OLG Brandenburg – Az.: 2 Ws 102/21 – Beschluss vom 03.08.2021
1. Gegen den Angeklagten wird die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.
Die Haftkontrolle wird für die Dauer von drei Monaten dem Landgericht Frankfurt (Oder) übertragen.
2. Die weitere Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der 3. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 16. April 2021 ist erledigt.
Gründe
I.
Der Angeklagte befindet sich nach seiner vorläufigen Festnahme vom 16. Januar 2021 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 5. Januar 2021 in Untersuchungshaft. Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat den Haftbefehl am 21. Juli 2021 neu gefasst und verkündet.
Dem Angeklagten wird vorgeworfen, in der Zeit vom 27. März 2020 bis zum 12. Juni 2020 in 23 Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) – davon in einem Fall als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat (§ 30a Abs. 1 BtMG) – sowie in einem Fall gewerbsmäßig mit Betäubungsmitteln gehandelt und Dopingmittel in nicht geringer Menge zum Zweck des Dopings bei Menschen im Sport besessen zu haben (§ 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 BtMG, § 4 Abs. 1 Nr. 3, § 2 Abs. 3, § 5 AntiDopG). Er soll im Tatzeitraum von verschiedenen Lieferanten erhebliche Mengen von Betäubungsmitteln zum gewinnbringenden Weiterverkauf erworben haben, um sich seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Zur Kommunikation mit seinen Lieferanten, Kurierfahrern, Lagerhaltern und Abnehmern soll er unter dem Nutzernamen „k…“ ein abhörgeschütztes „EncroChat“-Mobiltelefon verwendet haben. Der Angeklagte soll bei den Betäubungsmittelgeschäften mit insgesamt 145 kg Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 14.500 g Tetrahydrocannabinol, 1,8 kg Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 1.310 g Kokainhydrochlorid sowie 16 kg Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 1.600 g Amphetaminbase gehandelt haben. Zum Zwecke der wiederholten eigenen Herstellung nicht geringer Mengen von Amphetamin und dem Vertrieb von nicht geringen Mengen Amphetaminöl soll er sich außerdem mit den gesondert verfolgten D… G… und D… W… zusammengeschlossen haben. Wegen der Tatvorwürfe im Einzelnen wird auf den Haftbefehl des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Juli 2021 Bezug genommen.
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) hat unter dem 3. Juni 2021 Anklage zum Landgericht Frankfurt (Oder) – Große Strafkammer – erhoben. Das Landgericht hat durch Beschluss vom 21. Juli 2021 die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Strafkammer hat die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich erachtet und die Akten dem Senat zur Entscheidung nach § 121 f. StPO vorgelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen.
II.
Der Senat entscheidet antragsgemäß, weil die Voraussetzungen für den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft vorliegen.
1. Der Angeklagte ist der ihm zur Last gelegten Straftaten dringend tatverdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO). Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus der in der Anklageschrift zutreffend dargelegten Würdigung der vorliegenden Beweismittel und den ebenso zutreffenden Erwägungen des Landgerichts im Haftbefehl vom 21. Juli 2021 sowie im Beschluss über die Verwerfung der Haftbeschwerde vom 16. April 2021. Der Senat nimmt hierauf Bezug.
Die Verwertung der durch die französischen Ermittlungsbehörden im Zusammenhang mit der Überwachung des Dienstleistungsanbieters für sogenannte Krypto-Handys (EncroChat) durch Entschlüsselung von Chat-Nachrichten gewonnenen, sichergestellten und ausgewerteten Chat-Daten unterliegt keinem Verbot. Der Senat teilt die hierzu in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretene Auffassung (OLG Bremen, Beschl. v. 18. Dezember 2020 – 1 Ws 166/20; OLG Hamburg, Beschl. v. 29. Januar 2021 – 1 WS 2/21 – 7 OBL 3/21; OLG Schleswig, Beschl. v. 29. April 2021 – 2 Ws 47/21; OLG Rostock, Beschl. v. 23. März 2021 – 20 Ws 70/21; ebenso LG Flensburg, Beschl. v 11. Juni 2021 – V Qs 26/21, jeweils zitiert nach Juris) und folgt insoweit nicht der entgegenstehenden, soweit ersichtlich nicht rechtskräftigen Entscheidung des Landgerichts Berlin (Beschl. v. 1. Juli 2021 – [525 KLs] 254 Js 592/20 [10/21]; ein Verwertungsverbot ebenfalls bejahend Wahl ZIS 2021, 452ff.; Derin/Singelnstein NStZ 2021, 449ff.). Hierfür sind für den Senat zusammengefasst im Wesentlichen folgende Überlegungen maßgeblich:
a) Ein zu einem Beweisverwertungsverbot führender Verstoß gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung liegt nicht vor (§ 73 Satz 1 IRG).
