LG Braunschweig – Az.: Ss 44/11 – Beschluss vom 28.09.2011
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 25. März 2011 im Schuldspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit es den Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Ziffer III. Tat 2) und des Diebstahls (Ziffer III Tat 3) betrifft.
Das genannten Urteil wird ferner im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen hinsichtlich der Einzelstrafe wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung (Ziffer III. Tat 1), des Ausspruchs über die Gesamtstrafe sowie der Einziehungsanordnung aufgehoben.
Das weitergehende Rechtsmittel wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückverwiesen.
Gründe
Die zulässige Revision des Angeklagten hat überwiegend Erfolg.
I.
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 13. April 2010 wegen gefährlicher Körperverletzung, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt worden. Das Amtsgericht hat Einzelstrafen von zehn Monaten (gefährliche Körperverletzung) und jeweils sechs Monaten (unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und Diebstahl) festgesetzt. Außerdem hat das Amtsgericht „2 Kügelchen Kokain, Asservat Nr.18/10“ eingezogen. Das Landgericht Braunschweig hat die gegen dieses Urteil eingelegten Berufungen sowohl des Angeklagten als auch der Staatsanwaltschaft durch das angefochtene Urteil verworfen. Auch hinsichtlich der Einzelstrafen ist die Kammer nicht von dem Urteil des Amtsgerichts abgewichen.
Der Angeklagte hat durch seinen Verteidiger mit einem am 29. März 2011 eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt und zugleich die allgemeine Sachrüge erhoben. Nach Zustellung des Urteils am 17. Mai 2011 hat der Angeklagte mit einem weiteren, am 17. Juni 2011 eingegangenen Schriftsatz auch die Verletzung formellen Rechts gerügt. Er hat Freispruch, hilfsweise Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten unter Verwerfung des weitergehenden Rechtsmittels hinsichtlich des Strafausspruchs bzgl. des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und der Bildung der Gesamtstrafe nebst den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und das Verfahren insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts Braunschweig zurückzuverweisen. Die Teilaufhebung sei geboten, weil die Wirkstoffmenge des Betäubungsmittels nicht festgestellt sei. Unschädlich sei es demgegenüber, dass hinsichtlich des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung straferschwerend berücksichtigt wurde, der Angeklagte habe „ohne jeglichen rechtfertigen Grund“ gehandelt. Die Passage sei offensichtlich so zu verstehen, dass ein erkennbares Motiv nicht ersichtlich wurde.
II.
1. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Verteidigers ist die Revision gemäß § 349 Abs.2 StPO als unbegründet zu verwerfen, soweit sie sich gegen den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung richtet. Im Übrigen hält das Urteil einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand:
a. Die Strafzumessung begegnet zunächst Bedenken, soweit es die Einzelstrafe von 10 Monaten wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung betrifft. Zwar ist die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatrichters und darf daher vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob Rechtsfehler vorliegen. Das Revisionsgericht hat jedoch dann einzugreifen, wenn die Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils rechtsfehlerhaft sind. Ein solcher Rechtsfehler liegt vor, weil der Kammer ein Verstoß gegen § 46 Abs.3 StGB unterlaufen ist, indem sie strafschärfend berücksichtigt hat, dass der Angeklagte die Tat „ohne jeglichen rechtfertigenden Grund“ begangen hat. Weil das Fehlen von Rechtfertigungsgründen Voraussetzung für die Strafbarkeit eines Delikts ist, liegt in der strafschärfenden Berücksichtigung desselben Umstandes ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (vgl. BGH, StV 1997, S.519).
An dem genannten Strafzumessungsfehler würde sich auch nichts ändern, wenn die Kammer – so die nahe liegende Annahme der Generalstaatsanwaltschaft – dem Angeklagten nicht das Fehlen von Rechtfertigungsgründen angelastet hätte, sondern vielmehr strafschärfend hätte berücksichtigen wollen, dass die Geschädigten ihm keinen Anlass zur Tatbegehung gegeben haben. Denn aus dem Fehlen eines anerkannten Strafmilderungsgrundes, etwa einer vorangegangenen Tatprovokation, darf kein strafschärfender Umstand hergeleitet werden (vgl. Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, StGB, 28. Aufl., § 46 Rdnr.57 d m. w. N.).
