Fahrer wegen Nötigung verurteilt und Fahrerlaubnis entzogen
Ein Fahrer wurde wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 Euro verurteilt, und ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist von vier Monaten festgesetzt. Der Angeklagte wurde für schuldig befunden, am 9. Februar 2020 mit einem PKW Maserati auf einer zentralen und stark belebten Kreuzung des Berliner Bezirks Charlottenburg, nämlich vor dem Bahnhof Zoologischer Garten, mit quietschenden Reifen und starker Qualmentwicklung sogenannte Donuts (360-Grad-Kehren) gefahren zu haben.
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Verurteilung aufgrund von Nötigung im Straßenverkehr
Das Amtsgericht Tiergarten stellte fest, dass der Angeklagte für ungefähr 10 Sekunden Donuts auf der gesamten Kreuzung gefahren ist, wodurch andere Verkehrsteilnehmer daran gehindert wurden, den Kreuzungsbereich ungehindert zu befahren oder im Bereich der Fußgängerfurten der Lichtzeichenanlagen zu begehen. Dabei wurden insbesondere Kraftfahrzeugführer, Radfahrer und Fußgänger, die sich zur Tatzeit an der belebten innerstädtischen Kreuzung aufhielten, für einen nicht unerheblichen Zeitraum an einem sicheren und zügigen Passieren der Kreuzung gehindert.
Fahrerlaubnisentziehung und Führerscheineinziehung
Aufgrund dieser Verkehrsgefährdung hat das Gericht dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist von vier Monaten festgesetzt. Das bedeutet, dass er in dieser Zeit keine Fahrerlaubnis erwerben oder neu erteilt bekommen darf.
Revisionen des Angeklagten und der Amtsanwaltschaft verworfen
Sowohl der Angeklagte als auch die Amtsanwaltschaft Berlin legten Revision gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten ein. Diese Revisionen wurden jedoch vom Kammergericht Berlin verworfen. Die Kosten der Revision der Amtsanwaltschaft und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last. Die Kosten seines Rechtsmittels hat der Angeklagte zu tragen.
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Das vorliegende Urteil
KG Berlin – Az.: (3) 121 Ss 138/21 (59 – 60/21) – Urteil vom 18.01.2022
Die Revisionen des Angeklagten und der Amtsanwaltschaft Berlin gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 19. Mai 2021 werden verworfen.
Die Kosten der Revision der Amtsanwaltschaft und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last. Die Kosten seines Rechtsmittels hat der Angeklagte zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 Euro verurteilt und ihm zugleich die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist von vier Monaten festgesetzt. Es hat den Angeklagten für schuldig befunden, am 9. Februar 2020 gegen 16.45 Uhr mit einem PKW Maserati auf einer zentralen und stark belebten Kreuzung des Berliner Bezirks Charlottenburg, nämlich vor dem Bahnhof Zoologischer Garten, mit quietschenden Reifen und starker Qualmentwicklung sogenannte Donuts (360-Grad-Kehren) gefahren zu haben. Im Einzelnen hat das Amtsgericht Folgendes festgestellt:
„Am Sonntag, dem 09.02.2020 gegen 16:45 Uhr, befuhr der Angeklagte mit dem Pkw Maserati, amtliches Kennzeichen B-…-…, des Halters Z die Kreuzung H-Straße, H-Platz, J-Straße in Berlin.
Unter gravierender Beschleunigung brachte er das von ihm geführte Fahrzeug in eine kreisende, driftende Fahrbewegung. Unter zunehmender weiterer Beschleunigung vollzog der Angeklagte für ca. 10 Sekunden „Donuts“ (360-Grad-Kehren auf der Stelle) über den gesamten Kreuzungsbereich, wobei die Reifen quietschten und aufgrund des Reifenabriebs starke Qualmentwicklung die Folge war. Nachdem der Angeklagte das Fahrzeug mehr als zweimal um die eigene Achse gedreht hatte, fuhr er entgegen der Fahrtrichtung in die H-Straße (Richtung B-Straße) ein. Während des Fahrmanövers des Angeklagten strahlte jedenfalls die Lichtzeichenanlage, welche für den aus Richtung B-Straße kommenden Fahrzeugverkehr auf der H-Straße gilt, grünes Licht ab.
