BayObLG – Az.: 202 StRR 110/22 – Beschluss vom 16.12.2022
I. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 23.05.2022 werden als unbegründet verworfen.
II. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die den Angeklagten dadurch und durch die Revision der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die Nebenklägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenklägerin je zur Hälfte.
Zusammenfassung
Das Gericht hat im Falle eines gefährlichen Verkehrsvorfalls zugunsten der Angeklagten entschieden.
Am 23. Mai 2022 entschied das Landgericht Bayreuth, dass zwei Angeklagte, die wegen gefährlicher Eingriffe in den Straßenverkehr und versuchter Körperverletzung angeklagt waren, nicht schuldig waren. Die Anklage wurde erhoben, nachdem einer der Angeklagten Schnee auf ein von einem Nachbarn gerittenes Pferd geworfen hatte. Bei dem Vorfall wurden keine Verletzungen verursacht, und das Gericht konnte nicht feststellen, dass der Angeklagte beabsichtigt hatte, Schaden zu verursachen oder sogar fahrlässig gehandelt hatte.
Der Fall entstand aus einer anhaltenden Auseinandersetzung zwischen den Angeklagten und ihrem Nachbarn, der sie zuvor beschuldigt hatte, ihre Pferde erschrecken zu wollen. Als der Nachbar am 19. Januar 2021 an den Angeklagten vorbeiritt, räumten sie Schnee. Als sie vorbeikam, warf einer der Angeklagten eine kleine Menge Schnee auf das Pferd, wodurch es aufgeregt wurde. Der Nachbar konnte das Tier schnell beruhigen, und es entstand kein Schaden.
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Angeklagten keine konkrete Gefahr für den Nachbarn oder sein Pferd geschaffen hatten und dass kein Versuch unternommen wurde, Schaden zu verursachen. Die Staatsanwaltschaft legte Berufung gegen das Urteil ein, aber das höhere Gericht bestätigte die Entscheidung. Der Fall war bedeutend, weil das Gericht die Grenze zwischen harmlosen Scherzen und kriminellem Verhalten abwägen musste. Das Gericht entschied letztendlich, dass das Verhalten der Angeklagten nicht ernsthaft genug war, um strafrechtliche Konsequenzen zu rechtfertigen.
Obwohl die Angeklagten letztendlich freigesprochen wurden, dient der Fall als Erinnerung an die Bedeutung von Sicherheit auf den Straßen. Fahrer, Fußgänger und Reiter müssen sich ihrer Umgebung bewusst sein und Maßnahmen ergreifen, um gefährliche Situationen zu vermeiden. Der Fall verdeutlicht auch die Notwendigkeit für Einzelpersonen, Konflikte auf friedliche Weise zu lösen, anstatt auf potenziell schädliches Verhalten zurückzugreifen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht verurteilte die Angeklagten am 18.01.2022 wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (beim Angeklagten im Stadium des Versuchs) in Tateinheit mit versuchter „vorsätzlicher“ Körperverletzung jeweils zu Geldstrafen. Auf die hiergegen gerichteten Berufungen der Angeklagten hat das Landgericht Bayreuth mit Urteil vom 23.05.2022 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen; die auf die Rechtsfolgenaussprüche beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat es verworfen. Mit ihrer gegen die Freisprüche gerichteten und von der Generalstaatsanwaltschaft München vertretenen Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die Nebenklägerin stützt ihre ebenfalls eingelegte Revision auf die Sachrüge.
II.
