Kurzstrafen aufgehoben: Gericht verlangt genauere Prüfung
Das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt hat das Urteil des Amtsgerichts Aschersleben in Bezug auf die Rechtsfolgen aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, weil die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen rechtlich nicht hinreichend begründet wurde. Die Revision des Angeklagten, der wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und Beleidigung verurteilt wurde, hatte teilweise Erfolg, wobei der Schuldspruch bestehen bleibt, die Rechtsfolgen jedoch neu bewertet werden müssen.
Übersicht
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✔ Das Wichtigste in Kürze
- Das Oberlandesgericht hat das Urteil des Amtsgerichts Aschersleben aufgehoben, weil die Begründung für kurze Freiheitsstrafen unzureichend war.
- Der Angeklagte wurde ursprünglich wegen fahrlässiger Trunkenheit und Beleidigung verurteilt, doch die Rechtsfolgen müssen neu verhandelt werden.
- Die Entscheidung zur Verhängung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten erfordert eine detaillierte Begründung, die besondere Umstände berücksichtigt.
- Der Senat stimmt mit der Generalstaatsanwaltschaft überein, dass eine pauschale Verwendung von Formulierungen zu Vorstrafen nicht ausreichend ist.
- Es wurde betont, dass die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe eine genaue Prüfung der Verhältnismäßigkeit verlangt.
- Die Anforderung für eine Freiheitsstrafe ist eine eingehende Begründung, die das Regel-Ausnahmeverhältnis berücksichtigt.
- Die Rückverweisung zur neuen Verhandlung ermöglicht eine gerechtere Neubewertung der Strafmaßnahmen.
- Die weitergehende Revision des Angeklagten wurde verworfen, die grundlegenden Verurteilungen bleiben bestehen.
Alkohol und verbale Angriffe als Verkehrsrisiko
Mit Trunkenheit am Steuer und Beleidigungen begehen Menschen nicht nur Rechtsverstöße – sie verursachen auch gefährliche Situationen. Wer alkoholisiert ein Fahrzeug lenkt, riskiert Unfall und Sachschaden. Doch auch beleidigende Äußerungen können zu Eskalationen führen und für Betroffene eine große psychische Belastung bedeuten.
Das Strafrecht sieht für derartige Delikte Sanktionen vor, die von Geldstrafen bis hin zu Freiheitsstrafen reichen können. Dabei gilt es stets die konkreten Umstände sorgfältig zu prüfen und das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu wahren. Eine angemessene Bestrafung soll einerseits Prävention leisten, andererseits aber auch Resozialisierung ermöglichen.
➜ Der Fall im Detail
Revision beim Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt
Der Fall betrifft einen Angeklagten, der ursprünglich vom Amtsgericht Aschersleben wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt wurde, die zur Bewährung ausgesetzt war.
Der Beschwerdeführer legte Revision ein, vor allem gegen den Rechtsfolgenausspruch, und führte Verletzungen sachlichen Rechts an. Das zentrale rechtliche Problem bestand darin, dass die kurzen Freiheitsstrafen möglicherweise ungerechtfertigt waren, da eine ausreichende Begründung im Sinne des § 47 StGB fehlte, die eine solche Strafe rechtfertigen würde.
Urteilsaufhebung durch das Oberlandesgericht
Das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt entschied, das Urteil des Amtsgerichts im Hinblick auf die Rechtsfolgen aufzuheben und wies die Sache zur neuerlichen Verhandlung zurück. Diese Entscheidung basierte auf der Feststellung, dass die Begründung des Amtsgerichts zur Verhängung der Freiheitsstrafen den rechtlichen Anforderungen nicht standhielt. Die Freiheitsstrafen wurden als nicht unerlässlich angesehen, da besondere Umstände, die eine solche Maßnahme rechtfertigen könnten, nicht hinreichend dargelegt wurden.
Rechtliche Bewertung der Strafzumessung
In seiner Urteilsbegründung legte das Oberlandesgericht dar, dass Freiheitsstrafen unter sechs Monaten nur dann verhängt werden dürfen, wenn dies zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich ist. Das Gericht fand, dass die Ausführungen des Amtsgerichts nicht den strengen Anforderungen des § 47 Abs. 1 StGB genügten, da eine detaillierte und umfassende Begründung fehlte. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts betonte die Notwendigkeit, alle relevanten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.
Rückverweisung zur neuerlichen Verhandlung
Das Oberlandesgericht verwies den Fall zurück an das Amtsgericht, jedoch an eine andere Abteilung, um eine Neubewertung der Rechtsfolgen zu ermöglichen. Diese Maßnahme soll sicherstellen, dass die neue Verhandlung frei von Voreingenommenheiten erfolgt und eine gerechte Entscheidung getroffen werden kann. Dabei sind insbesondere die Lebensumstände des Angeklagten und der Grad seiner Schuld sorgfältig zu prüfen.
