OLG Celle – Az.: 2 Ws 250/21 – Beschluss vom 12.08.2021
In der Strafsache wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 12. August 2021 beschlossen:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der 18. großen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 9. Juli 2021 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Hannover hat am 23. Februar 2021 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Hannover gegen den Angeklagten einen Haftbefehl erlassen.
Mit dem Haftbefehl wird dem Angeklagten zur Last gelegt, in der Zeit von April 2020 bis zum 4. Juni 2020 in insgesamt 12 Fällen mit Betäubungsmitteln (Cannabis und Kokain) in nicht geringe Menge Handel getrieben zu haben. Der Angeklagte soll sich dabei mit dem Mitangeklagten Y zusammengeschlossen haben, um sich gemeinsam durch den Verkauf von Cannabis und Kokain eine dauerhafte Einnahmequelle zu erschließen. Während der Mitangeklagte Y den Kontakt zum Lieferanten unterhalten und bei diesem die Bestellungen vorgenommen haben soll, soll der Angeklagte X die Betäubungsmittel von Kurieren des Lieferanten in Empfang genommen, gebunkert und weiterverkauft haben. Entsprechend diesem Vorgehen soll der Mitangeklagte Y in Absprache mit dem Angeklagten X an sieben Tagen Marihuanamengen von jeweils zwischen 2 und 10 Kilogramm, an einem Tag zusätzlich auch ein Kilogramm Haschisch, ferner an zwei weiteren Tagen jeweils zwei Kilogramm Haschisch und an drei weiteren Tagen jeweils ein Kilogramm Kokain bei dem gesondert verfolgten Zwischenhändler Z bestellt haben. Der Angeklagte X soll die bestellten Mengen sodann – mit Ausnahme von 14 Kilogramm Marihuana und einem Kilogramm Haschisch, die nicht geliefert worden sein sollen – von Kurieren entgegengenommen haben. Insgesamt soll er auf diese Weise 42 Kilogramm Marihuana, vier Kilogramm Haschisch und drei Kilogramm Kokain für den Weiterverkauf erworben haben, wobei der Einkaufspreis hierfür über 250.000 Euro betragen haben soll. Wegen der Einzelheiten wird auf den Haftbefehl vom 23. Februar 2021 Bezug genommen.
Die Annahme des dringenden Tatverdachts wird im Haftbefehl auf die Auswertung von Kurznachrichten gestützt, die der Angeklagte X mit dem Mitangeklagten Y einerseits und der Mitangeklagte mit dem gesondert Verfolgten Z andererseits ausgetauscht haben soll. Die Nachrichten wurden verschlüsselt und mit speziellen Mobiltelefonen des Anbieters „Encrochat“ versandt. Im Rahmen eines französischen Strafverfahrens wurde diese Kommunikation in Echtzeit abgefangen und verdeckt erhoben.
Zum Haftgrund wird im Haftbefehl ausgeführt, dass beim Angeklagten Fluchtgefahr bestehe. Denn er habe aufgrund der Taten mit einer erheblichen und mehrjährigen Freiheitsstrafe zu rechnen und dies begründe die Gefahr, dass er sich dem Verfahren durch Flucht entziehen werde. Dem Fluchtanreiz stehe kein ausreichend stabiles Gegengewicht entgegen, denn er habe zwar ein festes Arbeitsverhältnis bei einem …, sei aber persönlich ungebunden.
Der Angeklagte wurde aufgrund des Haftbefehls am 3. März 2021 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Unter dem 20. April 2021 hat die Staatsanwaltschaft wegen der im Haftbefehl genannten Taten Anklage gegen ihn und den Mitangeklagten Y erhoben.
Im Rahmen einer mündlichen Haftprüfung am 1. Juni 2021 machte der Angeklagte nähere Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen. Das Landgericht Hannover beschloss daraufhin am 4. Juni 2021 die Aufrechterhaltung des Haftbefehls und beließ diesen in Vollzug. Zur fortbestehenden Fluchtgefahr führte das Landgericht insbesondere aus, dass der Angeklagte im Falle einer Verurteilung mit einer erheblichen Gesamtfreiheitsstrafe zu rechnen habe und keine Umstände festzustellen seien, die die daraus herzuleitende Fluchtgefahr ausräumen könnten. Der Angeklagte lebe zwar mit seiner Ehefrau und … zusammen und könne seine Beschäftigung fortzusetzen. Diese sozialen Bindungen seien zur Beseitigung des Fluchtanreizes jedoch nicht ausreichend. Insbesondere habe die Ehefrau des Angeklagten im Haftprüfungstermin berichtet, dass dieser im Tatzeitraum seiner Arbeit krankheitsbedingt häufiger nicht nachgegangen sei, das häusliche Umfeld bei einer Vielzahl von Gelegenheiten verlassen und nur eingeschränkt am Familienleben teilgenommen habe. Auch in Anbetracht eines vom Angeklagten berichteten Marihuanakonsums und seines von seiner Ehefrau bekundeten erheblichen Alkoholkonsums, der auch zu Streit zwischen den Eheleuten geführt habe, sei – so die Kammer – nicht von einer tatsächlichen Einbettung des Angeklagten in das Familienleben auszugehen. Hinzu komme, dass der Angeklagte durch die Taten erhebliche Gewinne erzielt habe, die er zu einem Untertauchen nutzen könne.
