LG Saarbrücken, Az.: 2 Qs 26/16, Beschluss vom 20.09.2016
1. Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Saarbrücken wird der Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken vom 21. Juni 2016 (7 Gs 1876/16) dahin abgeändert, dass die Befristung der vorläufigen Sicherstellung zur Durchsicht entfällt.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken führt gegen die Beschuldigten K. und T. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB). Den Beschuldigten, die Geschäftsführer der A. bzw. der mit dieser am 25.08.2014 verschmolzenen W. waren, wird vorgeworfen, in der Zeit zwischen März 2010 bis August 2013 den Zeugen J. angestellt und die fälligen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung nicht abgeführt zu haben. Die aufgrund der Gehaltszahlungen erfolgte Berechnung führte für die Monate August 2011 bis August 2013 zu vorenthaltenen Sozialversicherungsbeträgen in Höhe von insgesamt 28.180,06 €. Für den Zeitraum März 2010 bis August 2011 konnte eine Berechnung bislang nicht durchgeführt werden.
Daneben wird den Beschuldigten K. und T. vorgeworfen, sich wegen Bankrotts (§ 283 StGB) strafbar gemacht zu haben, indem sie die angefallenen Löhne und Lohnnebenkosten des Zeugen J. nicht nach den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Buchführung bilanziert sowie durch die Verlegung des Firmensitzes in die Räumlichkeiten eines Büroservices und die Einsetzung eines Scheingeschäftsführers die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft verschleiert haben. Überdies hätten es die Beschuldigten K. und T. vorsätzlich unterlassen, den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der A. bzw. W. zu stellen, obwohl die Gesellschaften zahlungsunfähig gewesen seien. Gegen den Beschuldigten L., der im Jahr 2005 director der W. war, ermittelt die Staatsanwaltschaft ebenfalls wegen des Verdachts der Insolvenzverschleppung.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das Amtsgericht Saarbrücken die Durchsuchung der P. Steuerberatungsgesellschaft […] an. Im Rahmen der Durchsuchung wurden unter anderem Unterlagen mit Bezug zur A. aufgefunden. Aufgrund der von den Geschäftsführern der P. [Steuerberatungsgesellschaft] erhobenen Widersprüche hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 21. Juni 2016 die vorläufige Sicherstellung der Gegenstände und deren Durchsicht bis zum 31. Dezember 2016 bestätigt. Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft Saarbrücken am 28. Juli 2016 Beschwerde eingelegt, mit der sie sich gegen die zeitliche Befristung der vorläufigen Sicherstellung wendet. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Es ist der Ansicht, dass die zeitliche Befristung der vorläufigen Sicherstellung „zwingende Folge der Inhaftierung der Betroffenen“ sei, da nur eine zügige Durchsicht deren Rechte wahre. Es könne dem Ermittlungsrichter nicht verwehrt sein, „durch eine Befristung der Genehmigung die Staatsanwaltschaft […] zur Stellung eines neuerlichen Antrags auf Genehmigung nach Fristablauf zu zwingen“.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
1. Gegen die in entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO erfolgte Bestätigung der Sicherstellung ist die Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO statthaft (Bruns, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 110 Rn. 9).
2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Die in dem angefochtenen Beschluss vorgenommene zeitliche Befristung für die Durchsicht der vorläufig sichergestellten Unterlagen ist rechtswidrig.
Die Durchsicht nach § 110 StPO dient dazu, die als Beweisgegenstände in Betracht kommenden Aufzeichnungen, gleichgültig auf welchem Informationsträger sie festgehalten sind, inhaltlich darauf zu prüfen, ob die richterliche Beschlagnahme zu beantragen ist oder ob die Rückgabe erfolgen muss (BGH, NStZ 2003, 670, 671; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 110 Rn. 2 mwN). Die Strafverfolgungsorgane sind insoweit zwar verpflichtet, die Durchsicht zügig durchzuführen (vgl. BGH, NStZ 2003, 670). Das Gesetz enthält indes keine Vorschrift über die zulässige Höchstdauer einer vorläufigen Sicherstellung.
Der strafrechtliche Beschleunigungsgrundsatz, dem in Haftsachen besondere Bedeutung zukommt (vgl. Fischer, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., Einleitung Rn. 33), bietet nach Auffassung der Kammer keine rechtliche Grundlage, die Dauer der Durchsicht gemäß § 110 StPO in Anlehnung an die Vorschrift des § 121 StPO zu befristen (anders Burhoff, in: Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 7. Aufl., Rn. 1524). Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke, die Voraussetzung einer entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift wäre. Zudem stellt sich der mit der Anordnung der Untersuchungshaft verbundene Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG als weitaus schwerwiegender dar als die Eingriffswirkung des § 110 StPO, die sich auf die Fortdauer des Sachentzugs beschränkt (vgl. BVerfG, NJW 2002, 1410, 1411). Die für den Vollzug der Untersuchungshaft geltenden Vorschriften sind deshalb nicht ohne Weiteres auf andere, weniger intensive Eingriffsmaßnahmen übertragbar. Auch die von dem Bundesverfassungsgericht zur zeitlichen Geltung von Durchsuchungsbeschlüssen aufgestellten Grundsätze (BVerfGE 96, 44, 51 ff.) sind auf die Phase der Durchsicht von Unterlagen nach § 110 StPO nicht anzuwenden (BVerfG, NJW 2002, 1410, 1411; aA Hoffmann/Wißmann, NStZ 1998, 443, 444).
