte prüfen kritisch, ob die Ergebnisse zuverlässig und unter Einhaltung aller Vorschriften gewonnen wurden. Selbst wenn ein Vortest auf eine erhebliche Alkoholisierung hindeutet, bedarf es für eine strafrechtliche Verurteilung weiterer Beweise und einer genauen Prüfung der individuellen Situation des Beschuldigten.
Die aktuelle Rechtsprechung tendiert dazu, Vortestergebnissen eine unterstützende Funktion im Ermittlungsverfahren zuzuschreiben, ohne ihnen eine überragende Bedeutung beizumessen. Sie dienen als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen und können die Entscheidung über die Anordnung einer Blutentnahme oder einer gerichtsverwertbaren Atemalkoholmessung beeinflussen.
Im Kontext der Schuldfähigkeitsbeurteilung können Vortestergebnisse allenfalls als ergänzende Information herangezogen werden. Die eigentliche Beurteilung stützt sich auf präzise Messverfahren und fachärztliche Gutachten. Dabei werden neben dem Alkoholgehalt im Blut auch andere Faktoren wie das Verhalten des Beschuldigten, seine Alkoholgewöhnung und mögliche psychische Erkrankungen berücksichtigt.
Es ist zu betonen, dass die Verwertung von Vortestergebnissen im Strafverfahren stets im Lichte des Grundsatzes „in dubio pro reo“ erfolgen muss. Bestehen Zweifel an der Zuverlässigkeit oder Aussagekraft eines Vortests, müssen diese zugunsten des Angeklagten ausgelegt werden. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, Vortestergebnisse stets kritisch zu hinterfragen und im Gesamtkontext des Verfahrens zu bewerten.

Kann ein hoher Alkoholwert im Vortest automatisch zur Annahme von Schuldunfähigkeit führen?

Ein hoher Alkoholwert im polizeilichen Vortest führt nicht automatisch zur Annahme einer Schuldunfähigkeit. Der Vortest dient lediglich als erste Orientierung für die Polizei und hat keine rechtliche Beweiskraft vor Gericht. Für die Beurteilung der Schuldfähigkeit sind umfassendere Untersuchungen und Beweise erforderlich.
Die Feststellung der Schuldfähigkeit basiert auf einer Gesamtbetrachtung verschiedener Faktoren. Neben dem Blutalkoholwert spielen auch das Verhalten des Beschuldigten, seine Alkoholgewöhnung und andere individuelle Umstände eine wichtige Rolle. Ein einzelner Messwert aus einem Vortest reicht nicht aus, um die komplexe Frage der Schuldfähigkeit zu beantworten.
Für eine rechtlich relevante Bestimmung des Alkoholgehalts im Blut ist in der Regel eine Blutprobe erforderlich. Diese wird von einem Arzt entnommen und im Labor analysiert. Erst ab einem Blutalkoholwert von etwa 3,0 Promille kommt eine Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB überhaupt in Betracht. Bei Tötungsdelikten liegt diese Schwelle sogar noch höher, bei etwa 3,3 Promille.
Es ist wichtig zu verstehen, dass selbst bei sehr hohen Blutalkoholwerten die Schuldfähigkeit nicht automatisch entfällt. Das Gericht muss in jedem Einzelfall prüfen, ob der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt tatsächlich nicht in der Lage war, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Dabei werden neben dem Alkoholwert auch das Tatverhalten, Zeugenaussagen und gegebenenfalls psychiatrische Gutachten berücksichtigt.
Die Rechtsprechung hat wiederholt betont, dass es keinen festen Grenzwert gibt, ab dem generell von Schuldunfähigkeit ausgegangen werden kann. Menschen reagieren unterschiedlich auf Alkohol, und manche Personen können selbst bei hohen Promillewerten noch erstaunlich kontrolliert wirken. Deshalb ist eine differenzierte Betrachtung jedes Einzelfalls unerlässlich.
Für die polizeiliche Ermittlungsarbeit bedeutet dies, dass neben dem Vortest weitere Beobachtungen und Feststellungen wichtig sind. Die Beamten dokumentieren Auffälligkeiten wie Sprachstörungen, Gleichgewichtsprobleme oder Orientierungslosigkeit. Diese Beobachtungen fließen später in die gerichtliche Bewertung ein.
Es ist auch zu beachten, dass ein Beschuldigter nicht verpflichtet ist, an einem Atemalkoholtest mitzuwirken. Die Verweigerung des Tests kann jedoch dazu führen, dass die Polizei eine Blutentnahme anordnet, wenn der Verdacht auf eine alkoholbedingte Straftat besteht.
Im Strafverfahren gilt der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“. Wenn also Zweifel an der Schuldfähigkeit bestehen und diese nicht ausgeräumt werden können, muss das Gericht von verminderter Schuldfähigkeit oder Schuldunfähigkeit ausgehen. Dies kann zu einer Strafmilderung oder sogar zum Freispruch führen.
Allerdings ist zu beachten, dass eine Schuldunfähigkeit aufgrund von Alkoholkonsum nicht zwangsläufig strafbefreiend wirkt. In Fällen, in denen sich jemand vorsätzlich oder fahrlässig in einen Rauschzustand versetzt und in diesem Zustand eine Straftat begeht, kann er nach § 323a StGB wegen Vollrausches bestraft werden.
Die rechtliche Beurteilung der Schuldfähigkeit bei Alkoholeinfluss bleibt eine komplexe Aufgabe, die eine sorgfältige Abwägung aller Umstände des Einzelfalls erfordert. Ein Vortest allein ist dafür nicht ausreichend, sondern dient lediglich als erster Anhaltspunkt für weitere Ermittlungen und Untersuchungen.