Verwerfung der weitergehenden Revision
Während die Revision hinsichtlich der Rechtsfolgen Erfolg hatte, wurde der Schuldspruch selbst von der Revision nicht angefochten und blieb bestehen. Das Oberlandesgericht verwarf die weitergehenden Anträge des Angeklagten, was bedeutet, dass die Feststellung der Schuld für die begangenen Taten – fahrlässige Trunkenheit und Beleidigung – rechtskräftig bleibt. Die neue Verhandlung wird sich ausschließlich mit der Angemessenheit der Rechtsfolgen befassen, ohne den Schuldspruch erneut zu überprüfen.
✔ Häufige Fragen – FAQ
Was versteht man unter fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr?
Fahrlässige Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs. 2 StGB liegt vor, wenn der Fahrzeugführer infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, ohne dass er dies vorsätzlich tut. Der Täter handelt dabei in Hinblick auf die Fahruntüchtigkeit objektiv sorgfaltswidrig.
Bereits ab einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 0,3 Promille kann eine relative Fahruntüchtigkeit vorliegen, wenn zusätzlich alkoholbedingte Ausfallerscheinungen wie Schlangenlinien fahren festgestellt werden. Ab 1,1 Promille BAK wird von einer absoluten Fahruntüchtigkeit ausgegangen. In beiden Fällen macht sich der Fahrer wegen Trunkenheit im Verkehr strafbar, unabhängig davon ob ein Unfall verursacht wurde.
Der Unterschied zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr liegt in der Schuldform. Bei Vorsatz erkennt und will der Täter die Fahruntüchtigkeit, bei Fahrlässigkeit lässt er nur die erforderliche Sorgfalt außer Acht. Dies wirkt sich auf die Höhe der Strafe, die Dauer der Sperrfrist und die Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis aus.
Als Strafe drohen Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, 3 Punkte im Fahreignungsregister sowie in der Regel die Entziehung der Fahrerlaubnis. Ab 1,6 Promille BAK wird zudem fast immer eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) angeordnet.
Wie wird eine Beleidigung juristisch definiert und bewertet?
Eine Beleidigung ist nach § 185 StGB die Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung gegenüber einer anderen Person durch Werturteile oder unwahre Tatsachenbehauptungen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich das Opfer selbst beleidigt fühlt. Entscheidend ist, ob ein unbefangener verständiger Dritter die Äußerung als ehrverletzend versteht.
Die Beleidigung kann in verschiedenen Formen erfolgen:
- Verbal durch Beschimpfungen wie „Idiot“ oder „Arschloch“
- Schriftlich, bildlich oder durch Gesten wie den „Stinkefinger“
- Als tätliche Beleidigung z.B. durch Anspucken oder abfälliges Anfassen
- Durch schlüssiges Verhalten oder Unterlassen, wenn ehrverletzende Äußerungen nicht verhindert werden
Voraussetzung ist immer ein vorsätzliches Handeln. Der Täter muss also wissen und wollen, dass seine Äußerung ehrverletzend ist und vom Opfer oder Dritten zur Kenntnis genommen wird.
Die Beleidigung wird mit einer Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft, bei einer tätlichen Begehung bis zu zwei Jahren. Sie ist ein Antragsdelikt und wird nur auf Strafantrag des Beleidigten verfolgt, es sei denn es liegt ein besonderes öffentliches Interesse vor.
Abzugrenzen ist die strafbare Beleidigung von bloßen Unhöflichkeiten, Distanzlosigkeiten oder allgemeinen Werturteilen. Hier ist im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu prüfen, ob die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten ist. Auch kann eine Beleidigung durch Wahrnehmung berechtigter Interessen wie der Meinungsfreiheit gerechtfertigt sein.
Was bedeutet der Begriff „kurzfristige Freiheitsstrafe“ im deutschen Strafrecht?
Der Begriff „kurzfristige Freiheitsstrafe“ oder „kurze Freiheitsstrafe“ bezeichnet im deutschen Strafrecht eine Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten. Sie stellt eine Ausnahme dar und darf gemäß § 47 StGB nur verhängt werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die entweder in der Tat selbst oder in der Persönlichkeit des Täters liegen und die eine solche Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen.
Das Strafgesetzbuch sieht vor, dass bei weniger schweren Straftaten vorrangig Geldstrafen zu verhängen sind. Nur wenn das Gesetz keine Geldstrafe androht und auch eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder darüber nicht in Betracht kommt, verhängt das Gericht eine Geldstrafe, sofern nicht die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nach § 47 Abs. 1 StGB unerlässlich ist.
Die Gerichte müssen die Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe besonders begründen. Dabei sind die Umstände des Einzelfalls entscheidend, wie z.B. die Tatschwere, das Vorleben des Täters, spezialpräventive Erwägungen und der Strafzweck. Generalpräventive Erwägungen allein reichen für eine kurze Freiheitsstrafe nicht aus.
Sinn und Zweck der restriktiven Handhabung kurzer Freiheitsstrafen ist es, die schädlichen Auswirkungen des Strafvollzugs auf die Verurteilten zu begrenzen. Denn gerade bei kurzen Strafen überwiegen oft die negativen Folgen einer Haft wie Jobverlust und Stigmatisierung, während kaum Zeit für resozialisierenden Behandlungsmaßnahmen bleibt.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
§ 47 StGB – Notwendigkeit kurzer Freiheitsstrafen: Regelung zur Verhängung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten nur, wenn besondere Umstände dies unerlässlich machen. Im Fall relevant, da die Auslegung dieser Vorschrift zentral für die Aufhebung des Urteils war.