Mit Beschluss vom 9. Juli 2021 hat die Kammer die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Zugleich hat sie aus den fortbestehenden Gründen ihrer Anordnung die Fortdauer der Untersuchungshaft beschlossen.
Gegen diese Haftentscheidung wendet sich der Angeklagte mit seiner am 29. Juli 2021 eingelegten Beschwerde. Er ist der Ansicht, dass die Auswertung der mittels Encrochat geführten Kommunikation des Angeklagten einem Beweisverwertungsverbot unterliege und bezieht sich hierfür auf einen Beschluss des Landgerichts Berlin vom 1. Juli 2021.Mit Beschluss vom 2. August 2021 hat das Landgericht eine Nichtabhilfeentscheidung getroffen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der Sache bleibt ihr der Erfolg jedoch versagt.
Die Gründe für die Aufrechterhaltung des Haftbefehls des Amtsgerichts Hannover vom 23. Februar 2021 liegen weiterhin vor.
1. Der Angeklagte ist der im Haftbefehl genannten Taten dringend verdächtig. Der dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus den dokumentierten Textnachrichten, die er unter dem Nutzernamen „e…“, der Mitangeklagte Y unter dem Nutzernamen „l…“ sowie der gesondert Verfolgte Z unter dem Nutzernamen „s…“ verfasst und verschlüsselt über Encrochat-Geräte versandt haben.
a) Die Einzelheiten der Betäubungsmittelgeschäfte werden in den Textnachrichten überwiegend nicht im Klartext, sondern unter Verwendung von Synonymen ausgetauscht. Deren Bedeutung erschließt sich jedoch ohne Schwierigkeiten durch einzelne im Klartext gehaltene Nachrichten ebenso wie aus der Gesamtschau.
So ergibt sich aus dem Nachrichtenverlauf, dass „Hase“ und „Standard“ Bezeichnungen für Marihuana sind, während es sich bei „Nase“ um ein Synonym für Kokain und bei „Polle“ um eine Bezeichnung für Haschisch handelt. Beispielsweise teilte „s…“ dem Nutzer „l…“ am 21. April 2020 mit, dass er am Samstag „Gras“ erwarte, und „l…“ erfragte daraufhin, ob am Samstag „haze oder Standarte“ komme. Dass es sich bei diesem „Gras“ um Marihuana handelt, wird auch durch die Fotos deutlich, die die Angeklagten bzw. „s…“ im Zusammenhang mit einzelnen Geschäften austauschten und auf denen größere Mengen verpackten Marihuanas erkennbar sind, etwa am 22. April, 25. April und 28. April 2020. Aus mehreren Nachrichten ist auch ersichtlich, dass gelegentlich auch „AMS“ als Bezeichnung für Marihuana benutzt wurde. Denn hierzu stellte „s…“ am 25. Mai 2020 klar, dass „AMS“ die Bezeichnung für sein Gras, nicht etwa für eine bestimmte Sorte sei. Eine Nachricht von „l…“ vom 11. Mai 2020 verdeutlicht zudem, dass es sich bei „Polle“ nicht um Marihuana handelt, denn darin schrieb er „e…“, dass schon alles „Gras“ weg sei, und fragte ihn zugleich, ob er „Polle“ haben wolle. Hierdurch erschließt sich auch, dass „Polle“ als Alternative zu Marihuana dienen sollte, was vollständig im Einklang mit dem Polizeibericht vom 7. September 2020 steht, wonach „Polle“ eine szenetypische Bezeichnung für Haschisch ist.
Mit Bezug auf Kokain schrieb beispielsweise „e…“ am 28. April 2020 an „l…“ mehrere Nachrichten, in denen er berichtete, dass er gerade ein Kilogramm „Koks“ ausgepackt habe. Diese Verpackungseinheit passt ohne weiteres zu den Geschäften mit „Nase“. Denn exemplarisch ergibt sich aus einer Nachricht von „l…“ vom 21. April 2020, dass sie dieses in Einheiten von jeweils einem Kilogramm bezogen.
