LG Karlsruhe – Az.: 19 QS 90/21 – Beschluss vom 26.11.2021
1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten vom 22.09.2021 wird festgestellt, dass der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Pforzheim vom 20.09.2021 rechtswidrig war.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels sowie die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu tragen.
Gründe
I.
Der Beschuldigte war bei der pp. in pp. angestellt. Am 16.09.2021 teilte der Geschäftsführer der Firma pp., der Zeuge S., dem Polizeiposten pp. mit, dass am 15.09.2021 am Arbeitsplatz auf dem Schreibtisch des Beschuldigten ein Stapel mit Blankoformularen für die Bescheinigung über die Durchführung eines Corona-Antigentests gefunden worden sei und stellte Strafanzeige wegen gefälschter Corona-Test-Dokumente. Auf den Blankoformularen war der Beschuldigte als für die Firma PP. den Test ausführende Person ausgewiesen. Auf den Formularen befand sich auch ein Stempel der PP.. Der Beschuldigte war zu keiner Zeit berechtigt gewesen, im Namen der PP. Coronatests durchzuführen, Bescheinigungen hierüber auszustellen oder die Betriebsmittel hierfür zu verwenden. Am 15.09.2021 wurden die Formulare bei Aufsuchen des Schreibtisches des Beschuldigten durch den Geschäftsführer der PP. nicht mehr aufgefunden.
Ausweislich eines Vermerks der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom 20.09.2021 wurde der Polizei an diesem Tag mitgeteilt, dass am gleichen Morgen erneut Blankoformulare bei dem Beschuldigten gesichtet worden seien.
Mit Verfügung vom 20.09.2021 beantragte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe – Zweigstelle Pforzheim – wegen des Anfangsverdachts des Fälschens von Gesundheitszeugnissen nach § 277 StGB mündlich durch telefonischen Kontakt die Durchsuchung der Person des Beschuldigten, des Spinds und des Schreibtisches des Beschuldigten bei der PP. in pp., der Wohnung des Beschuldigten in pp.. sowie des Pkws des Beschuldigten. Dem Ermittlungsrichter wurde telefonisch geschildert, dass ein Mitarbeiter der Firma PP. Formulare für die Bescheinigung über die Durchführung von Schnelltests mit dem Logo des Unternehmens „gefälscht“ habe.
Mit Beschluss vom 20.09.2021 ordnete das Amtsgericht Pforzheim die Durchsuchung wie von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe beantragt – mündlich – an.
Der Polizeiposten pp. vollzog die Durchsuchung am 20.09.2021 und stellte dabei am Schreibtisch des Beschuldigten in der Firma PP. ein Blankoformular für Bescheinigungen über die Durchführung von Schnelltests, versehen mit dem Stempel der Firma PP., sicher. Im Pkw des Beschuldigten wurden 53 Blankobescheinigungen sowie ein Zertifikat der Johanniter-Unfallhilfe, das den Beschuldigten nach einer Teilnahme eines E-Learning-Kurses zur Abnahme von Coronatestungen und zum Ausstellen dieser Bescheinigungen berechtigt, 58 ausgefüllte Kopien sowie zwei vom Beschuldigten in einfacher Handarbeit gefertigte Kopievorlagen sichergestellt. Der Beschuldigte war mit der Sicherstellung einverstanden und verzichtete auf die Rückgabe der sichergestellten Unterlagen.
Mit Schreiben seines Verteidigers vom 22.09.2021 an den Polizeiposten pp., dort eingegangen am 23.09.2021, beantragte der Beschuldigte, das Verfahren einzustellen und festzustellen, dass die Durchsuchung rechtswidrig gewesen sei. Dies rechtfertigte er damit, dass keinerlei Tatverdacht gegen den Beschuldigten bestanden habe.
Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen den Beschuldigten mit Verfügung vom 14.10.2021 nach § 170 Abs. 2 StPO ein.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde des Beschuldigten mit Beschluss vom 28.10.2021 nicht abgeholfen.
II.