Aufgrund des sich mit starker Beschleunigung im Kreis bewegenden Pkw des Angeklagten wurden andere Verkehrsteilnehmer durch die physisch unmittelbar blockierend wirkende Anwesenheit des Pkw sowie die von diesem ausgehende Gefahr aufgrund eines jederzeit möglichen unkontrollierten Ausbruchs des Fahrzeugs daran gehindert, den gesamten Kreuzungsbereich ungehindert zu befahren bzw. im Bereich der Fußgängerfurten der Lichtzeichenanlagen zu begehen. Hierdurch wurde eine unbestimmte Anzahl anderer Verkehrsteilnehmer (insbesondere Kraftfahrzeugführer, Radfahrer und Fußgänger), welche sich zur Tatzeit an der belebten innerstädtischen Kreuzung aufhielten, jedenfalls vorübergehend – jedoch für einen nicht unerheblichen Zeitraum – an einem sicheren und zügigen Passieren der Kreuzung gehindert. Zwar befanden sich zu diesem Zeitpunkt in dem aus Richtung B-Straße kommenden Teil der H-Straße überwiegend Fahrzeuge, die einem Hochzeitskorso zuzuordnen waren, dem auch der Angeklagte angehörte und welche keine Absicht hatten, die Kreuzung trotz für sie grün abstrahlender Lichtzeichenanlage während des Fahrmanövers des Angeklagten zu befahren, jedoch war auch eine große Anzahl weiterer – nicht dem Hochzeitskorso zugehöriger – Verkehrsteilnehmer anwesend, welche aus verschiedenen Richtung kommend bei jeweils für sie durch Lichtzeichenanlage freigegebenem Verkehr die Kreuzung passieren wollten. Neben der großen Anzahl nicht im Einzelnen bestimmbarer Verkehrsteilnehmer wurden konkret jedenfalls – aus Richtung B-Straße die H-straße befahrend – eine silberfarbene Kombilimousine, die links in die J-Straße einbog, ein dunkelfarbener Kleinwagen, der rechts auf den H-Platz abbog, sowie ein Taxi, welches geradeaus in Richtung H-Straße fuhr, durch das Fahrmanöver des Angeklagten davon abgehalten, unmittelbar nachdem die für sie geltende Lichtzeichenanlage auf grün schaltete, in die Kreuzung einzufahren. Obwohl die genannten Verkehrsteilnehmer aus nicht nachvollziehbaren Gründen die von dem Pkw des Angeklagten ausgehende Gefahr erheblich unterschätzten und gleichwohl noch während des Fahrmanövers des Angeklagten in die Kreuzung einfuhren, so taten sie dies aufgrund der Einwirkung des Angeklagten mit erheblicher Verzögerung nach Freigabe ihrer Fahrtrichtung durch grün abstrahlende Lichtzeichenanlage.
Auch wenn es dem Angeklagten vorrangig darauf ankam, anderen Teilnehmern des vor Ort befindlichen Hochzeitskorsos zu imponieren, nahm er zumindest billigend in Kauf, dass andere Verkehrsteilnehmer angesichts seines risikobehafteten Fahrmanövers trotz für sie jeweils grün abstrahlender Lichtzeichenanlage den Kreuzungsbereich vorübergehend nicht passieren konnten.“
Hiergegen richten sich die Revisionen der Amtsanwaltschaft Berlin und des Angeklagten. Erstere macht geltend, der Angeklagte hätte auch wegen eines verbotenen Einzelrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verurteilt werden müssen. Letzterer vertritt die Auffassung, die Feststellungen trügen eine Verurteilung wegen Nötigung weder in Bezug auf die innere noch auf die äußere Tatseite. Auch beanstandet der Angeklagte die Beweiswürdigung sowie die Bemessung der Rechtsfolgen, namentlich die Entziehung der Fahrerlaubnis. Beide Rechtsmittel bleiben erfolglos.
II.
I. Revision des Angeklagten
Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch (1.) und werden durch die Beweiswürdigung belegt (2.). Auch die Bemessung der Rechtsfolgen ist nicht zu beanstanden (3.).