Unmittelbar aus den Nachrichtenverläufen ergeben sich auch die für die einzelnen Betäubungsmittel gezahlten Preise. So teilte „s…“ dem Nutzer „l…“ am 14. April 2020 mit, dass „haze“ 4.500 bis 4.600 koste, und in einer Nachricht vom 21. April 2020 gibt „l…“ gegenüber „e…“ als Preis für „Standard“ einen – ausdrücklich mit Währungszeichen versehenen – Preis von 4.250 Euro an. Hinsichtlich des Preises für Kokain ergibt sich aus einer Nachricht von „s…“, an den Nutzer „l…“ vom 7. April 2020, dass „Nase“ in Hannover 33.500 Euro koste. Diese auf Kilogramm bezogenen Preise stehen sämtlich in Einklang mit dem polizeilichen Vermerk vom 19. April 2021 zu den im Tatzeitraum gängigen Preisen für Marihuana und Kokain und stützen auch insoweit die Zuordnung der Synonyme zu den einzelnen Betäubungsmittelarten.
b) Unter Zugrundelegung der vorgenannten Kennwörter begründen die gesicherten Nachrichtenverläufe die hohe Wahrscheinlichkeit, dass unter den Nutzernamen „e…“, „l…“ und „s…“ die im Haftbefehl aufgeführten Betäubungsmittelgeschäfte durchgeführt wurden. Die jeweiligen Inhalte der An- und Verkaufsabsprachen zwischen „l…“ und „s…“ sind im Haftbefehl ebenso zutreffend wiedergegeben wie der Austausch zwischen „l…“ und „e…“ zu den Übergabeorten und -zeitpunkten. Soweit im Haftbefehl ferner ausgeführt wird, dass es tatsächlich zu Übergaben der jeweiligen Betäubungsmittel gekommen ist, wird dies ebenfalls durch die im Zusammenhang mit den einzelnen Geschäften ausgetauschten Nachrichten bestätigt.
Die Nachrichtenverläufe belegen – im Sinne eines dringenden Tatverdachts – auch die im Haftbefehl genannte Arbeitsteilung zwischen „l…“ und „e…“. Danach hat „l…“ zwar die Absprachen mit dem übergeordneten Händler „s…“ getroffen, die Weiterverkäufe wurden jedoch eigenverantwortlich von dem als „e…“ auftretenden Nutzer organisiert und durchgeführt. So ergibt sich beispielsweise aus Nachrichten von „e…“ vom 15. April, 21. April, 26. April und 15. Mai 2020, dass dieser die Drogen selbständig an eigene Kunden weiterverkauft hat. Dass er dabei auch selbst die Verkaufspreise bestimmt hat, wird aus einer Nachricht von „l…“ an „e…“ vom 15. April 2020 deutlich, in der „l…“ ihn aufforderte, „nicht so billig“ zu verkaufen, ohne aber konkrete Vorgaben für die Preise zu machen. Auch darüber, ob und wann überhaupt neue Bestellungen bei „s…“ aufgegeben werden sollten, wurde maßgeblich von „e…“ mitbestimmt, wie sich exemplarisch aus den zwischen ihm und „l…“ ausgetauschten Nachrichten vom 5.Mai 2020 ergibt.
c) Die bisherigen Ermittlungen begründen im Sinne eines dringenden Tatverdachts die Annahme, dass der Angeklagte der unter dem Namen „e…“ auftretende Nutzer war.
Hierfür sprechen insbesondere die im Identifizierungsvermerk der Polizei vom 6. Juli 2020 aufgeführten Umstände. Insbesondere hat „e…“ in einer Nachricht vom 14. April 2020 als sein eigenes Geburtsdatum den … angegeben und in ein einer Nachricht vom … mitgeteilt, dass seine Partnerin Geburtstag habe. Beide Daten passen zum Geburtsdatum des Angeklagten und seiner Ehefrau. Darüber hat „l…“ seinem Chatpartner „s…“ am 4. April 2020 mitgeteilt, dass sein Freund in einem S… zur Übergabe erscheine, und ein entsprechendes Fahrzeug ist tatsächlich auf den Angeklagten zugelassen. Ferner trifft auf den Angeklagten die Beschreibung aus einer weiteren Nachricht von „s…“ vom 4. April 2020 zu, wonach der am Übergabeort erschienene Freund von „l…“ eine … habe. Außerdem deuten auch die Erkenntnisse über den Aufenthaltsort von „e…“ auf den Angeklagten hin. So schrieb „l…“ am 6. Mai 2020, über seinen Freund in A und „e…“ selbst gab am 18. April 2020 an, nach dem Sport in S wieder in A zu sein. Auch ein Treffen zwischen „l…“ und „e…“ am 28. April 2020 fand ausweislich der Standortdaten in A statt.
2. Die von den französischen Behörden erhobenen Daten der Encrochat-Mobiltelefone der Angeklagten und des gesondert Verfolgten Z sind gemäß § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO auch im vorliegenden Strafverfahren verwendbar (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 29. Januar 2021, 1 Ws 2/21, juris; OLG Schleswig, Beschluss vom 29. April 2021, 2 Ws 47/21, juris).