Welche Rolle spielt die Beweiswürdigung bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit?

Die Beweiswürdigung spielt eine zentrale Rolle bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit eines Angeklagten. Das Gericht muss sich in eigener Verantwortung eine Überzeugung zur Schuldfähigkeit bilden, ohne dabei an die Einschätzungen von Sachverständigen gebunden zu sein.
Bei der Beweiswürdigung zur Schuldfähigkeit gelten strenge Anforderungen. Das Gericht muss sich intensiv mit allen relevanten Umständen auseinandersetzen und seine Schlussfolgerungen nachvollziehbar darlegen. Dabei sind insbesondere folgende Aspekte zu beachten:
Das Gericht muss die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen von Sachverständigengutachten im Urteil wiedergeben. Eine bloße Bezugnahme auf das Gutachten reicht nicht aus. Vielmehr muss sich das Gericht erkennbar mit dem Inhalt auseinandersetzen und die entscheidenden Punkte herausarbeiten.
Besonders wichtig ist die Darlegung, wie sich eine festgestellte psychische Störung konkret auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten in der Tatsituation ausgewirkt hat. Es genügt nicht, nur allgemein eine Diagnose zu nennen. Das Gericht muss nachvollziehbar erläutern, welche Auswirkungen die Störung auf das Verhalten des Angeklagten bei der Tat hatte.
Bei der Beweiswürdigung ist zu beachten, dass eine psychische Erkrankung wie etwa aus dem schizophrenen Formenkreis nicht automatisch zu einer dauerhaften Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit führt. Es kommt immer auf die individuellen Umstände des Einzelfalls an.
Enthält ein Strafurteil keine Ausführungen zur Schuldfähigkeit, ist im Regelfall davon auszugehen, dass das Gericht von der vollen Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgegangen ist. Dies ergibt sich aus dem vorgegebenen Prüfprogramm der Strafgerichte.
Bei einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB muss das Gericht dies besonders sorgfältig begründen. Eine solche Feststellung hat erhebliche Auswirkungen auf die Strafzumessung und kann zu einer Strafmilderung führen.
Die Beweiswürdigung zur Schuldfähigkeit unterliegt der Überprüfung durch das Revisionsgericht. Dieses kontrolliert, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und frei von Widersprüchen, Lücken oder Denkfehlern ist.
Insgesamt zeigt sich, dass die Beweiswürdigung bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit höchste Sorgfalt erfordert. Das Gericht muss alle relevanten Umstände umfassend würdigen und seine Schlussfolgerungen nachvollziehbar begründen. Nur so kann eine rechtsfehlerfreie Entscheidung über die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten getroffen werden.