1. Der durch das Amtsgericht festgestellte Sachverhalt trägt die Verurteilung wegen Nötigung. Durch sein verkehrsfremdes Fahrmanöver hat der Angeklagte ein physisches Hindernis errichtet und folglich mit kompulsiver Gewalt eine der zentralen Straßenkreuzungen Berlins blockiert und hierdurch eine unbestimmte Zahl von Verkehrsteilnehmern für einen nicht unwesentlichen Zeitraum (vollständig) daran gehindert, die Kreuzung zu Verkehrszwecken zu nutzen. Weitere drei bestimmt bezeichnete Verkehrsteilnehmer hat der Angeklagte daran gehindert, den Verkehrsraum in üblicher und bestimmungsgemäßer Zügigkeit zu befahren.
a) Ausreichend stellt das Urteil dar, welchen Personen welches Tun oder Unterlassen abgenötigt wurde.
Die Urteilsgründe bezeichnen zwei Personengruppen, die durch das vom Angeklagten gezeigte Verhalten – Einfahren auf die Kreuzung, kontrolliertes Driften, Abfahren von Kreuzung, richtungswidriges Einfahren in die H-Straße – behindert wurden. Zunächst nennt das Urteil eine „unbestimmte Anzahl anderer Verkehrsteilnehmer“, nämlich „Kraftfahrzeugführer, Radfahrer und Fußgänger“, die daran gehindert wurden, den Verkehrsraum zu nutzen. Neben diesen allgemein bezeichneten Personen, welche die Kreuzung als vollständig blockiert bewerteten, deshalb davor warteten und mithin davon abgehalten wurden, den Verkehrsraum bestimmungsgemäß zu nutzen, individualisiert das Urteil (durch ihre Fahrzeuge) auch drei Autofahrer, die nicht vor der Kreuzung warteten, sondern (nur) „mit erheblicher Verzögerung nach Freigabe ihrer Fahrtrichtung durch grün abstrahlende Lichtzeichenanlagen“ in die Kreuzung einfuhren (UA S. 3). Das Amtsgericht bewertet das Verhalten der vielen, nicht individualisierten Kraftfahrer ersichtlich als naheliegend und vernünftig, während es den konkret bezeichneten Verkehrsteilnehmern attestiert, „aus nicht nachvollziehbaren Gründen die von dem PKW des Angeklagten ausgehende Gefahr erheblich unterschätzt“ zu haben (UA S. 3), als sie, wenn auch „erheblich verzögert“, „noch während des Fahrmanövers des Angeklagten in die Kreuzung einfuhren“.
Während die erste Personengruppe für den gesamten Tatvorgang (vom Einfahren bis zum verkehrswidrigen Verlassen der Kreuzung) zu einem vollständigen Unterlassen des Befahrens der Kreuzung veranlasst wurde, wurden die drei individualisierten Verkehrsteilnehmer nur daran gehindert, die Kreuzung in üblicher, bestimmungsgemäßer und insbesondere verzögerungsfreier Weise zu befahren.
b) Unter Berücksichtigung der vom Angeklagten erzeugten Gefahrendynamik haben diese Verzögerungen auch normativ Belang. Die Anwendung des § 240 StGB auf verkehrswidriges Verhalten im Straßenverkehr, das seiner Natur nach vielfach „zwingenden“ Charakter hat, bestimmt die Praxis nach Maßgabe der Intensität der Einwirkung (vgl. BVerfG DAR 2007, 386 m. Anm. Huhn; Fischer, StGB 68. Aufl., § 240 Rn. 27). Erforderlich ist danach eine gewisse Dauer, von der eine körperliche Zwangswirkung ausgeht.
