OLG Koblenz – Az.: 4 Ws 407/19 – Beschluss vom 09.07.2019
In dem Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung – Bewährungwiderruf hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Koblenz am Landgericht am 09.07.2019 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der 2. (großen) Strafkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 8. April 2019 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last, § 473 Abs.
Gründe:
I.
Mit Urteil vom 19. April 2018, rechtskräftig seit dem 27. April 2018, verurteilte das Landgericht Bad Kreuznach den Beschwerdeführer wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Für die Dauer der Bewährungszeit von zwei Jahren wurde der Verurteilte der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt. Der Verurteilte wurde angewiesen, jeden Wohnsitzwechsel unaufgefordert mitzuteilen, darüber hinaus wurde ihm auferlegt, binnen 6 Monaten nach Rechtskraft des Urteils 100 Stunden gemeinnützige Arbeit nach Weisung des Bewährungshelfers abzuleisten.
Der Verurteilte befand sich vom 9. August 2018 bis Anfang September 2018 in stationärer Behandlung in der Fachklinik Alzey. Grund war eine drogeninduzierte Psychose, die der Verurteilte darauf zurückführte, dass er etwa im April 2018 begonnen habe, Crack zu rauchen.
Bis zum 30. Oktober 2018 nahm der Verurteilte aufgrund dieses Umstands lediglich zwei Termine bei seiner Bewährungshelferin wahr, den ersten am 28. Juni 2018, den letzten wohl am 30. Oktober 2018. Anlässlich des letzten Gesprächstermins teilte der Verurteilte der Bewährungshelferin mit, dass er im Oktober einen Besuch bei seiner an einem Hirntumor erkrankten Mutter in Italien plane. Die Ehefrau des Verurteilten erklärte gegenüber der Bewährungshelferin am 19. November 2018, dass der Verurteilte sich in Italien aufhalte und in den nächsten Tagen wieder nach Deutschland zurückkehre. Es wurde vereinbart, dass der Verurteilte sich umgehend bei der Bewährungshelferin melden werde. Dies geschah jedoch nicht. Einladungen zu Gesprächsterminen nahm der Verurteilte nicht wahr. Nachdem er seitens des Landgerichts mit Schreiben vom 22. Januar 2019 erfolglos aufgefordert worden war, Nachweise über die Erfüllung der Arbeitsauflagen zu erbringen und die Bewährungshelferin mit Schreiben vom 1. März 2019 mitgeteilt hatte, dass der Verurteilte keinen Kontakt zu ihr aufgenommen habe, bestimmte die Kammer Termin zur Anhörung des Verurteilten auf den 8. April 2019. Der Verteidiger des Angeklagten, den dieser vom Anhörungstermin unterrichtet hatte, teilte unter dem 22. März 2019 mit, dass der Verurteilte in Italien seinen Pass verloren habe und daher nicht erscheinen könne. Eine Glaubhaftmachung erfolgte trotz Aufforderung durch die Kammer nicht. Im Anhörungstermin erschien der Verurteilte nicht. Mit Beschluss vom 8. April 2019 widerrief das Landgericht die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung, da der Verurteilte die ihm erteilte Auflage nicht erfüllt habe und darüber hinaus im Hinblick auf den Crackkonsum des Verurteilten der Abbruch des Kontakts zur Bewährungshelferin Anlass zu der Besorgnis gebe, dass der Verurteilte erneut Straftaten begehen werde.
Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde. Er hält sich seit Anfang Juni 2019 wieder in Deutschland auf und hat sich mittlerweile bei der Stadtverwaltung vorgestellt, bei der er seine Sozialstunden ableisten kann.
II.
Die gemäß § 453 Abs. 2 StPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat Erfolg. Widerrufsgründe liegen nicht vor.