Die Berufungskammer hat folgende Feststellungen getroffen: Die beiden miteinander verheirateten Angeklagten und die Nebenklägerin sind Nachbarn. Am Nachmittag des 19.01.2021 ritt die Nebenklägerin auf ihrem Pferd auf der öffentlichen Gemeindestraße zwischen den Anwesen der Angeklagten und der Familie der Nebenklägerin. Der Nebenklägerin war aufgrund vorangegangener Vorfälle mit den Angeklagten bekannt, dass diese aufgrund einer langjährigen Nachbarschaftsstreitigkeit mit der Familie der Nebenklägerin immer wieder versuchen, die Pferde der Nebenklägerin beim Passieren ihres Grundstücks zu erschrecken. Aus diesem Grund hatte die Nebenklägerin ca. eine Minute vor Erreichen des Anwesens der Angeklagten die Kamera ihres Mobiltelefons eingeschaltet, um eventuelle Übergriffe auf sie oder ihr Pferd zu dokumentieren und – wie bereits wiederholt in der Vergangenheit – zur Anzeige zu bringen. Als sich die Nebenklägerin dem Haus der Angeklagten näherte, waren diese mit Schneeräumarbeiten beschäftigt. Während die Nebenklägerin an der Angeklagten vorbeiritt, warf diese mit der Schneeschaufel eine geringe Menge Schnee dem Pferd hinterher. Die Berufungskammer konnte nicht feststellen, ob das Pferd von dem Schnee getroffen wurde. Die von der Nebenklägerin gerittene Stute geriet hierdurch in eine gewisse Aufregung, konnte jedoch von ihr nach wenigen Sekunden unter Kontrolle gebracht werden. Zu einem Sturz oder einer Verletzung der Nebenklägerin kam es nicht. Auch die konkrete Gefahr eines Sturzes konnte nicht festgestellt werden. Dass die Angeklagte einen solchen Sturz und eine daraus resultierende mögliche Verletzung der Nebenklägerin gewollt oder zumindest billigend in Kauf genommen hätte, konnte die Berufungskammer ebenfalls nicht feststellen. Die Nebenklägerin und die Angeklagte gerieten daraufhin vor der Terrasse des Anwesens der Angeklagten in ein Streitgespräch, bei dem die Nebenklägerin die Angeklagte mehrfach erzürnt anschrie: „Mach nur weiter! Komm, noch ´ne Schippen!“ Der Angeklagte, der wenige Meter entfernt weiterhin Schnee von der Terrasse seines Anwesens geschoben hatte, ohne sich anfangs um die Nebenklägerin zu kümmern, warf nunmehr – durch das laute Schreien der Nebenklägerin provoziert – ebenfalls eine Schaufelladung Schnee in Richtung der Nebenklägerin und ihres Pferdes, worauf diese mit dem Ausruf „Ja, das hat ja wohl ein Nachspiel! Freu´ Dich schon mal!“ in ihr gegenüberliegendes Grundstück ritt. Eine Schreckreaktion des Pferdes durch das Verhalten des Angeklagten war nicht erkennbar. Die Berufungskammer ging auch nicht davon aus, dass der Angeklagte derartiges beabsichtigt oder zumindest billigend in Kauf genommen hatte. Ebenso wenig gelangte die Berufungskammer zu der Überzeugung, dass der Angeklagte einen Sturz und eine hieraus resultierende Verletzung der Nebenklägerin gewollt oder auch nur billigend in Kauf genommen hätte. Während des gesamten Vorfalls waren keine anderen Verkehrsteilnehmer auf der Straße unterwegs.
III.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin haben keinen Erfolg.
