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Einziehung von Wertersatz – Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Tatbeteiligten

Oberlandesgericht Thüringen – Az.: 1 Ws 341/19 – Beschluss vom 07.11.2019

1. Der Beschluss des Landgerichts Gera vom 11.06.2019 wird aufgehoben.

2. Die Vollstreckung der im Urteil des Landgerichts Gera vom 09.01.2019 angeordneten Einziehung von Wertersatz in Höhe von 36.318,77 € unterbleibt.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

I.

Das Landgericht – Jugendkammer – Gera sprach den Beschwerdeführer mit Urteil vom 09.01.2019, rechtskräftig seit dem 17.01.2019, des gewerbsmäßigen Betruges in 8 Fällen und des versuchten gewerbsmäßigen Betruges in 2 Fällen schuldig, verwarnte ihn, erteilte ihm eine Arbeitsauflage und ordnete die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 36.138,77 € an.

Die Betrugstaten hatte der Verurteilte in den Jahren 2010 bis 2011 begangen. Zur Tatzeit befand er sich ausweislich der Feststellungen des Urteils in Geldnöten, wandte sich an den Mitangeklagten T. B. und schloss in Absprache mit diesem einen fingierten Arbeitsvertrag ab, auf dessen Grundlage er in der Folge erschlichene Versicherungsleistungen und Arbeitslosengeld in Höhe von insgesamt 36.318,77 € erlangte. Das Urteil teilt mit, dass er nach seinen Angaben im Jahr 2019 Schulden in Höhe von 12.000 € hat, auf die er monatlich 380 € abzahlt.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 01.04.2019 hat der Verurteilte beantragt, gem. § 459g Abs. 5 StPO anzuordnen, dass die Vollstreckung der Entscheidung über die Einziehung von Wertersatz aus dem Urteil des Landgerichts Gera unterbleibt, weil der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Verurteilten vorhanden sei. Die erlangten Gelder seien für den allgemeinen Lebensunterhalt eingesetzt, für die Beerdigung des Vaters verbraucht sowie der Mutter zur Unterstützung weitergegeben worden, was sich bereits den Urteilsgründen entnehmen lasse.

Diesen Antrag hat das Landgericht Gera mit Beschluss vom 11.06.2019 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass jedenfalls keine „anerkennungswürdige“ Entreicherung vorliege, der Verurteilte mit den erlangten Beträgen vielmehr einen „durchaus überdurchschnittlichen Lebenswandel finanzieren konnte“. Mit der Formulierung des Gesetzes, dass die Vollstreckung (auf Anordnung des Gerichts) unterbleibe, „soweit der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist“, seien nur anerkennungswürdige Entreicherungen gemeint, was sich daraus ergebe, dass die Vorschrift daneben auf die Frage abstelle, ob die Vollstreckung auch sonst unverhältnismäßig wäre.

Gegen den Beschluss, der dem Verurteilten und seinem Verteidiger gem. Verfügung vom 11.06.2019 formlos und ohne die nach § 35a Satz 1 StPO erforderliche Rechtsmittelbelehrung bekanntgegeben wurde, hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 26.06.2019 „Beschwerde“ eingelegt und diese näher begründet

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat mit Aktenvorlage und Stellungnahme vom 18.09. 2019 beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Darauf hat der Verteidiger des Verurteilten unter dem 26.09.2019 erwidert.

II.

1.

Das Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde gemäß § 462 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 459g Abs. 5 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt, weil die Beschwerdefrist mangels förmlicher Zustellung des angefochtenen Beschlusses an den Beschwerdeführer noch nicht wirksam in Gang gesetzt worden war.

2.

Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

Die Voraussetzungen des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO, nach dem die Vollstreckung von Nebenfolgen, die zu einer Geldzahlung verpflichten (Abs. 2), auf Anordnung des Gerichts unterbleibt, soweit der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist oder die Vollstreckung sonst unverhältnismäßig wäre, liegen in Form der ersten Variante vor.

