LG Neuruppin – Az.: 11 Qs 74/11 – Beschluss vom 24.01.2012
In dem Kostenfestsetzungsverfahren … wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgericht Oranienburg vom 30.09.2011 (betreffend den ersten und zweiten Rechtszug) auf die Beschwerde des Adhäsionsklägers dahin abgeändert, dass ihm vom Verurteilten ein Betrag von 3.446,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 8. Dezember 2008 zu erstatten ist. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde des Adhäsionsklägers als unbegründet verworfen.
Von den Kosten der Beschwerde und den dem Adhäsionskläger im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt der Verurteilte ein Zehntel. Im Übrigen trägt der Adhäsionskläger die Beschwerdekosten und die dem Verurteilten entstandenen notwendigen Auslagen in Höhe von neun Zehnteln.
Der Beschwerdewert wird auf 2.374,10 € festgesetzt.
Gründe
Der Beschwerdeführer war am vorliegenden Strafverfahren als Adhäsionskläger beteiligt. Er machte eine Schadensersatzforderung von 9.806,73 € gegen den letztlich rechtskräftig verurteilten Angeklagten, den jetzigen Beschwerdegegner, geltend. Im Hauptverfahren vor dem Amtsgericht Oranienburg war der Beschwerdegegner nach sechs Verhandlungsterminen freigesprochen worden. Über den Adhäsionsanspruch war dementsprechend nicht entschieden worden. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft ist der Beschwerdegegner am zweiten Tag der Berufungshauptverhandlung wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden. Dem Adhäsionsanspruch des Beschwerdeführers ist hier nur dem Grunde nach stattgegeben worden. Wegen der Höhe hat das Berufungsgericht keine Entscheidung getroffen. Die Revision des Beschwerdegegners gegen das Urteil war erfolglos, so dass die Entscheidung des Berufungsgerichts, wonach der Beschwerdeführer auch die Kosten des Adhäsionsverfahrens zu tragen hat, seit dem 29.09.2001 rechtskräftig ist.
Schon vor Eintritt der Rechtskraft (eingehend am 8. Dezember 2008) hatte der Beschwerdeführer durch seinen Verfahrensbevollmächtigten beantragt, seine notwendigen Auslagen gegen den Beschwerdegegner in Höhe von 5.576,15 € nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz festzusetzen. Bei dem Hauptanspruch handelt es sich ausschließlich um die Anwaltsvergütung des Adhäsionsklägervertreters, die in Höhe von insgesamt 2.866,71 € (brutto) aus Reise- und Abwesenheitskosten besteht.
Nach Anhörung des Beschwerdegegners hat das Amtsgericht mit dem angefochtenen Beschluss die erstattungsfähigen notwendigen Auslagen des Adhäsionsklägers auf lediglich 3.225,85 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.09.2009, dem Tage der Rechtskraft des Urteils, festgesetzt und im Übrigen das Kostenfestsetzungsgesuch verworfen. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass der Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren ein Streitwert von lediglich 7.646,37 € zugrunde zu legen war, weil der Adhäsionskläger im Schlussantrag seine Forderung auf diesen Betrag reduziert habe. Die vom Anwalt liquidierten Reise- und Abwesenheitskosten seien nur in Höhe der Kosten für fiktive Informationsreisen des Adhäsionsklägers zu einem am Sitz des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalt zu erstatten, was sich aus § 91 Abs. 2 ZPO ergebe. Dem Verzinsungsantrag sei erst ab Rechtskraft des Urteils stattzugeben.
Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Beschwerde, mit der er die Festsetzung weiterer 2.374,10 € verlangt. Das Rechtsmittel ist nur zum Teil, wie aus dem Beschlusstenor ersichtlich, begründet und war im Übrigen als unbegründet zu verwerfen.
1.
Soweit der Adhäsionsklägervertreter für die Berufungsinstanz unter Zugrundelegung eines Streitwertes von 9.806,73 € eine Gebühr nach Nr. 4144 VV RVG in Höhe von 1.215,00 € liquidiert hat, ist dies nicht zu beanstanden. Inzwischen hat die Berufungskammer eine ent-sprechende Streitwertfestsetzung vorgenommen. Insoweit hat die Beschwerde Erfolg.
