LG Heilbronn, Az.: 8 Qs 40/17
Beschluss vom 11.10.2017
1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Heilbronn vom 3. August 2017, durch welchen die im Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 16. Dezember 2014 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen wurde, wird als unbegründet verworfen.
2. Der Verurteilte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer ist durch Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 16. Dezember 2014 – rechtskräftig seit 24. Dezember 2014 – wegen Diebstahls in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
Mit Beschluss vom 16. Dezember 2014 hat das Amtsgericht Heilbronn die Bewährungszeit auf drei Jahre festgesetzt und dem Verurteilten auferlegt ab Rechtskraft des Urteils einen Geldbetrag in Höhe von 3.000,– Euro, in monatlichen Raten zu je 150,– Euro, an den Kinderschutzbund Heilbronn e.V. zu bezahlen.
Zur Schadenswiedergutmachung ist dem Verurteilten ferner auferlegt worden einen Betrag in Höhe von 500,– Euro an den Zeugen und einen weiteren Betrag in Höhe von 100,– Euro an die Firma zu bezahlen.
Der Verurteilte ist zudem angewiesen worden jeden Wohnsitzwechsel dem Gericht mitzuteilen. Zuletzt ist er der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt worden. Die Geldauflagen hat der Verurteilte nachfolgend vollständig durch Zahlung von insgesamt 3.600,– Euro erfüllt.
Am 20. März 2017 hat die Staatsanwaltschaft Heilbronn erneut Anklage gegen den Verurteilten erhoben (Az. 31 Ds 14 Js 13474/16). Darin legt sie ihm ein Vergehen der vorsätzlichen Körperverletzung, begangen am 19. Februar 2016, sowie zwei Vergehen des Diebstahls, begangen am 15. Juli 2016 und 13. Dezember 2016, zur Last. Die Hauptverhandlung in dieser Sache ist am 21. Juli 2017 vor dem Amtsgericht – Strafrichter – Heilbronn durchgeführt und der Beschwerdeführer wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Hiergegen hat er Berufung eingelegt.
Die Staatsanwaltschaft Heilbronn hat nunmehr im Hinblick auf die neuerliche Verurteilung des Beschwerdeführers den Widerruf der im Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 16. Dezember 2014 gewährten Strafaussetzung beantragt.
Der Verurteilte ist diesem Antrag nach mündlicher Anhörung entgegengetreten.
Mit angefochtenem Beschluss vom 3. August 2017 hat das Amtsgericht Heilbronn die im Urteil vom 16. Dezember 2014 gewährte Strafaussetzung widerrufen und die seitens des Verurteilten zur Erfüllung der Geldauflage zu Gunsten des Kinderschutzbundes erbrachten 3.000,– Euro mit zwei Monaten auf die Strafe angerechnet.
Dieser Beschluss ist dem Verurteilten auf richterliche Weisung am 5. August 2017 zugestellt worden.
Mit Telefax vom 11. August 2017 hat die Verteidigerin des Verurteilten sofortige Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss eingelegt. Zur Begründung hat sie vorgetragen ein Widerruf sei aufgrund der Unschuldsvermutung regelmäßig erst nach rechtskräftiger Verurteilung der in der Bewährungszeit begangenen Straftat möglich.
II.
Die gemäß 453 Abs. 2 S. 3 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Zurecht hat der Strafrichter vorliegend die Strafaussetzung widerrufen.
1.
Insbesondere begegnet der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung vorliegend nicht bereits deshalb Bedenken, weil der Beschwerdeführer wegen der ihm vorgeworfenen neuerlichen Straftaten noch nicht rechtskräftig verurteilt worden ist.
Erforderlich aber auch ausreichend für den Widerruf der Strafaussetzung gemäß § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB ist vielmehr, dass die Begehung einer Straftat in der Bewährungszeit feststeht (Fischer, 64. Auflage 2017, StGB, § 56f Rn. 4 m.w.N.). Dabei muss der widerrufende Richter sich die feste Überzeugung erneuter Straffälligkeit verschafft haben (LG Berlin, Beschluss vom 5. September 2016, – 534 Qs 95/16 -, juris Rn. 4). Die Unschuldsvermutung steht dem Widerruf dabei nur insoweit entgegen, als es an einem Schuldspruch wegen der neuen Tat in einem Strafverfahren (EGMR NJW 2004, 43; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12. August 2008, – 2 BvR 1448/08 -, juris Rn. 11) oder an einem glaubhaften Geständnis im Rahmen richterlicher Einvernahme (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 9. Dezember 2004, – 2 BvR 2314/04 -, juris Rn. 4) fehlt.
Einen bereits in Rechtskraft erwachsenen, neuerlichen Schuldspruch setzt der Widerruf jedoch nicht voraus (OLG Hamm, Beschluss vom 01. April 2014 – III-3 Ws 67/14 -, juris; Hubrach in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2007, § 56f Rdn. 9; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder StGB, 29. Auflage, § 56f Rdn. 7; a.A. OLG Karlsruhe NStZ 2012, 702; OLG Stuttgart NJW 2005, 83).