Die Art und Weise der in Frankreich betriebenen Beweisgewinnung (näher dargestellt in der Entscheidung OLG Hamburg v. 29. Januar 2021, aaO.) unterliegt dabei nicht uneingeschränkter Überprüfung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht den deutschen Gerichten eine Nachprüfung der im Ausland getroffenen Maßnahmen nach dem dortigen innerstaatlichen Recht grundsätzlich nicht zu, soweit die dortige Beweiserhebung – wie hier – nicht auf einem inländischen Rechtshilfeersuchen beruht (BGH, Beschl. v. 21. November 2012 – 1 StA 310/12; eingehend Pauli NStZ 2021, 146ff.).
Dass die Anordnung der von den französischen Behörden durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen nach bisherigem Erkenntnisstand nicht den Anforderungen zu genügen scheint, die nach deutschem Recht an eine Überwachung des internetbasierten Datenaustausches und der Telekommunikation zu stellen wären, verbietet nach der hierbei zu treffenden Gesamtabwägung nicht die Verwertung der hieraus gewonnenen Erkenntnisse. Dabei ist auf der einen Seite zu berücksichtigen, dass zwar entsprechend der deutschen Rechtsordnung im Hinblick auf die hiermit verbundenen Eingriffe in Grundrechte (Art. 10 GG, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eine Überwachung nur aus Anlass eines konkreten Geschehens und gegen bestimmte Beschuldigte bei Vorliegen eines qualifizierten Verdachtes erlaubt, eine verdachtslose Überwachung der Kommunikation dagegen grundsätzlich unzulässig ist (§§ 100a, b, StPO; BVerfG, Urt. v. 27. Februar 2008 – 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07, NJW 2008, 822). Dass entsprechende in Frankreich angeordnete und gerichtlich beschlossene Ermittlungsmaßnahmen, denen nach derzeitigen Erkenntnissen zunächst anscheinend nicht in jedem Einzelfall ein konkret gegen bestimmte Personen begründeter Verdacht der Begehung schwerwiegender Straftaten zu Grunde lag, in Deutschland so nicht hätten veranlasst werden dürfen, begründet dabei jedoch in der Gesamtschau der hierbei zu würdigenden Umstände noch kein Beweisverwertungsverbot, denn eine Verletzung allgemeiner rechtsstaatlicher und völkerrechtlicher Grundsätze, gemessen u.a. an Art. 6 Abs. 1 EMRK und dem ordre public, liegt nicht vor.
Zum einen erlaubt § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO im Grundsatz und unter bestimmten Voraussetzungen die Verwendung und Verwertung von Daten zur Aufklärung von Straftaten, aufgrund derer Überwachungsmaßnahmen gemäß §§ 100a, b StPO hätten angeordnet werden können (vgl. hierzu OLG Hamburg, OLG Schleswig, aaO.). Dementsprechend stellen im vorliegenden Fall die dem Angeklagten zur Last gelegten Delikte besonders schwerwiegende Katalogtaten im Sinne der Norm dar und die gewonnenen Daten berühren soweit ersichtlich keine den Kernbereich der privaten Lebensführung betreffenden Informationen. Ferner ist insbesondere das hohe Gewicht der dem Angeklagten vorgeworfenen Straftaten und das Ausmaß der durch den Betäubungsmittelhandel bedrohten Rechtsgüter der Gesundheit der Allgemeinheit im Rahmen der hinsichtlich der Zulässigkeit der Beweisverwertung vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen. Darüber hinaus begründete die Nutzung der mit Verschlüsselungstechnik versehenen, hochpreisigen Endgeräte nach derzeitigen Erkenntnissen jedenfalls einen gewissen Anfangsverdacht gegen deren Nutzer, wobei die Geräte nach bisherigen Erkenntnissen auch überwiegend bestimmungsgemäß für Absprachen krimineller Vorhaben verwendet wurden; hierauf deutet auch ein ermittelter „Leitfaden“ zur Vermarktung der offensichtlich nicht von einem regulären Kommunikationsanbieter vertriebenen Geräte hin, gemäß dem Zahlungen vorzugsweise in „Krypto-Währung“ (Bitcoin) erfolgen sollten, man sich gegenüber der Polizei bedeckt halten müsse und zu vermeiden habe, durch mengenmäßig zu große Lieferungen aufzufallen (vgl. hierzu OLG Hamburg, aaO.).