Die Regelung des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO erlaubt die Verwendung von Daten, die durch verdeckte Überwachungen informationstechnischer Systeme erlangt worden sind, auch in anderen Strafverfahren, wenn in diesen Maßnahmen nach § 100b StPO angeordnet werden könnten. Erforderlich für die Verwendung ist deshalb zunächst, dass das neue Strafverfahren wegen einer besonders schweren Tat im Sinne von § 100b Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO geführt wird. Darüber hinaus schließt der Verweis auf § 100b StPO auch die weiteren Voraussetzungen des § 100b Abs. 1 ein, so dass auch eine konkretisierte Verdachtslage gemäß § 100b Abs. 1 Nr. 1 StPO bestehen und die Subsidiaritätsklausel nach § 100b Abs. 1 Nr. 3 beachtet werden muss (Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO § 100e Rn. 23; BeckOK StPO/Graf, § 100e Rn. 33). Die Prüfung muss sich dabei auch insgesamt auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme erstrecken (vgl. MüKoStPO/Günther, StPO § 100d Rn. 36; BeckOK StPO/Graf, § 100b Rn. 23).
a) Die Anforderungen aus § 100e Abs. 6 Nr. 1 und 2 StPO in Verbindung mit § 100b StPO sind im vorliegenden Fall erfüllt. Bei dem hier verfahrensgegenständlichen Vorwurf des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG handelt es sich um eine gesetzliche Katalogtat gemäß § 100b Abs. 2 Nr. 5 b StPO, die in Anbetracht der großen Menge auch besonders schwer wiegt. Der auf diese Straftaten bezogene Verdacht beruht auf den tatbezogenen Ergebnissen der durchgeführten Überwachungsmaßnahmen und damit auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage.
b) Zur Aufklärung der hier verfahrensgegenständlichen Taten wäre die Anordnung einer Online-Durchsuchung gemäß § 100b StPO auch erforderlich. Ohne die Erkenntnisse aus der Überwachung das Encrochat-System wäre die Erforschung des Sachverhalts aussichtslos (§ 100b Abs. 1 Nr. 3 StPO), denn weitere Beweismittel für die einzelnen Taten liegen nicht vor und es bestehen auch keine Ansätze für anderweitige Ermittlungen.
c) Dem Zugriff auf die Encrochat-Geräte mittels einer Online-Durchsuchung würde nicht entgegenstehen, dass diese – zumindest in der bislang praktizierten Durchführung – alle Nutzer von Encrochat-Mobiltelefonen erfasst (entgegen Derin/Singelnstein, NStZ 2021, 449). Die Maßnahme ist trotz dieser Reichweite verhältnismäßig.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist für die Intensität des Grundrechtseingriffs allerdings bedeutsam, wie viele Personen von einer verdeckten Maßnahme betroffen sind (BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1999, BVerfGE 100, 313; BVerfG, Urteil vom 3. März 2004, BVerfGE 109, 279). Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass der Einsatz verdeckter Überwachungsmaßnahmen das Kommunikationsverhalten in der gesamten Gesellschaft beeinträchtigen könnte, wenn ein Bürger befürchten müsste, dass sein Verhalten jederzeit erfasst, gespeichert und weitergegeben werden könnte (BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983, BVerfGE 65, 1; BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1999; BVerfGE 100, 313).
bb) Die verfassungsrechtliche Beurteilung des Eingriffs hängt dabei jedoch zugleich davon ab, ob die Betroffenen Personen mit ihrem Verhalten selbst Anlass zu der Überwachungsmaßnahme gegeben haben (BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1999; BVerfGE 100, 313; BVerfG, Urteil vom 3. März 2004, BVerfGE 109, 279). Hieran gemessen besteht nur eine geringe Schutzwürdigkeit der Encrochat-Nutzer. Denn aufgrund aller bekannten Umstände ist anzunehmen, dass das Encrochat-System fast ausschließlich zur Begehung von Straftaten, insbesondere zum Handel mit Betäubungsmitteln, genutzt wurde.
Nicht maßgeblich für diese Annahme ist dabei, dass das Encrochat-System seinen Nutzer eine verschlüsselte Kommunikation ermöglicht hat, denn das Interesse an einer vertraulichen Kommunikation ist legitim, durch die Grundrechte geschützt und für sich genommen kein Hinweis auf eine kriminelle Motivation. Die konkrete Ausgestaltung des Encrochat-Systems lässt es jedoch als fernliegend erscheinen, dass dieses überhaupt für eine legale Kommunikation genutzt wurde.
So bestand für die Encrochat-Mobiltelefone kein legaler Vertriebsweg, die Geräte wurden nach den Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes anonym, ohne schriftlichen Vertrag und gegen Barzahlung an öffentlichen Orten wie Autobahnraststätten verkauft oder – der Verfügung des französischen Ermittlungsrichters vom 28. April 2020 zufolge – in Hinterzimmern abgesetzt und mittels Kryptowährung bezahlt. Bereits diese Umstände sprechen gegen eine Nutzung des Systems zu legalen Zwecken. Denn es erscheint abwegig, dass ausgerechnet ein auf besondere Datensicherheit bedachter Nutzer seine sensiblen legalen Daten einem lediglich anonym auftretenden Anbieter anvertrauen würde, bei dem keinerlei vertragliche oder anderweitige Gewähr für den Schutz der Daten auf dessen Server besteht.