2.
Das Landgericht Neuruppin vertritt für die Strafsachen in ständiger Rechtsprechung, dass die Reise- und Abwesenheitskosten eines außerhalb des Gerichtsbezirks ansässigen Verteidigers nach §§ 464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO, 91 Abs. 2 ZPO nur dann erstattungsfähig sind, wenn dessen Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig war. Eine solche Notwendigkeit besteht grundsätzlich nur, wenn für die Verteidigung ein Rechtsanwalt mit Spezialkenntnissen erforderlich ist und ein solcher sich im Gerichtsbezirk nicht finden lässt.
Für den Bereich der Zivilgerichtsbarkeit ist der BGH von dem Wortlaut des § 91 Abs. 2 ZPO dahin abgewichen, dass die Beauftragung eines außerhalb des Gerichtsbezirks am Wohnort der Partei ansässigen Rechtsanwalts in der Regel als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen sei, so dass dessen Reise- und Abwesenheitskosten von der unterlegenen Partei zu erstatten seien (vgl. Zöller ZPO 29. Aufl. 2012 § 91 Rdn. 3). Diese – den Wortlaut des Gesetzes aushöhlende – Rechtsprechung war nicht für das Strafverfahren zu übernehmen. Das Strafverfahren unterscheidet sich bedeutsam vom Zivilverfahren. Anders als im Zivilverfahren unterstehen die Kosten des Strafverfahrens nicht oder kaum dem Einfluss der Parteien. Während Kläger und Beklagter im Zivilrechtsstreit vielfältige Einflussmöglichkeiten auf die Höhe der Verfahrenskosten haben, indem sie zum Beispiel den Streitwert begrenzen, besonders kostspielige Beweiserhebungen zu vermeiden versuchen, Vergleiche abschließen, Anerkenntnisse oder Teilanerkenntnisse aussprechen oder gar Versäumnisurteile ergehen lassen, sind solche Möglichkeiten für die Beteiligten am Strafprozess weitestgehend ausgeschlossen. Im Strafprozess wird ohne besondere Rücksicht auf die Kosten von Amts wegen die Wahrheit ermittelt, koste es unter Umständen viele Verhandlungstage. Die im Falle eines Freispruchs regelmäßig erstattungspflichtige Landeskasse ist dabei ohne jeden Einfluss auf die Gestaltung des Prozesses. Den Angeklagten ist es aus diesem Grund regelmäßig zumutbar, die Kosten der Verteidigung nach Möglichkeit dadurch zu mindern, dass sie einen gerichtsnahen Verteidiger wählen, der keinen Anspruch auf Reise- und Abwesenheitskosten hat, oder aber in Kauf zu nehmen, nicht den vollen Betrag der Rechtsanwaltsvergütung erstattet zu erhalten.
Für das Adhäsionsverfahren kann nichts anderes gelten. Zwar geht es hierbei, wie im Zivilprozess, um die Durchsetzung bürgerlich-rechtlicher Ansprüche, und erstattungspflichtig ist auch nicht die Landeskasse, sondern der am Verfahren beteiligte Angeklagte, wenn und soweit er antragsgemäß verurteilt wird. Jedoch folgt das Verfahren den strafprozessualen Grundsätzen, und die Beteiligten haben keinen bedeutenden Einfluss auf den Verlauf des Verfahrens, insbesondere nicht auf eine im Kosteninteresse etwa wünschenswerte Abkürzung des Verfahrens. Der Angeklagte, der von seinem Recht zu schweigen Gebrauch macht oder den Vorwurf bestreitet, könnte beispielsweise die ihn im Verurteilungsfall nach § 472 a StPO treffenden notwendigen Auslagen des Adhäsionsklägers nicht dadurch gering halten, dass er dessen Anspruch schon anfänglich einfach anerkennt oder auf bestimmte kostspielige Beweiserhebungen verzichtet, ohne dass seine Verteidigungsstrategie dadurch erheblich an Plausibilität und Effektivität verlöre. Der Angeklagte, der nicht sogleich ein Geständnis ablegt und den Adhäsionsanspruch des Verletzten anerkennt, muss also zwangsläufig mit ansehen, wie nicht nur die Kosten seiner eigenen Verteidigung, sondern eben auch die Kosten des von einem auswärtigen Rechtsanwalt vertretenen Adhäsionsklägers von Termin zu Termin steigen. Seine Rechtsstellung ist daher nicht vergleichbar mit der einer der Parteien im Zivilprozess.