Hinzukommt, dass hier nicht ein Fall vorliegt, bei dem deutsche Behörden durch ein planmäßiges Vorgehen zur Umgehung der maßgeblichen Vorschriften zur Kommunikationsüberwachung an der Datengewinnung mitgewirkt hätten. Vielmehr war Deutschland an den von den französischen Ermittlungsbehörden geführten Operationen nach gegenwärtigem Erkenntnisstand nicht beteiligt. Die ermittelten Daten sind vielmehr ohne vorherige Absprache spontan an die deutsche Polizei übermittelt worden; die deutschen Behörden sind insoweit erst nachträglich aufgrund eines Ersuchens der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main um Genehmigung der Verwendung der übermittelten Daten tätig geworden (vgl. hierzu im Einzelnen OLG Bremen, aaO.). Bei dieser Sachlage ist der Fall einer gezielten und systematischen Umgehung von Vorschriften, die den Einzelnen gegenüber deutschen Behörden vor staatlichen Eingriffen in die verschlüsselte Kommunikation schützen sollen, und der ein Beweisverbot begründen würde (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 9. November 2010 – 2 BvR 2101/09, zitiert nach Juris), nicht gegeben.
b) Ein Verbot der Beweisverwertung ergibt sich auch nicht aufgrund von Verstößen gegen rechtshilferechtliche Bestimmungen zur grenzüberschreitenden Überwachung der Telekommunikation sowie zur Informationsübermittlung.
Soweit nach derzeitigem Ermittlungsstand anzunehmen ist, dass seitens der französischen Behörden für die grenzüberschreitenden Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung eine gemäß Art. 31 der Richtlinie 2014/41/EU über die europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen vom 3. April 2014 (RL EEA) vorgesehene Unterrichtung des Mitgliedstaats, in dem sich die Zielpersonen der Überwachung befanden, unterblieben ist, steht dies der Verwertung der Beweise nicht entgegen. Dass die zuständigen Behörden des unterrichteten Mitgliedstaates in Fällen, in denen die Überwachung in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt würde, hätten widersprechen können, hat hinsichtlich der Zulässigkeit einer Beweisverwertung im unterrichteten Staat keine unmittelbare Bedeutung, sondern vermag nach der Konzeption der Regelung gegebenenfalls einen Beweisausschluss im überwachenden Staat auszulösen (vgl. hierzu Wahl ZIS 2021, 452, 457). Darüber hinaus ist jedenfalls aus den zu a) dargelegten Gründen nicht anzunehmen, dass allgemeine völkerrechtlicher Grundsätze wie das allgemeine Fairnessgebot nach Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht gewahrt wurden und eine Beweisverwertung mit Rücksicht darauf ausgeschlossen wäre (vgl. OLG Bremen, OLG Hamburg, OLG Schleswig aaO.). Dies gilt auch insoweit, als die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main nicht zuständige Bewilligungsbehörde im Verfahren nach Art. 31 RL EEA, § 92d Abs. 1 Nr. 1 IRG war und insoweit aus formalen Gründen eine nachträgliche Heilung des Richtlinienverstoßes nicht herbeiführen konnte (so aber Wahl ZIS 2021, 452, 458).
Darüber hinaus begründet auch der Umstand kein Verwertungsverbot, dass die französischen Behörden den gemäß Art. 7 des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates vom 18. Dezember 2006 (RB-Informationsaustausch) spontan übermittelten Daten anscheinend eine konkrete Verfahrenszuordnung oder bestimmende Zweckbindung nicht beigefügt haben (vgl. OLG Hamburg, aaO. Rn. 112ff., aA Wahl ZIS 2021, 452, 458ff.). Den insoweit entsprechend Art. 1 Nr. 4 RB-Informationsaustausch geltenden Anforderungen, dass im Falle der beabsichtigten Verwendung der Daten als Beweismittel die Einwilligung des Mitgliedstaats einzuholen ist, der die Informationen oder Erkenntnisse bereitgestellt hat, ist durch die am 2. Juni 2020 durch die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main beantragte Europäische Ermittlungsanordnung Genüge getan, aufgrund der die französischen Behörden einer Verwendung der Daten sodann zugestimmt haben; auch handelt es sich bei den übermittelten Daten um solche, bei denen konkrete Gründe für die Annahme bestehen, dass die Informationen und Erkenntnisse dazu beitragen können, die in Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl benannten Delikte aufgeklärt werden können (OLG Bremen, OLG Hamburg, aaO.). Allein aufgrund des Umstandes, dass im Rahmen der pauschal gefassten Europäischen Ermittlungsanordnung einzelne konkretisierte Strafverfahren noch nicht bestimmt worden sind und insoweit auch ein gerichtlicher Beschluss nicht ergangen ist, besteht insoweit unter Berücksichtigung der vorgenannten Abwägungskriterien kein Beweisverwertungsverbot (a.A. aber Wahl ZIS 2021, 458, 460).