b. Hinsichtlich des Verstoßes gegen § 29 Abs.1 Nr.1 BtMG hält der Schuldspruch revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Denn die Kammer hat ihre Annahme, dass die sichergestellten „Kügelchen“ Kokain enthalten, allein auf das positive Ergebnis eines von der Zeugin W durchgeführten ESA-Tests gestützt (UA S.10). Sie hat in den Urteilsgründen indes nicht dargelegt, ob es sich bei dem ESA-Test um ein wissenschaftlich abgesichertes und in der Praxis als zuverlässig anerkanntes Standardverfahren zum sicheren Nachweis von Kokain handelt. Da der genannte Test dem Senat nicht als ein solcher bekannt ist, der diesen Anforderungen genügt, und der Senat somit aus eigener Sachkunde dessen Zuverlässigkeit nicht einschätzen kann, ist anhand der Urteilsgründe die gebotene Überprüfung nicht möglich (vgl. zum ESA – Test: Thüringer OLG, Beschluss vom 30.08.2005, 1 Ss 56/05, juris, Rn.17 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 04.03.1999, 5 Ss 136/99, juris, Rn.4).
c. Der Schuldspruch war ebenfalls aufzuheben, soweit es den Vorwurf des Diebstahls gemäß § 242 StGB betrifft. Denn die Beweiswürdigung ist insoweit unter anderem darauf gestützt, dass die Einlassung des Angeklagten, der Zeuge K habe ihn zu Unrecht belastet, weil sich in den Kügelchen Paracetamol befunden habe, durch den ESA – Test widerlegt sei. Davon kann der Senat nach den vorgenannten Ausführungen indes nicht ausgehen, so dass im Revisionsverfahren insoweit zu unterstellen ist, dass die „Kügelchen“ tatsächlich nur Paracetamol enthalten. Dann wäre die Vermutung des Angeklagten, der Zeuge K belaste ihn aus Rache, jedenfalls nicht durch die Aussage der Zeugin W widerlegt.
d. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass ein für die Strafzumessung relevanter Rechtsfehler ferner darin liegt, dass das Landgericht den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs.1 Nr.1 BtMG) zu einer Einzelstrafe von sechs Monaten verurteilt hat, ohne den Wirkstoffgehalt des Betäubungsmittels festzustellen. Feststellungen zur Qualität und zur Wirkstoffmenge des gehandelten Rauschgifts sind für die Bestimmung des Schuldumfangs von wesentlicher Bedeutung (BGH, Beschluss vom 15.12.2005, 5 StR 439/05, juris, Rn.3; BGH, Urteil vom 03.04.2008, 3 StR 60/08, juris, Rn.4; OLG Frankfurt, Urteil vom 27.09.2002, 1 Ss 49/02, juris, Rn.8). Die Kammer hat lediglich ausgeführt, dass der Angeklagte dem Zeugen K zwei Cellophankügelchen übergeben habe, in denen sich „u.a. Kokain“ befunden habe (UA S.5).
Schließlich begegnet die auf §§ 74, StGB, 33 Abs.2 S.1 BtMG gestützte Einziehungsanordnung des Amtsgerichts, bei der es die Kammer durch die vollumfängliche Verwerfung des Rechtsmittels belassen hat, rechtlichen Bedenken. Insoweit schadet es zwar nicht, dass die Kammer, die sich im angefochtenen Urteil mit dieser Frage nicht auseinandergesetzt hat, keine Ermessensentscheidung getroffen hat, weil die Herausgabe des Betäubungsmittels nicht ohne Rechtsfehler möglich wäre (BGH, Urteil vom 30.09.1986, 1 StR 497/86, juris, Rn. 5). Indes gehört nicht nur die Art, sondern auch die Angabe der Menge des einzuziehenden Rauschgifts zur hinreichenden Bestimmtheit der Einziehungsanordnung (BGH, Beschluss vom 21.01.1984, 4 StR 765/83, juris, Rn.8, OLG Koblenz, Beschluss vom 03.07.2007, juris, 8); daran fehlt es. Die Bezugnahme auf ein Asservatenverzeichnis reicht nicht aus (BGH, Beschluss vom 26.02.1988, 3 StR 484/87, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 03.07.2007, 1 Ss 171/07, juris, 8; OLG Koblenz, Beschluss vom 04.09.2006, 1 Ss 241/06, juris, Rn.7).
2. Aufgrund der dargelegten Rechtsfehler ist das Urteil im tenoriertem Umfang gemäß § 353 StPO aufzuheben. Die Sache ist insoweit gemäß § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen.
Der Senat hat trotz der Teilaufhebung keinen Anlass, den Haftbefehl vom 07. Februar 2011 – ergänzt durch Beschluss vom 08. März 2011 – gemäß § 126 Abs.3 StPO aufzuheben. Die Voraussetzungen des § 120 Abs.1 StPO liegen weiter vor, zumal der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung in Rechtskraft erwachsen ist und dem Angeklagten bereits aus diesem Grund unmittelbar der Widerruf der Strafaussetzungen droht. Wenn das Verfahren mit der gebotenen Beschleunigung fortgesetzt wird, ist die Fortdauer der Untersuchungshaft verhältnismäßig.
III.
Die Entscheidung über die Kosten der Revision ist dem Landgericht vorbehalten, weil der endgültige Erfolg des Rechtsmittels derzeit nicht absehbar ist.