Wie kann sich eine hohe Alkoholisierung auf die Schuldfähigkeit auswirken?

Eine hohe Alkoholisierung kann erhebliche Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit einer Person haben. Im deutschen Strafrecht wird die Schuldfähigkeit anhand bestimmter Kriterien beurteilt, wobei der Blutalkoholkonzentration (BAK) eine wichtige Rolle zukommt.
Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit unter Alkoholeinfluss gelten keine starren Grenzwerte. Stattdessen wird jeder Fall individuell betrachtet. Dennoch haben sich in der Rechtsprechung gewisse Richtwerte etabliert, die als Orientierung dienen.
Ab einem Blutalkoholgehalt von 2,0 Promille muss das Gericht in jedem Fall prüfen, ob eine verminderte Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB vorliegt. Bei diesem Alkoholisierungsgrad besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Steuerungs- und Hemmungsfähigkeit des Täters erheblich beeinträchtigt war.
Erreicht der Blutalkoholgehalt einen Wert von 3,0 Promille oder höher, kommt regelmäßig eine vollständige Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB in Betracht. In diesem Zustand geht man davon aus, dass die Person möglicherweise nicht mehr in der Lage war, das Unrecht ihrer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass diese Promillewerte lediglich Indizien darstellen. Die Gerichte berücksichtigen neben der BAK auch andere Faktoren wie das Verhalten des Täters vor, während und nach der Tat, seine Alkoholgewöhnung und eventuelle psychische Auffälligkeiten.
Bei alkoholgewöhnten Personen, wie etwa chronischen Alkoholikern, können die Grenzwerte höher liegen. Diese Menschen können unter Umständen auch bei sehr hohen Promillewerten noch relativ kontrolliert wirken und handeln. In solchen Fällen prüfen die Gerichte besonders sorgfältig, ob tatsächlich eine verminderte Schuldfähigkeit oder Schuldunfähigkeit vorlag.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die sogenannte „actio libera in causa“. Dieser Grundsatz besagt, dass jemand, der sich vorsätzlich oder fahrlässig in einen Rauschzustand versetzt, um in diesem Zustand eine Straftat zu begehen, sich nicht auf seine Schuldunfähigkeit berufen kann. Die Person wird in einem solchen Fall für die im Rausch begangene Tat bestraft, als wäre sie schuldfähig gewesen.
Für Fälle, in denen eine Person im Rausch eine Straftat begeht, aber aufgrund ihrer Schuldunfähigkeit nicht für diese Tat bestraft werden kann, gibt es den Straftatbestand des Vollrausches (§ 323a StGB). Hierbei wird das vorsätzliche oder fahrlässige Sich-Berauschen unter Strafe gestellt, wenn in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begangen wird.
Die Beurteilung der Schuldfähigkeit bei Alkoholisierung erfordert stets eine umfassende Einzelfallprüfung. Gerichte stützen sich dabei auf medizinische Gutachten, Zeugenaussagen und das Gesamtbild des Tathergangs. Eine hohe Alkoholisierung kann somit die Schuldfähigkeit erheblich beeinflussen, führt aber nicht automatisch zu einem Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

