OLG Celle, Az.: 2 Ss 5/18, Beschluss vom 05.03.2018
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 15. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 17.10.2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Hannover hat den Angeklagten mit Urteil vom 20.12.2016 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt, den polnischen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf eines Jahres keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Mit Urteil vom 17.10.2017 hat die 15. kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass die Verwaltungsbehörde angewiesen wurde, dem Angeklagten vor Ablauf von einem Jahr weder das Recht, von der ausländischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, noch eine deutsche Fahrerlaubnis zu erteilen.
Nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils befuhr der Angeklagte am 12.10.2015 gegen 13.10 Uhr mit dem Pkw …, den öffentlichen Verkehrsraum und dabei u.a. den Parkplatz des …-Marktes in H., obwohl er wusste, dass er über keine gültige Erlaubnis der Verwaltungsbehörde zum Führen von Kraftfahrzeugen verfügte. Der Angeklagte hatte zwar am 12.01.2011 eine polnische Fahrerlaubnis der Klasse „B“ erworben; ihm war jedoch durch Bescheid der Landeshauptstadt Hannover vom 11.04.2005, bestandskräftig seit dem 17.05.2005, die Erteilung einer Fahrerlaubnis versagt worden. Beim Einparken beschädigte der Angeklagte einen anderen Pkw; zudem ergab eine dem Angeklagten um 14:13 Uhr entnommene Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 0,72g Promille.
Diese Feststellungen beruhen dem angefochtenen Urteil nach auf den Angaben des Angeklagten, der seine Fahrereigenschaft im Tatzeitpunkt eingeräumt hat, auf einem in der Hauptverhandlung verlesenen Auszug aus der Führerscheindatei der Landeshauptstadt Hannover vom 13.06.2012 sowie auf den Angaben der Zeugen PHK … und PK … .
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er zum einen die Verletzung materiellen Rechts rügt. Zum anderen erhebt er eine Verfahrensrüge mit der Begründung, die Strafkammer habe seinen Beweisantrag auf Vernehmung von zwei Zeugen, die den überwiegenden Aufenthalt des Angeklagten sowie seine amtliche Meldung in Polen im Zeitraum vom 07.06.2010 bis zum 30.06.2011 bestätigen könnten, zu Unrecht wegen Bedeutungslosigkeit zurückgewiesen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 17.10.2017 gem. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die zulässige Revision hat bereits mit der allg. Sachrüge (zumindest vorläufig) Erfolg und führt zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils mit den getroffenen Feststellungen. Auf die ebenfalls erhobene Verfahrensrüge kommt es deshalb nicht mehr an.
Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nicht, weil sich ihnen bereits nicht entnehmen lässt, ob die durch die Landeshauptstadt Hannover ausgesprochene, bestandskräftige Versagung der Erteilung einer Fahrerlaubnis im Tatzeitpunkt, d.h. am 12.10.2015 im Fahreignungsregister eingetragen und nicht gem. § 29 StVG getilgt war (vgl. im Folgenden die Ausführungen unter Ziffer 1). Darüber hinaus lässt sich den Feststellungen des Landgerichts nicht entnehmen, ob es sich bei der bestandskräftigen Versagung der Erteilung der Fahrerlaubnis durch die Landeshauptstadt Hannover um die Versagung einer Ersterteilung einer Fahrerlaubnis handelt (vgl. im Folgenden die Ausführungen unter Ziffer 2).
1. Zwar hat die Kammer zutreffend angenommen, dass die nach § 28 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) grundsätzlich bestehende Berechtigung, als Inhaber einer gültigen EU-Fahrerlaubnis in Deutschland Kraftfahrzeuge zu führen, durch § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV eingeschränkt wird. So gilt nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV die Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV nicht für Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis, die erlangt wurde, nachdem in Deutschland die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden war. Abgesehen von der Frage, ob diese Vorschrift mit höherrangigem europäischen Recht vereinbar ist (vgl. insoweit die Ausführungen unter Ziffer 2), ist es aufgrund des in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 über den Führerschein („Dritte Führerscheinrichtlinie“) verankerten Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung den Mitgliedstaaten der EU versagt, auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit eines in einem anderen Mitgliedstaat der EU erteilten Führerscheins zu versagen (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 – C-476/01 -, Ziff. 76; EuGH, Urteil vom 26.06.2008, C-324/06, Ziff. 63; U. v. 23.04.2015, C-260/13, Ziff. 77; juris). Um dieser Rechtsprechung Rechnung zu tragen, beschränkt § 28 Abs. 4 Satz 3 FeV die Anwendung des Ausnahmetatbestands gem. § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV auf die Zeit, in der die Gründe für die Entziehung und Versagung der Fahrerlaubnis im Fahreignungsregister eingetragen und nicht nach § 29 StVG getilgt sind. Nach ständiger Rechtsprechung muss die Eintragung im Fahreignungsregister positiv feststehen (KG Berlin, Beschluss vom 25. August 2014 – (3) 121 Ss 71/14 (84/14) -, juris; OLG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 08. Dezember 2010 – 1 Ss 102/10 -, juris).