1. Die nach § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
a) Zwar ist der Durchsuchungsbeschluss bereits vollzogen, jedoch ist die Beschwerde nicht aufgrund einer prozessualen Überholung unzulässig. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gebietet die Notwendigkeit eines effektiven Rechtsschutzes gegen den Eingriff in das Grundrecht von Beschuldigten aus Art. 13 Abs. 1 GG, dass auch nach Abschluss der Durchsuchung deren Rechtmäßigkeit mit dem Rechtsmittel der Beschwerde zur Überprüfung gestellt werden kann (BVerfG, Beschluss vom 30.04.1997 – 2 BvR 817/90 u.a., NJW 1997, 2163). Ein Eingriff in das Grundrecht des Beschuldigten aus Art. 13 Abs. 1 GG liegt vor, da dessen Wohnräume am 20.09.2021 durchsucht wurden.
b) Die Beschwerde ist zudem begründet. Die Voraussetzungen für eine Durchsuchung waren nach §§ 102, 105 StPO nicht rechtmäßig.
Im Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung bestand kein hierfür erforderlicher Anfangsverdacht einer verfolgbaren Straftat durch den Beschuldigten im Sinne des § 102 StPO.
Ein Anfangsverdacht besteht, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass eine bestimmte Straftat bereits begangen und nicht nur straflos vorbereitet worden ist (BVerfG, Beschluss vom 20.11.2019 – 2 BvR 31/19, NJW 2020, 384). Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen reichen hierfür nicht aus (BVerfG, Beschluss vom 13.3.2014 – 2 BvR 974/12, NJW 2014, 1650).
Das Beschwerdegericht darf, um der Funktion einer vorbeugenden Kontrolle der Durchsuchung durch eine unabhängige und neutrale Instanz zu entsprechen (BVerfG, Beschluss vom 10.6.1981 – 1 BvR 1094/80, BVerfGE 57, 346), seine Entscheidung nur auf Gründe stützen, die dem Ermittlungsrichter im Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses bekannt waren. Das Beschwerdegericht darf daher für seine Entscheidung keine Erkenntnisse heranziehen, die erst durch die Durchsuchung gewonnen wurden (BVerfG, Beschluss vom 10.9.2010 – 2 BvR 2561/08, MMR 2011, 333).
Diesem Prüfungsmaßstab folgend, bestand im Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung gegen den Beschuldigten kein Anfangsverdacht einer Straftat.
Ein Anfangsverdacht wegen Fälschen von Gesundheitszeugnissen gemäß § 277 StGB bestand nicht, da hierfür Voraussetzung ist, dass durch den Täter ein Gesundheitszeugnis unter der Bezeichnung als Arzt oder als eine approbierte Medizinalperson oder unter dem Namen einer solchen Person erstellt worden ist. Hier bestand nie der Verdacht, dass der Beschuldigte Bescheinigungen unter der Bezeichnung als Arzt oder als eine andere approbierte Medizinalperson oder unter dem Namen einer solchen Person erstellt habe.Aus den gleichen Gründen scheitert eine Anwendung der §§ 278, 279 StGB
Es bestand aber auch kein Anfangsverdacht einer Urkundenfälschung nach § 267 StGB: Bei einer Bescheinigung über die Durchführung eines Corona-Antigentests handelt es sich um ein Zeugnis über den Gesundheitszustand im Sinne des Tatbestands des § 277 StGB, sodass der Anwendungsbereich des § 277 StGB eröffnet ist. Gesundheitszeugnisse sind Bescheinigungen über den gegenwärtigen körperlichen oder psychischen Gesundheitszustand oder die Krankheit eines Menschen sowie über früher durchgemachte Krankheiten und die von ihren verursachten Spuren, weiter Bescheinigungen über Aussichten, von gewissen Krankheiten befallen oder verschont zu werden (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 277 StGB Rn. 2). Hier handelte es sich bei den aufgefundenen Formularen noch nicht um Gesundheitszeugnisse. Die am 15.09.2021 bei dem Beschuldigten festgestellten Formulare waren in den Punkten hinsichtlich der Personaldaten der getesteten Person, des Testergebnisses und des Testdatums nicht ausgefüllt. Allerdings bestand der Verdacht, dass der Beschuldigte derartige Formulare zur Bescheinigung von Corona-Antigentests zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 