Vielmehr ist es auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten als ausreichend anzusehen, wenn das erkennende Gericht, unter Beachtung der Förmlichkeiten einer Hauptverhandlung, eine umfangreiche Beweisaufnahme und Beweiswürdigung vorgenommen hat, seine darauf gestützte Entscheidung sachfremde Erwägungen und damit objektive Willkür nicht erkennen lässt und der Beschwerdeführer Anhaltspunkte hierfür auch nicht aufzeigt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12. August 2008, – 2 BvR 1448/08 -, juris Rn. 15).
Entgegen der vorliegenden Konstellation ist dabei auch nicht erforderlich, dass Tatgericht und Vollstreckungsgericht personenidentisch sind (OLG Hamm, Beschluss vom 01. April 2014 – III-3 Ws 67/14 -, juris).
Vorliegend hat der Strafrichter, der zugleich für die Entscheidung über den Widerruf der Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung zuständig war, in der Hauptverhandlung am 21. Juli 2017 den zugrunde liegenden Sachverhalt umfassend und ausführlich aufgeklärt. Nachdem der Verurteilte das Vergehen des Diebstahls am 13. Dezember 2016 in einer polizeilichen Vernehmung, nach ordnungsgemäßer Belehrung über seine Beschuldigtenrechte, bereits eingeräumt hatte, hat er sich in der Hauptverhandlung nicht zu den Tatvorwürfen geäußert. Zu den jeweiligen Tatvorwürfen hat der Strafrichter in einer umfangreichen Beweisaufnahme Zeugen vernommen. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme ist der Strafrichter zu der festen Überzeugung gelangt, dass der Verurteilte die ihm zur Last gelegten Taten innerhalb der Bewährungszeit begangen hat. Die erhobenen Beweise wurden durch den Strafrichter ausführlich und umfassend gewürdigt, sodass weder sachfremde Erwägungen noch objektive Willkür erkennbar sind.
2.
Die vom Verurteilten begangenen, neuerlichen Straftaten zeigen, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat. Da der zu vollstreckenden Strafe ebenfalls ein Diebstahls- und Körperverletzungsdelikt zugrunde lag und die neuen Taten damit nach Art und Schwere zumindest vergleichbar sind, ist die ursprünglich getroffene positive Prognose hinfällig.
Mildere Mittel als der Widerruf der zunächst zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe, wie namentlich die Verlängerung der Bewährungszeit, kommen vorliegend nicht mehr in Betracht. Der Widerruf ist auch nicht unverhältnismäßig.
Auch war das Widerrufsgericht nicht gehalten mit der Entscheidung bis zum rechtskräftigen Abschluss des neuerlichen Verfahrens abzuwarten. Vielmehr verstieße es gegen das auch im Vollstreckungsverfahren geltende Beschleunigungsgebot mit dem Widerruf zuzuwarten, obschon die Schuldfrage auf Grundlage der – wenn auch nicht rechtskräftigen – Aburteilung der neuen Taten zweifelsfrei geklärt ist (OLG Hamm, Beschluss vom 16. Juni 2016 – III-4 Ws 173/16 -, juris). Denn eine funktionstüchtige Strafrechtspflege erfordert die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs innerhalb eines so bemessenen Zeitraums, dass die Rechtsgemeinschaft die Strafe noch als Reaktion auf geschehenes Unrecht wahrnehmen kann (BVerfG, Beschl. v. 08.04.2013 – 2 BvR 2567/10 – juris).
Zuletzt kann ein frühzeitiger Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung auch im Interesse des Verurteilten liegen, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass der neue Tatrichter, unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich infolge des Widerrufs erlittenen Strafhaft und der dort vollzogenen Entwicklung, zu einer Strafaussetzung im neuen Verfahren kommt (OLG Hamm a.a.O.).
Auch ist verfahrensrechtlich nichts dagegen zu erinnern, dass die vorliegend auch vollstreckungsrechtlich zuständige Staatsanwaltschaft den Antrag auf Widerruf der Strafaussetzung bereits in ihrem Schlussvortrag in neuer Hauptverhandlung gestellt hat und der Verurteilte hierzu, die Voraussetzungen des § 453 Abs. 1 StPO übertreffend, sogar mündlich angehört worden ist, da erkennendes Gericht und Vollstreckungsgericht vorliegend personenidentisch sind. Einen Anspruch auf Trennung der Hauptverhandlung bezüglich der neuen Tat von der Anhörung im Widerrufsverfahren hat der Verurteilte insoweit nicht, zumal es ihm unbenommen bleibt sich – wie vorliegend geschehen – der Hauptverhandlung nachfolgend schriftlich zu äußern.
3.
Gemäß § 56f Abs. 3 S. 2 StGB waren im Hinblick auf die bereits erbrachte Geldleistung in Höhe von 3.000,– Euro zwei Monate auf die verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen, welche als vollstreckt gelten. Die zur Schadenswiedergutmachung gemäß § 56b Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StGB geleisteten weiteren 600,– Euro konnten demgegenüber keine Berücksichtigung finden. Auch war gegen den seitens des Amtsgerichts angelegten Anrechnungsmaßstab nichts zu erinnern (OLG Stuttgart, Beschluss vom 10. September 2014 – 4 Ss 411/14 -, juris).
Zuletzt war auch kein Ausnahmefall gegeben, bei dessen Vorliegen eine Anrechnung hätte unterbleiben können (BGH, Beschluss vom 20. März 1990, – 1 StR 283/89 -, juris).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.