  • Beweiswürdigung: Die Beweiswürdigung ist die Beurteilung und Bewertung der Beweise durch das Gericht. Sie muss logisch und nachvollziehbar sein und auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruhen. Im Fall des alkoholisierten Diebes wurde die Beweiswürdigung als lückenhaft kritisiert, da wichtige Details zu den Taten und der Alkoholisierung nicht ausreichend geklärt wurden.
  • Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB): Schuldunfähigkeit liegt vor, wenn jemand aufgrund einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder einer anderen schweren seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Der hohe Alkoholkonsum des Angeklagten war ein zentraler Punkt in der Beurteilung seiner Schuldfähigkeit.
  • Atemalkoholmessung: Ein Verfahren zur Bestimmung des Alkoholgehalts in der Atemluft. Diese Messung gibt den Alkoholgehalt in Milligramm pro Liter Atemluft an, nicht in Promille. Die Ergebnisse können nur als Indiz für die Blutalkoholkonzentration dienen und sind nicht hundertprozentig genau, was im vorliegenden Fall zu rechtlichen Problemen führte.
  • Geständnis: Ein Geständnis ist die freiwillige und bewusste Erklärung eines Angeklagten, eine Tat begangen zu haben. Im vorliegenden Fall wurde das Geständnis des Angeklagten als nicht ausreichend geprüft angesehen, insbesondere im Hinblick auf die Richtigkeit unter erheblichem Alkoholeinfluss.
  • Promille: Promille bezeichnet den Alkoholgehalt im Blut und gibt an, wie viele tausendstel Anteile Alkohol pro Liter Blut vorhanden sind. Ein hoher Promillewert kann die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit stark beeinträchtigen. Im Fall wurde die Promilleangabe durch Atemalkoholtests als problematisch erachtet, da diese keine exakten Blutalkoholwerte liefern.
  • Sprungrevision (§ 335 StPO): Die Sprungrevision ermöglicht es einem Angeklagten, direkt das Revisionsgericht anzurufen, ohne zuvor in Berufung gegangen zu sein. Dies ist in besonderen Fällen erlaubt, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Im vorliegenden Fall hatte die Sprungrevision Erfolg, da erhebliche Rechtsfehler in der Beweiswürdigung festgestellt wurden.

Wichtige Rechtsgrundlagen


  • § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO (Strafprozessordnung): Dieser Paragraph regelt die Anforderungen an die Urteilsgründe im Strafverfahren. Die Beweiswürdigung muss lückenlos sein und den Schuldspruch tragen. Im vorliegenden Fall bemängelte das Kammergericht, dass die Beweiswürdigung lückenhaft war und die Feststellungen nicht den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO genügten.
  • § 20 StGB (Strafgesetzbuch): Dieser Paragraph befasst sich mit der Schuldunfähigkeit. Eine Person ist schuldunfähig, wenn sie bei Begehung der Tat aufgrund einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Im vorliegenden Fall kritisierte das Kammergericht, dass die Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten unzureichend war, insbesondere angesichts des hohen Alkoholgrads.
  • § 335 StPO (Strafprozessordnung): Dieser Paragraph regelt die Sprungrevision im Strafverfahren. Die Sprungrevision ermöglicht es dem Angeklagten, direkt das Revisionsgericht anzurufen, ohne zuvor das Rechtsmittel der Berufung eingelegt zu haben. Im vorliegenden Fall hatte die Sprungrevision des Angeklagten Erfolg, da das Kammergericht Rechtsfehler in der Beweiswürdigung feststellte.
  • Alkoholgewöhnung: Unter Alkoholgewöhnung versteht man die Anpassung des Körpers an regelmäßigen Alkoholkonsum. Bei Personen mit Alkoholgewöhnung kann die Alkoholtoleranz erhöht sein, was bedeutet, dass sie größere Mengen Alkohol vertragen, bevor sich die Auswirkungen bemerkbar machen. Im vorliegenden Fall wurde die Alkoholgewöhnung des Angeklagten bei der Beurteilung seiner Schuldfähigkeit berücksichtigt, jedoch vom Kammergericht als unzureichend kritisiert.
  • Atemalkoholmessung: Die Atemalkoholmessung ist ein Verfahren zur Bestimmung des Alkoholgehalts in der Atemluft. Das Ergebnis wird in der Regel in Promille oder Milligramm pro Liter angegeben. Im vorliegenden Fall wurde die rechtliche Bewertung der Atemalkoholmessung diskutiert, da das Amtsgericht fälschlicherweise Promillewerte angegeben hatte, obwohl Atemalkoholmessgeräte nur eine in Gramm oder Milligramm bestimmte Äthylalkoholmenge in einem bestimmten Atemvolumen darstellen.