1. Die von der Staatsanwaltschaft erhobene Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
2. Die Freisprüche halten der sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Das Berufungsurteil weist nicht etwa deshalb einen zur Urteilsaufhebung führenden Darstellungsmangel auf, weil die jeweiligen Anklagevorwürfe in den Urteilsgründen nicht wiedergegeben werden. Zwar entspricht es gefestigter Rechtsprechung, dass ein freisprechendes Urteil zunächst die individuellen Anklagevorwürfe aufzuzeigen und sodann die als erwiesen angesehenen Tatsachen in einer geschlossenen Darstellung wiederzugeben hat (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 14.07.2022 – 3 StR 455/21 bei juris; 17.03.2021 – 5 StR 273/20 = wistra 2021, 369 = NStZ 2022, 420; 04.02.2021 – 4 StR 457/20 = NStZ 2022, 474; BayObLG, Urt. v. 16.07.2021 – 202 StRR 59/21 = OLGSt StGB § 306 Nr 2). Dass das Berufungsurteil zwar den festgestellten Sachverhalt mitteilt, nicht aber die Anklagevorwürfe konkret darlegt, stellt indes keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar, auf dem das freisprechende Erkenntnis beruhen würde (§ 337 Abs. 1 StPO). Das Revisionsgericht muss die Anklageschrift zur Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ohnehin von Amts wegen zur Kenntnis nehmen, so dass der Senat aus diesem Grund um deren Inhalt weiß (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 20.09.2022 – 3 StR 200/22 = StraFo 2022, 468; 27.11.2012 – 3 StR 421/12, bei juris; 10.03.2020 – 6 StR 4/20 = NStZ 2020, 370; 23.04.2002 – 3 StR 505/01 = StraFo 2002, 261 = BGHR StPO § 265 Abs 1 Hinweispflicht 16 = StV 2002, 588). Der Senat kann daher beurteilen, dass die Berufungskammer bei der Entscheidungsfindung die angeklagte Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO zugrunde gelegt und damit die ihr obliegende Kognitionspflicht nicht verletzt hat.
b) Zutreffend hat die Berufungskammer eine Strafbarkeit wegen vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB verneint. Denn nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen fehlt es schon an einer vom Straftatbestand vorausgesetzten konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert, sodass es auf die weiteren Tatbestandsmerkmale nicht mehr ankommt.
aa) Eine konkrete Gefahr ist nur dann anzunehmen, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus zu einer kritischen Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wurde, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Erforderlich ist die Feststellung eines „Beinahe-Unfalls“, also eines Geschehens, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, „das sei noch einmal gut gegangen“ (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 06.07.2021 – 4 StR 155/21 = Blutalkohol 58, 328 [2021] = StV 2022, 26 = ZfSch 2021, 706 = BGHR StGB § 52 Abs 1 Entschluss, einheitlicher 2 = BGHR StGB § 315c Gefahr 2; 08.06.2021 – 4 StR 68/21 = NStZ-RR 2021, 251 = VRS 140, 258 [2021] = VRS 140, Nr 52; 17.02.2021 – 4 StR 528/20 = NStZ-RR 2021, 187; 06.08.2019 – 4 StR 255/19 = NStZ-RR 2019, 343 = VRS 137, 1 [2019] = VRS 137, Nr 1 = NZV 2020, 303; 20.03.2019 – 4 StR 517/18 = VerkMitt 2019, Nr 5 = NStZ 2020, 225).
bb) Gemessen hieran rechtfertigen die tatrichterlichen Feststellungen einen „Beinahe-Unfall“ in diesem Sinne nicht. Vielmehr hat das von der Nebenklägerin gerittene Pferd nach den Urteilsgründen auf die Schneewürfe nicht derart reagiert, dass von einem Beinahe-Unfall gesprochen werden könnte. Auf den von der Angeklagten mittels einer Schneeschippe in Richtung des Pferdes durchgeführten Wurf einer „geringen Menge Schnee“ geriet das Pferd zwar in eine „gewisse Aufregung“, konnte aber bereits nach wenigen Sekunden unter Kontrolle gebracht werden. Letzteres ist umso bemerkenswerter, als dies der Nebenklägerin offensichtlich ohne weiteres gelang, obwohl sie gleichzeitig das Geschehen mit der Kamera ihres Mobiltelefons aufzeichnete, was die Konzentration auf das Geschehen und die Kontrolle des Pferdes von vornherein erschwerte. Nach den Urteilsfeststellungen handelte es sich damit um eine ohne weiteres im Alltag zu erwartende Reaktion eines Pferdes, mit der jederzeit gerechnet werden muss, was aber noch keineswegs dazu führte, dass eine konkrete Gefährdung für Pferd, Reiterin oder sonstige Verkehrsteilnehmer, die ohnehin nicht zugegen waren, eingetreten wäre. Diese Einschätzung wird überdies durch das Verhalten der Nebenklägerin bestätigt, die nach den Urteilsfeststellungen die Angeklagten lautstark mit den Worten „noch ´ne Schippen“ sogar dazu aufforderte, ihr Verhalten zu wiederholen. Auf das Handeln des Angeklagten, der nach den Gründen des Berufungsurteils anschließend ebenfalls eine Schaufelladung Schnee in Richtung der Nebenklägerin und ihres Pferdes warf, reagierte das Pferd überhaupt nicht mehr. Nach den Urteilsfeststellungen ist damit in beiden Fällen allenfalls von einer abstrakten Gefahr, die sich theoretisch zu einer Verletzung hätte verdichten können, auszugehen, was aber für die Tatbestandserfüllung des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB gerade nicht genügt.