Wie lange oder „beharrlich“ (vgl. OLG Düsseldorf NZV 2000, 301) eine solche Zwangswirkung andauern muss, um sie als tatbestandsrelevant erscheinen zu lassen, lässt sich nicht allgemein sagen. Maßgeblich sind hierbei stets die Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der besonderen (überwiegend physisch wirkenden) Dynamik, durch die sich Verkehrsvorgänge schon wegen der Betriebsgefahr der Fahrzeuge von anderen Lebensbereichen unterscheiden (vgl. BVerfG a.a.O.; MüKo StVR/Franke, § 240 StGB Rn. 5). Auch und insbesondere dem Grad der Fremdgefährdung kommt hierbei Bedeutung zu (vgl. BayObLG NJW 2002, 628). Die meisten Fälle der im Straßenverkehr begangenen Nötigung zeichnen sich dadurch aus, dass sowohl die Tathandlung als auch der Taterfolg von ausgesprochen kurzer Dauer sind. Dies gilt für die Fälle des bedrängenden Auffahrens (vgl. BVerfG a.a.O. [OLG Köln NStZ-RR 2006, 280]; BGHSt 19, 263) und mehr noch für jene des Schneidens nach Überholen (vgl. OLG Köln NZV 1995, 465; OLG Stuttgart NJW 1995, 2647), des Ausbremsens (vgl. BGH DAR 1995, 298) sowie für viele weiter Konstellationen mit verkehrserzieherischer Konnotation.
Das Urteil bezeichnet die Dauer, welche die Verkehrsteilnehmer zum Verharren vor der Kreuzung veranlasst wurden, nicht genau. Allerdings führt das Amtsgericht aus, die eigentlichen „Donuts“ hätten etwa zehn Sekunden angedauert (UA S. 2). Hinzu tritt die Dauer des Einfahrens in die Kreuzung, der Positionierung darauf sowie des (richtungsfalschen) Ausfahrens aus der Kreuzung. Damit lassen sich den Urteilsfeststellungen für die behinderten Verkehrsteilnehmer Beeinträchtigungen ihrer Willensausübung von etwa 15 Sekunden entnehmen. Diese Dauer liegt im zeitlichen Rahmen solcher im Straßenverkehr begangener Tathandlungen, die als Nötigung anerkannt sind, z. B. eines Ausbremsens. Die festgestellten Behinderungen dürften hingegen eher länger angehalten haben als dies etwa beim ‚Schneiden nach Überholen‘ regelmäßig der Fall ist.
In die gebotene verkehrsbezogene Gesamtschau der Intensität der Beeinträchtigung muss neben ihrer Dauer auch die vom Angeklagten erzeugte situative Dynamik und ihre Gefährlichkeit einfließen. Hier war es so, dass der Angeklagte um 16.45 Uhr eine auch sonntags hoch frequentierte innerstädtische Kreuzung blockierte, indem er mit einem PKW Maserati mit steigernder Beschleunigung, laut quietschenden Reifen und starker Qualmentwicklung auf der Stelle driftete (UA S. 2). Nach den Urteilsfeststellungen war ein „unkontrollierter Ausbruch“ des Fahrzeugs „jederzeit möglich“ (UA S. 3), wobei das „Fahrzeug unkontrolliert wie ein Geschoss in unbeteiligte Verkehrsteilnehmer“ hätte rasen können (UA S. 5). Das Urteil lässt auch anschaulich erkennen, dass das mit der Gefährlichkeit eng verbundene Spektakuläre und Fanalhafte gerade das war, was den Angeklagten, der „imponieren wollte, um sein Selbstwertgefühl zu steigern“ (UA S. 5), zur Tat veranlasste.
Diese Feststellungen zur Dauer, zur Intensität und zur Gefährlichkeit der zum Nachteil der Geschädigten bewirkten Blockade tragen das durch § 240 StGB vorgegebene Merkmal der (physischen) Zwangswirkung. Zutreffend weist die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer dem Angeklagten bekannten Zuschrift darauf hin, dass der festgestellte Sachverhalt keinesfalls auf eine Stufe zu stellen sei mit der statischen Blockade einer Durchfahrt. Dort möge bei einer kurzzeitigen Behinderung, die keine weitere Gefahr ausstrahle, die Schwelle zur Straftat gegebenenfalls noch nicht erreicht sein. Hier aber werde der Sachverhalt durch die Intensität und die Gefährlichkeit des Tatgeschehens dominiert.
c) Die Feststelllungen erweisen auch, dass der Angeklagte durch das beschriebene verkehrswidrige Verhalten Gewalt ausgeübt hat. Indem er sein Fahrzeug verkehrswidrig und abstrakt gefährlich zum Rotieren brachte, hat er ein physisches Hindernis errichtet, das die physische Zwangswirkung bei den blockierten oder anderweitig behinderten Kraftfahrern erzeugte. Zum Driftenlassen musste der Angeklagte durch Bedienung der Pedale und des Lenkrads zwar nur geringfügige eigene Körperkraft aufwenden; jedoch ging von der Masse des PKW Maserati erhebliche Kraft aus, welche die körpereigene Kraft des Angeklagten verstärkte (vgl. ausf. Huhn, Nötigende Gewalt mit und gegen Sachen, S. 182).
