LG Saarbrücken – Az.: 1 Ws 4/21 – Beschl. v. 18.01.2021
Die Beschwerde des vormaligen Angeklagten gegen die mit Verfügung des Vorsitzenden der 11. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 18. August 2020 dem Bevollmächtigten des Verletzten gewährte Akteneinsicht wird kostenpflichtig als unzulässig verworfen.
Gründe
I.
Der vormalige Angeklagte (nachfolgend: Angeklagter) wurde durch Urteil des Amtsgerichts St. Ingbert vom 3. Juli 2020 wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung – begangen zum Nachteil des Zeugen R. T. (nachfolgend: Verletzter) – zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10,– € verurteilt.
Mit Schriftsatz vom 7. Juli 2020 – eingegangen beim Amtsgericht am 09.07.2020 – zeigte Rechtsanwalt R. unter Vorlage einer auf ihn lautenden Vollmacht die Vertretung des Verletzten, von dem er mit der Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche beauftragt worden sei, an und bat um Akteneinsicht.
Mit Schriftsatz vom 9. Juli 2020 – vorab per Telefax beim Amtsgericht eingegangen am selben Tag – legte der Verteidiger gegen das Urteil des Amtsgerichts „Rechtsmittel” ein. Nachdem in der Folge keine nähere Wahl hinsichtlich des Rechtsmittels getroffen worden war, legte die Staatsanwaltschaft die Akte dem Landgericht Saarbrücken zur Entscheidung über das als Berufung auszulegende Rechtsmittel vor.
Mit Verfügung vom 18. August 2020 bestimmte der Vorsitzende der zuständigen 11. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken Termin zur Berufungshauptverhandlung und ordnete, ohne den Angeklagten oder seinen Verteidiger zuvor anzuhören, die Übersendung der Akte an Rechtsanwalt R. zur Einsichtnahme an. Rechtsanwalt R. erhielt die Akte am 04.09.2020. Am 14.09.2020 gelangte sie an das Landgericht zurück.
Nachdem der Verteidiger durch ihm in Vorbereitung auf den Berufungshauptverhandlungstermin antragsgemäß gewährte Akteneinsicht Kenntnis von der Rechtsanwalt R. gewährten Einsicht in die Akte erlangt hatte, hat er mit – in der Berufungshauptverhandlung vom 17.11.2020 zur Akte gereichtem – Schriftsatz vom 16. November 2020 gegen die Rechtsanwalt R. gewährte Akteneinsicht Beschwerde eingelegt und beantragt, „festzustellen, dass die dem Rechtsanwalt R. für den angeblich Geschädigten R. T. erteilte Akteneinsicht rechtswidrig war.” Zur Begründung hat er im Wesentlichen geltend gemacht: Die überwiegenden Interessen sprächen im vorliegenden Verfahren gegen eine Akteneinsicht. Das Informationsinteresse des „Hauptbelastungszeugen” R. T. müsse vorliegend „hinter den Interessen des Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung zurücktreten.” Die von Rechtsanwalt R. vorgebrachte Begründung sei lediglich vorgeschoben gewesen. Zur Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche habe es der Akteneinsicht nicht bedurft. Durch diese hätten vielmehr „Informationen” gewonnen werden sollen, damit sich die Aussage des Zeugen R. T. im Berufungshauptverhandlungstermin „harmonisch in das bisherige Aussageverhalten des Zeugen einfügt.” Auch wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks hätte die Akteneinsicht versagt werden müssen. Jedenfalls hätte das Gericht den Angeklagten vor der Gewährung der Akteneinsicht anhören müssen.
Das Landgericht Saarbrücken, das die Berufung des Angeklagten mit – inzwischen rechtskräftigem – Urteil vom 17. November 2020 verworfen hat, hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt festzustellen, dass „die Gewährung von Akteneinsicht an den Verletztenvertreter durch das Landgericht gemäß Verfügung vom 18.08.2020” rechtswidrig war, weil es der Vorsitzende der Berufungskammer versäumt hat, dem Angeklagten vor der Entscheidung über den Akteneinsichtsantrag des Bevollmächtigten des Verletzten rechtliches Gehör zu gewähren.
