AG Kehl, Az.: 2 Cs 504 Js 9359/18, Urteil vom 01.04.2019
Der Angeklagte A aus S wird wegen Nichtmitführens des Führerscheins verurteilt zu einer Geldbuße von 10,00 €.
Vom Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis wird der Angeklagte freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Angewendete Vorschriften: §§ 5 Abs. 4 Satz 2, 75 Nr. 4 FeV; § 24 StVG; Nr. 168 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV
Gründe
I.
Dem Angeklagten wird vorgeworfen, er sei am 29.05.2018 um 21:05 Uhr mit einem Pkw, amtliches Kennzeichen B (Frankreich), in Kehl, Am Läger, gefahren, obwohl er, wie er hätte wissen können, die erforderliche Fahrerlaubnis nicht gehabt habe.
II.
Aufgrund der Feststellungen der Polizei, die verlesen wurden, konnte festgestellt werden, dass der Angeklagte tatsächlich, wie vorgeworfen, einen Pkw auf öffentlichen Straßen führte. Allerdings ergibt sich aus den Feststellungen der Polizei auch, dass der Angeklagte bei der Fahrt im Besitz einer am 22.05.2018 ausgestellten Bescheinigung über das Bestehen der Fahrprüfung in Frankreich für Fahrzeuge der Klasse B (Certificat d’examen du permis de conduire, CEPC) war und seinen Wohnsitz in Frankreich hat.
III.
Der Angeklagte ist aus Rechtsgründen vom Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis freizusprechen.
1. Nach den Feststellungen ist davon auszugehen, dass der Angeklagte nach französischem Recht am 22.05.2018 die Fahrerlaubnis für die Klasse B im Sinne von Art. 4 Abs. 4 b) der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 über den Führerschein (3. Führerscheinrichtlinie) erworben hat. Denn nach französischem Recht erwirbt der Fahrerlaubnisbewerber unbedingt und auf Dauer die Fahrerlaubnis mit der Ausstellung und Übergabe der Prüfbescheinigung durch den Fahrprüfer, sofern keine Einschränkungen auf der Prüfbescheinigung vermerkt sind, wofür es im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte gibt; eine sofortige Aushändigung des Führerscheins nach bestandener Prüfung ist nicht vorgesehen (siehe im Einzelnen zu den Voraussetzungen des Erwerbs der Fahrerlaubnis in Frankreich und der Unterscheidung zwischen dem Recht und dem Legitimationspapier AG Kehl, Beschluss vom 22. März 2016 – 2 Cs 206 Js 10658/15 –, juris). Dies entspricht der Situation, wie sie in Deutschland, allerdings nur ausnahmsweise, besteht, wenn der Führerschein dem Fahrerlaubnisbewerber nicht unmittelbar nach der Prüfung ausgehändigt wird, sondern ihm nur eine Prüfbescheinigung nach § 22 Abs. 4 Satz 7 bzw. § 22a Abs. 3 Satz 1 FeV ausgestellt wird (so auch Dauer/König, Anmerkung zu AG Kehl, Beschluss vom 8. Februar 2018 – 2 Cs 206 Js 10658/15 –, DAR 2018 S. 459). Dementsprechend wird im Führerschein als Tag des Erwerbs der Fahrerlaubnis (Feld 10 der Seite 2 des Musters der Führerscheinrichtlinie) der Tag der Prüfung eingetragen. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass dies auch so beim Angeklagten geschehen wird oder schon geschehen ist.
2. Die 3. Führerscheinrichtlinie verlangt zwar nicht die Anerkennung der Fahrerlaubnis in Deutschland, solange der Betroffene noch nicht im Besitz eines sogenannten EU-Führerscheins ist (EuGH, Urteil vom 26. Oktober 2017 – C-195/16 –, NZV 2018 S. 573). Vorliegend handelt es sich aber nicht um einen Fall des § 28 FeV, der nur für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis nach Maßgabe der Führerscheinrichtlinie mit Wohnsitz im Inland gilt, sondern des § 29 Abs. 1 FeV. § 29 Abs. 1 FeV sieht eine Fahrberechtigung mit jeglicher ausländischen Fahrerlaubnis vor, also auch dann, wenn sie – wie hier – nicht aufgrund der Führerscheinrichtlinie anzuerkennen ist (vgl. Münchner Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, Fahrerlaubnisverordnung, § 29, Rn. 1). Für die Fahrberechtigung kommt es dabei allein auf das Bestehen des Rechts und nicht auf das Vorliegen eines gültigen Führerscheins an. Eine Zuwiderhandlung gegen § 29 Abs. 2 FeV, der das Mitführen des Führerscheins nebst etwaiger Übersetzung verlangt, stellt lediglich eine Ordnungswidrigkeit nach § 75 Nr. 4 FeV, aber keine Straftat dar (vgl. Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 29 FeV, Rn. 10; jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 4 FeV; Rn. 152; Henschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 29 FeV, Rn. 12; vgl. auch BGHSt 47, 89).
