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Fehlen Eröffnungsbeschluss stellt ein absolutes Verfahrenshindernis dar

OLG Köln – Az.: 1 RVs 240/19 – Beschluss vom 04.02.2020

Hinsichtlich des Falles 5 der Urteilsgründe (Tat vom 12. April 2018 zum Nachteil der Fa. A, B) wird das angefochtene Urteil aufgehoben und das Verfahren eingestellt.

Die insoweit entstandenen Kosten und notwendigen Auslagen der Angeklagten hat die Staatskasse zu tragen.

Die weitergehende Revision wird mit der Maßgabe verworfen, dass die Angeklagte im Hinblick auf die verhängte zweite Gesamtfreiheitsstrafe wegen Diebstahls in fünf Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt wird.

Die Angeklagte hat die verbleibenden Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Siegburg hat die Angeklagte am 14. Mai 2019 wegen Diebstahls in drei Fällen unter Einbeziehung einer Vorverurteilung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten sowie wegen Diebstahls in sechs Fällen zu der weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Ihre hiergegen gerichtete Berufung hat das Landgericht in Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO verworfen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der dieser die Verletzung sachlichen Rechts und insbesondere rügt, dass es hinsichtlich der Anklage vom 7. Juni 2018 (Tat vom 12. April 2018 zum Nachteil der Fa. A, B) an einem Eröffnungsbeschluss fehle.

II.

Das Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Rechtsmittel führt zur Verfahrenseinstellung hinsichtlich der Tat vom 12. April 2018 und zu einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Hinsichtlich der Tat vom 12. April 2018 besteht das Verfahrenshindernis des fehlenden Eröffnungsbeschlusses.

a) Das Fehlen eines Eröffnungsbeschlusses stellt ein absolutes Verfahrenshindernis dar, das zur Verfahrenseinstellung führt (BGH StV 1983, 318; BGH, StV 2015, 740; SenE v. 21.01.2003 – Ss 456/02 – = VRS 104, 364 [365] = NStZ 2004, 281; SenE v. 26.09.2003 – Ss 388/03 – = NStZ-RR 2003, 49 [50]; SenE v. 09.08.2005 – 8 Ss 34/05 -; SenE v. 11.08.2009 – 81 Ss 35/09 -; SenE v. 22.05.2012 – III-1 RVs 79/12 -; SenE v. 29.06.2016 – III-1RVs 128/16 -; SenE v. 25.09.2018 – III-1 RVs 191/18 -).

b) Der Senat berücksichtigt dieses Verfahrenshindernis auch auf die gegen ein Verwerfungsurteil gerichtete Sachrüge.

aa) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die gegen ein Verwerfungsurteil gemäß § 329 Abs. 1 StPO (bzw. – gleichsinnig – § 74 Abs. 2 OWiG) allein erhobene Sachrüge die Prüfung veranlasst, ob die für das Verfahren erforderlichen Prozessvoraussetzungen vorliegen oder ob dessen Einleitung oder Fortführung Prozesshindernisse entgegenstehen (SenE v. 15.08.2000 – Ss 189/00 -; SenE v. 16.03.2001 – Ss 66/01 -; SenE v. 13.03.2001 – Ss 65/01 -; SenE v. 12.12.2000 – Ss 446/00 – = VRS 100, 45 [49] = NJW 2001, 1223; SenE v. 03.04.2001 – Ss 92/01 -; SenE v. 27.11.2001 – Ss 468/01 -; SenE v. 21.12.2001 – Ss 507/01 B – = VRS 102, 112 [113] = DAR 2002, 178 [179] = NZV 2002, 241 [242]; SenE v. 11.03.2005 – 8 Ss 29/05 -; SenE v. 16.03.2011 – III-1 RBs 59/11 -; SenE v. 14.12.2018 – III-1 RBs 406/18 -).

