OLG Bamberg – Az.: 1 Ws 83/21 – Beschluss vom 03.05.2021
In dem Strafvollstreckungsverfahren hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten pp. gegen den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung erlässt das Oberlandesgericht Bamberg – Strafsenat – durch die unterzeichnenden Richter am 3. Mai 2021 folgenden Beschluss
1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bayreuth vom 05.11.2020 aufgehoben. Der Antrag der Staatsanwaltschaft Regensburg vom 30.07.2020, die Strafaussetzung zu widerrufen, wird zu-rückgewiesen.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten hierin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
I.
Mit Beschluss vom 05.11.2020 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bayreuth die bezüglich des Urteils des Amtsgerichts Regensburg vom 11.03.2019 gewährte Aussetzung der Freiheitsstrafe von 4 Monaten wegen Diebstahls widerrufen und die zur Erfüllung der Bewährungsauflagen erbrachte Arbeitsleistung von 20,5 Stunden mit 3 Tagen auf die erkannte Strafe angerechnet.
Der Widerruf erfolgte, weil der Verurteilte die Arbeitsauflage nicht erfüllte, Termine bei der Bewährungshilfe nicht wahrnahm und auch Gespräche bei der Suchtberatung nicht durchführte. Im Übrigen wird auf den Inhalt des vorgenannten Beschlusses Bezug genommen.
Der Beschluss konnte dem Verurteilten in der Folgezeit nicht zugestellt werden. Mit Schreiben vom 13.01.2021, beim Landgericht Bayreuth eingegangen am 15.01.2021, legte der Verurteilte gegen den Beschluss sofortige Beschwerde ein.
Die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg hat mit Verfügung vom 09.02.2021 beantragt, die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bayreuth vom 05.11.2020 als unbegründet kostenfällig zu verwerfen.
Hierzu hat der Verurteilte Gelegenheit zur Stellungnahme und äußerte sich mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 25.03.2021, auf den inhaltlich Bezug genommen wird. Darin wird insbesondere ausgeführt, dass der Verurteilte hochgradig alkoholkrank sei.
Der Senat hat aus dem Betreuungsverfahren für den Verurteilten das Gutachten des Sachverständigen Dr. pp. vom 16.01.2021 beigezogen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg vertritt nach Kenntnisnahme vom Gutachten nunmehr die Auffassung, dass eine Vorwerfbarkeit der Auflagen- und Weisungsverstöße des Verurteilten aufgrund des Grades seiner Alkoholerkrankung nicht zu begründen sei.
II.
Gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bayreuth vom 05.11.2020 ist gemäß § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO die sofortige Beschwerde statthaft. Diese ist formgerecht eingelegt (§§ 306 Abs. 1 StPO). Mangels Zustellung des Beschlusses hat die Beschwerdefrist des § 311 Abs. 1 und 2 StPO nicht zu laufen begonnen.
Das Rechtsmittel erweist sich auch als begründet. Gröbliche oder beharrliche Verstöße gegen Weisungen oder Auflagen (§ 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 StGB) setzen weiter voraus, dass diese Verstöße dem Verurteilten vorwerfbar sind. Verstöße gegen Weisungen, die im Zusammenhang mit einer Suchterkrankung stehen, müssen für den Verurteilten vermeidbar sein (Fischer, StGB, 68. Aufl. § 56f, Rn. 10a m. w. N.). Gröblich ist ein Auflagenverstoß, wenn er objektiv und subjektiv schwer wiegt (Fischer, a.a.O. Rn. 12 m. w. N.).
Nach der im Gutachten des Sachverständigen Dr. pp. vom 16.01.2021 dargestellten Krankengeschichte des Verurteilten befand sich dieser in den Jahren 2019 und 2020 mehrfach in stationärer Behandlung (30.05. bis 04.06.2019, 11.07 bis 19.07.2019, 22.07. bis 26.07.2019, 05.08 bis 16.08.2019, 20.11. bis 02.12.2019, 03.12 bis 04.12.2019, 22.02. bis 11.03.2020, 20.03. bis 28.03.2020, 03.04. bis 06.04.2020, 19.04. bis 20.05.2020, 07.07. bis 08.07.2020, 08.07. bis 27.07.2020, 01.08. bis 11.08.2020, 13.08. bis 19.08.2020, 13.10. bis 15.10.2020 sowie 16.10.2020 bis ins Jahr 2021) vornehmlich im Bezirksklinikum Regensburg jeweils zur akuten Alkoholentgiftung. Der Sachverständige ging im Rahmen des Betreuungsverfahrens davon aus, dass es dem Verurteilten krankheitsbedingt nicht möglich war und ist, eine langfristige Therapie durchzuhalten. Vielmehr würde er diese aufgrund des erheblichen Suchtdrucks rasch abbrechen, sodass der Sachverständige eine geschlossene Unterbringung für unabdingbar hielt. Außerdem hielt es der Sachverständige aus denselben Gründen nicht für möglich, dass der Verurteilte einer Vorladung des Betreuungsgerichts zur Anhörung Folge leisten könne.
Unter diesen Umständen vermag auch der Senat nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass dem Verurteilten die Nichteinhaltung der Weisungen und (teilweise) Nichterfüllung der Auflage als schuldhaft vorwerfbar sind. Sofern sich der Verurteilte im fraglichen Zeitraum nicht ohnehin in stationärer Behandlung befand, fehlte es nach der Lebenserfahrung krankheitsbedingt höchstwahrscheinlich und somit nicht ausschließbar jedenfalls an der dazu nötigen Willenskraft und Durchhaltefähigkeit.
Der Widerrufsgrund des § 56f Abs.1 S.1 Nr.1 StGB kommt ebenfalls nicht in Betracht. Zwar hat der Verurteilte i.d. Bewährungszeit einen Diebstahl begangen, der Gegenstand des Verfahrens vor dem Amtsgericht Amberg (11 Ds 115 Js 8750/20) gewesen ist; das Verfahren wurde mit Beschluss vom 24.03.2021 gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Insoweit verbleiben zumindest erhebliche Zweifel hinsichtlich der Schuldfähigkeit des Verurteilten. Nach dem Inhalt der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Amberg vom 14.09.2020 war der Verurteilte bei Tatbegehung erheblich alkoholisiert und entwendete vornehmlich Alkoholika.
Somit war unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses der auf den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung gerichtete Antrag der Staatsanwaltschaft Amberg zurückzuweisen.
Eine Verlängerung der Bewährungszeit, die im Übrigen bereits abgelaufen ist, kam nicht in Betracht, da auch diese minder schwere Maßnahme zunächst die Feststellung eines Widerrufs-grundes voraussetzt.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus. § 467 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 473, Rn. 2).