Der hohe Preis für die Nutzung der Geräte – nach den Erkenntnissen der französischen Behörden mindestens 1.500 Euro für ein lediglich sechsmonatiges Abonnement – spricht zugleich dafür, dass das Encrochat-System auf die Nutzung für kriminelle Geschäfte angelegt war. Denn der Preis steht in keinem Verhältnis zur Ausstattung des Mobiltelefons, das weder einen Internetzugriff noch die Installation von Software ermöglicht hat. Die tatsächlichen Nutzungsmöglichkeiten waren außerdem dadurch eingeschränkt, dass der Austausch von Nachrichten und Bildern nur mit anderen Encrochat-Geräten möglich war. Die Nutzung der Geräte ist deshalb am ehesten nachvollziehbar, wenn den hohen Kosten noch höhere Einnahmen des Nutzers gegenüberstehen.
Diese Erwägungen werden auch dadurch gestützt, dass die Auswertung der Daten bereits nach weniger als zwei Monaten für den größten Teil der aktiven Nutzer ergeben hat, dass die Kommunikation im Zusammenhang mit Straftaten stand, wobei es sich ganz überwiegend um Betäubungsstraftaten handelte. Denn dem Beschluss der Ermittlungsrichterin in Lille vom 28. Mai 2020 zufolge hatten sich bis dahin für zwei Drittel der in Frankreich genutzten Encrochat-Geräte entsprechende Bezüge zu Straftaten ergeben, während für das restliche Drittel keine oder nur wenig Kommunikation verzeichnet wurde.
Die vergleichsweise große Reichweite, die einer Online-Durchsuchung im vorliegenden Fall zukommen würde, würde ihrer Verhältnismäßigkeit vor diesem Hintergrund nicht entgegenstehen. Denn die vergleichsweise wenig schutzbedürftigen Interessen der betroffenen Nutzer müssten hinter dem überwiegenden Interesse der Allgemeinheit an der Aufklärung der schweren Straftaten zurücktreten.
3. Die erhobenen Daten unterliegen im vorliegenden Strafverfahren keinem Verwertungsverbot (vgl. OLG Bremen, Beschluss vom 18. Dezember 2020, 1 Ws 166/20, juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 29. Januar 2021, 1 Ws 2/21, juris; OLG Rostock, Beschluss vom 23. März 2021, 20 Ws 70/21, juris; OLG Schleswig, Beschluss vom 29. April 2021, 2 Ws 47/21, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Juli 2021, III 2 Ws 96/21).
a) Nach der vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich ziehe, fremd. Vielmehr ist diese Frage nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und des Gewichts des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Dabei muss beachtet werden, dass die Annahme eines Verwertungsverbots, auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung um jeden Preis gerichtet ist, eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts einschränkt, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (BGH, Urteil vom 11. November 1998, BGHSt 44, 243 m. w. N.).
b) Nach diesen Maßstäben würde ein Verwertungsverbot auch dann nicht bestehen, wenn die französischen Behörden entgegen Art. 31 der Richtlinie 2014/41/EU die zuständigen deutschen Behörden nicht auf die in der Richtlinie vorgesehen Weise unterrichtet hätten.
Denn eine ausdrückliche gesetzliche Vorschrift, wonach ein Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht aus Art. 31 der Richtlinie 2014/41/EU eine Verwertung der erhobenen Daten ausschließen würde, besteht nicht. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen ergibt zudem nicht, dass übergeordnete wichtige Gründe im vorliegenden Fall ein Beweisverbot begründen.
aa) Dem Interesse der staatlichen Gemeinschaft an einer Verwertung der erhobenen Daten ist im vorliegenden Fall ein hohes Gewicht beizumessen.
Denn die Verwertung dient der Aufklärung schwerer Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz. Deren Bedeutung wird zum einen durch den gesetzlichen Strafrahmen für die in Betracht kommenden Delikte deutlich, der gemäß § 29a BtMG eine Mindeststrafe von einem Jahr und eine Höchststrafe von 15 Jahren (§ 38 Abs. 2 StGB) vorsieht. Zum anderen ist die Verfolgung von Betäubungsmittelstraftaten von erheblicher Bedeutung für den Schutz wichtiger Rechtsgüter. Denn sie dient dem Schutz von Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 GG) potentieller Abnehmer der Betäubungsmittel, die Strafandrohung entspricht deshalb nach Auffassung des Gesetzgebers der hohen Sozialschädlichkeit der Taten (BT-Drs. 12/989, S. 30).