§ 316 StGB – Fahrlässige Trunkenheit im Verkehr: Definiert die Strafbarkeit des Führens eines Fahrzeugs unter Alkoholeinfluss. Dieser Paragraph ist zentral, weil der Angeklagte unter anderem wegen dieses Delikts verurteilt wurde.
§ 185 StGB – Beleidigung: Stellt Beleidigungen unter Strafe. Relevant für den Fall, da der Angeklagte auch wegen Beleidigung verurteilt wurde.
§ 349 Abs. 2 StPO – Entscheidungen ohne Hauptverhandlung: Erlaubt die Verwerfung einer Revision ohne Hauptverhandlung, wenn sie offensichtlich unbegründet ist. Im Text genannt, da Teile der Revision als unbegründet verworfen wurden.
§ 141 StPO – Beiordnung eines Verteidigers: Regelung zur Pflichtverteidigerzuweisung bei Revisionsverfahren, die im Text diskutiert wird, um die Zuständigkeiten zu klären.
StGB & StPO Allgemein: Die Strafprozessordnung (StPO) und das Strafgesetzbuch (StGB) sind allgemein wichtig, da sie die Rahmenbedingungen für die Verfahren und die materiellen Rechtsfragen des Falls setzen.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt – Az.: 2 Rv 2/14 – Beschluss vom 15.01.2014
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Aschersleben vom 23. September 2013 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und Beleidigung in zwei Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Die unbeschränkt eingelegte Revision ist hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs vereinzelt worden, insoweit hat sie Erfolg, hinsichtlich des Schuldspruchs ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Das Amtsgericht hat kurze Freiheitsstrafen verhängt, die Urteilsbegründung belegt indes nicht, dass deren Verhängung unabdingbar im Sinne des § 47 StGB ist.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift an den Senat ausgeführt:
„Die Verhängung von Einzelfreiheitsstrafen begegnet in allen drei Fällen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Gemäß § 47 Abs. 1 StGB dürfen Freiheitsstrafen unter 6 Monaten nur verhängt werden, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen. Das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen des § 47 StGB ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalles festzustellen, wobei die Anzahl, das Gewicht und der zeitliche Abstand der Vorstrafen, die Umstände der Tat und deren Schuldgehalt sowie die Lebensverhältnisses des Täters zu berücksichtigen sind. Die Unerlässlichkeit bedarf einer besonderen und eingehenden Begründung. Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe setzt daher voraus, dass unter Beachtung des Regel-Ausnahmeverhältnisses die Unverzichtbarkeit einer freiheitsentziehenden Einwirkung mit einer umfassenden und erschöpfenden Begründung dargestellt wird (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 12.03.2012, 2 Ss 157/11, zitiert nach Juris).
Das Amtsgericht hat in allen drei Fällen „aufgrund der zahlreichen einschlägigen Vorstrafen sowie der kurz vor Tatbegehung verbüßten Freiheitsstrafe“ eine kurze Freiheitsstrafe für „erforderlich“ gehalten. Dabei hat es diese Formulierung gleichlautend für alle drei Fälle gewählt. Nach den Feststellungen des Urteils ist der Angeklagte jedoch nicht wegen Beleidigung oder vergleichbarer Delikte vorbestraft, weshalb einschlägige Vorstrafen im Hinblick auf die Verurteilung wegen zweifacher Beleidigung nicht vorliegen. Das Vorliegen der Ausnahmevoraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB darf im Übrigen nicht schematisch aus einschlägigen Vorstrafen, Bewährungsbrüchen oder der Wirkungslosigkeit früherer Haftzeiten geschlossen werden, sondern ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalls festzustellen [vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 02.04.2012, 2 (7) Ss 117/12, zitiert nach Juris]. Zudem muss bei Fallgestaltungen mit geringem Unrechtsgehalt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im besonderen Maße Beachtung finden (vgl. OLG Karlsruhe a. a. O.). Aufgrund des in allen drei Fällen gegebenen geringen Unrechtsgehalts bedarf es zur Einschätzung der Verhältnismäßigkeit der Verhängung von kurzen Freiheitsstrafen einer genauen auf den Einzelfall bezogenen Darstellung sämtlicher Umstände.“
Das sieht der Senat ebenso.
Hinsichtlich der zwischen Generalstaatsanwaltschaft und Verteidigung streitigen Frage, ob dem Beschwerdeführer für die Revisionsbegründung ein Pflichtverteidiger beizuordnen war, bemerkt der Senat: Entgegen der insoweit übereinstimmenden Auffassung von Generalstaatsanwaltschaft und Verteidigung ist für die Entscheidung über die Beiordnung eines Verteidigers für die Revisionsbegründung nicht das Revisionsgericht, sondern der Tatrichter zuständig (vergl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Auflage, Rdnr. 6 zu § 141).