1. Der Angeklagte hat nicht dadurch gröblich und beharrlich gegen ihm erteilte Auflagen verstoßen, § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB, weil er die ihm erteilte Arbeitsauflage nicht innerhalb der ihm vom Gericht gesetzten Frist erfüllt hat. Denn es ist bereits nicht ersichtlich, dass er innerhalb dieser Frist von 6 Monaten nach Rechtskraft entsprechende Weisungen seiner Bewährungshelferin erhalten hätte. Eine andere Frist hat das Landgericht nicht gesetzt, so dass der Verurteilte davon ausgehen konnte, die Auflage (nunmehr) bis zum Ablauf der Bewährungszeit erfüllen zu können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. September 2015 – 2 BvR 2343/14 -, juris).
2. Auch ein Widerruf gemäß § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 2. Alt. StGB kommt nicht in Betracht. Dieser setzt voraus, dass der Verurteilte sich beharrlich der Aufsicht und Leitung seines Bewährungshelfers entzieht. Erforderlich ist darüber hinaus, dass deshalb Anlass zu der Besorgnis besteht, er werde erneut Straftaten begehen, denn der Widerruf dient nicht der Ahndung nachlässigen und weisungswidrigen Verhaltens im Bewährungsverfahren (st. Rspr.). Der Verstoß muss somit durch Art, Gewicht oder Häufigkeit Anlass zur Neubewertung der ursprünglich positiven Sozialprognose geben: Das Gericht hat insoweit unter Würdigung der Verstöße in ihrer konkreten Bedeutung und unter Berücksichtigung des gesamten Verhaltens des Verurteilten während der Bewährungszeit eine erneute Prognose zu stellen. Nur wenn die Verstöße zu krimineller Neigung oder Auffälligkeit des Verurteilten so in Beziehung stehen, dass hierdurch weitere Straftaten zu befürchten sind, kommt ein hierauf gestützter Widerruf in Betracht (BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2007 – 2 BvR 1046/07 -, juris Rn. 19; OLG Hamm, Beschluss vom 26. März 2013 – III-1 Ws 124/13 -, juris). Der Verstoß gegen Weisungen für sich allein trägt eine negative Prognose daher nicht. Der weisungswidrige Abbruch des Kontakts zum Bewährungshelfer lässt nicht ohne weiteres Rückschlüsse auf eine kriminelle Prognose zu; erforderlich sind vielmehr stets weitere konkrete und objektivierbare Anhaltspunkte dafür, der Verurteilte werde weitere Straftaten begehen (BVerfG a.a.O.).
Solche konkreten Anhaltspunkte sind vorliegend nicht zu erkennen. Der Verurteilte ist nach den Feststellungen des Urteils vom 19. April 2018 strafrechtlich sonst nicht in Erscheinung getreten. Zwar hat er, wie er gegenüber der Bewährungshelferin eingeräumt hat, etwa Ende April 2018 begonnen, Crack zu rauchen. Nachdem der Verurteilte sich wegen einer drogeninduzierten Psychose in stationärer Behandlung befand, den Aufenthalt in Alzey als sehr positiv beschrieb und sich sichtlich beeindruckt von den Auswirkungen des Crackrauchens zeigte, vermag der Senat jedoch auch unter Berücksichtigung des mehrmonatigen Drogenmissbrauchs nicht zu erkennen, dass der Verurteilte durch den Kontaktabbruch Anlass zu der Besorgnis böte, dass er erneut Straftaten begehen werde. Dies gilt umso mehr, als der Verurteilte sich seit Anfang Juni wieder in Deutschland aufhält, Kontakt mit seiner Bewährungshelferin aufgenommen und sich mittlerweile bei der Stadtverwaltung vorgestellt hat, bei der er die Arbeitsstunden ableisten soll.
Der Senat weist den Verurteilten aber darauf hin, dass der Erfolg seines Rechtsmittels für ihn kein Freibrief ist. Er hat vielmehr den ihm erteilten Weisungen und Ladungen der Strafkammer nachzukommen, andernfalls er wiederum mit einem Widerrufsverfahren rechnen muss.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf §§ 473, 464 Abs. 2, 467 Abs. 1 StPO.