AG Vechta – Az.: 19 Ds – 800 Js 74411/19 (36/20) – Urteil vom 14.08.2020
D. Angeklagte ist schuldig des Fahrens ohne Führerscheins in 5 Fällen sowie des Hausfriedensbruchs
Unter Einbeziehung der Entscheidung des Amtsgerichts Vechta vom 16.10.2019 (19 Ds 830 Js 48390/19 (194/19)). wird gegen ihn ein Dauerarrest von 3 Wochen verhängt.
Des Weiteren hat er bis zum 30.07.2020 eine saubere Urinkontrolle auf eigene Kosten abzugeben und 30 Stunden gemeinnützige Arbeit zu verrichten jeweils nach Weisung der Jugendgerichtshilfe Vechta.
Von der Auferlegung von Kosten und Auslagen wird gem. § 74 JGG abgesehen.
Angewendete Vorschriften: §§ 123, 53 StGB, 21 I Nr. 1 StVG, 1, 105 JGG.
Gründe
Der Angeklagte … ist am … in …, …, geboren. Er ist vor ca. sieben Jahren mit seinem Vater nach Deutschland von … eingereist, seine Mutter und zwei Geschwister sind nachgekommen. Er wohnt im elterlichen Haushalt mit seinen Geschwistern in der … in … . Gelegentlich hält er sich auch bei seiner Freundin … in … auf, wobei er dauerhaft nach … umziehen möchte.
Über den Besuch der Handelsschule hat er den Hauptschulabschluss erlangt. Er hat dann über die Volkshochschule im Sommer 2019 auch den Realschulabschluss erreicht. Anschließend befand er sich in einer vom Jobcenter geförderten Maßnahme beim Jugendförderwerk. Er hat allerdings diese für 16 Wochen bewilligte Maßnahme nur unzureichend erfüllt, sodass er am 27.01.2020 von dieser Maßnahme ausgeschlossen wurde und seitdem ohne Beschäftigung ist. Er hat sich dahingehend eingelassen, sich bei verschiedenen Leihfirmen und direkt bei verschiedenen Produktionsfirmen auch schon während der Fördermaßnahme beworben zu haben. Jetzt möchte er allerdings eine Arbeit in … finden, worum er sich bisher aber noch nicht bemüht hat.
Da er zum Hauptverhandlungstermin am 8. Juni unentschuldigt nicht erschienen war, erging mit Datum vom gleichen Tage gegen ihn Haftbefehl gemäß § 230 StPO, der seit dem 09.06.2020 in der JVA … vollstreckt wird.
Die Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 28.01.2020 weist folgende Einträge gegen den Angeklagten aus:
Wegen unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in zwei Fällen verurteilte das Amtsgericht Vechta am 12.12.2018 zur Erfüllung einer Weisung und einer Arbeitsauflage.
Wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis verhängte das Amtsgericht Vechta am 16.10.2019 eine Arbeitsauflage von 30 Stunden mit einer Erfüllungsfrist bis zum 30.11.2019. Des Weiteren wurde dem Angeklagten aufgegeben. am Verkehrserziehungskurs nach Weisung der JGH Vechta teilzunehmen, fünf Gespräche bei der Suchtberatung bis zum 29.02.2020 zu führen und eine saubere Urinkontrolle auf Anforderung der Suchtberatung bis zum 29.02.2020 abzugeben. Darüber hinaus hatte er bis zum 31.12.2019 vier Gespräche beim Proaktivcenter der Caritas zu führen.
In der Folgezeit erfüllte der Angeklagte, wenn auch nicht fristgerecht bis auf die Arbeitsauflage und die Weisung zur Abgabe der Urinkontrolle die Verpflichtungen aus dem Urteil. Die Arbeitsauflage in Höhe von 30 Stunden sollte er im Rahmen seiner Jobcenter für 16 Wochen geförderten Maßnahme beim Jugendförderwerk mit täglich 3 Stunden ableisten. Er war aber nur an 13 Tagen anwesend und arbeitete lediglich an 6 Tagen seine Sollzeit, zu den weiteren 7 Tagen erschien er verspätet oder verließ die Einrichtung unentschuldigt. An 16 Tagen fehlte er unentschuldigt, für 42 Tage legte er Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Ihm wurden für die Ableistung der Arbeitsauflage aus dem Urteil 20,5 Sozialstunden bis zum Verweis von der Maßnahme am 17. 6.1.2020 angerechnet.