c) Entgegen der von der Verteidigung vertretenen Auffassung ist eine Verwertung der Chat-Daten auch nicht im Hinblick darauf ausgeschlossen, dass die zugrunde liegenden „Rohdaten“ (bislang) nicht vorliegen, das konkrete (nachrichtendienstliche) Vorgehen bei der Datengewinnung seitens der französischen Ermittlungsbehörden nicht bekannt ist und die Kommunikationsinhalte von den Endgeräten möglicherweise bereits vor einer Versendung entschlüsselt und gesichert wurden.
Die Frage, inwieweit bei dieser Sachlage der Nachweis der Urheberschaft der Daten geführt (Datenauthentizität) und darüber hinaus belegt werden kann, dass die Kommunikationsinhalte und Standortdaten zu beweiserheblichen Umständen nicht durch Übertragungsfehler oder Manipulationen verändert und verfälscht worden sind (Datenintegrität), ist einer einzelfallbezogenen tatgerichtlichen Bewertung zugänglich und obliegt insoweit der Aufklärung und abschließenden Prüfung des Landgerichts im Rahmen der zu treffenden Beweiswürdigung. Diesbezügliche Einschränkungen hinsichtlich des Beweiswertes der Daten führen insoweit nicht dazu, dass ein generelles Verwertungsverbot anzunehmen wäre. Der Senat teilt die Ansicht der Verteidigung hierzu nicht. Vielmehr ist maßgeblich, dass nach dem gegenwärtigen Ermittlungsergebnis mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass der Angeklagte als EncroChat-Nutzer „k…“ entsprechend und in Übereinstimmung mit den aktenkundigen Datenprotokollen mit den übrigen Tatbeteiligten kommuniziert hat. Die Umstände, die eine Identifizierung des Angeklagten als Urheber der Nachrichten ermöglichen, sind in der Anklageschrift zutreffend dargestellt (S. 17-19). Der Senat teilt im Übrigen die Auffassung der Kammer, dass auch im Hinblick auf die aus den Protokollen ersichtliche Kommunikation der Beteiligten miteinander nach derzeitigem Kenntnisstand nicht plausibel ist, dass der Kommunikationsaustausch nicht im Wesentlichen so stattgefunden hat, wie er dokumentiert ist. Dass die den Betäubungsmittelhandel konkret betreffenden Interaktionen zwischen dem Angeklagten und den weiteren Tatbeteiligten auf durch Übertragungsfehler entstandenen Verfälschungen beruhen sollen, liegt nach derzeitigem Erkenntnisstand fern. Auch wenn die Daten auf den Endgeräten zu einem Zeitpunkt entschlüsselt und gesichert wurden, bevor es zum Versand gekommen ist, spricht aufgrund der einen wechselseitigen Austausch von Mitteilungen beinhaltenden Chatverläufe nichts dafür, dass die Nachrichten gar nicht versandt wurden. Ebenso sind gegenwärtig keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das die Zusammenstellung des Datenmaterials auf bewussten Manipulationen und absichtlichen Fälschungen beruhen könnte und dem Ganzen ein groß angelegter Komplott zugrunde liegt.
2. Beim Angeklagten besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Er hat aufgrund der Schwere der zahlreichen Tatvorwürfe, bei denen angesichts des Umfangs von Menge und Wirkstoffgehalt der gehandelten Betäubungsmittel die Grenze der nicht geringen Menge um ein Vielfaches überschritten worden ist, mit der Verhängung einer hohen Gesamtfreiheitsstrafe zu rechnen. Seine sozialen Bindungen, u.a. zu seiner Freundin und seiner Mutter, können den angesichts der Straferwartung bestehenden hohen Fluchtanreiz nicht entkräften, zumal er einer regelmäßigen beruflichen Tätigkeit nicht nachgeht und darüber hinaus naheliegend ist, dass er über finanzielle Mittel aus Drogengeschäften verfügt, die ihm eine Flucht ermöglichen könnten. Bei dieser Sachlage kann der Zweck der Untersuchungshaft auch nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen gemäß § 116 Abs. 1 StPO erreicht werden.