II.
Die Beschwerde des Angeklagten ist zwar gemäß §§ 304 Abs. 1, 406e Abs. 4 Satz 4 StPO statthaft (vgl. Hans. OLG Hamburg NStZ 2015, 105 ff. – juris Rn. 4; StraFo 2016, 210 ff. – juris Rn. 5; OLG Braunschweig NStZ 2016, 629 ff. – juris Rn. 2; Senatsbeschlüsse vom 19. März 2013 – 1 Ws 51/13 -, 3. April 2020 – 1 Ws 27/20, 1 Ws 29/20 – und vom 21. Juli 2020 – 1 Ws 116/20 -; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., 406e Rn. 21), aber gleichwohl unzulässig, weil es bereits bei Einlegung des Rechtsmittels an einer gegenwärtigen, fortdauernden Beschwer des Angeklagten durch die angefochtene Entscheidung fehlte.
1. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines jeden Rechtsmittels ist unter anderem das Vorliegen einer Beschwer des Rechtsmittelführers (vgl. BGHSt 16, 374; 28, 327, 330; Senatsbeschlüsse vom 28. April 2014 – 1 Ws 45/14 -, 15. April 2015 – 1 Ws 66/15 – und vom 24. Juni 2015 – 1 Ws 100/15 -; KK-StPO/Paul, 8. Aufl., Vor § 296 Rn. 5 m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., Vor § 296 Rn. 8 m. w. N.). Eine Beschwer liegt nur vor, wenn die ergangene Entscheidung einen unmittelbaren Nachteil für den Betroffenen enthält, seine Rechte oder schutzwürdigen Interessen eine unmittelbare Beeinträchtigung erlitten haben und wenn die Beseitigung einer fehlsamen Erwägung dem Rechtsmittelführer die Aussicht auf eine andere, ihm günstigere Entscheidung eröffnet (vgl. BGHSt 27, 290, 293; KG, StraFo 2006, 200 ff. – juris Rn. 10; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 24. Januar 2008 – 2 Ws 8/08 -, juris; vorgen. Senatsbeschlüsse; KK-StPO/Paul, a. a. O.; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., Vor § 296 Rn. 9 m. w. N.). Die Beschwer muss im Zeitpunkt der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts gegeben sein (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. April 2015 – 1 Ws 66/15 – und vom 24. Juni 2015 – 1 Ws 100/15 -; KK-StPO/Paul, a. a. O., Vor § 296 Rn. 7). Denn die Rechtsmittel der Strafprozessordnung dienen der Beseitigung einer gegenwärtigen, fortdauernden Beschwer (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. April 2015 – 1 Ws 66/15 – und vom 24. Juni 2015 – 1 Ws 100/15 -; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., Vor § 296 Rn. 17). An einer Beschwer fehlt es daher regelmäßig, wenn eine Entscheidung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann oder sie durch den Fortgang des Verfahrens prozessual überholt ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. April 2015 – 1 Ws 66/15 – und vom 24. Juni 2015 – 1 Ws 100/ 15 -; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., Vor § 296 Rn. 17 m. w. N.; KK-StPO/Paul, a. a. O.). Ein Rechtsmittel, das schon zum Zeitpunkt seiner Einlegung prozessual überholt war, wird als unzulässig verworfen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. April 2015 – 1 Ws 66/15 – und vom 24. Juni 2015 – 1 Ws 100/15 -; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., Vor § 296 Rn. 17 m. w. N.; KK-StPO/Paul, a. a. O., Vor § 296 Rn. 8 m. w. N.). So liegen die Dinge hier. Denn die dem Rechtsanwalt R. durch Verfügung des Vorsitzenden der Berufungskammer vom 18. August 2020 gewährte Akteneinsicht konnte bereits im Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde am 17.11.2020 aus tatsächlichen Gründen nicht mehr ungeschehen gemacht werden, nachdem Rechtsanwalt R. die Akte schon am 04.09.2020 erhalten hatte und in diese hatte Einsicht nehmen können.