Die Abgabe einer sauberen Urinkontrolle wurde von der Jugendgerichtshilfe am 26.02.2020 für den nächsten Tag eingefordert. Darauf erschien der Angeklagte allerdings erst am 12.03.2020 bei der Jugendgerichtshilfe und erklärte kein Geld für seine Urintestung zu haben. Ihm wurde ein Sofortzuschuss von 35 € vom Jugendhilfeverein zur deren Finanzierung übergeben mit der Aufforderung, eine Quittung über die Abgabe der Urinkontrolle und das Rückgeld sowie das Ergebnis der UK vorzulegen. Dieser Aufforderung kam der Angeklagte aber in der Folgezeit nicht nach. Er gab weder eine Urinkontrolle ab noch erstattete er den Geldbetrag.
Nach Durchführung der Hauptverhandlung steht aufgrund der vollumfänglich geständigen glaubhaften Einlassung des Angeklagten folgender Sachverhalt zur Überzeugung des Gerichts fest:
1. Der Angeklagte hatte eine Liebesbeziehung zu der in der JVA für Frauen, Abteilung Jugendvollzug, in Vechta einsitzenden Zeugin …, die diese aber am 17.10.2019 oder kurz zuvor beendete. Dies wollte der Angeklagte aber nicht akzeptieren, sondern zeitnah mit der Zeugin darüber sprechen, ohne den formal zulässigen Weg eines Besuchsantrags zu stellen, den die Zeugin …hätte auf den Weg bringen müssen. Er kletterte daher gegen 22:30 Uhr des 17.10.2019 an einem Laternenmast an der südwestlichen Seite der JVA für Frauen ,,Zitadelle 2 in Vechta“ auf die Gefängnismauer, legte dort seine Oberkörperbekleidung und Tablet-PC auf die Mauer, um sich anschließend von dort in den Gefängnishof fallen zu lassen. Er wusste, ohne Erlaubnis nicht berechtigt zu sein, das Gelände der JVA zu betreten. Anschließend ging er über den Gefängnishof und kletterte unter Benutzung der Feuerleiter auf die Höhe des 2. Obergeschosses des Gefängnisgebäudes, wo er sich zum Fenster der Zelle seiner inhaftierten Freundin, der Zeugin … hangelte, indem er seine Beine durch die Gitterstäbe in das geöffnete Fenster steckte und sich anschließend am Gitter festhielt. Nach Kontaktaufnahme mit der Zeugin wurde er kurze Zeit später vom Personal der JVA Vechta entdeckt. Auf Aufforderung kletterte er auf der durch die herbeigerufene Feuerwehr bereitgestellte Feuerleiter herunter.
Die JVA für Frauen hat am 02.01.2020 rechtzeitig Strafantrag gemäß § 123 Abs.2 StGB gestellt.
2-6. In der Zeit vom 02.12. bis 11.12.2019 fuhr der Angeklagte insgesamt fünfmal mit einem dunkelgrünen PKW zum Jugendförderwerk in der Straße Alter Flugplatz in Vechta und von dort wieder weg, obwohl er wusste, dass er nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis war.
Er führte folgende Fahrten mit dem Pkw durch:
2..-3. In der Zeit vom 02. bis 8.12.2019, wahrscheinlich am 03.12.2019, fuhr er mit dem Pkw zum Jugendförderwerk Vechta und legte dort eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, um so zu belegen, dass er die durch Urteil des AG Vechta vom 16.10.2019 gegen ihn festgesetzte Arbeitsauflage nicht erfüllen könne. Anschließend fuhr er mit den von ihm geführten PKW auf öffentlichen Straßen wieder weg.
4. In derselben Woche fuhr er erneut zum Jugendförderwerk mit dem Pkw
5.-6. Am 11.12.2019 fuhr er erneut gegen 17:00 Uhr dort hin und legte wiederum eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, um anschließend mit dem Fahrzeug wieder auf öffentlichen Straßen wegzufahren.
Der Angeklagte hat sich mithin, da er ohne Erlaubnis in das befriedete Besitztum der JVA für Frauen durch Überklettern der hohen Gefängnismauern eingedrungen ist und dann in dem Gebäude der JVA, das zum öffentlichen Dienst bestimmt war, wenn auch nur für kurze Zeit verweilt hat, wegen eines Hausfriedensbruchs gemäß §123 in 2 Alternativen strafbar gemacht.
Des Weiteren ist er wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, da er Kenntnis von seiner fehlenden Fahrerlaubnis hatte, in fünf Fällen gemäß §§ 21 Abs. 1 Nr 1 StVG, 53 StGB strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.
Zu den Tatzeiten war er 18,9 bzw. 18.11 Jahre alt und damit Heranwachsender im Sinne des Jugendstrafrechts. Er lebt noch eingebunden im elterlichen Haushalt und hat sich mithin persönlich noch nicht verselbstständigt. Auch verfügt er noch nicht über eine berufliche Ausbildung. Aufgrund der heute abzuurteilenden eher jugendtypischen Verfehlungen sind bei ihm Reifeverzögerungen zumindest nicht ausschließbar. Es erschien daher insgesamt sachgerecht, auf ihn gemäß § 105 JGG Jugendstrafrecht anzuwenden, da er eher einer jugendlichen als einer erwachsenen Person gleichzustellen ist.