Aus dem angefochtenen Urteil lässt sich indes nicht entnehmen, ob die durch die Landeshauptstadt Hannover am 11.04.2005 ausgesprochene Versagung der Fahrerlaubnis zur Tatzeit, d.h. am 12.10.2015 noch im Fahreignungsregister eingetragen war. Dieser Darstellungsmangel wird auch nicht durch den Hinweis der Kammer geheilt, ein in der Hauptverhandlung verlesener Auszug aus der Führerscheindatei der Landeshauptstadt Hannover vom 13.06.2012 beinhalte die ausgesprochene Versagung mit Datum des Bescheides und der Rechtskraft, denn hieraus lassen sich keine Rückschlüsse für die Frage ziehen, ob die Versagung der Erteilung der Fahrerlaubnis auch noch am 12.10.2015 im gem. § 28 StVG beim Kraftfahrt-Bundesamt geführten Fahreignungsregister eingetragen war.
2. § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, Satz 3 FeV ist im Lichte des höherrangigen Rechts, insbesondere der Richtlinie 2006/126/EG („Dritte Führerscheinrichtlinie“) auszulegen. Die Richtlinie 91/439/EWG („Zweite Führerscheinrichtlinie“) ist gem. Artikel 17 Abs. 1 mit Wirkung vom 19. Januar 2013 aufgehoben worden; seit diesem Zeitpunkt ist nur noch die Richtlinie 2006/126/EG maßgeblich.
Gem. Artikel 11 Abs. 4, 2. Unterabschnitt dieser Richtlinie lehnt ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedsstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist.
Die Regelung des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV ist weitergehend, denn die Vorschrift erlaubt die Aberkennung der Gültigkeit eines in einem EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins über die in Art. 11 Abs. 4, 2. Unterabschnitt genannten Fälle hinaus.
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 01.03.2012 (EuGH, Urt. v. 1.3.2012 – Akyüz, C-467/10 -, juris) ist allerdings die Weigerung, eine Fahrerlaubnis zu erteilen, also sie zu „versagen“, nicht mit den in Art. 11 Abs. 4 Unterabschnitt 2 geregelten Tatbeständen Einschränkung, Aussetzung, Entzug und Aufhebung einer Fahrerlaubnis gleichzusetzen. § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV ist daher europarechtskonform auszulegen und zumindest in Fällen, in denen dem Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis eine inländische Fahrerlaubnis zuvor nicht entzogen, sondern erstmals versagt worden ist, nicht anzuwenden (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage, § 28 FeV, Rn. 42; Oberverwaltungsgericht Sachsen – Anhalt, Beschluss vom 10. Mai 2013 – 3 M 640/12 -, Blutalkohol 2013, 202ff.; VG Augsburg, Urteil vom 12. April 2013 – Au 7 K 12.1506 -, juris).
Die Feststellungen des Landgerichts verhalten sich zu der Frage, ob dem Angeklagten durch den Bescheid der Landeshauptstadt Hannover vom 11.04.2005 erstmals eine Fahrerlaubnis versagt wurde, nicht. Dem Senat ist mithin die Prüfung, ob § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV aufgrund der europarechtskonformen Auslegung überhaupt zur Anwendung kommen kann, verwehrt.
3. Nach alledem war das angefochtene Urteil mit seinen Feststellungen insgesamt aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover zurückzuverweisen.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Sofern die ergänzend zu treffenden Feststellungen eine Nichtanwendbarkeit von § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV ergeben sollten, wird die Kammer zu prüfen haben, ob die aus § 28 Abs. 1 FeV resultierende grundsätzliche Berechtigung des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland im vorliegenden Fall ggf. gem. § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV ungültig ist.
b) Bei der Ablehnung eines Beweisantrages wegen Bedeutungslosigkeit reicht es als Begründung nicht aus, lediglich den Gesetzeswortlaut zu wiederholen (Becker in Löwe-Rosenberg, 26. Aufl. 2009, § 244, Rn. 225; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 244, Rn. 41a; BGH, Urteil vom 26. Januar 2000 – 3 StR 410/99 -, juris). Bei einer solchen rechtsfehlerhaften Begründung beruht das Urteil lediglich dann nicht auf dem fehlerhaften Ablehnungsbeschluss, wenn die Bedeutungslosigkeit der Tatsache auf der Hand liegt und allen Verfahrensbeteiligten offensichtlich ist (Becker in: Löwe-Rosenberg, aaO, § 244, Rn. 226; BGH, NStZ 1981, 401; NStZ 2007, 352). Wenn die Kammer in den Feststellungen jedoch – wie vorliegend – zu dem Ergebnis gelangt, der Angeklagte habe geglaubt, für die Frage der Gültigkeit der polnischen Fahrerlaubnis sei maßgeblich, wo er seinen Erstwohnsitz habe, ist es nicht für jeden Verfahrensbeteiligten offensichtlich ohne Belang, ob der Angeklagte im Zeitpunkt der Erlangung der polnischen Fahrerlaubnis überwiegend in Polen gewohnt hat und gemeldet gewesen ist.
c) Bei einer Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis bedarf es in der Urteilsformel der Angabe der Schuldform, weil das Delikt sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig begangen werden kann (Stuckenberg in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 260, Rn. 74).