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Fahrverbot für bei durch Tat selbst verletztem Betroffenen

Fahrlässige Verletzung der Verkehrsordnung: Fall einer Kollision zwischen Motorrad und Rettungswagen

Ein Vorfall, der sich auf Berlins Straßen ereignete, ist zu einem Fall juristischer Prüfung geworden, der uns allen zur Lehre dienen kann. Ein Motorradfahrer, der laut Gerichtsakten bisher nicht negativ in Erscheinung getreten war, kollidierte mit einem Rettungswagen der Berliner Feuerwehr. Das Fahrzeug der Feuerwehr war mit aktiviertem Blaulicht und Martinshorn langsam in eine Kreuzung eingefahren, als es zum Unfall kam. Der Motorradfahrer erlitt erhebliche Verletzungen, darunter einen Riss des Kreuz- und Seitenbandes, und war nach einem Krankenhausaufenthalt für einige Zeit arbeitsunfähig. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Betroffenen aufgrund eines fahrlässigen Verstoßes gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) zu einer Geldbuße und verhängte ein einmonatiges Fahrverbot. Der Betroffene legte Rechtsbeschwerde gegen das Urteil ein.

Direkt zum Urteil Az: 3 Ws (B) 182/21 – 122 Ss 82/21 springen.

Ausgangsentscheidung und Rechtsmittel

Die Rechtsbeschwerde des Motorradfahrers führte zur teilweisen Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Tiergarten vom 11. Mai 2021. Dabei blieb der Schuldspruch bestehen, jedoch wurde der sogenannte Rechtsfolgenausspruch samt den damit verbundenen Feststellungen aufgehoben. Dies bezieht sich auf die rechtlichen Konsequenzen, die aus dem festgestellten Sachverhalt gezogen werden, also in diesem Fall auf das Fahrverbot und die Geldbuße.

Zurückverweisung des Falles

Im Zuge der Aufhebung wurde der Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückverwiesen. Dies schließt auch eine erneute Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde mit ein.

Unberührt bleibt der Schuldspruch

Es ist bemerkenswert, dass die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hinsichtlich des Schuldspruchs erfolglos war. Die in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Berlin genannten Gründe führten dazu, dass die Rechtsbeschwerde gegen den Schuldspruch als unbegründet angesehen wurde. Hier ging es darum, dass der Motorradfahrer einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn nicht sofort freie Bahn geschaffen hatte.

Erfolg der Rechtsbeschwerde gegen den Rechtsfolgenausspruch

Im Gegensatz dazu war die Rechtsbeschwerde gegen den Rechtsfolgenausspruch erfolgreich. Die Kritik richtete sich gegen die vom Gericht festgesetzte Geldbuße und das verhängte Fahrverbot. Der Betroffene argumentierte offenbar, dass es wesentliche Besonderheiten in seinem Fall gebe, die das Fahrverbot unangemessen erscheinen lassen. Die genauen Argumente, die hier zur erfolgreichen Anfechtung führten, werden in der Zusammenfassung jedoch nicht aufgeführt. Der Fall zeigt jedoch deutlich, dass das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde durchaus Chancen auf Erfolg haben kann, wenn es gezielt und fundiert eingesetzt wird.


Das vorliegende Urteil

KG Berlin – Az.: 3 Ws (B) 182/21 – 122 Ss 82/21 – Beschluss vom 29.07.2021

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 11. Mai 2021 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat den nicht vorbelasteten Betroffen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 38 Abs. 1 Nr. 2 (richtig: Satz 2) StVO, 49 Abs. 3 Nr. 2 (richtig: Nr. 3) StVO zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt und unter Gewährung des Erstverbüßerprivilegs ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt. Bei der Bemessung der Rechtsfolgen hat das Gericht Nr. 135.2 BKat angewendet („Einem Einsatzfahrzeug, das blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn verwendet hatte, nicht sofort freie Bahn geschaffen – mit Sachbeschädigung“). Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene als Führer eines Motorrads mit einem Rettungswagen der Berliner Feuerwehr kollidierte, der sich zuvor „langsam mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn in die Kreuzung“ eingetastet hatte. Der Betroffene wurde hierbei selbst „erheblich verletzt“ (UA S. 3). Er erlitt einen Kreuzband- und einen Seitenbandabriss (UA S. 3) und war nach einer stationären Krankenhausbehandlung noch längere Zeit arbeitsunfähig. Das Amtsgericht hat wegen der „erheblichen Verletzungen“ nicht auf die Regelgeldbuße von 320 Euro erkannt (UA S. 5). Bei der Begründung des Fahrverbots führt das Urteil aus, der Fall weise „keine wesentlichen Besonderheiten auf“, welche „die Verhängung eines Fahrverbots hier unangemessen erscheinen lassen.“ Auch der Betroffene habe nichts derartiges eingewandt.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen bleibt in Bezug auf den Schuldspruch erfolglos, dringt aber mit der Sachrüge gegen den Rechtsfolgenausspruch durch.