Im Rahmen der Strafzumessung konnte ihm sein vollumfängliches glaubhaftes Geständnis zu Gute gehalten werden. Er hat sich sicherlich wegen der Beendigung seiner Beziehung durch seine Freundin in einer emotional angespannten Situation befunden, als er sich entschloss in die JVA einzudringen. Er hat eine athletische Leistung vollbracht, um mit ihr ein Gespräch zu führen und sich beim Klettern am Laternenmast auch leicht am Finger verletzt. Er hat seine Handlung gegenüber Reportern von RTL nachgestellt. Ein Film mit dieser nachgestellten Szene wurde im Fernsehen ausgestrahlt, in der Presse wurde mehrfach von der Tat berichtet, die Tat des Angeklagten erhielt dadurch die Note einer heldenhaften Liebesgeschichte, obwohl die Tat durch den Einsatz der Polizei und Feuerwehr einen nicht unerheblichen Aufwand zur Folge hatte.
Zu Lasten des Angeklagten fiel ins Gewicht, dass er mit dem Pkw seines Bruders zu der Einrichtung gefahren ist, wo er aus der vorangegangenen Verurteilung des Amtsgerichts Vechta wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eine Arbeitsauflage von 30 Stunden erfüllen sollte. Dieses Verhalten ist als äußerst dreist einzustufen und zeigt, dass er sich durch die vorangegangene Verurteilung in keiner Weise hat beeindrucken lassen, obwohl er nach seinen intellektuellen Fähigkeiten nach Überzeugung des Gerichts durchaus in der Lage ist, das Unrecht seines Handelns zu erkennen und auch danach zu handeln. Sein Verhalten lässt auf eine Gesinnung schließen, sich nicht an gesetzliche Regelungen halten zu wollen und sich auch nicht durch die Festsetzung staatlicher Erziehungsmaßregeln zu einer Besinnungsumkehr bewegen zu lassen. Diese Einschätzung wird nach Überzeugung des Gerichts auch durch den Umstand manifestiert, dass der Angeklagte das ihm für die Abgabe einer Urinkontrolle gewährte Geld einfach einbehalten hat und es jedenfalls auch nicht bis zu Beginn der Hauptverhandlung zurückgezahlt und auch nicht zweckgebunden eingesetzt hat und damit auch die Weisung aus der letzten Verurteilung des Amtsgerichts Vechta erfüllt hat.
Die ihm auferlegten Gespräche bei der Caritas und der Suchtberatung hat er zwar geführt, allerdings nicht in der ihm vorgeschriebenen Frist, obwohl er hierzu zeitlich in der Lage gewesen wäre, weil entsprechende Gesprächstermine vereinbart waren, die er unentschuldigt nicht wahrgenommen hat.
Da die Erziehungsmaßregeln in Form von Weisungen und Auflagen aus der relativ sehr zeitnahen letzten Verurteilung des Amtsgerichts vom 18.10.2019 beim Angeklagten offensichtlich keinen Eindruck hinterlassen haben, war gegen ihn heute ein freiheitsentziehendes Zuchtmittel in Form eines Dauerarrestes festzusetzen. Bei der Bemessung der Höhe war zu berücksichtigen, dass der Angeklagte über diese „Erziehungsmaßnahme“ zu einem geregelten Tagesablauf mit einem zukünftigen straf- und drogenfreien Leben durch die sozialpädagogischen Angebote des Jugendarrestes motiviert werden soll. Zur Zielerreichung ist nach Überzeugung des Gerichts eine längere zeitliche Einwirkung in Form eines dreiwöchigen Dauerarrestes erforderlich, wobei gemäß § 31 JGG die nicht im vollen Umfang vollstreckte Entscheidung des Amtsgerichts Vechta vom 18.10.2019 (19 Ds 830 Js 48300/ 19 (194 / 19) mit einzubeziehen war.
Um den Angeklagten, der zurzeit ohne Beschäftigung ist, möglichst bis zum Arrestantritt beschäftigungsmäßig weiter einzubinden, hielt es das Gericht zudem für angebracht, ihm aufzugeben, zeitnah bis zum 30.07.2020 eine Arbeitsauflage in Höhe von 30 Stunden abzuleisten.
Seine Drogenfreiheit hat er zudem durch die Abgabe einer sauberen Urinkontrolle auf eigene Kosten auf Anforderung der JGH Vechta bis zum 30.07.2020 zu belegen.
Da er zurzeit keine Einkünfte hat, hat das Gericht gemäß § 74 JGG davon abgesehen, ihm die Kosten und Auslagen des Verfahrens aufzuerlegen.