2. Auch die Beschwerde zur Feststellung der Rechtswidrigkeit einer prozessual überholten richterlichen Anordnung ist grundsätzlich unzulässig (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., Vor § 296 Rn. 18). Lediglich in besonders gelagerten Ausnahmefällen darf die Beschwerde nicht wegen prozessualer Überholung als unzulässig verworfen werden, sondern ist die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme zu überprüfen und gegebenenfalls ihre Rechtswidrigkeit festzustellen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., Vor § 296 Rn. 18a). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier indes nicht vor.
a) Als ein solcher Ausnahmefall, in dem das Rechtsschutzbedürfnis trotz prozessualer Überholung bejaht wird, ist zunächst der Fall der Wiederholungsgefahr anerkannt (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2009, 293, 294; KK-StPO/Paul, a. a. O., Vor § 296 Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., Vor § 296 Rn. 18). Eine solche Gefahr besteht hier nicht. Zum einen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass Rechtsanwalt R. für den Verletzten nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens abermals Akteneinsicht beantragen könnte. Zum anderen hätte hierüber nicht mehr der Vorsitzende der Berufungskammer, sondern die Staatsanwaltschaft zu entscheiden (§ 406e Abs. 4 Satz 1 StPO).
b) Ebenso wenig ist der Fall der Beseitigung einer fortwirkenden Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff (vgl. BVerfG NJW 2017, 1164 ff. – juris Rn. 14; OLG Hamm, a. a. O.) oder ein Fall objektiver Willkür (vgl. KK-StPO/Paul, a. a. O.) gegeben.
c) Schließlich bleibt ein Rechtsmittel aus Gründen der durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG sowie durch Art. 20 Abs. 3 GG i. V. mit Art. 2 Abs. 1 GG verbürgten Effektivität des Rechtschutzes trotz prozessualer Überholung in den Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe, in denen sich die Belastung durch die Maßnahme nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren kaum erlangen kann, zulässig (vgl. BVerfGE 96, 27 ff.; BVerfG NJW 2017, 1164 ff. – juris Rn. 14; OLG Hamm, a. a. O.; Senatsbeschlüsse vom 15. April 2015 – 1 Ws 66/15 -, 24. Juni 2015 – 1 Ws 100/15 -, 31. Oktober 2019 – 1 Ws 172/19 – und vom 23. November 2020 – 1 Ws 214/20, 1 Ws 215/20 -; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., Vor § 296 Rn. 18a m. w. N.; KK-StPO/Paul, a. a. O., Vor § 296 Rn. 7 m. w. N.). Hierzu gehören etwa Wohnungsdurchsuchungs- oder Beschlagnahmeanordnungen (vgl. BVerfG NJW 1999, 273; wistra 2008, 463; Senatsbeschluss vom 23. November 2020 – 1 Ws 214/20, 1 Ws 215/20 -; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O.; KK-StPO/Paul, a. a. O.) sowie Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit und die persönliche Freiheit (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.07.2015 – 1 BvR 625/15, juris Rn. 17 m. w. N.; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O.; KK-StPO/Paul, a. a. O.). Auch ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.