c) Auch von einer Verurteilung wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß §§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 22 StGB sowie versuchter Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, Abs. 2, 22 StGB hat die Berufungskammer in rechtlich nicht zu beanstandender Weise abgesehen, weil das Tatgericht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme einen Tatentschluss wenigstens in der Form eines dolus eventualis mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung verneint hat.
aa) Das Landgericht hat die Maßstäbe, nach denen von einem zumindest bedingten Gefährdungs- (in Bezug auf § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB) bzw. Verletzungsvorsatz (in Bezug auf § 223 Abs. 1 StGB) angenommen werden kann, nicht verkannt. Die Berufungskammer hat bei ihrer Einschätzung insbesondere zutreffend den Blick auf das kognitive und das voluntative Element zugewendet und ist mit rechtlich zutreffenden Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Angeklagten mit ihrem Verhalten weder gewollt noch zumindest billigend in Kauf genommen hätten, dass es zu einer konkreten Gefährdung oder gar Verletzung komme.
bb) Die Beweiswürdigung, mit der die Berufungskammer einen Tatentschluss der Angeklagten verneint hat, ist frei von Rechtsfehlern.
(1) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters und unterliegt nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Kontrolle (st.Rspr., vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 18.03.2021 – 4 StR 480/20 = BeckRS 2021, 9394 = NStZ-RR 2021, 182 [Ls] m.w.N.). Ein Urteil kann nur dann keinen Bestand haben, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder überhöhte Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung gestellt wurden (st.Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 20.04.2021 – 1 StR 286/20; 11.03.2021 – 3 StR 316/20; 26.01.2021 – 1 StR 376/20; Beschl. v. 14.04.2021 – 4 StR 91/21, jeweils bei juris; 13.10.2020 – 1 StR 299/20 = NStZ-RR 2021, 24; BayObLG, Urt. v. 16.07.2021 – 202 StRR 59/21 bei juris, jeweils m.w.N.). Dasselbe gilt, wenn sie sich auf nichtexistierende Erfahrungssätze stützt (vgl. nur BGH, Beschl. v. 16.07.2019 – 4 StR 231/19 = NStZ-RR 2019, 317 = wistra 2019, 513; BayObLG, Beschl. v. 03.03.2022 – 202 StRR 11/22 = NStZ-RR 2022, 119).