15.09.2021 und dem 20.09.2021 auch bereits mit den oben genannten und noch nicht ausgefüllten Punkten vollständig ausgefüllt habe und damit eine Bescheinigung über das Bestehen oder Nichtbestehen einer Coronainfektion der in das Formular als getestet eingetragene Person erstellt habe, mithin eine Bescheinigung über den körperlichen Gesundheitszustand dieser Person verfasst habe. Nach h.M. ist aber die Fälschung von Gesundheitszeugnissen gegenüber anderen Urkundenfälschungen privilegiert (Erb, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 277 Rdnr. 1; Puppe/Schumann, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, § 277 Rdnr. 9): Die Urkundenfälschung kann mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet werden. Die Straftatbestände der §§ 277 bis 279 StGB, die die Fälschung von Gesundheitszeugnissen betreffen, sehen dagegen als Strafrahmen nur Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem oder zwei Jahren vor. Zudem gibt es bei den §§ 277 bis 279 StGB keine Versuchsstrafbarkeit. Außerdem muss die Täuschung gegen eine Behörde oder Versicherungsgesellschaft gerichtet sein. Schließlich handelt es sich bei § 277 StGB um ein vollständig zweiaktiges Delikt (Puppe/Schumann, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2017, § 277 Rdnr. 9). Die überwiegende Auffassung in der Rechtswissenschaft schließt daraus, dass eine umfassende Sperrwirkung gegenüber dem Straftatbestand der Urkundenfälschung besteht. § 267 StGB ist danach bei der Fälschung von Gesundheitszeugnissen nicht anwendbar – auch wenn dadurch Strafbarkeitslücken entstehen. Diese Auslegung hat auch das Landgericht Osnabrück mit Beschluss vom 26. Oktober 2021 (3 Qs 38/21; juris) bestätigt: Die allgemeinen Regelungen zur Herstellung einer unechten Urkunde, zum Fälschen einer echten Urkunde sowie zur Verwendung einer unechten oder verfälschten Urkunde gemäß § 267 StGB fänden keine Anwendung, da die Regelungen zu den §§ 277 ff. StGB als Privilegierung mit einer deutlich niedrigeren Strafandrohung spezieller seien und daher einen Rückgriff auf die allgemeinen Regelungen sperren würden (so auch Gaede/Krüger: Unrichtige Corona-Impf- und Testnachweise – Alte und neue Strafbarkeitslücken, NJW 2021, 2159). Für die Sperrwirkung ist es unerheblich, ob es im konkreten Fall zu einer Strafbarkeit nach § 277 StGB kommt oder nicht. Für das Eingreifen der Sperrwirkung genügt, dass lediglich das Tatbestandsmerkmal des Gesundheitszeugnisses und nicht einer anderen Urkunde vorliegt und damit der Anwendungsbereich des § 277 StGB eröffnet ist; die übrigen Voraussetzungen der Norm müssen nicht vorliegen. Die Privilegierung besteht allein aufgrund des Vorliegens eines Gesundheitszeugnisses. Vor diesem Hintergrund hatte die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister mit Beschluss vom 16. Juni 2021 die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz aufgefordert, eine entsprechende Gesetzesreform vorzulegen. In der Jahreskonferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 20. bis 22. Oktober 2021 wurde der Bund ebenfalls um eine kurzfristige Prüfung gebeten. Inzwischen gibt es einen entsprechenden Gesetzentwurf.
Ein Anfangsverdacht nach anderen Vorschriften ist nicht ersichtlich, insbesondere ist der Beschuldigte auch nicht strafbar nach den Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes.
c) Im vorliegenden Fall wäre hingegen eine polizeirechtliche Durchsuchungsanordnung gem. § 36 Abs. 5 PolG BW in Frage gekommen.
Es wurde aber weder ein entsprechender Antrag gestellt noch eine nach Form und Inhalt den polizeirechtlichen Vorschriften genügende Durchsuchungsanordnung erlassen. Der die Durchsuchung anordnende Richter hatte auch erkennbar keinen entsprechenden Willen.
Die Beschwerdekammer, zumal in diesem Fall nicht zuständig, kann dies nicht ersetzen.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 465 StPO analog.