Die Reise- und Abwesenheitskosten des Adhäsionsklägervertreters sind daher regelmäßig nur insoweit erstattungsfähig, als Kosten im Falle der Beauftragung eines am Ort des Gerichts ansässigen Rechtsanwalts entstanden wären. Im vorliegenden Fall hätte der Adhäsionskläger einmal zur Beauftragung und ausführlichen Information zu einem in Oranienburg ansässigen Rechtsanwalt reisen müssen. Dieser Rechtsanwalt hätte die sechs Termine am Amtsgericht Oranienburg wahrgenommen, ohne dass Reise- und Abwesenheitskosten entstanden wären.
Für die Berufungsverhandlung hätte der Adhäsionskläger allerdings nicht auf einen in Neuruppin ansässigen Rechtsanwalt wechseln müssen. Erstattungsfähig sind daher auch die fiktiven Kosten für zwei Fahrten eines Rechtsanwaltes von Oranienburg zu den Verhandlungen beim Landgericht Neuruppin. Die Höhe der erstattungsfähigen Reise- und Abwesenheitskosten errechnet sich demnach wie folgt:
Eine fiktive Reise des Adhäsionsklägers zu einem Rechtsanwalt
nach Oranienburg: 802 km x 0,25 € = 200,50 €
eine Übernachtung in Oranienburg § 6 Abs. 1 JVEG, § 7 BRKG 50,00 €
Tagegeld nach § 6 Abs. 1 JVEG, § 4 EStG 24,00 €
Zwei fiktive Reisen eines Oranienburger Rechtsanwalts zu den Berufungsverhandlungen
in Neuruppin 2 x 107 km zu je 0,30 € 64,20 €
Abwesenheitskosten 2 x 35,00 € 70,00 € 408,70 €
Da das Amtsgericht unangefochten einen höheren Betrag zugesprochen hat, muss dieser angesetzt werden: 618,96 €
3.
Der Ausspruch des Amtsgerichts, dass der festgesetzte Erstattungsanspruch erst ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils zu verzinsen ist, wird – jedenfalls für den gegen den Angeklagten gerichteten Erstattungsanspruch des Adhäsionsklägers – vom Gesetzeswortlaut der §§ 464 b Satz 2 StPO, 104 Abs. 1 S. 2 ZPO nicht getragen. Nach dem Gesetzeswortlaut kann der Verzinsungsbeginn vor Eintritt der Rechtskraft liegen, wenn das Festsetzungsgesuch – wie vorliegend – vorher angebracht worden ist. Der Zinsbeginn war demnach auf den 8. Dezember 2008 festzusetzen.
4.
Die vom Beschwerdegegner zu erstattenden notwendigen Auslagen des Adhäsionsklägers werden nach alledem wie folgt festgesetzt:
Gebühr nach Nr. 4143 VV RVG 972,00 €
Gebühr nach Nr. 4144 VV RVG 1.215,00 €
Reise- und Abwesenheitskosten nach Nrn. 7003 u. 7005 618,96 €
Telekommunikationspauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
Dokumentenpauschale Nr. 7000 Nr. 1 a VV RVG 29,50 €
Zwischensumme netto 2.855,46 €
19 % Umsatzsteuer 542,54 €
Auslagen für Aktenübersendung brutto 48,00 €
zu erstattender Betrag 3.446,00 €
Hinsichtlich der Frage der Erstattungsfähigkeit der Reise- und Abwesenheitskosten des Adhäsionsklägervertreters wird gemäß §§ 464 b Satz 3 StPO, 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 ZPO die Rechtsbeschwerde zugelassen.