Welcher Zeitraum für die Durchsicht angemessen erscheint, beurteilt sich vielmehr im Wege einer Abwägung nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei ist zum einen von Bedeutung, ob der mit der Fortdauer der Sicherstellung verbundene Eingriff noch in einem angemessenen Verhältnis zur Stärke des Tatverdachts und der Schwere der in Rede stehenden Straftaten steht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 2008 – 2 BvR 1111/08). Zum anderen ist aber auch der Grund für die lange Dauer der Maßnahme in die Abwägung einzustellen (BVerfG, NJW 2002, 1410, 1411). So bestimmt sich die Dauer der zur Durchsicht erforderlichen Zeitspanne nicht zuletzt nach dem Umfang der sichergestellten Unterlagen und der Schwierigkeit der Auswertung (LG Frankfurt a.M., NJW 1997, 1170; Hadamitzky, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 2. Aufl., § 110 Rn. 8; Hauschild, in: Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, 1. Aufl., § 110 Rn. 10). Bereits aus diesem Grund erscheint eine abstrakte zeitliche Befristung nicht angezeigt (vgl. HK-Gercke, StPO, 5. Aufl., § 110 Rn. 10; Tsambikakis, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 110 Rn. 22; Ladiges, in: Radtke/Hohmann, StPO, § 110 Rn. 20 mwN).
Es kommt hinzu, dass die Entscheidung, in welchem Umfang die inhaltliche Durchsicht des aufgefundenen Materials notwendig ist, wie sie im Einzelnen zu gestalten und wann sie zu beenden ist, der Entscheidung der Staatsanwaltschaft unterliegt, die hierbei einen Ermessensspielraum hat (vgl. BVerfG, NJW 2002, 1410, 1411; NJW 2003, 2669, 2671; BGH, NJW 1995, 3397). Dieser Ermessenspielraum wird nicht beachtet, wenn in dem Beschluss, der die vorläufige Sicherung zum Zwecke der Durchsicht bestätigt, eine – wenn auch vorläufige – zeitliche Befristung erfolgt.
Die unangemessen lange Dauer einer vorläufigen Sicherstellung kann zwar in entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO sowie gegebenenfalls im Beschwerdeverfahren nach § 304 StPO gerichtlich überprüft werden (BVerfG, NStZ-RR 2002, 144, 145; BGH, NStZ 2003, 670, 671; vgl. auch Tsambikakis, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 110 Rn. 28). Hierdurch wird dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der einen rechtlich zulässigen strafprozessualen Eingriff hinsichtlich seiner Vollziehung und Dauer begrenzt (Fischer, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., Einleitung Rn. 162), Rechnung getragen. Da sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keine allgemeingültigen starren Zeitgrenzen für die Auswertung von Beweismitteln ableiten lassen (LG Ravensburg, NStZ-RR 2014, 348), beschränkt sich die gerichtliche Überprüfung darauf, ob die Staatsanwaltschaft die rechtlichen Grenzen des ihr zustehenden Ermessens eingehalten hat (vgl. BVerfG, NJW 2002, 1410, 1411). Der Ermittlungsrichter ist daher nicht befugt, eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, indem er mit der Anordnung oder Bestätigung der vorläufigen Sicherstellung zugleich deren zulässige Höchstdauer festlegt. Durch eine solche Befristung der Durchsichtsermächtigung kann überdies die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht gewährleistet werden. So kann durch eine vorab angeordnete Befristung insbesondere nicht sichergestellt werden, dass die Durchsicht auch tatsächlich zügig durchgeführt wird. Stellt sich etwa im Rahmen der Durchsicht heraus, dass diese binnen kürzerer Zeit als von dem Ermittlungsrichter veranschlagt beendet werden könnte und die Frist daher zu lang bemessen worden ist, wäre es den Ermittlungsbehörden gleichwohl möglich, die ihnen vorab zugebilligte Frist – etwa aufgrund Überlastung oder anderer vordringlicher Ermittlungsmaßnahmen – auszuschöpfen. Auch der Betroffene wird angesichts der zeitlichen Befristung keinen Grund haben, eine unzulässig lange Dauer der Durchsicht vor Ablauf der gesetzten Frist zu rügen.
Die im angefochtenen Beschluss enthaltene Fristsetzung hat daher zu entfallen (§ 309 Abs. 2 StPO).
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 59. Aufl., § 464 Rn. 2; § 473 Rn. 2).