(2) Bei einem Freispruch gilt für die Überzeugungsbildung und deren rechtliche Überprüfbarkeit durch das Revisionsgericht nichts anderes als im Falle einer Verurteilung. Damit ist die Nachprüfung aufgrund der Sachrüge darauf beschränkt, ob die Beweiswürdigung zum freisprechenden Erkenntnis die geschilderten Mängel aufweist (BayObLG, Urt. v. 16.07.2021 – 202 StRR 59/21 = OLGSt StGB § 306 Nr 2). Dies ist indes nicht der Fall. Die Berufungskammer hat sich bei der Beurteilung der Frage nach dem Vorliegen eines Tatentschlusses unter anderem richtigerweise daran orientiert, dass das Verhalten der Angeklagten schon objektiv keine besondere Gefährlichkeit aufwies. Es konnte nicht einmal festgestellt werden, dass durch die überdies von den Angeklagten jeweils nur einmalig vorgenommenen und trotz mehrfacher Aufforderung seitens der Nebenklägerin nicht mehr wiederholten Würfe geringer Mengen Schnees in Richtung des Pferdes das Tier überhaupt getroffen wurde. Bei dieser Sachlage bestanden für das Tatgericht keine hinreichenden Anhaltspunkte, die den Schluss zuließen, dass die Angeklagten mehr erstrebt oder zumindest billigend in Kauf genommen hätten, als tatsächlich geschehen ist. Die Beanstandung durch die rechtsmittelführende Staatsanwaltschaft, dass die Berufungskammer die Tatgeschehnisse der im Berufungsurteil wiedergegebenen Vorverurteilungen nicht in ihre Überlegungen eingestellt habe, zeigt ebenfalls keinen Rechtsfehler auf. Denn aus den im Berufungsurteil geschilderten Tatgeschehen, die den Vorverurteilungen zu Grunde lagen, ergibt sich in keinem Fall, dass dabei jeweils konkrete Gefahren im oben genannten Sinne bestanden haben. Soweit die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft darauf hinweist, dass die Berufungskammer nicht der Frage nach dem Motiv, das die Angeklagten mit ihrem Verhalten verfolgt haben, nachgegangen sei, wird damit eine Lücke in der Beweiswürdigung nicht aufgezeigt. Denn aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe wird ersichtlich, dass den Geschehnissen ein länger schwelender Nachbarschaftsstreit, der auch in Anzeigeerstattungen mündete, zu Grunde lag. Da bei solchen Konstellationen erfahrungsgemäß massiv emotionale Vorgänge dominieren, erscheint ein Versuch, rationale Beweggründe zu ermitteln, von vornherein nicht erfolgversprechend. Dass sich das Tatgericht aufgrund der sorgfältig anhand der vorhandenen objektiven Umstände durchgeführten Gesamtwürdigung nicht von einem Tatentschluss zumindest im Form eines dolus eventualis überzeugen konnte, hat das Revisionsgericht hinzunehmen.
d) Schließlich hat das Landgericht auch die Kognitionspflicht nicht dadurch verletzt, dass eine Prüfung des Verhaltens des Angeklagten unter dem Blickwinkel einer Beleidigung gemäß § 185 StGB unterblieben ist. Zwar ergibt sich aus der im Rahmen der Beweiswürdigung geschilderten Videoaufnahme, dass der Angeklagte, als er Schnee in Richtung der Nebenklägerin warf, die Worte „Leck mich am Arsch“ aussprach. Einer Verurteilung wegen Beleidigung steht aber bereits das Verfahrenshindernis des fehlenden Strafantrags, der gemäß § 194 Abs. 1 StGB zur Verfolgung des Geschehens unter diesem rechtlichen Blickwinkel erforderlich ist, entgegen. Die Nebenklägerin hat bei ihrer Aussage vor der Polizei am 22.02.2021, bei der sie auch einen schriftlichen Strafantrag stellte, diese Äußerung nicht erwähnt. Gleiches gilt hinsichtlich des an die Staatsanwaltschaft gerichteten Schriftsatzes ihres anwaltschaftlichen Vertreters vom 25.01.2021, der ebenfalls die Stellung von Strafanträgen beinhaltete. Dass die Nebenklägerin diesen Teil des Geschehens ausgeklammert hat, lässt nur den Schluss zu, dass sich ihr Verfolgungswille hierauf nicht erstreckte. Dabei ist es ohne Belang, ob dies darauf beruhte, dass die Nebenklägerin die Äußerung in dem von ihr lautstark geführten Streitgespräch nicht wahrnahm oder insoweit keinen Wert auf eine Strafverfolgung legte.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Urt. v. 10.11.2021 – 5 StR 103/21 = NStZ-RR 2022, 25).