LG Nürnberg-Fürth – Az.: 12 Qs 69/21 – Beschluss vom 15.10.2021
1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 20. September 2021 wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 22. Juni 2021 – 58 Gs 5786/21 – rechtswidrig ist.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin ist Fachärztin für Allgemeinmedizin mit Praxissitz in K. Sie wendet sich gegen eine in ihrer Praxis durchgeführte Durchsuchung. Dem liegt folgendes zugrunde:
Am 27. Oktober 2020 erschien der Beschuldigte bei der Polizeidienststelle in H., um eine Strafanzeige zu erstatten. Hierbei trug er keine Mund-Nasen-Bedeckung. Er legte aber ein Attest vor, datiert vom 4. September 2020, das augenscheinlich von der Beschwerdeführerin ausgestellt worden war. Dieses enthielt neben den Personalien des Beschuldigten, dem Arztstempel und einer Unterschrift folgenden Text „Der Patient kann aus medizinischen Gründen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen“.
Am 15. Dezember 2020 verfügte die die Anzeige des Beschuldigten bearbeitende Staatsanwältin die Rückversendung der Akte an die Polizeiinspektion H. und bat um Ermittlungen und gegebenenfalls die Einleitung eines neuen Ermittlungsverfahrens gegen den Beschuldigten wegen des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse gemäß § 279 StGB durch die Vorlage des Attestes bei der Polizeiinspektion.
Nachdem die als Zeugin angeschriebene Beschwerdeführerin unter Berufung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht Angaben zur Behandlung des Beschuldigten verweigert hatte, erließ der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Nürnberg am 22. Juni 2021 einen auf § 103 StPO gestützten Durchsuchungsbeschluss für die Geschäftsräume mit Nebenräumen der unverdächtigen Beschwerdeführerin. Darin wurde dem Beschuldigten ein Verstoß gegen § 279 StGB zur Last gelegt. Gesucht werden sollte nach Patientenunterlagen und Patientenakte des Beschuldigten. Den Anfangsverdacht sah das Amtsgericht durch zwei Umstände begründet: Durch den Text des Attestes und durch die räumliche Distanz zwischen dem Wohnort des Beschuldigten und den Praxisräumen der Beschwerdeführerin.
Die Durchsuchung wurde am 13. September 2021 vollzogen. Mit Schriftsatz vom 20. September 2021 legte die Rechtsanwältin der Beschwerdeführerin beim Amtsgericht Nürnberg Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss ein. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
1. Die Durchsuchungsanordnung ist zwischenzeitlich vollzogen und damit erledigt. Grundsätzlich ist eine Beschwerde zur Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten richterlichen Anordnung unzulässig (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., Vor § 296, Rn. 18). Anderes gilt jedoch in Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe, wenn sich die Belastung durch die Maßnahme nach dem typischen Verfahrensverlauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren kaum erlangen kann. Die Beschwerde darf dann nicht wegen prozessualer Überholung verworfen werden. Vielmehr ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu überprüfen und gegebenenfalls deren Rechtswidrigkeit festzustellen (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, Rn. 18a). Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Durchsuchung der Arztpraxis vor. Das Rechtsschutzbegehren der Beschwerde vom 20. September 2021 ist daher dahin auszulegen, dass es auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung gerichtet ist.
2. Die Durchsuchung war rechtswidrig, weil ein Anfangsverdacht, der sie hätte rechtfertigen können, bei Beschlusserlass nicht vorlag. Ein Anfangsverdacht setzt voraus, dass konkrete Tatsachen vorliegen, die es als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 1999 – StB 7/99, juris Rn. 6). Daran fehlt es.
a) Ein Anfangsverdacht wird nicht dadurch begründet, dass das vorgelegte Attest ohne Angabe einer Diagnose lediglich den Satz enthält „Der Patient kann aus medizinischen Gründen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen“. Weitergehende Informationen musste das Attest nicht enthalten. Denn nach dem zur Zeit der angabegemäßen Ausstellung des Attestes in Nordrhein-Westfalen geltenden § 2 Abs. 3 Satz 2 CoronaSchVO i.d.F. vom 31. August 2020, der für die Beschwerdeführerin als in Nordrhein-Westfalen praktizierende Ärztin maßgeblich war, waren von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung Personen befreit, die aus medizinischen Gründen keine solche Bedeckung tragen können. Das stellt das Attest gerade fest. Anders als der zu diesem Zeitpunkt geltende § 1 Abs. 2 Nr. 2 6. BayIfSMV i.d.F. vom 19. Juni 2020 verlangte die nordrhein-westfälische Regelung keine Glaubhaftmachung der gesundheitlichen Gründe, die das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung unmöglich oder unzumutbar machen würden. Die Nichtangabe der nach bayerischer Rechtslage erforderlichen Diagnose (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 16. September 2020 – W 8 E 20.1301, juris Rn. 21), ist daher für das einem anderen landesrechtlichen Regime unterfallende Attest insofern ohne Belang, als daraus nicht gefolgert werden kann, das Gesundheitszeugnis sei unrichtig i.S.d. § 279 StGB.
b) Das weitere Argument, das Attest sei in einer vom Wohnort des Beschuldigten weit entfernten Stadt ausgestellt worden, trägt für sich genommen nicht. Zum angabegemäßen Ausstellungszeitpunkt am 4. September 2020 lag die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz bei 9,8 pro 100.000 Einwohner. Es war nach der ersten und vor der zweiten Corona-Welle ein Sommer, in dem zahlreiche Reisen im Inland stattfanden. Dass sich vor diesem Hintergrund jemand weit entfernt von seinem Heimatort ein ärztliches Attest ausstellen lässt, begründet daher ohne das Hinzutreten weiterer Umstände keinen Anfangsverdacht. Es erscheint in einer mobilen Gesellschaft vielmehr als nicht unüblich.
c) Weitergehende Verdachtsmomente lagen zum Zeitpunkt der Anordnung der Durchsuchung aber nicht vor. Insbesondere gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Beschwerdeführerin als eine Ärztin aufgefallen wäre, die – wie aus anderen Fällen allgemein bekannt ist – aus Überzeugung oder Gewinnstreben Gefälligkeitsatteste dutzend- oder hundertfach unter Corona-Leugner oder Maskenverweigerer gebracht hätte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.