aa) Die Gewährung der Einsicht in die Akten eines Strafverfahrens an einen Rechtsanwalt, der von dem durch eine Straftat Verletzten bevollmächtigt wurde, stellt – ungeachtet ihres Bezuges zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung bzw. zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten – nicht ohne Weiteres einen Grundrechtseingriff dar, der aus sich heraus unabhängig von den Umständen des Einzelfalls eine mit Eingriffen in die Unverletzlichkeit der Wohnung, in die körperliche Unversehrtheit oder in die persönliche Freiheit des Betroffenen vergleichbare Intensität aufweist (vgl. BVerfG NJW 2017, 1164 ff. – juris Rn. 15). Ob im konkreten Fall ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vorliegt, hängt insbesondere von dem durch die Akteneinsicht konkret betroffenen Akteninhalt ab, wobei bei der Bewertung der Intensität des Grundrechtseingriffs gegebenenfalls auch der Umstand, dass die Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht ohne vorherige Anhörung des Beschuldigten getroffen wurde und sich die Maßnahme infolge der tatsächlichen Gewährung von Akteneinsicht unmittelbar erledigte, so dass dem Beschuldigten die Geltendmachung von Einwendungen abgeschnitten wurde, nicht außer Betracht bleiben kann (vgl. BVerfG, a. a. O.).
bb) Nach diesen Maßstäben fehlt es vorliegend an einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff, da die dem Rechtsanwalt R. als Bevollmächtigtem des Verletzten, des Zeugen R. T., durch die Verfügung des Vorsitzenden der Berufungskammer vom 18. August 2020 gewährte Akteneinsicht keine mit Eingriffen in die Unverletzlichkeit der Wohnung, in die körperliche Unversehrtheit oder in die persönliche Freiheit des Betroffenen vergleichbare Intensität aufweist.
(1) Einen aus der verständigen Sicht des Angeklagten besonders geheimhaltungsbedürftigen, insbesondere einen seine Privatsphäre oder gar seine Intimsphäre berührenden Inhalt enthält die Strafakte nicht. Derartiges wird von dem Verteidiger auch nicht geltend gemacht. Jedenfalls von einem schwerwiegenden Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Angeklagten allein schon durch die Gewährung der Akteneinsicht als solche kann daher keine Rede sein.
(2) Das gilt umso mehr, als die Akteneinsicht auch unter Berücksichtigung der von dem Verteidiger mit der Beschwerde nunmehr geltend gemachten Einwendungen zu gewähren gewesen wäre.
Die Voraussetzungen für die Gewährung der Akteneinsicht nach § 406e Abs. 1 StPO lagen vor. Der Zeuge R. T. war Verletzter i. S. des § 406e Abs. 1 Satz 1 StPO. Mit dem Vortrag, er sei von dem Verletzten mit der Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche beauftragt, hat Rechtsanwalt R. auch dem Erfordernis der Darlegung eines berechtigten Interesses, die vorliegend mangels Befugnis des Verletzten zum Anschluss als Nebenkläger nach § 395 StPO nicht gemäß § 406e Abs. 1 Satz 2 StPO entbehrlich war, genügt. Ein berechtigtes Interesse an der begehrten Akteneinsicht wird nämlich insbesondere dann angenommen, wenn sie der Prüfung dienen soll, ob und welchem Umfang der Verletzte zivilrechtliche Ansprüche gegen den Beschuldigten geltend machen kann (vgl. BVerfG NJW 2007, 1052, 1053; Hanseatisches OLG Hamburg wistra 2012, 397 ff.; Senatsbeschluss vom 19. März 2013 – 1 Ws 51/13 -; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 406e Rn. 4; KK-StPO/Zabeck, a. a. O., § 406e Rn. 4). Für die von dem Verteidiger behauptete Ausforschung zu dem Zweck, die Aussage des Zeugen R. T. in der Berufungshauptverhandlung anzupassen, bestehen demgegenüber keine Anhaltspunkte, zumal bei Abfassung des Akteneinsichtsantrags vom 07.07.2020 noch nicht feststand, ob – was erst am 09.07.2020 geschehen ist – ein Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt werden würde.
