AG Düsseldorf, Az.: 135 Ls – 70 Js 284/16 – 36/16, Urteil vom 06.06.2016
Der Angeklagte B ist der sexuellen Nötigung schuldig.
Er wird zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
Die Kosten des Verfahrens sowie seine eigenen notwendigen Auslagen trägt der Angeklagte.
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Düsseldorf vom 07.01.2016, 135 Gs 8/16, wird aufgehoben. Die Vollziehung der Aufhebung des Haftbefehls wird ausgesetzt.
Angewendete Vorschriften: §§ 177 Abs. 1, 56 Abs. 1 und Abs. 2 StGB
Gründe
I.
Der Angeklagte ist im Herbst 2015 nach Deutschland gekommen. Eine Kontrolle erfolgte bei seiner Einreise nicht. Bereits zuvor war er schon in Deutschland gewesen, hatte allerdings das Bundesgebiet wieder verlassen und war in seine Heimat, Irak, zurückgekehrt. Bei dieser früheren Einreise hatte er Aliaspersonalien verwendet. Im nunmehrigen Verfahren hat er die Falschheit der Aliaspersonalien immer eingeräumt. Er war zur Tatzeit und zum Zeitpunkt seiner Festnahme im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis für Schweden.
Der Angeklagte hat keine Geschwister, die Eltern sind verstorben. Nach eigenen, unbestätigten Angaben, hat er im Irak gegen den sogenannten „IS“ gekämpft. Die Schule hat er bis zur sechsten Klasse besucht, einen Beruf hat er nicht erlernt. Einen Asylantrag hat er bereits im Dezember 2015 gestellt, dieser ist immer noch nicht beschieden. Er beabsichtigt in Deutschland zu bleiben.
Er ist strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten.
Der Angeklagte befindet sich seit dem 07.01.2016 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Düsseldorf vom selben Tage in Untersuchungshaft. Es ist seine erste Hafterfahrung.
II.
In der Nacht vom 05.01.2016 auf den 06.01.2016 hielt der Angeklagte sich um etwa 2:00 Uhr mit zwei Bekannten am Hauptbahnhof in E auf. Ebenfalls am Hauptbahnhof aufhältig war die im Juni 2000 geborene Geschädigte E. Das Alter der Geschädigten ist ihr anzusehen. Die Geschädigte war, wie in der Vergangenheit schon öfters, aus dem Elternhaus in N entwichen und streunte ohne Ziel durch E. Der Angeklagte und seine Begleiter trafen auf die Geschädigte und man kam ins Gespräch. Ohne dass es hier eines Zwangs oder sonstiger Beeinflussung durch den Angeklagten gegeben hätte, kaufte der Angeklagte sich und der Geschädigten im Bahnhof ein Bier. Der Angeklagte und die Geschädigte wandelten durch den Hauptbahnhof, unterhielten sich und tranken das erworbene Getränk. Rund 35 Minuten, nachdem man das Bier erworben hatte, begab man sich zu einer Sitzbank an Gleis 16 und setzten sich auf diese. Einer der Begleiter nahm neben den beiden Platz. Der Angeklagte saß zunächst mit dem Rücken zur Rückenlehne, die Geschädigte setzte sich zunächst mit dem Rücken zum Angeklagten auf dessen Schoß, setzte sich dann aber nach wenigen Sekunden um, so dass sie mit ihrer Vorderseite zum Angeklagten hin auf dessen Schoß saß und beide sich angucken konnten. Der Angeklagte hat keine Gewalt angewendet, damit die Geschädigte sich so auf seine Schoß setzt. Die Geschädigte und der Angeklagte fassten sich im beiderseitigen Einvernehmen an den Händen und man wippte mit dem Oberkörper hin und her, die Hände bisweilen in die Höhe über die Köpfe gestreckt. Mehrfach kommen die Köpfe des Angeklagten und der Geschädigten sich nahe, ohne dass es zu einer Berührung kommt.