Das vorliegende Urteil

KG Berlin – Az.: 3 ORs 41/24 – 161 SRs 47/24 – Beschluss vom 27.05.2024


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Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 12. September 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen drei Fällen des Diebstahls und wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, nach § 335 StPO statthafte und auch im Weiteren zulässige Sprungrevision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift Stellung genommen. Sie hat u.a. ausgeführt:

„Die Prüfung des Urteils auf die allein erhobene allgemeine Sachrüge deckt den Angeklagten beschwerende Rechtsfehler in der Beweiswürdigung auf.

Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen ein Denkgesetz oder einen gesicherten Erfahrungssatz verstößt. Dabei müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Tatgericht gezogenen Schlüsse nicht bloße Vermutungen sind (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 13. April 2023 – 4 StR 413/22 –, Rn. 7, juris).

Die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils genügen den sich aus § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO ergebenden Anforderungen nicht, sie sind mit Blick auf die obergerichtliche Rechtsprechung lückenhaft und tragen den erfolgten Schuldspruch nicht.

Das angegriffene Urteil stellt bei der Darlegung des Beweisergebnisses, unter Bezugnahme auf die zuvor mitgeteilten festgestellten Sachverhalte, lediglich fest, dass der Angeklagte diese eingeräumt und ergänzend erklärt hat, er habe die Taten aus wirtschaftlicher Not begangen und deshalb auch begonnen, erhebliche Mengen an Alkohol zu trinken. Das Amtsgericht stellte ferner fest, dass es keine Anhaltspunkte dafür gegeben habe, dass sich der Angeklagte zu Unrecht selbst belastet hätte. Es sind keine weiteren Angaben des Angeklagten zum Tathergang mitgeteilt oder Beweiserhebungen zu den einzelnen Tatumständen vorgenommen worden. Das Urteil enthält bereits keine Ausführungen zu der Frage, wie die Tatzeit (die im Fall 1 nicht einmal genannt wird), der konkrete Warenwert und der Aufbewahrungsort des in einem Fall mitgeführten Cuttermessers durch Rückfragen auf Stimmigkeit überprüft und durch Vorhalte abgeglichen wurden. Bezüglich der Tat zu 1 entspricht das Urteil bereits aufgrund der fehlenden Angaben zum Tag der Tatbegehung nicht den Anforderungen des § 267 Abs.1 S.1 StPO, denn auch den Urteilsgründen im Übrigen lässt sich nicht entnehmen, dass die Tat nicht etwa bereits zu rechtsverjährter Zeit begangen wurde (vgl. KG, Beschluss vom 2. Juli 2004 – (3) 1 Ss 142/04 (51/04).

Dies macht vorliegend eine Überprüfung des Geständnisses auf seine Richtigkeit nicht möglich und stellt sich, auch vor dem Hintergrund der Verpflichtung der Strafgerichte, von Amts wegen den wahren Sachverhalt zu erforschen, als unzureichend dar (vgl. KG, Beschluss vom 05. Mai 2023 – 3 ORs 12/23 – 161 Ss 6/23 – juris, m. w. N.). Eine Beschränkung der Beweiswürdigung auf den alleinigen Hinweis, ein Angeklagter sei geständig gewesen, kann hier nicht genügen, weil das jeweilige Tatgeschehen im Zustand erheblicher Alkoholisierung stattgefunden haben soll. Hier wären konkrete Ausführungen in den Urteilsgründen erforderlich gewesen, anhand derer nachvollzogen werden kann, dass sich der Angeklagte trotz seiner Alkoholisierung an eben jene Einzelheiten, bei den Waren sogar an die Nachkommastelle des Wertes, im Einzelnen erinnern konnte.