Auch ein Versagungsgrund nach § 406e Abs. 2 StPO lag nicht vor. Der Gewährung der Akteneinsicht entgegenstehende überwiegende schutzwürdige Interessen des Angeklagten oder anderer Personen (§ 406e Abs. 2 Satz 1 StPO; vgl. hierzu Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 406e Rn. 9 m. w. N.; KK-StPO/Zabeck, a. a. O., § 406e Rn. 6 m. w. N.) sind nicht ersichtlich und werden mit der Beschwerde auch nicht konkret aufgezeigt. Schließlich hätte die Akteneinsicht entgegen der Auffassung des Verteidigers auch nicht wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks (§ 406e Abs. 2 Satz 2 StPO) versagt werden können. Dieser Versagungsgrund kann zwar auch dann herangezogen werden, wenn die Kenntnis des Verletzten vom Akteninhalt die Zuverlässigkeit und den Wahrheitsgehalt einer von ihm noch zu erwartenden Zeugenaussage beeinträchtigen könnte (vgl. BT-Drucks. 10/5305, S. 18; OLG Braunschweig NStZ 2016, 629 ff. – juris Rn. 4; KG NStZ 2019, 110, 111; Senatsbeschluss vom 21. Juli 2020 – 1 Ws 116/20 -; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 406e Rn. 11). Allein die bei Aktenkenntnis des Verletzten stets begründete Gefahr einer anhand des Akteninhalts präparierten Zeugenaussage reicht hierfür jedoch noch nicht aus (vgl. Hans. OLG Hamburg NStZ 2015, 105 ff. – juris Rn. 11; StraFo 2016, 210 ff. – juris Rn. 10; KG NStZ 2019, 110, 111 f.; vorgen. Senatsbeschluss; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 406e Rn. 11). Besondere Umstände, aufgrund derer im vorliegenden Fall hätte angenommen werden können, durch die Gewährung von Akteneinsicht an den Bevollmächtigten des Verletzten sei eine Beeinträchtigung der Sachaufklärung und Wahrheitsfindung zu besorgen, lagen nicht vor und werden auch von der Verteidigung nicht aufgezeigt, zumal hiervon selbst in den Fällen einer – hier nicht vorliegenden – Aussage-gegen-Aussage-Konstellation nicht ohne Weiteres ausgegangen werden kann (vgl. vorgen. Senatsbeschluss m. w. N.).
(3) Zwar erfordert die Gewährung von Akteneinsicht im Strafverfahren an Dritte, auch an den Verletzten, regelmäßig die vorherige Anhörung des Beschuldigten bzw. seines Verteidigers (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.10.2016 – 1 BvR 1766/14, juris Rn. 5; NJW 2017, 1164 ff. – juris Rn. 17; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 406e Rn. 9; KK-StPO/Zabeck, a. a. O., § 406e Rn. 12). Das ist hier, obwohl Gründe für ein Abweichen vom Regelfall nicht vorliegen, nicht geschehen. Vielmehr hat der Vorsitzende der Berufungskammer die beantragte Akteneinsicht mit Verfügung vom 18. August 2020 bewilligt, ohne den Angeklagten und seinen Verteidiger zuvor hierzu anzuhören. Der hierin liegende Verfahrensfehler führt jedoch für sich allein noch nicht zur Zulässigkeit der infolge prozessualer Überholung unzulässigen Beschwerde (a. A., aber ohne nähere Begründung: KG NStZ 2016, 438 ff. – juris Rn. 6; OLG Köln, Beschl. v. 02.04.2020 – III-2 Ws 651/19, juris Rn. 17; LG Stralsund StraFo 2006, 76 f. – juris Rn. 3). Vielmehr wäre dies – wie ausgeführt – nur dann der Fall, wenn der Verstoß gegen das Recht des Angeklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs und die anschließend erfolgte tatsächliche Gewährung der Akteneinsicht dazu geführt hätten, dass sich die Gewährung der Akteneinsicht an Rechtsanwalt R. als schwerwiegender Grundrechtseingriff darstellt. Das ist aus den vorstehend genannten Gründen indes nicht der Fall. Danach sind keine Umstände ersichtlich, die im Falle einer vorherigen Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers zu einer anderen Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch des Rechtsanwalts R. hätten führen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.