Etwa eine Minute, nachdem der Angeklagte und die Geschädigte sich hingesetzt hatten, versuchte der Angeklagte die Geschädigte zu küssen. Einem ersten Versuch des Geschädigten konnte sie durch Abwenden und Ausweichen noch entkommen. Bei einem zweiten Versuch aber gelang es dem Angeklagten, die Geschädigte zu küssen. Er gab ihr einen Zungenkuss. Die Geschädigte konnte dem nicht ausweichen, da der Angeklagte sie durch Festhalten – die Hände waren immer noch ineinander verschränkt – und an leichtes sich Heranziehen hieran hinderte. Durch ihr vorheriges Ausweichen und Abwenden war dem Angeklagten aber klar, dass die Geschädigte einen Kuss nicht wollte und versuchte diesem auszuweichen. Er handelte dennoch. Nach dem Kuss ließ er von der Geschädigten ab.
Bei dem Angeklagten wurde um 05:00 Uhr eine Atemalkoholkonzentration von 0,1 Promille festgestellt. Bei der Geschädigten wurde um 04:55 Uhr eine Atemalkoholkonzentration von 0,27 Promille festgestellt.
III.
Eine Verständigung hat nicht stattgefunden.
Die Feststellungen zur Person des Angeklagten beruhen auf dessen Angaben in der Hauptverhandlung.
Die Feststellungen zum Tatgeschehen beruhen auf der geständigen Einlassung des Angeklagten und den in Augenschein genommenen Aufnahmen der Überwachungskameras am Hauptbahnhof.
Der Angeklagte räumt ohne Umschweife ein, dass er auf die Geschädigte getroffen und es letztendlich zur festgestellten Handlung gekommen sei. Seine Einlassung erfolgt vor Inaugenscheinnahme der Tatvideos. Mit seiner Einlassung hat er die Geschehnisse so eingeräumt, wie sie auch in der Anklage der Staatsanwaltschaft vom 13.01.2016 dargelegt sind. Auf den Videos ist die Tathandlung in der oben beschriebenen Weise zu erkennen. Es ist gerade nicht zu erkennen, dass der Angeklagte die Geschädigte mit Gewalt zu sich zog oder daran hinderte aufzustehen. Auch eine deutliche Gegenwehr der Geschädigten ist den Videos nicht zu entnehmen. Vielmehr ist festzustellen, dass sich das Geschehen dynamisch entwickelte und der Angeklagte erst mit dem Versuch des einen und dem letztendlich gelungenen Kuss eine Handlung gegen den Willen der Geschädigten vornahm und hierbei die Situation insoweit ausnutzte, als dass die Geschädigte ob der Sitzposition und dem Händehalten nicht in der Lage war, dem Angeklagten auszuweichen.
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung mehr eingeräumt, als ihm letztendlich zu beweisen war. Dies tat er der Erklärung seines Verteidigers nach, um der Geschädigten die zeugenschaftliche Vernehmung in der öffentlichen Hauptverhandlung zu ersparen.
Von einer weiteren Beweiswürdigung wird abgesehen, § 267 Abs. 4 StPO.
IV.
Der Angeklagte ist der sexuellen Nötigung nach § 177 Abs. 1 StGB zum Nachteil der Geschädigten E schuldig. Der Kuss ist eine sexuelle Handlung. Der Angeklagte hat die Geschädigte festgehalten und den Kuss durch das Festhalten gegen ihren Willen ermöglicht. Ein Zungenkuss ist keine von § 177 Abs. 2 StGB erfasste dem Beischlaf ähnliche sexuelle Handlung.
Ein minder schwerer Fall nach § 177 Abs. 5 StGB liegt nicht vor. Bei der Bewertung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, sind sämtliche Tatumstände heranzuziehen. Bei dem Altersunterschied des Angeklagten und der Geschädigten liegt ein minder schwerer Fall nicht vor.
V.
Die sexuelle Nötigung nach § 177 Abs. 1 StGB ist zu ahnden mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.