d) Entgegen der Auffassung der Verteidigung lassen die Urteilsfeststellungen auch erkennen, dass gerade die Tathandlung des Angeklagten die Blockade des öffentlichen Verkehrsraums und damit die Zwangswirkung verursacht hat. Dass sich das Verhalten des Angeklagten gar nicht ausgewirkt haben könne, weil bereits die anderen Hochzeitsgäste die gesamte Kreuzung (ohne Absprache mit dem Angeklagten) blockiert hätten, ist bei der Größe der Kreuzung, die zudem offenbar mit unklarem Zweck freigehalten worden wäre, eine von vornherein wenig lebensnahe Möglichkeit. Dass dem auch nicht so war, findet sich an verschiedenen Stellen des Urteils. So führt das Amtsgericht aus, es sei auch „eine größere Anzahl weiterer – nicht dem Hochzeitskorso zugehöriger – Verkehrsteilnehmer anwesend“ gewesen, „welche aus verschiedenen Richtungen kommend bei jeweils für sie durch Lichtzeichenanlagen freigegebenem Verkehr die Kreuzung passieren wollten“ (UA S. 3). Besonders deutlich führt das Amtsgericht aus: „Auch war für das Gericht ausgeschlossen, dass andere Verkehrsteilnehmer nur von dritten Personen am Passieren der Kreuzung gehindert wurden und dies nicht auf das Verhalten des Angeklagten zurückzuführen wäre“ (UA: S. 4). Die von der Revision in diesem Zusammenhang beanstandete „Lückenhaftigkeit“ des Urteils (RB S. 4) besteht nicht.
e) Weiter tragen die Feststellungen die innere Tatseite des § 240 StGB. Zwar hätte es nach Auffassung des Senat angesichts von Tatort (Zentrum City West) und Tatzeit nahegelegen, dem Angeklagten in Bezug auf die Blockierung anderer Verkehrsteilnehmer direkten Vorsatz 2. Grades, nämlich sicheres Wissen um die auftretende Zwangswirkung, anzulasten. Dass das Amtsgericht hierzu nur bedingten Vorsatz festgestellt hat, ist aber unschädlich, weil auch dies genügt (vgl. BGHSt 5, 245; OLG Hamm BeckRS 2010, 9831; Fischer, a.a.O., § 240 Rn. 53; König in Hentschel/König/Dauer, StVR 46. Aufl., § 240 StGB Rn. 8). Dass sich in der zu § 240 StGB verzweigten Literatur und einzelnen Entscheidungen Hinweise darauf finden, der Täter einer Nötigung müsse Kenntnis haben, das Verhalten eines anderen zu erzwingen (vgl. MüKo StVR/Franke, § 240 StGB Rn. 16), gibt zu einer anderen Bewertung keinen Anlass. Ein solches Erfordernis ist weder dem Gesetzestext noch dem Gesetzeszweck zu entnehmen und würde namentlich in den Fallgestaltungen des Straßenverkehrs zu dem Ergebnis führen, dass besonders gleichgültige, hitzige und rücksichtslose Täter gegenüber eher bewusst und „umsichtig“ agierenden Tätern unangemessen bevorzugt würden. Hier gibt auch das gesamte von Egoismus, Rücksichtslosigkeit und Aggressivität geprägte Tatbild Anlass, keine überzogenen Anforderungen an die innere Tatseite bei im Straßenverkehr begangenen (objektiven) Nötigungshandlungen zu stellen.
f) Nachgerade augenscheinlich tragen die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen auch die Würdigung, der Angeklagte habe rechtswidrig gehandelt. Denn ersichtlich stellt sich der aggressive und gefährliche Missbrauch von dicht genutztem Verkehrsraum, zumal aus Gründen egoistischen Imponiergehabes und der Selbstwertsteigerung, als sozialethisch missbilligenswert und daher verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB dar.