3. Wichtige Gründe im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO haben bislang eine Verurteilung nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus.
Die Ermittlungen sind aufgrund des großen Umfangs der Sache bis zur Anklageerhebung und Vorlage der Sache an den Senat ohne durchgreifende Verstöße gegen das in Haftsachen geltende besondere Beschleunigungsgebot gefördert worden (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, Art. 5 Abs. 3 Satz 2 MRK). Auch ist das Verfahren beim Landgericht nach Eingang der Anklageschrift am 16. Juni 2021 und deren umgehender Übermittlung an den Angeklagten und die Verteidiger am 18. Juni 2021 zur Stellungnahme binnen drei Wochen zügig betrieben worden. Das Landgericht hat im Hinblick auf den großen Umfang des zugrunde liegenden Aktenmaterials, die Vielzahl der zu prüfenden Chatdaten und sonstigen Ermittlungsergebnisse ausreichend zeitnah am 21. Juli 2021 die Eröffnung beschlossen.
Dass mit der Hauptverhandlung erst am 29. September 2021 (mit Fortsetzungsterminen am 1., 11., 13., 18., und 25. Oktober 2021) begonnen werden kann, beruht u.a. darauf, dass entsprechend einem Vermerk des Strafkammervorsitzenden vom 28. Juni 2021 die Kammermitglieder von Mitte August bis zum 17. September 2021 Jahresurlaub haben und sodann Terminsabstimmungen mit den Verteidigern unter Berücksichtigung eines frühestmöglichen Termins ab dem 20. September 2021 zu berücksichtigen seien. Der daraus ersichtliche Verfahrens- und Zeitablauf begründet noch keinen durchgreifenden Verstoß gegen das Gebot besonderer Beschleunigung.
Strafgerichte haben alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um eine gerichtliche Entscheidung über die einem Angeklagten vorgeworfenen Taten herbeizuführen, wobei an den zügigen Fortgang des Verfahrens umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. Angesichts der besonderen Bedeutung des Beschleunigungsgebots bei der Behandlung von Haftsachen ist der Begriff „anderer wichtiger Grund“ im Sinne von § 121 Abs. 1 StPO eng auszulegen. Es kommen nur Gründe von solchem Gewicht in Betracht, die es rechtfertigen, das Beschleunigungsinteresse und den Freiheitsanspruch des Angeklagten hinter den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zurücktreten zu lassen (BVerfGE 36, 264, 274). Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen (vgl. BVerfGK 17, 517, 523; BVerfG, Beschl. v. 17. Januar 2013 – 2 BvR 2098/12, zitiert nach Juris).
Mit Rücksicht darauf begegnet die Terminierung drei Monate und zwei Wochen nach Anklageerhebung angesichts der Komplexität der Sache noch keine durchgreifenden Bedenken. Dass die Mitglieder des Spruchkörpers Erholungsurlaub in Anspruch nehmen, den sie offensichtlich zur Verkürzung auftretender Verhinderungszeiten auch parallel gelegt haben, begründet dabei im Ergebnis keine unzumutbare Verzögerung. Das Verfahren und die Durchführung der Hauptverhandlungstermine sind im Übrigen seitens des Strafkammervorsitzenden bereits frühzeitig und unter Berücksichtigung schnellstmöglicher Förderung geplant und organisiert worden.
Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung für den Angeklagten zu erwartenden hohen Freiheitsstrafe nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Bei Abwägung der Freiheitsgrundrechte des Angeklagten mit dem Gebot einer effektiven Strafverfolgung überwiegt der Gesichtspunkt der Gewährleistung eines verfahrensmäßigen Abschlusses der Strafsache, weil dem Angeklagten eine schwerwiegende Straftat zur Last gelegt wird und die Förderung des Verfahrens dem besonderen Beschleunigungsgebot gerecht wird.
Die Übertragung der Haftkontrolle beruht auf § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.
4. Die weitere Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts vom 16. April 2021 über die Verwerfung der Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 5. Januar 2021 ist aufgrund prozessualer Überholung gegenstandslos, nachdem das Landgericht am 21. Juli 2021 einen neu gefassten Haftbefehl erlassen hat. Im Übrigen ist das Rechtsmittel auch aufgrund der Entscheidung des Senats gemäß §§ 121, 122 StPO gegenstandslos und für erledigt zu erklären (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 64. Auflage, § 122 Rn 18 m.w.N.).