Abweichend vom früheren Recht in 73c Abs. 1 Satz 2 StGB a. F., der dem erkennenden Gericht für den Fall der Entreicherung ein Ermessen eröffnete, von Verfallsentscheidungen (fakultativ) abzusehen, schreibt die – diese Prüfung ins Vollstreckungsverfahren verlagernde – Neuregelung des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO nach zwischenzeitlich gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Unterbleiben der Vollstreckung zwingend vor, wenn der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Tatbeteiligten vorhanden ist (vgl. BGH, Urteile vom 15.05.2018, 1 StR 651/17, Rn. 57, und vom 27.09.2018, 4 StR 78/18, Rn. 11, sowie Beschluss vom 22.03. 2018, 3 StR 577/17, bei juris; BeckOK-StPO/Coen, 34. Ed., § 459g Rn. 23). Eine wertende Entscheidung des zuständigen Gerichts, die etwa die Gründe für die Entreicherung einbezöge (vgl. zum früheren Recht BGHNStZ-RR 2017, 14, 15 m. w. N.), ist danach nicht mehr möglich. Das Ausbleiben der Vollstreckung erfolgt selbst dann zwingend, wenn festgestellt wird, dass zwar Vermögen beim Betroffenen vorhanden ist, dieses aber ohne jeden Zusammenhang mit den zugrunde liegenden Straftaten erworben worden ist (BGH a. a. O.; Beck-StPO/Coen, a. a. O., § 459g Rn. 25).

Für eine abweichende Beurteilung dahingehend, dass dem Gericht im Rahmen des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO – entgegen dem „missverständlichen“ Wortlaut der Norm und entsprechend der bisherigen Regelung in § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB a. F. – ein Ermessen verbleibt, ob es in Fällen der Entreicherung ein Unterbleiben der Vollstreckung anordnet (so mit beachtl. Arg. u. a. KK-StPO/Appl, 8. Aufl., § 459g Rn. 17), ist angesichts der gefestigten höchstrichterlichen Auslegung, die sich auf den ausdrücklichen Wortlaut der Norm berufen kann, kein Raum. Auch aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11.07.2019, 1 StR 467/17 (bei juris) folgt – jedenfalls für das Vollstreckungsverfahren – nichts anderes. Eine – mit Blick auf den Zweck der Neuregelung des Rechts der Vermögensabschöpfung naheliegende – Korrektur dieser Rechtslage muss dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben (vgl. a. Meyer-Goßner/Köhler, StPO, 62. Aufl., § 459g Rn. 13: „Klarstellung durch den Gesetzgeber wünschenswert“).

In vorliegender Sache ergibt sich bereits aus den Feststellungen im Urteil vom 09.01.2019 zu den persönlichen Verhältnissen des Verurteilten und zur Tat sowie den Erwägungen zur Strafbemessung mit hinreichender Sicherheit, dass der Wert der in den Jahren 2010 bis 2011 erlangten Geldbeträge von insgesamt 36.318,77 € nicht mehr im Vermögen des Verurteilten vorhanden war, weil er die erlangten Gelder ersichtlich zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes und für Ausgaben in der Familie verbraucht und er zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung – mehr als 6 Jahre nach Begehung der Straftaten – erhebliche Schulden von mehr als 12.000 € hatte. Mit der Beschwerde erfolgte insoweit nochmals ein schlüssiger ergänzender Vortrag, dessen Richtigkeit weder durch die angefochtene Entscheidung – die ihrerseits vom zeitnahen Verbrauch zur Finanzierung eines „durchaus überdurchschnittlichen Lebenswandels“ ausgeht – noch durch die Staatsanwaltschaft (Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft Gera vom 21.05.2019 und der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft vom 18.09.2019) in Frage gestellt wird.

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten war deshalb anzuordnen, dass die Vollstreckung der im Urteil des Landgerichts Gera vom 09.01.2019 angeordneten Einziehung von Wertersatz in Höhe von 36.318,77 € unterbleibt.

Die Vollstreckung kann gem. § 459g Abs. 5 Satz 2 StPO allerdings wieder aufgenommen werden, wenn nachträglich Umstände bekannt werden oder eintreten, die einer Anordnung nach Satz 1 entgegenstehen.

III.

Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in einer entsprechenden Anwendung des § 467 StPO.

 

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