2. Auch die Beweiswürdigung ist frei von Rechtsfehlern.
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr. des BGH, vgl. nur NStZ-RR 2012, 148).
Die Revision beanstandet, es bleibe unklar, „wie das Gericht anhand eines Videos unterscheiden konnte, welche Fahrzeuge dem Hochzeitskorso zugehörten und welche die Kreuzung passieren wollten“. Damit soll offenbar die Möglichkeit angedeutet werden, nicht die Aufführung des Angeklagten, sondern die Anwesenheit der anderen Hochzeitsgäste sei conditio sine qua non für das Wartenmüssen der unbeteiligten Verkehrsteilnehmer gewesen.
a) Allerdings ist der Senat daran gehindert, die von der Tat erstellten Videos selbst in Augenschein zu nehmen. Denn das Amtsgericht konnte auf bei den Akten befindliche Datenträger nicht nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO wirksam verweisen. Dies hat der BGH in seiner Grundsatzentscheidung vom 2. November 2011 (NZV 2012, 143) unmissverständlich klargestellt (vgl. auch Senat StV 2021, 813 [Volltext bei juris]). Das Amtsgericht hat den Inhalt der Filme aber ausreichend beschrieben, so dass die Unwirksamkeit der Verweisung nicht zur Fehlerhaftigkeit der Beweiswürdigung führt.
b) Das Amtsgericht hat festgestellt, dass die Kreuzung selbst so frei war, dass der Angeklagte mit seinem Fahrzeug einfahren und driften konnte. Wie bereits oben (I 1 d) ausgeführt, ist es bei dieser Sachlage von vornherein so unwahrscheinlich, dass eine Hochzeitsgesellschaft – zumal angeblich ohne Bezug zur abgeurteilten Tat – alle vier Zufahrten zu einer Kreuzung versperrt, dass dies nicht in Rechnung gestellt werden musste. Die Revision macht auch nicht geltend, dass dieser Umstand unter Beweis gestellt oder gar im Sinne des Angeklagten aufgeklärt worden wäre. Im Übrigen gilt, dass die Schlussfolgerungen des Gerichts nicht zwingend, sondern nur möglich sein müssen. Wenn das Amtsgericht nach Anhörung des Angeklagten und der Vernehmung der Zeugen und insbesondere nach der Inaugenscheinnahme der Videos zum Ergebnis kam, die Blockade sei keinesfalls (nur) von Dritten ausgegangen, so hat der Senat dies hinzunehmen.
3. Schließlich ist auch die Bemessung der Rechtsfolgen frei von Rechtsfehlern.
Gegen die ausgesprochen moderate Geldstrafe ist von vornherein nichts zu erinnern. Dabei ist auch die Festsetzung der Tagessatzhöhe nicht zu beanstanden. Der Gesamtheit der Urteilsgründe ist die tatsächliche Grundlage für die Bemessung der Tagessatzhöhe noch hinreichend deutlich zu entnehmen. Das Urteil erfüllt damit die Anforderungen, die an eine durch § 40 Abs. 3 StGB gestattete Schätzung zu stellen sind (vgl. BVerfG NZV 2016, 48).
Die Entziehung der Fahrerlaubnis begründet das Amtsgericht allerdings überaus knapp. Grundsätzlich gilt, dass sich das Tatgericht bei der Begründung einer nach §§ 69, 69a StGB getroffenen Entscheidung kurzhalten kann, wenn ein Regelfall nach § 69 Abs. 2 StGB abgeurteilt worden ist (vgl. Senat ZfSch 2020, 346). Anders verhält es sich im Grundsatz, wenn die Entziehung auf § 69 Abs. 1 StGB beruht. Die Feststellung einer fehlenden Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen erfordert in diesem Fall eine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit. Dabei kann die Tat selbst wesentlicher Anhaltspunkt für die Beurteilung der Täterpersönlichkeit sein (vgl. BGH VRS 92, 204). Der Umfang der Begründung hängt daher von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. BGHR StGB § 69 I Entziehung 2, 4, 5; BGH Strafverteidiger 1994, 314;VRS 92, 204).
