Fahrerlaubnisentzug bei Verkehrsunfallflucht: Wann liegt ein bedeutender Sachschaden vor?
Das Landgericht Schwerin (Az.: 32 Qs 56/15) hat im Beschluss vom 21. Oktober 2015 entschieden, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis des Beschuldigten aufzuheben. Der Beschuldigte war verdächtigt, Unfallflucht begangen zu haben, jedoch wurde festgestellt, dass der entstandene Sachschaden unter der für einen bedeutenden Schaden festgesetzten Wertgrenze von 1.300,- € lag. Die Kammer sah keine ausreichenden Gründe für eine dauerhafte Entziehung der Fahrerlaubnis, da der Fall insgesamt als weniger schwerwiegend eingeschätzt wurde und die Gesamtumstände keine ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nahelegten.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Aufhebung der Fahrerlaubnisentziehung: Das Gericht hob die Entscheidung des Amtsgerichts Wismar zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auf.
- Rückgabe des Führerscheins: Der Führerschein sollte dem Beschuldigten unverzüglich wieder ausgehändigt werden.
- Kostenübernahme durch die Staatskasse: Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Staatskasse.
- Dringender Tatverdacht: Der Beschuldigte war dringend verdächtig, Unfallflucht begangen zu haben.
- Bedeutender Sachschaden: Ein bedeutender Sachschaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB lag nicht vor, da der entstandene Schaden unter 1.300,- € lag.
- Geringere Schwere des Falls: Der Fall wurde insgesamt als weniger schwerwiegend eingestuft.
- Keine Eignungsmängel: Es gab keine Anhaltspunkte, die auf eine Ungeeignetheit des Beschuldigten zum Führen von Kraftfahrzeugen hindeuteten.
- Vorläufige Maßnahmen unangemessen: Eine vorläufige Sicherungsmaßnahme nach § 111a StPO war nicht gerechtfertigt.
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Übersicht
Revidierung der Fahrerlaubnisentziehung bei Verkehrsunfallflucht
Das Landgericht Schwerin verhandelte am 21. Oktober 2015 einen bemerkenswerten Fall unter dem Aktenzeichen 32 Qs 56/15, in dem es um die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach einem Verkehrsunfall ging. Der Kern des Falles drehte sich um die Frage, ob ein Fahrer, der nach einem Parkunfall unerlaubt den Unfallort verließ, seine Fahrerlaubnis verlieren sollte. Der Beschuldigte verursachte beim Einparken einen Schaden an einem anderen Fahrzeug und verließ anschließend den Unfallort, ohne seiner Warte- oder Informationspflicht nachzukommen.
Bewertung des Sachschadens und seine Relevanz
Das Gericht stützte sich bei seiner Entscheidung auf § 142 StGB, der das unerlaubte Entfernen vom Unfallort regelt. Ein entscheidender Punkt war die Bewertung des entstandenen Sachschadens. Nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB wird ein Fahrer, der bei einem Unfall einen bedeutenden Schaden an fremdem Eigentum verursacht, in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen. Die Frage, ob ein Schaden als „bedeutend“ einzustufen ist, wird nach objektiven wirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilt. Das Gericht nahm Bezug auf die aktuelle Rechtsprechung und legte fest, dass Schäden ab einem Wert von 1.300 Euro als bedeutend gelten. Im vorliegenden Fall wurde der Schaden am Fahrzeug des Geschädigten auf 1.098,95 Euro beziffert, was unterhalb dieser Wertgrenze lag.
Gründe gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis
In der Beurteilung des Falles berücksichtigte das Gericht mehrere Aspekte: die Natur des Unfalls, die Schadenshöhe und die Umstände nach dem Unfall. Der Tatort war ein Parkplatz ohne Personenschaden, und der Schaden beschränkte sich auf einen stehenden Pkw. Der Beschuldigte hatte den Unfallort nicht sofort verlassen, sondern wartete zunächst auf dem Parkplatz. Die Schäden am Pkw der Geschädigten bestanden hauptsächlich aus Schrammen im Lack, was auf eine geringere Schwere des Vorfalls hinwies. Zudem wurden keine erschwerenden Umstände festgestellt, die auf eine Gleichgültigkeit des Beschuldigten gegenüber den Rechtsgütern anderer hindeuteten.
Schlussfolgerung und Zukunftsperspektive
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nicht gerechtfertigt sei, da die Gesamtumstände nicht darauf hindeuteten, dass der Beschuldigte ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei. Die Entscheidung fiel daher zugunsten des Beschuldigten aus, und sein Führerschein wurde ihm unverzüglich wieder ausgehändigt. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens übernahm die Staatskasse. Das Urteil zeigt, dass in Fällen von Verkehrsunfallflucht die individuellen Umstände und der entstandene Schaden genau zu prüfen sind, bevor eine Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung getroffen wird. Dieser Fall unterstreicht die Bedeutung einer differenzierten Betrachtung in der Rechtsprechung, insbesondere wenn es um die Frage der Fahrerlaubnis geht.