Die Fahrberechtigung nach § 29 Abs. 1 FeV besteht gemäß § 29 Abs. 3 Nr. 1 FeV allerdings nicht für Inhaber ausländischer Fahrerlaubnisse, die lediglich im Besitz eines Lernführerscheins oder eines anderen vorläufig ausgestellten Führerscheins sind. Vorliegend käme die zweite Alternative in Betracht, weil die zeitliche Gültigkeit der Prüfbescheinigung als Legitimationspapier auf die Dauer von vier Monaten beschränkt ist (so, aber ohne Begründung, LG Offenburg, Beschluss vom 27. März 2019 – 3 Qs 29/18; Ternig, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 26. Oktober 2017, NZV 2018 S. 578, und offenbar auch, aber ebenso ohne weitere Begründung, dafür aber mit einer unzutreffenden Annahme der Anwendbarkeit des § 29 Abs. 3 Nr. 1 FeV nur auf EU/EWR-Fahrerlaubnisse, Dauer/König a.a.O.). Dabei spricht aber einiges dafür, dass sich die „Vorläufigkeit“ im Sinne des § 29 Abs. 3 Nr. 1 FeV gerade auch auf die Fahrerlaubnis selbst beziehen muss. Es darf nämlich nicht übersehen werden, dass eine Fahrerlaubnis als Recht unabhängig vom Bestehen oder von der Gültigkeit eines Führerscheins begründet sein kann und nach französischem Recht auch begründet ist. Denn es würde ein Wertungswiderspruch bestehen, wenn ein Inhaber einer unbeschränkten Fahrerlaubnis, der lediglich über einen vorläufig ausgestellten Führerschein verfügt, nach § 21 StVG strafbar wäre, während ein anderer, entgegen § 29 Abs. 2 FeV überhaupt keinen Führerschein vorzeigen kann oder will, lediglich eine Ordnungswidrigkeit begeht.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Mitteilung der Europäischen Kommission vom 23.08.2002 zu Auslegungsfragen über den Führerschein (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, 2002/C 077/03), in der sie die Ansicht vertritt, dass keine Anerkennungspflicht aufgrund der Führerscheinrichtlinie für eine Bescheinigung über eine bestandene Prüfung bestehe, worunter das CEPC fallen dürfte. Diese Mitteilung hat schon ihrer Rechtsnatur nach keine Bindungswirkung für die Auslegung des § 29 Abs. 3 Nr. 1 FeV; zur Anerkennung einer tatsächlich bestehenden Fahrberechtigung, also der Fahrerlaubnis selbst, verhält sie sich nicht.
3. Ob § 29 Nr. 1 FeV die Fahrberechtigung des Angeklagten entfallen ließ, kann an dieser Stelle offengelassen werden, da ein Schuldspruch nach § 21 Abs. 1 StVG, wegen Vorsatzes oder Fahrlässigkeit, im Hinblick auf das Recht der Europäischen Union jedenfalls unverhältnismäßig und damit unzulässig wäre (siehe mit ausführlicher Begründung AG Kehl, Beschluss vom 08. Februar 2018 – 2 Cs 206 Js 10658/15 –, juris; a.A. LG Offenburg, Beschluss vom 27.03.2019 – 3 Qs 29/18).
IV.
Da der Angeklagte aber entgegen § 5 Abs. 4 Satz 2 FeV während der Fahrt einen Führerschein nicht mitführte, war die Tat als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld von 10 € zu ahnden, wobei das Gericht keinen Anlass sah, von der Regelgeldbuße abzuweichen (§§ 75 Nr. 4 FeV; § 24 StVG; Nr. 168 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV).
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 2 StPO.
Es wäre unbillig, den Angeklagten mit den Kosten des Verfahrens und seinen eigenen notwendigen Auslagen zu belasten. Es ist nämlich davon auszugehen, dass er ein von der Polizei sofort angebotenes Verwarngeld in Höhe von 10 € akzeptiert hätte, ohne dass durch ein Bußgeldverfahren weitere Kosten entstanden wären.