Das Amtsgericht hat dabei zudem rechtsfehlerhaft festgestellt, der Angeklagte habe eine mit Promille-Werten bestimmte Atemalkoholkonzentration bei den Taten 2), 3) und 4) aufgewiesen. Dies ist nicht nachvollziehbar, weil das Ergebnis einer Atemalkoholmessung nur eine in Gramm oder Milligramm bestimmte Äthylalkoholmenge in einem bestimmten Atemvolumen darstellt (vgl. KG, Beschluss vom 06. September 2023 – 2 ORs 29/23 – 121 Ss 126/23, juris m. w. N.), nicht aber den Wert in Promille Ethanol im Vollblut.

Das Gericht hat also entweder nicht das konkrete oder irrtümlich ein unzutreffendes Messergebnis mitgeteilt und bei seiner Beurteilung der Schuldfähigkeit nicht ausschließbar einen unzutreffenden (zu geringen) Grad der Alkoholisierung zugrunde gelegt.

Es tritt hinzu, dass eine Blutalkoholkonzentration aufgrund von Messungen mithilfe von Atemalkoholtestgeräten nicht sicher festgestellt werden kann. Vielmehr entfalten sie nur Indizwirkung (KG, a.a.O. – wie vor) und es hätte zur Bestimmung des Alkoholisierungsgrades und dessen Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit zur Tatzeit weiterer Feststellungen bedurft, um auszuschließen, dass das Gericht nicht zum Nachteil des Angeklagten nur von einer verminderten Schuldfähigkeit anstelle einer tatsächlich gegebenen Schuldunfähigkeit ausgegangen ist.

Angesichts der im Urteil festgestellten Werte von 2,8 bis zu 3,77 Promille und in Anbetracht der Angaben des Angeklagten, er habe damit begonnen, erhebliche Mengen an Alkohol zu trinken, drängte sich die Klärung der Frage der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) auf.

Stattdessen hat das Gericht – ohne sachverständige Unterstützung und Hinweise auf eine eigene ausreichende Sachkunde den Ausschluss der Aufhebung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit (§ 20 StGB) des Angeklagten allein auf seine Alkoholgewöhnung, seine – nicht näher ausgeführte – „recht gute Erinnerung an die einzelnen Taten“ und deren „recht kontrollierte“ Begehung gestützt. Zwar kann das „Leistungsverhalten“ eines Angeklagten grundsätzlich zur Beurteilung der Schuldfähigkeit durch den Tatrichter herangezogen werden. Wenn es sich – wie vorliegend – auf die Beschreibung des Tatgeschehens beschränkt, erlaubt es jedoch für sich keinen Rückschluss auf das Ausmaß der Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten. Andernfalls geriete die Beweiswürdigung in die Gefahr des Zirkelschlusses, dass der zur Tat fähige Täter automatisch auch schuldfähig gewesen ist (vgl. KG wie vor). Zwar führt ein Alkoholgehalt von 3‰ und mehr nicht zwangsläufig zur Schuldunfähigkeit, doch wird auch ein trinkgewohnter Täter bei diesem Alkoholisierungsgrad oft schuldunfähig sein. Planmäßiges, zielstrebiges oder folgerichtiges Verhalten stehen dem nicht entgegen, weil sich gerade trinkgewohnte Personen im Rausch noch motorisch kontrolliert und geordnet verhalten können (vgl. KG, Beschluss vom 10. Januar 2011 – (3) 1 Ss 491/10 (182/10) -). (…)

Dem folgt der Senat.