bb) Das gilt – was der Senat bislang noch nicht zu entscheiden hatte – unabhängig von der Frage, zu welchem Zeitpunkt das Verfahrenshindernis eingetreten ist, ob es also – wie der fehlende Eröffnungsbeschluss – bereits vom Amtsgericht hätte beachtet werden müssen. Der Senat folgt insoweit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der dies auf Vorlage des OLG Koblenz für das Verfahrenshindernis des fehlenden (zurückgenommenen) Strafantrags angenommen hat (BGHSt 46, 230 = NStZ 2001, 440). Dies entspricht auch der Rechtsmeinung derjenigen Oberlandesgerichte, die sich seither mit der genannten Rechtsfrage zu befassen hatten (OLG Hamm B. v. 25.10.2016 – III-3 RVs 72/16 – zitiert nach Juris [Verjährung]; OLG Düsseldorf B. v. 08.04.2014 III-2 RVs 35/14 = BeckRS 2014, 7811 [Frage des Vorliegens einer Eröffnungsentscheidung]; OLG Hamburg NJW 2012, 631 [unwirksame Anklage]; OLG Celle NStZ-RR 2012, 75 [parallele Situation der Sprungrevision gegen ein Verwerfungsurteil gemäß § 412 StPO – Verjährung]; OLG Celle NStZ 2008, 118 [Verfahrenseinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO]; s. weiter OLG Bamberg B. v. 19.01.2012 – 2 Ss OWi 1545/11= BeckRS 2012, 26002). Diese Rechtsauffassung wird auch von Teilen der Literatur vertreten (MüKo-StPO-Quentin, § 329 Rz. 11; Löwe/Rosenberg-Gössel, 26. Auflage 2012, § 329 Rz. 65; HK-StPO-Rautenberg/Reichenbach, § 329 Rz. 6; Paulus NStZ 2001, 445; a. A. – Berücksichtigung nur nachträglich entstandener Verfahrenshindernisse – aber Meyer-Goßner, Prozessvoraussetzungen und Prozesshindernisse S. 45 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, § 329 Rz. 8; SK-StPO-Frisch, 5. Auflage 2016, § 329 Rz. 39; KK-StPO-Paul, 8. Auflage 2019, § 329 Rz. 13; SSW-StPO-Brunner, 3. Auflage 2018, § 329 Rz. 54; Duttge NStZ 2001, 442; wohl auch Radtke/Hohmann-Beukelmann, StPO, § 329 Rz. 37). Für einen Vorrang der Einstellung vor der Verwerfung spricht, dass es sich bei den Verfahrensvoraussetzungen um Umstände handelt, die so schwer wiegen, dass von ihrem Vorhandensein die Zulässigkeit des Verfahrens im Ganzen abhängt. Sie bestehen nicht nur im Interesse des Angeklagten, sondern vielmehr auch im allgemeinen Interesse (BGHSt 46, 230 [236]). Dass – wie die Gegenauffassung annimmt – die Anwesenheit des Angeklagten eine Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts darstelle (Meyer-Goßner, Prozessvoraussetzungen und Prozesshindernisse S. 46; Duttge NStZ 2001, 442 [443]) ist demgegenüber jedenfalls keine vom Gesetz bruchlos durchgeführte Konzeption, wie die Vorschrift des § 329 Abs. 6 erweist, die (zwar nur, aber immerhin) eine Sachentscheidung über die Gesamtstrafe bei Abwesenheit des Angeklagten gestattet.

c)aa) Ein Beschluss des Amtsgerichts, durch den die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Köln vom 7. Juni 2018 – 666 Js 821/18 – gegen die Revisionsführerin zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wurde, ist in den Akten nicht vorhanden.

bb) Die fehlende Eröffnungsentscheidung ist auch nicht durch andere Beschlüsse oder Vorgänge im Rahmen des amtsgerichtlichen Verfahrens ersetzt worden. Zwar kann ein (konkludenter) Eröffnungsbeschluss auch in einer anderen, vor Erlass des erstinstanzlichen Urteils schriftlich ergangenen Entscheidung gesehen werden, der eine schlüssige und eindeutige Willenserklärung des Gerichts, die Anklage unter den Voraussetzungen des § 203 StPO zuzulassen, unter gleichzeitiger Würdigung des hinreichenden Tatverdachts, zweifelsfrei entnommen werden kann (vgl. BGH NStZ 1987, 239; BGH NStZ 1988, 236; BGH NStZ-RR 2011, 150 m. w. N. recherchiert über juris; SenE v. 18.12.2007 – 81 Ss 88/07 -; SenE v. 11.08.2009 – 81 Ss 35/09 -; SenE v. 29.06.2016 – III-1 RVs 128/16; SenE v. 25.09.2018 – III-1 RVs 181/18; LR-StPO-Stuckenberg, StPO, 26. Auflage, § 207 Rz. 54). Vorliegend lässt jedoch der einzig insoweit in Betracht zu ziehende Verfahrensvorgang – der Verbindungsbeschluss vom 5. September 2018 (Bl. 55 d. A.) – eine sachliche Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen gerade nicht erkennen. Dort ist nämlich eine weitere Anklage (vom 31. August 2018 – 666 Js 1339/18) zur Hauptverhandlung zugelassen worden; hinsichtlich des hier in Rede stehenden Tatvorwurfs findet sich hingegen nur eine Entscheidung über die Verfahrensverbindung.

2. Trotz der Verfahrenseinstellung hinsichtlich der Tat vom 12. April 2018 und des dadurch bedingten Fortfalls einer Einzelstrafe hat die vom Amtsgericht erkannte (zweite) Gesamtstrafe von einem Jahr und drei Monaten Bestand. Der Senat schließt – in Übereinstimmung mit dem dem Verteidiger bekannt gemachten Antrag der Generalstaatsanwaltschaft – aus, dass die vom Tatgericht zurecht als „maßvoll“ bezeichnete Erhöhung der Einsatzstrafe angesichts des strafrechtlichen Vorlebens der Angeklagten (vielfache Vorbelastungen seit 1994, insbesondere wegen Diebstahls, Tatbegehung in Kenntnis des laufenden Verfahrens, hohe Rückfallgeschwindigkeit insoweit, mehrfache Haftverbüßungen) auch bei Beachtung des Verfahrenshindernisses noch niedriger ausgefallen wäre.

III.

Die Entscheidung über die Kosten der Einstellung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO, diejenige über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels auf § 473 Abs. 1 StPO.

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