✔ Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt
Wie wird ein bedeutender Sachschaden im Rahmen des § 69 Abs. 2 StGB definiert und bewertet?
Der „bedeutende Sachschaden“ im Rahmen des § 69 Abs. 2 StGB wird nach objektiven wirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilt. Es gibt jedoch keine festgelegte Grenze, ab der ein Schaden als „bedeutend“ gilt. Stattdessen variieren die von Gerichten festgelegten Schwellenwerte. Einige Gerichte setzen die Grenze bei 1.300 Euro, andere bei 1.800 Euro oder sogar bei 2.500 Euro. Es ist wichtig zu beachten, dass diese Grenzen nicht fest sind und sich im Laufe der Zeit ändern können, um die allgemeine Preisentwicklung zu berücksichtigen.
Die Bewertung des Schadens bezieht sich in der Regel auf die Reparaturkosten eines Fahrzeugs. Wenn der Wiederbeschaffungsaufwand eines Fahrzeugs deutlich unter der Grenze liegt, sind der Berücksichtigung des Affektionsinteresses des Geschädigten an einer (unwirtschaftlichen) Reparatur des Fahrzeugs enge Grenzen gesetzt.
Die Bestimmung, ob ein „bedeutender Sachschaden“ vorliegt, ist relevant für die Frage, ob die Fahrerlaubnis entzogen wird. Gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB wird angenommen, dass eine Person ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs ist, wenn sie sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, obwohl sie weiß oder wissen kann, dass bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist.
Inwiefern ist das Vergehen der Verkehrsunfallflucht gemäß § 142 StGB relevant für die Fahrerlaubnisentziehung?
Die Verkehrsunfallflucht, auch bekannt als „unerlaubtes Entfernen vom Unfallort“, ist in § 142 des Strafgesetzbuches (StGB) geregelt. Sie kann erhebliche Konsequenzen für die Fahrerlaubnis des Täters haben.
Wer sich nach einem Verkehrsunfall unerlaubt vom Unfallort entfernt, ohne die notwendigen Feststellungen zu seiner Person, seinem Fahrzeug und seiner Beteiligung am Unfall zu ermöglichen, begeht eine Straftat. Neben einer möglichen Geld- oder Freiheitsstrafe kann das Strafgericht auch ein Fahrverbot anordnen, das zwischen einem und sechs Monaten liegen kann. Darüber hinaus werden drei Punkte im Fahreignungsregister in Flensburg vermerkt.
Die Entziehung der Fahrerlaubnis kann insbesondere dann in Betracht kommen, wenn bei dem Unfall ein bedeutender Sachschaden entstanden ist. Gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB wird angenommen, dass eine Person ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs ist, wenn sie sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, obwohl sie weiß oder wissen kann, dass bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist.
Die Bewertung, ob ein „bedeutender Sachschaden“ vorliegt, erfolgt nach objektiven wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Es gibt jedoch keine festgelegte Grenze, ab der ein Schaden als „bedeutend“ gilt. Stattdessen variieren die von Gerichten festgelegten Schwellenwerte.
Es ist zu erwähnen, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht automatisch erfolgt, sondern im Ermessen des Gerichts liegt. Es kann auch Fälle geben, in denen eine Verurteilung wegen Verkehrsunfallflucht erfolgt, aber keine Fahrerlaubnisentziehung stattfindet.
Das vorliegende Urteil
LG Schwerin – Az.: 32 Qs 56/15 – Beschluss vom 21.10.2015
1. Die Entscheidungen unter den Ziffern 1. und 2. des Beschlusses des Amtsgerichts Wismar vom 7. Oktober 2015 (Az. 6 Cs 547/15) werden aufgehoben.
2. Der Führerschein ist dem Beschuldigten über die Staatsanwaltschaft Schwerin unverzüglich wieder auszuhändigen.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse.
Gründe
1.
Die gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO) gerichtete Beschwerde des Beschuldigten ist zulässig (§ 304 Abs. 1 StPO) und begründet. Nach Ansicht der Kammer bestehen zur Zeit keine dringenden Gründe für die Annahme, dass der Beschuldigte im Ergebnis der Hauptverhandlung als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen und ihm die Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB entzogen werden wird.