Dies gilt im vorliegenden Fall in besonderem Maße, weil sich das mutmaßliche Handeltreiben des Angeklagten auf eine besonders große Menge von Betäubungsmitteln beziehen soll und es sich bei Kokain außerdem um eine besonders gefährliche Droge mit hohem Suchtpotential handelt.
bb) Dem Interesse des Betroffenen an einer Überprüfung der französischen Ermittlungsmaßnahmen durch deutsche Stellen aufgrund einer Unterrichtung gemäß Art. 31 der Richtlinie 2014/41/EU kommt gegenüber diesem Strafverfolgungsinteresse ein geringeres Gewicht zu.
(1) Gegen ein erhebliches Gewicht eines eventuellen Verstoßes gegen Art. 31 der Richtlinie 2014/41/EU spricht zunächst, dass die Unterrichtungspflicht nach der Systematik der europäischen Richtlinie nicht vorrangig die Interessen des Betroffenen schützen soll, sondern die Hoheitsrechte des Mitgliedsstaates, in dem sich der Betroffene aufhält. Dies ergibt sich bereits daraus, dass Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2014/41/EU dem unterrichteten Mitgliedsstaat lediglich die Möglichkeit einräumt, der Maßnahme im Fall eine Unvereinbarkeit mit seinem innerstaatlichen Recht zu widersprechen, die Richtlinie aber keine Pflicht zu einem solchen Widerspruch vorsieht. Der unterrichtete Staat könnte deshalb ohne Verstoß gegen die Richtlinie darauf verzichten, die Maßnahme im Interesse des Betroffenen zu unterbinden. Auch die Erwägungsgründe 31 bis 33 der Richtlinie, die sich auf die Unterrichtungspflicht aus Art. 31 der Richtlinie beziehen, gehen nicht auf einen möglichen Schutz der Interessen des Betroffenen ein.
Das Gewicht eines möglichen Verstoßes gegen deutsche Hoheitsrechte ist dabei dadurch herabgesetzt, dass sich die französischen Maßnahmen nur zu einem geringen Teil auf Encrochat-Nutzer in Deutschland bezogen. Der Verfügung des Ermittlungsrichters in Lille vom 29. April 2020 zufolge waren Geräte in insgesamt 121 Ländern von der Überwachung betroffen, deren genauer Standort sich indes – wie das Protokoll der französischen Kriminalpolizei vom 13. Juni 2020 beschreibt – erst während der laufenden Auswertung herausstellte. Daraus erschließt sich, dass eine Unterrichtung aller 120 betroffenen ausländischen Staaten praktisch kaum durchführbar gewesen sein dürfte und sich das Vorgehen jedenfalls nicht spezifisch gegen deutsche Hoheitsinteressen richtete.
(2) Auch die Umsetzung der Richtlinie in deutsches nationales Recht zeigt, dass der Überprüfung einer von ausländischen Stellen durchgeführten Telekommunikationsweise vergleichsweise geringes Gewicht zukommt.
Bei der Umsetzung der Richtlinie im deutschen nationalen Recht wurde die Widerspruchsmöglichkeit allerdings dahingehend ausgestaltet, dass die deutschen Stellen zur Erhebung eines Widerspruchs verpflichtet sind, wenn die Maßnahme in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt würde (§ 91g Abs. 6 IRG). Diese Regelung soll neben dem Schutz der deutschen Staatssouveränität auch dem Schutz der Grundrechte der betroffenen Person dienen (BT-Drs. 18/9757, S. 75; Schomburg/Lagodny/Schierholt, IRG § 91g Rn. 10). Sie entspricht der bisherigen nationalen Rechtsprechung, wonach vergleichbaren Regelungen eine individualschützende Komponente zumindest im Sinne eines völkerrechtlichen Reflexes infolge der Souveränitätsverletzung des betroffenen Staates beigemessen wird (BGH, Beschluss vom 21. November 2012, 1 StR 310/12, BGHSt 58, 32).
Die Ausgestaltung der nach § 91g Abs. 6 IRG vorzunehmenden Überprüfung erweist jedoch, dass der Kontrolle einer ausländischen Maßnahme keine Bedeutung zukommen soll, die der gerichtlichen Prüfung vor der Anordnung einer innerdeutschen Maßnahme nach der Strafprozessordnung vergleichbar wäre. Denn die Möglichkeiten zur Prüfung des zu Grunde liegenden Fallgeschehens sind von vornherein stark eingeschränkt. Dem zuständigen Gericht ist nämlich anders als in reinen Inlandsfällen eine Prüfung des Tatverdachts und des Verfahrensverlaufes anhand der Ermittlungsakten verschlossen. Gemäß § 91d Abs. 1 IRG und in Übereinstimmung mit Art. 31 Abs. 2 der Richtlinie 2014/41/EU trifft das Gericht seine Entscheidung nur anhand eines vom ersuchenden Staat übermittelten Formblatts, das lediglich eine Zusammenfassung des Sachverhalts enthalten soll. Für diese Zusammenfassung sind zumindest im amtlichen Formblatt lediglich drei Zeilen vorgesehen. Auch die Einholung ergänzender Angaben ist gemäß § 91d Abs. 3 IRG lediglich für Fälle geregelt, in denen das Formblatt unvollständig oder offensichtlich unrichtig ausgefüllt worden ist. Eine darüber hinaus gehende Aufklärung des Sachverhalts durch Nachfragen an den ersuchenden Staat ist auch deshalb kaum umsetzbar, weil die Entscheidung gemäß § 91g Abs. 6 IRG spätestens innerhalb von 96 Stunden zu treffen ist.