Hier findet sich zur (ausdrücklichen) Begründung der Maßregel lediglich der Hinweis im Urteil, der Angeklagte sei wegen seines verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verhaltens (charakterlich) ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen (UA S. 6). Angesichts des drastischen äußeren Tatgeschehens, welches das Amtsgericht verschiedentlich als gefährlich bezeichnet, und der umfänglich geschilderten inneren Tatseite (wollte „imponieren, um sein Selbstwertgefühl zu steigern“) erfüllen diese kurzen Ausführungen, zumal vor dem Hintergrund, dass die Begründungsanforderungen des § 267 StPO kein Selbstzweck sind (vgl. Senat VRS 135, 293), noch die Voraussetzungen des § 267 Abs. 6 StPO. Die Würdigung des ausführlich geschilderten Tatgeschehens als grob verkehrswidrig und rücksichtslos hält revisionsrechtlicher Überprüfung ohne Weiteres stand, so dass die Begründung der Maßregel einen nachvollziehbaren Bogen schlägt zu zwei Regelfällen der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 315c StGB und § 69 Abs. 2 Nr. 1a i. V. m. § 315d Abs.1 Nr. 3 StGB).
II. Revision der Amtsanwaltschaft Berlin
Das Amtsgericht hat rechtsfehlerfrei davon abgesehen, den Angeklagten wegen eines mit der Nötigung tateinheitlich begangenen verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§§ 315d Abs. 1 Nr. 3, 52 StGB) zu verurteilen. Nach dieser Strafvorschrift macht sich strafbar, wer „sich als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“.
So offenkundig die Merkmale der groben Verkehrswidrigkeit und der Rücksichtslosigkeit durch den Angeklagten auch verwirklicht sein mögen, so fällt sein Verhalten doch nicht unter die weiteren Merkmale des 2017 eingeführten Straftatbestands.
1. Als nicht verwirklicht sieht der Senat zunächst das Merkmal der „Fortbewegung“ an, zumal in der vom Gesetz gewählten Form des „Sichfortbewegens“. Denn der Angeklagte hat sich durch seine sinnlosen Kehren gerade nicht fortbewegt, sondern er rotierte auf der Stelle. Eine Auslegung dahin, Rotationen seien eine Art der Fortbewegung, scheitert bereits an der Wortlautgrenze. Da man etwa einem Uhrzeiger eine Bewegung ebenso wie eine Geschwindigkeit attestieren kann, könnte man zwar zutreffend formulieren, der Zeiger bewege sich in oder mit einer bestimmten Geschwindigkeit. Unüblich und wohl falsch wäre es hingegen zu äußern, der Zeiger bewege sich „fort“. Unter Fortbewegung ist, wie die beiden Bestandteile des Kompositums unzweifelhaft zeigen, eine Bewegung von einem Ort zu einem anderen zu verstehen (vgl. Duden online: „von der Stelle bewegen“; Fischer, a.a.O., § 315d Rn. 13).
Unzutreffend wäre es zu argumentieren, dass sich das Heck eines rotierenden Fahrzeugs durchaus fortbewegt, nämlich im Kreis. § 315d StGB ist, wie die meisten Strafvorschriften, als Relativsatz konstruiert. Es heißt hier: „Wer sich … fortbewegt …“. Unzweifelhaft beziehen sich die beiden Pronomen „wer“ und „sich“ auf ein Subjekt, einen Menschen. Fortbewegen muss sich als also nicht ein Gegenstand, sondern eine Person. Ein Fahrzeug per Funk zu steuern, reichte nicht aus. Ebenso wenig reicht es aus, wenn sich nur das Heck eines Fahrzeugs im Kreis bewegt. Und selbst wenn man hier noch einwendete, dass auch der Fahrer eines rotierenden Fahrzeugs nicht immer an oder über der gleichen Stelle bleibt, sondern sich geringfügig bewegt, so fehlt es bei ihm doch am Umstand der „Fort-Bewegung“.