2. Für den neuen Rechtsgang wird, geringfügig relativierend, angemerkt:

a) In Bezug auf die Glaubhaftigkeit der Geständnisse wird es keiner ausufernden Beweisaufnahme bedürfen. Erweisen sie sich, was naheliegt, als im Grundsatz plausibel, wird es nur noch eines summarischen Abgleichs mit objektiven Umständen bedürfen. Über die Höhe der eingetretenen Schäden wird, gegebenenfalls durch Verlesung von Urkunden, Beweis zu erheben sein.

b) Im Grundsatz zutreffend hat die Generalstaatsanwaltschaft die Urteilsfeststellungen insoweit beanstandet, als der Angeklagte „eine mit Promille-Werten bestimmte Atemalkoholkonzentration bei den Taten 2), 3) und 4) aufgewiesen“ habe. Dies sei zum einen deshalb fehlerhaft, weil das Ergebnis einer Atemalkoholmessung nur eine in Gramm oder Milligramm bestimmte Äthylalkoholmenge in einem bestimmten Atemvolumen darstelle. Zum anderen sei es deshalb nicht zutreffend, weil eine „Blutalkoholkonzentration aufgrund von Messungen mithilfe von Atemalkoholtestgeräten nicht sicher festgestellt werden“ und daher nur Indizwirkung entfalten könne.

All dies ist richtig. Allerdings ist auch bekannt, dass die Berliner Polizei Atemalkoholmessgeräte verwendet, die das Messergebnis in Promille ausweisen. Diese so genannten Vortestgeräte transferieren den als Milligramm pro Liter Blut gemessenen Atemalkohol in einen als Promille ausgewiesenen Blutalkoholwert. Dabei wird die „Umrechnungsformel“ verwendet die – ausschließlich normativ – § 24a StVG zugrunde liegt (Atemalkoholgehalt in Milligramm/Liter x 2 = Blutalkoholgehalt in Promille) (vgl. Senat Blutalkohol 53, 321 [2016]). Eine solche „Umrechnung“ kann in der Wirklichkeit nur eine statistische Näherung darstellen, sie liefert kein wissenschaftlich valides Ergebnis. Aus diesem Grund sind die nicht gemessenen, sondern errechneten „Blutalkoholwerte“ auch nur bedingt forensisch verwertbar.

Unter welchen Voraussetzungen und in welcher Tiefe solche im „Vortest“ erzeugten Näherungswerte zur Grundlage einer Befassung mit dem Vorliegen von Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB zu machen sind, ist, soweit ersichtlich, in der Rechtsprechung nicht vertieft erörtert worden. Zwar wird in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft bei, wie hier, signifikant hohen Werten eine Befassung mit § 20 StGB zu erwarten sein. Da für ihre ungefähre Richtigkeit aber nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit streitet, können sie durch andere Beweisanzeichen und Umstände, etwa ein kontrolliertes Leistungsverhalten, leichter „entkräftet“ werden als dies bei prozessual validen Blutalkoholwerten der Fall ist. Jedenfalls aber muss das Revisionsgericht ausschließen können, dass der Tatrichter irrtümlich ein unzutreffendes Messergebnis (Promille statt mg/l oder Blutalkohol statt Atemalkohol) mitgeteilt und seiner Beurteilung der Schuldfähigkeit damit einen unzutreffenden Grad der Alkoholisierung zugrunde gelegt hat (vgl. BGH StV 2023, 516; KG, Beschluss vom 6. September 2023 – 2 ORs 29/23 – [juris]).

3. Das Urteil beruht im Fall 1 auf der Lückenhaftigkeit der Feststellungen und im Übrigen auf der beanstandeten Beweiswürdigung. Es war daher auf die Sachrüge aufzuheben. Die Strafsache war zugleich an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

 


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