Für die Bemessung der konkreten Strafe war von § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB auszugehen, nach welchem die Schuld des Täters die Grundlage für die Zumessung der Strafe ist.
Zu Gunsten des Angeklagten war insbesondere zu berücksichtigen, dass er bislang noch nicht in Erscheinung getreten ist und sich geständig eingelassen hat, wobei die Einlassung noch weiter ging, als letztendlich festgestellt werden kann. Diese umfassende Einlassung, und dies ist in besonderem Maße zu seinen Gunsten festzustellen, erfolgte, um der Geschädigten eine Aussage zu ersparen. Bei dieser Aussage, welche grundsätzlich in öffentlicher Hauptverhandlung zu erfolgen hätte, hätte sie sich auch zu ihrem Entweichen aus dem Elternhaus und ggf. den dortigen Problemen äußern müssen. Zu seinen Lasten musste vor allem Berücksichtigung finden, dass es sich bei der Geschädigten um eine Jugendlichen handelt, welche noch von kindlicher Erscheinung ist, und er ihr zuvor Alkohol, wenn auch mit ihrem Willen, verschaffte. In Ansehung der dargelegten Strafzumessungskriterien ist von daher eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten tat- und schuldangemessen.
VI.
Die gegen den Angeklagten zu verhängende Freiheitsstrafe konnte nach § 56 Abs. 1 und Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden.
Es ist davon auszugehen, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und zukünftig keine weiteren Straftaten mehr begehen wird, die Sozialprognose insoweit positiv ist, § 56 Abs. 1 StGB. Der Angeklagte hat anlässlich der Tat gute vier Monate in Untersuchungshaft gesessen, was schon erheblich auf ihn eingewirkt haben dürfte. Überdies ist er noch nicht in strafrechtlich relevanter Weise in Erscheinung getreten und es nicht zu befürchten, dass er dazu neigt Straftaten zu begehen. Auch der Umstand, dass er sich letztendlich illegal in der Bundesrepublik aufgehalten hat bzw. hier illegal eingereist ist, gebietet eine andere Einschätzung nicht. Zum Zeitpunkt seiner Einreise erfolgten nahezu keine verlässlichen Kontrollen und es ist nicht auszuschließen, dass er sich durch die Ereignisse und Handlungen der politisch Verantwortlichen zur (erneuten) Einreise bzw. zum Verbleib in besonderer Weise herausgefordert fühlte. Im Übrigen hat auch die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage nicht auf einen illegalen Aufenthalt oder eine illegale Einreise abgestellt. Es ist dabei sogar zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat über einen in Schweden gültigen Aufenthaltstitel verfügte, er sich mithin in einem Mitgliedsland der EU legal aufhalten durfte. Auch kann es nicht zu seinen Lasten gehen, wenn die Bearbeitungszeit seines Asylantrages aufgrund von Umständen, die er nicht zu verantworten hat, eine solch lange Zeit in Anspruch nimmt.
Es liegen besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vor. Der Angeklagte hat die Tat in der Hauptverhandlung gestanden und dabei gar mehr eingeräumt, als tatsächlich festgestellt werden konnte. Dies einzig aus dem Grund, der Geschädigten der Aussage zu ersparen. Zudem handelt es sich bei der Tat einzig aufgrund des Alters der Geschädigten nicht um einen minder schweren Fall im Sinne des § 177 Abs. 5 StGB. Das gesamte Vor- und Nachtatverhalten des Angeklagten und der Geschädigten mitsamt der Entstehungsgeschichte und der dynamischen Entwicklung lässt die Tat bei Berücksichtigung des Umstandes, dass der Angeklagte bislang nicht vorbestraft ist, als nicht so schwerwiegend erscheinen, als dass nach erlittener viermonatiger Untersuchungshaft die Strafvollstreckung unbedingt erforderlich wäre.
VII.
Der Haftbefehl war aufzuheben. Die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung beruht auf § 307 Abs. 2 StPO.
VIII.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1 stopp.