Aufgrund der bisherigen Ermittlungen ist der Beschuldigte zwar dringend verdächtig, sich am … gegen 11.20 Uhr auf dem Park- bzw. Rastplatz vor der R. im Z. in W. eines Vergehens des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) schuldig gemacht zu haben, indem er dort mit dem Kraftfahrzeug Pkw …, beim Einparken einen Verkehrsunfall mit einem Sachschaden an fremdem Eigentum, nämlich dem daneben parkenden Pkw …, der Geschädigten S. verursachte und – nach kurzem Parken in einer anderen Parklücke desselben Parkplatzes – unerlaubt den Unfallort verließ, ohne seiner Warte- bzw. Informationspflicht ausreichend nachgekommen zu sein. Der dringende Tatverdacht ergibt sich insoweit aus den Angaben der Zeuginnen K. u. S., den Ermittlungen der Polizeibeamten G. und R., die am Pkw des Beschuldigten Beschädigungen feststellten, den fotodokumentierten Beschädigungen am Fahrzeug der Geschädigten S. und der Einlassung des Beschuldigten, zum fraglichen Zeitpunkt am Unfallort gewesen zu sein.
Die Voraussetzungen eines Regelfalles für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 2 StGB liegen nicht vor.
Gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist der Täter einer Unfallflucht in der Regel dann als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, wenn bei dem Unfall ein bedeutender Schaden an fremden Sachen entstanden ist. Ob ein bedeutender Schaden i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vorliegt, ist nach objektiven wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Bei der Bewertung eines Schadens als bedeutend sind die fortschreitende Entwicklung der Reparaturkosten und die Einkommensentwicklung zu beachten (MüKo-Athing, StGB, § 69 Rn. 71). Unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung (vgl. Thomas Fischer, StGB, 62. Aufl., § 69 Rn. 29 m.w.N.) sieht die Kammer Schäden, die bei 1.300,- € liegen, regelmäßig als bedeutend im Sinne dieser Vorschrift an.
Vorliegend ist der Schaden an dem Pkw der Geschädigten nach der Schadenskalkulation der ATM Wismar vom … mit 1.098,95 Euro zu beziffern und liegt damit unterhalb dieser Wertgrenze.
Umstände, die unabhängig vom Regelfall die Entziehung der Fahrerlaubnis gebieten, sind derzeit nicht ersichtlich. Im Vergleich zu durchschnittlichen Fällen der Unfallflucht stellt sich die Tat insgesamt unter Berücksichtigung der objektiven Gegebenheiten (Tatort im Bereich eines Parkplatzes ohne Personenschaden, Schaden an einem stehenden Pkw) als weniger schwerwiegend dar. Die Tat liegt schon mehr als vier Monate zurück. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte den Tatort nicht sofort verließ, sondern nach dem unfallverursachenden Einparkversuch, der von mindestens zwei in unmittelbarer Nähe stehenden Zeuginnen beobachtet wurde, auf demselben Parkplatz eine Parklücke vor der … Filiale wählte und dort auf seine Begleiterin wartete. Dabei stieg er nicht aus, um seinen eigenen Pkw zu inspizieren. Erst als seine Begleiterin in seinen Pkw stieg, fuhr er davon. Bei dem Schaden an dem Pkw der Geschädigten handelt es sich äußerlich im Wesentlichen um Schrammen im Lack, nicht aber um stärkere Eindellungen. Es gibt bislang keine Anhaltspunkte dafür, dass die Unfallzeuginnen den Beschuldigten auf seinen Unfall aufmerksam machten. Aus dem Ausmaß der Beschädigungen an dem Pkw des Beschuldigten lassen sich auch keine erschwerenden Rückschlüsse auf die innere Tatseite beim Beschuldigten schließen. Die Schäden an seinem Pkw sind weder durch die die Verkehrsunfallanzeige aufnehmenden Polizeibeamten G. und R. konkreter beschrieben worden, noch enthält die Akte Lichtbilder dazu.
Die Gesamtumstände deuten daher nicht darauf hin, dass der Beschuldigte ein derart hohes Maß an Gleichgültigkeit gegenüber den Interessen und Rechtsgütern anderer hatte, dass er voraussichtlich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist.
Aus den genannten Gründen ist eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Ergebnis des weiteren Verfahrens nicht mit der für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis erforderlichen Sicherheit zu erwarten. Es kommt auch ein Fahrverbot in Betracht. Die Beurteilung der Frage, ob sich der Beschuldigte durch sein Verhalten als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat, muss vorliegend der abschließenden gerichtlichen Entscheidung vorbehalten bleiben.
Für die vorläufige Sicherungsmaßnahme nach § 111a StPO ist aus den genannten Gründen nach Auffassung der Kammer kein Raum.
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung von § 467 StPO.