(3) Es ist – nicht nur in Anbetracht der eingeschränkten Prüfungsmöglichkeiten – nicht davon auszugehen, dass die Maßnahmen der französischen Behörden aufgrund einer Prüfung nach § 91g Abs. 6 IRG untersagt worden wären.
Insbesondere bestand der nach deutschem Recht für eine vergleichbare Anordnung gemäß §§ 100a, 100b StPO erforderliche Tatverdacht gegen den Angeklagten. Die Ermittlungsmaßnahmen der französischen Behörden stützten sich auf konkrete Erkenntnisse über die Nutzung von Encrochat-Mobiltelefonen in mehreren Ermittlungsverfahren wegen Betäubungsmitteldelikten und auf die Auswertung einer im Dezember 2018 erstellten Kopie der auf einem Encrochat-Server in Roubaix gespeicherten Daten, aus denen sich die Nutzung der Geräte zur Begehung von Betäubungsmittelstraftaten ergab. Selbst wenn diese Auswertungen der französischen Behörden noch keinen unmittelbaren Hinweis auf den als „e…“ auftretenden Angeklagten gegeben haben sollten, stellten sie dennoch eine tatsächliche, über allgemeine Erfahrungssätze hinausgehende Grundlage für den Verdacht dar, dass alle Encrochat-Nutzer das System zur Begehung schwerer Straftaten genutzt haben könnten. Durch die Sichtung der Serverdaten waren die Erkenntnisse nicht nur auf vereinzelte Nutzerdaten beschränkt, sondern ermöglichten eine Gesamtschau der mittels Encrochat abgewickelten Kommunikation. Der Grad des Tatverdachts wurde – wie bereits ausgeführt – dadurch erhöht, dass die Geräte nur zur Kommunikation mit einem äußerst kleinen Nutzerkreis geeignet sind, die hohe Nutzungsvergütung gleichzeitig auf ein erhebliches wirtschaftliches Interesse der Nutzer hindeutet und das System aufgrund der Anonymität der Anbieter keinen verlässlichen Schutz legaler Daten versprechen kann.
Im Übrigen lagen im vorliegenden Fall weitere konkrete Erkenntnisse vor, die eine Sicherung der hier verfahrensgegenständlichen Daten rechtfertigen konnten. Denn ausweislich des polizeilichen Schlussberichts vom 14. April 2021 waren die Encrochat-Geräte des – an den hier maßgeblichen Taten als Zwischenhändler beteiligten – Nutzers „s…“ bereits vor Beginn der Überwachungsmaßnahmen beschlagnahmt und teilweise entschlüsselt worden. Die dabei gesicherten Chatbestandteile ergaben dem Vermerk zufolge bereits, dass dieser in erheblichem Umfang in den organisierten Rauschgifthandel eingebunden war. Auch deshalb hätten die in diesem Verfahren beweiserheblichen Nachrichtenverläufe über die Geräte des „s…“ und seines Kommunikationspartners „l…“ vollständig gesichert werden können.
(4) Auch nach verfassungsrechtlichen Maßstäben wiegt ein Verstoß gegen Art. 31 der Richtlinie 2014/41/EU nicht derart schwer, dass er ein Beweisverwertungsverbot begründen würde.
Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der ursprüngliche Eingriff in die Grundrechte des Angeklagten von den französischen Behörden ausgegangen ist. Bei der Prüfung dieser Maßnahme durch ein deutsches Gericht gemäß § 91g Abs. 6 IRG kommt den nach deutschem Recht gewährleisteten Grundrechten des Angeklagten vergleichsweise geringeres Gewicht zu als bei der Anordnung einer solchen Maßnahme in einem deutschen Verfahren. Denn der Maßstab für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Grundrechtseingriffen durch deutsche staatliche Stellen ist strenger als der Maßstab für die Erfüllung einer grundrechtlichen Pflicht der Bundesrepublik Deutschland zum Schutz ihrer Staatsbürger gegenüber dem Ausland (BVerfG, Beschluss vom 04. September 2008, 2 BvR 1720/03, juris). Auch das Unterbleiben einer entsprechenden Kontrolle wiegt deshalb weniger schwer als das Fehlen einer richterlichen Anordnung in einem innerstaatlichen Verfahren.