1. Die gegen den Schuldspruch gerichtete Rechtsbeschwerde ist aus den in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Berlin genannten Gründen unbegründet im Sinne der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO. Der Schriftsatz des Verteidigers vom 28. Juli 2021 lag vor, gab aber zu einer anderen Bewertung keinen Anlass.

Der Erläuterung bedarf hier lediglich noch, dass das Urteil nicht darauf beruhen kann, dass das Amtsgericht das mit der Rechtsmitteleinlegung angebrachte Akteneinsichtsgesuch nicht beschieden hat. Die diesbezüglich erhobene Verfahrensrüge kann damit schon logisch nicht zum Erfolg führen.

Wenn der Rechtsmittelführer der Ansicht ist, er könne die Rechtsbeschwerde – unverschuldet – nicht ausreichend begründen, so hat er gegebenenfalls Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu stellen (vgl. Thüringer OLG VRS 122, 142; OLG Köln NStZ-RR 2015, 385; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. September 2011 – IV-3 RBs 133/11 – [juris]). Obwohl die Verteidigung zum Ergebnis kommt, „die Nichtübersendung des Hauptverhandlungsprotokolls“ diene „dem einzigen Zweck, der Verteidigung die Rechtsbeschwerde so gut wie unmöglich zu machen“ (RB S. 1), ist ein solcher Antrag nicht angebracht worden. Dass ein solches Gesuch erfolgreich gewesen wäre, ist allerdings auch fraglich. Denn ausweislich der Rechtsmittelbegründung hat die Verteidigung ihr Akteneinsichtsersuchen nicht wiederholt, und es wurde auch kein weiterer – z. B. telefonischer – Versuch unternommen, mit der Geschäftsstelle in Kontakt zu treten. Ohne dass es darauf ankäme, fehlt für den von der Rechtsbeschwerde dennoch konstatierten „beharrlichen“ und „systematischen Gesetzesverstoß“ (RB S. 2) jeder objektive Anhalt.

2. In Bezug auf den Rechtsfolgenausspruch hat die Rechtsbeschwerde Erfolg.

Allerdings hat das Amtsgericht zunächst zutreffend erkannt, dass die Voraussetzungen für den vom Betroffenen an sich verwirkten Regelfall eines groben Pflichtenverstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 StVG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 BKatV vorliegen. Jedoch folgt hieraus nicht, dass unbedingt ein Fahrverbot zu verhängen wäre. Vielmehr steht dem Tatrichter auch in den Regelfällen des § 4 Abs. 1 BKatV ein Ermessensspielraum zu, um Verstößen im Straßenverkehr mit der im Einzelfall angemessenen Sanktion zu begegnen (BVerfG NJW 1996, 1809; OLG Bamberg VRS 114, 379). Denn die Frage, ob die Würdigung der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen besondere Umstände ergibt, nach denen es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbots im Einzelfall nicht bedarf, liegt grundsätzlich in seinem Verantwortungsbereich. Die tatrichterliche Entscheidung wird vom Rechtsbeschwerdegericht deshalb nur daraufhin überprüft, ob das Tatgericht sein Ermessen deshalb fehlerhaft ausgeübt hat, weil er die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten oder sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat.

Hier wird nicht ersichtlich, dass das Amtsgericht bei der Ausübung des ihm zustehenden Ermessens die tragenden Gesichtspunkte berücksichtigt hat. Namentlich wäre bei der Begründung des Fahrverbots zu erörtern gewesen, ob die erheblichen Verletzungen, welche der Betroffene bei seiner Ordnungswidrigkeit erlitten hat, ihn bereits ausreichend zur Besinnung gebracht und gewarnt haben. Das Amtsgericht hat diesen Umstand bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt, nicht aber bei der Frage, ob auf das an sich indizierte Fahrverbot ausnahmsweise verzichtet werden kann, weil der Betroffene durch die unmittelbaren und schweren Folgen seiner Fahrlässigkeitstat ausreichend beeindruckt ist.

Es kann hier offenbleiben, ob das Fahrverbotserkenntnis rechtsbeschwerderechtlich Bestand gehabt hätte, wenn das Amtsgericht diese Überlegung erkennbar in seine Ermessensentscheidung eingestellt und gegebenenfalls kurz erörtert hätte. Dies liegt aber nahe, denn das Rechtsbeschwerdegericht hat die Ermessensentscheidung bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (vgl. OLG Hamm DAR 2021, 477; Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen 4. Aufl., § 6 Rn. 203). Dass der Fall, wie die Tatrichterin ausdrücklich im Zusammenhang mit der Besinnungs- und Denkzettelfunktion des Fahrverbots ausführt, „keine wesentlichen Besonderheiten“ aufweise, kann der Senat aber nicht nachvollziehen und bewertet es als ermessensfehlerhaft.

3. Wegen der zwischen der Geldbuße und dem Fahrverbot bestehenden Wechselwirkung war der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben.

 

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