2. Auch hat das Amtsgericht nicht festgestellt, dass der Angeklagte handelte, „um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“. Wie oben angedeutet, erscheint es zwar noch nachvollziehbar, einem sich rotierenden Gegenstand eine Geschwindigkeit beizumessen. Messbar wäre im Falle eines sich drehenden Fahrzeugs die Geschwindigkeit des Hecks, z. B. als Umdrehungen pro Zeit. Hierbei handelte es sich aber um einen von der StVO abweichenden Geschwindigkeitsbegriff; § 3 StVO und allen anderen Vorschriften des Straßenverkehrsrechts liegt der Quotient „km/h“ zugrunde (ausführlich zur Bedeutung des § 3 StVO für § 315d StGB vgl. BGH NJW 2021, 1173). Zwar gilt auch hier, dass sich die Geschwindigkeit des Fahrzeughecks als Umlaufgeschwindigkeit in km/h und damit – im Grundsatz – in der durch die StVO zugrunde gelegten Maßeinheit messen ließe. Allerdings spricht auch hier nichts dafür, dass der Gesetzgeber bei § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ausnahmsweise nicht auf die Geschwindigkeit des gesamten Fahrzeugs, sondern nur auf einen Teil davon (hier: das Heck) abstellen wollte.
Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, dass der Gesetzgeber in § 315d StGB einen anderen Geschwindigkeitsbegriff gebrauchen wollte als die StVO, ist dem angefochtenen Urteil auch nicht zu entnehmen, dass die Zahl der Umdrehungen und mehr noch ihre „Geschwindigkeit“ bei der Tat und für den Täter überhaupt eine Rolle gespielt hat. Es ist auch auszuschließen, dass diesbezüglich noch etwas aufzuklären ist.
3. Der Terminus der „nicht angepassten Geschwindigkeit“ zeigt, dass der Gesetzgeber Fahrweisen unter Strafe stellen wollte, die einer angepassten Geschwindigkeit grundsätzlich zugänglich sind. Das missbräuchliche Rotierenlassen eines PKW fällt ersichtlich nicht darunter.
4. Auch die amtliche Überschrift des § 315d StGB „Verbotene Kraftfahrzeugrennen“ lässt erkennen, dass die Vorschrift das hier abgeurteilte Verhalten, dem jedes kompetitive Moment fehlt, nicht erfasst. Zwar wird eingewandt, die Überschrift sei ohnehin unzutreffend, weil sie mit Abs. 1 Nr. 3 das so genannte Einzelrennen unter Strafe stelle, dem der Wettbewerbscharakter gleichfalls fehle (Fischer, a.a.O., § 315d Rn. 1 m.w.N.). Nach Auffassung des Senats muss die Überschrift aber begrenzend in den sehr weit gefassten Straftatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB hineingelesen werden, so dass sich das äußere und innere Tatgeschehen „wie ein Rennen darstellen“ muss. Auch in den Materialien findet sich immer wieder die Formulierung, § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB wolle Sachverhalte erfassen, bei denen „nur ein einziges Fahrzeug objektiv und subjektiv ein Rennen nachstellt“ (vgl. BT-Drs. 18/12964, S. 5). Der für § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB üblich gewordene Terminus des „Einzelrennens“ ist geeignet, dem Rechnung zu tragen. Mit einem Rennen hatte die Aufführung des Angeklagten ersichtlich nichts gemein.
5. Schließlich hat das Amtsgericht zutreffend bedacht, dass § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) eine zurückhaltende Anwendung erfordert (vgl. Senat NZV 2019, 314 [Volltext bei juris]).
6. Nichts anderes ergibt sich aus dem Hinweis der revidierenden Amtsanwaltschaft, aus einer im Bundesrat vorgelegten alternativen Begründungsempfehlung ergebe sich, dass mit Kraftfahrzeugrennen nicht nur Geschwindigkeitsrennen gemeint sein sollten, sondern auch Geschicklichkeits-, Zuverlässigkeits-, Leistungsprüfungs- und Orientierungsfahrten, so dass auch „Burnouts“, „Wheelies“, „Stoppies“ und „Donuts“ unter Strafe gestellt werden sollten (vgl. BR-Drs. 362/1/16, 12). Da diese Deutung mit dem Wortlaut des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht in Einklang zu bringen ist, verbietet sich eine entsprechende Anwendung; sie verstieße gegen den Schuldgrundsatz (Art 103 Abs. 2 GG). Im Übrigen handelt es sich um eine Empfehlung, die gerade nicht übernommen worden ist und daher von vornherein ungeeignet ist, Aufschluss über den tatsächlichen Willen des Gesetzgebers zu geben.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 und 2 StPO.