Den Grundrechten des Angeklagten auf Wahrung der Vertraulichkeit seiner Kommunikation – die auch durch die Verwertung der Daten im deutschen Strafverfahren berührt sind – kommt im Rahmen der Abwägung im vorliegenden Fall zudem ein vergleichsweise geringeres Gewicht zu, weil von der Überwachung keine besonders schutzwürdigen Kommunikationsinhalte betroffen waren. Der Schutzbereich von Art. 10 Abs. 1 GG erfasst zwar jedweden Inhalt der Kommunikation, bei der Bewertung der Verhältnismäßigkeit kann jedoch die unterschiedliche Persönlichkeitsrelevanz der betroffenen Inhalte berücksichtigt werden (Maunz/Dürig/Durner, GG, Art. 10 Rn. 196).
Hieran gemessen wiegt der Eingriff die Encrochat-Kommunikation des Angeklagten vergleichsweise wenig schwer. Denn diese Kommunikation betraf keine Informationen aus dem persönlichen Lebensbereich des Angeklagten, sondern praktisch ausschließlich Absprachen zum Drogenhandel. Dies zeigt sich anhand der ausgewerteten Chatprotokolle, war aber auch von vornherein zu erwarten. Aufgrund der stark eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten der Encrochat-Geräte und des kleinen Nutzerkreises war absehbar, dass die Geräte lediglich als „Arbeitsmittel“ im Rahmen von Betäubungsmittelgeschäften eingesetzt würden.
(5) Nach alledem hätte es zwar die rechtlich geschützten Interessen des Angeklagten verletzt, wenn die französischen Behörden die zuständigen deutschen Stellen nicht gemäß Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2014/41/EU unterrichtet hätten. Dieser Verstoß wäre aber gemessen an den Wertungen der europäischen Richtlinie wie auch der deutschen Rechtsordnung von vergleichsweise geringerem Gewicht, so dass das Interesse des Angeklagten an der Einhaltung der Unterrichtungsvorgaben hinter dem überwiegenden staatlichen Strafverfolgungsinteresse zurücktreten muss.
4. Zutreffend hat das Landgericht für den Angeklagten das Vorliegen einer Fluchtgefahr im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO angenommen.
Fluchtgefahr ist gegeben, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher macht, dass sich der Angeklagte dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 112 Rn. 17). Die Beurteilung erfordert die Berücksichtigung aller Umstände des Falles, insbesondere der Art der dem Angeklagten vorgeworfenen Tat, der Persönlichkeit des Angeklagten, seiner Lebensverhältnisse, seines Vorlebens und seines Verhaltens vor und nach der Tat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 112, Rn. 19). Der Straferwartung kommt bei der Beurteilung der Fluchtgefahr grundsätzlich maßgebende Bedeutung zu, weil sie das Ausmaß des Fluchtanreizes bestimmt (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 8. April 2019, 3 Ws 102/19, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 112 Rn. 22 m. w. N.). Sie ist Ausgangspunkt für die Erwägung, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass er die Annahme rechtfertigt, der Angeklagte werde ihm nachgeben und wahrscheinlich flüchten. Je höher die konkrete Straferwartung ist, umso gewichtiger müssen die den Fluchtanreiz mindernden Gesichtspunkte sein (vgl. OLG Celle aaO; ebenso KG, StV 2012, 350; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO § 112 Rn. 24 m. w. N.).
Nach diesem Maßstab ist bei dem Angeklagten von einem hohen Fluchtanreiz auszugehen. Denn er hat aufgrund der Taten eine hohe Freiheitsstrafe zu erwarten. Gemäß § 29a Abs. 1 BtMG beträgt die Mindeststrafe für das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge für jede Tat ein Jahr Freiheitsstrafe, das Höchstmaß liegt bei 15 Jahren (§ 38 Abs. 2 StGB). Für den Angeklagten wird sich dabei voraussichtlich besonders strafschärfend auswirken, dass sich die Taten auf zumeist große Menge an Betäubungsmitteln beziehen (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2021, BGHSt 62, 90). Ferner stellt es einen Strafschärfungsgrund dar, dass es sich bei Kokain um eine besonders gefährliche Droge handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juni 2016, NStZ 2016, 614).
Die familiäre Einbindung des Angeklagten können den Fluchtanreiz, der sich aus der hohen Straferwartung ergibt, nicht ausreichend mildern. Denn der Angeklagte muss damit rechnen, im Fall einer Verurteilung ohnehin nur noch eingeschränkten Kontakt mit seiner Familie halten zu können. Diese Aussicht lässt es nicht erwarten, dass er sich dem Verfahren freiwillig stellen würde. Auch seine Berufstätigkeit kann keine ausreichende Bindung begründen, weil er diese nach der Verurteilung zu einer erheblichen Freiheitsstrafe ohnehin aufgeben müsste.
Es sind auch keine milderen Mittel als der Vollzug der Untersuchungshaft ersichtlich, um der Fluchtgefahr wirksam zu begegnen (§ 116 StPO).
5. Angesichts der Schwere der Taten und der im Fall der Verurteilung zu erwartenden Strafe ist die Untersuchungshaft auch weiterhin verhältnismäßig (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
7. Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).