BayObLG – Az.: 205 StRR 53/21 – Beschluss vom 02.03.2022
In dem Strafverfahren wegen Vergehens nach § 29 BtMG erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht – 5. Strafsenat – am 2.März 2021 einstimmig folgenden Beschluss
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Laufen vom 26.11.2020 im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.
II. In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Laufen zurückverwiesen.
III. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Laufen hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt und ihn angewiesen, eine Geldbuße von 1000,00 € an einen gemeinnützigen Verein zu bezahlen sowie für die Dauer von einem Jahr keine illegalen Drogen zu konsumieren und sich zwei Drogenscreenings zu unterziehen. Den Urteilsfeststellungen zufolge befand sich der Angeklagte, der über keine für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis verfügte, am 29.07.2020 im Besitz von 0,4 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 5 % Tetrahydrocannabinol. Die Möglichkeit eines Absehens von Strafe wird im Urteil nicht erwähnt.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 03.12.2020 Revision eingelegt. Mit der Revisionsbegründung vom 04.01.2021 rügt er die Verletzung materiellen Rechts; insbesondere beanstandet er, dass der Richter nicht erwogen habe, gemäß § 29 Abs. 5 BtmG von Strafe abzusehen.
Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt mit Stellungnahme vom 28.01.2021 die Revision des Angeklagten als unbegründet kostenpflichtig zu verwerfen.
II.
1. Die Revision des Angeklagten ist offensichtlich unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln richtet. Insoweit hat die Nach-prüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Zur Begründung wird auf die im Ergebnis zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwalt-schaft München in ihrer Antragsschrift vom 28.01.2021 Bezug genommen, die auch durch die Gegenerklärung vom 19.02.2021 nicht entkräftet wird.
2. Die Revision des Angeklagten hat aber in Bezug auf den Rechtsfolgenausspruch zumindest vorläufigen Erfolg. Der Rechtsfolgenausspruch der Entscheidung kann keinen Bestand haben, da das angefochtene Urteil nicht erkennen lässt, ob der Jugendrichter ermessensfehlerfrei von der Möglichkeit des Absehens von Strafe gemäß § 29 Abs. 5 BtmG keinen Gebrauch gemacht hat. Zwar hat der Angeklagte keinen Anspruch auf Absehen von Strafe. Die Prüfung muss allerdings unter Berücksichtigung aller strafzumessungsrelevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls erfolgen und unterliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Richters. Dabei ist insbesondere den Grund-sätzen, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 09.03.1994 (NJW 1994, 1577 ff) zum Übermaßverbot bei der Strafverfolgung von gelegentlichen Eigenverbrauchstätern aufgestellt hat, Rechnung zu tragen. Da das verfassungsrechtliche Übermaßverbot nicht nur für den Gesetzgeber und die Strafverfolgungsbehörden, sondern auch für die Gerichte gilt, richtet sich diese verfassungsrechtliche Anweisung auch an die Richter. Das bedeutet, dass das Gericht in einem Fall des gelegentlichen Eigenverbrauchs bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 29 Abs. 5 BtmG dessen Anwendung besonders intensiv und sorgfältig zu erwägen hat. Das Urteil muss erkennen lassen, dass das Gericht sich dieser Möglichkeit und seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung, davon im Regelfall Gebrauch zu machen, bewusst war und es muss die Gründe, die es veranlasst haben, im konkreten Einzelfall von dieser grundsätzlichen Verpflichtung abzuweichen, eingehend und in der Form, die auch sonst für die Urteilsbegründung gilt, darlegen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 08.12.2005 – 1 Ss 271/05 – juris Rdn. 4 ff; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtmG, 9. Aufl. § 29 Teil 29 Rdn. 69). Kein Anlass zur Erörterung eines Absehens von Strafe besteht, wenn der Angeklagte weder Probierer noch Gelegenheitskonsument ist oder eine Vielzahl von Vorstrafen entgegenstehen (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtmG, a.a.O.).
Nach den Feststellungen in dem angegriffenen Urteil war der letzte Drogenkonsum des Angeklagten im August 2020. Im Übrigen rauche er nur gelegentlich (UA S. 3). Wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ist er mit einem Jugendarrest und einer richterlichen Weisung vorgeahndet (UA S. 3/4). Anhaltspunkte, dass das Gericht sich mit der Möglichkeit des Absehens von Strafe gemäß § 29 Abs. 5 BtmG befasst hat, sind aus dem angefochtenen Urteil nicht er-sichtlich. Im Hinblick auf den Zeitablauf seit der Vorahndung wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (über vier Jahre, UA S. 3/4) und den bisherigen Feststellungen im Zusammenhang mit dem derzeitigen Drogenkonsum des Angeklagten liegt vorliegend allerdings kein Fall vor, wo von vornherein kein Anlass zur Erörterung eines Absehens von Strafe besteht. Da das Amtsgericht die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des § 29 Abs. 5 BtmG nicht erörtert hat, ist dem Senat die Prüfung nicht möglich, ob der Jugendrichter ermessensfehlerfrei von der Möglichkeit des Absehens von Strafe keinen Gebrauch gemacht hat. Das angefochtene Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Laufen zurückzuverweisen.