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Identitätsfeststellung – Rechtmäßigkeit von Polizeimaßnahmen

Fall der Identitätsfeststellung und Legitimität polizeilicher Maßnahmen

Im Mittelpunkt eines faszinierenden Falles, der im Jahr 2021 vom Kammergericht Berlin (Az: (2) 161 Ss 62/20 (19/20)) verhandelt wurde, stehen Identitätsfeststellung und die Rechtmäßigkeit polizeilicher Maßnahmen. Es handelt sich um eine spannende Geschichte über Diebstahl, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und eine nachfolgende juristische Auseinandersetzung.

Zwei gestohlene Fahrräder bilden den Ausgangspunkt dieser komplexen Angelegenheit. Der Angeklagte, dessen Urteilsfähigkeit zum Tatzeitpunkt eingeschränkt, aber nicht aufgehoben war, hatte diese Fahrräder entwendet und wurde bei dem Versuch ertappt, eines der Fahrräder aus einer Werkstatt abzuholen. Die Polizei wurde gerufen, und es entstand eine Auseinandersetzung über die Legitimität der von der Polizei getroffenen Maßnahmen.

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Zweifacher Fahrraddiebstahl und seine Konsequenzen

Die beiden Diebstähle ereigneten sich vor dem 29. April 2016, als der Angeklagte zwei verschiedene Fahrräder entwendete und sie an unterschiedliche Orte brachte. Bei dem Versuch, eines der Fahrräder aus einer Werkstatt abzuholen, wurde er konfrontiert und die Polizei wurde alarmiert. Ohne Ausweispapiere musste er seine Identität mündlich bekannt geben, was zu Fragen über die Rechtmäßigkeit der folgenden polizeilichen Maßnahmen führte.

Ergebnisse des ursprünglichen Verfahrens und Revision

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin verurteilte den Angeklagten ursprünglich wegen Diebstahls in zwei Fällen und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe. Nach der Berufung des Angeklagten entschied das Landgericht Berlin, dass er nur wegen Diebstahls verurteilt werden sollte, und sprach ihn von den übrigen Anklagepunkten frei. Beide Seiten – sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft – legten Revision gegen dieses Urteil ein, was zu einer neuen Verhandlung und Entscheidung durch eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin führte.

Auswirkungen der Revision auf das Urteil

Das Urteil des Landgerichts wurde aufgehoben, und das Kammergericht Berlin entschied, dass der Fall neu verhandelt und entschieden werden muss – einschließlich der Frage der Kosten für die Revision. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese komplexe Geschichte des Fahrraddiebstahls, der Identitätsfeststellung und der Legitimität polizeilicher Maßnahmen weiter entwickeln wird.


Das vorliegende Urteil

KG Berlin – Az.: (2) 161 Ss 62/20 (19/20) – Urteil vom 21.05.2021

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. Januar 2020, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil, soweit der Angeklagte freigesprochen wurde, mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revisionen – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.

Gründe

I.

1. Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am 14. Mai 2019 wegen Diebstahls in zwei Fällen sowie wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt. Auf seine Berufung hat das Landgericht das Urteil dahin geändert, dass der Angeklagte wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt wird und ihn im Übrigen freigesprochen.

Hiergegen haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Der Angeklagte wendet sich vollumfänglich gegen seine Verurteilung; die Staatsanwaltschaft wendet sich allein gegen den Teilfreispruch des Angeklagten. Beide Rechtsmittel haben vollumfänglich Erfolg.

2. Das Landgericht hat zum Tatgeschehen die folgenden Feststellungen getroffen:

„Vor dem 29. April 2016 entwendete der Angeklagte das an einem Fahrradständer angeschlossenen Damenrad der Frau A., dass ca. 280-300 Euro gekostet hatte, und brachte es in seine Wohnung. Zudem entwendete er das an eine Regenrinne angeschlossene Kettler Alu Fahrrad der Frau K., das verschmutzt, nicht fahrbereit und ca. 18 Jahre alt war. Dieses Fahrrad verbrachte er in eine Fahrradwerkstatt und ließ einen neuen Sattel montieren. Die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war bei den Taten erheblich eingeschränkt, nicht jedoch aufgehoben.

Als er das Fahrrad der Frau K. am 29. April 2016 bei der Fahrradwerkstatt abholen wollte, wurde er von dem Inhaber der Werkstatt und von Frau K. darauf angesprochen, dass das Fahrrad der Frau K. gehöre und dass die Polizei informiert sei. Daraufhin sagte der Angeklagte zu Frau K., dass er das Fahrrad gefunden habe. Nach dem Eintreffen der Polizeibeamten teilte er diesen mündlich seinen Namen und seine Anschrift mit. Ausweispapiere führte er nicht mit sich. Er ging gemeinsam mit den beiden Polizeibeamten, Herrn S. und Frau P., zu seiner Wohnung in der Allerstraße. Dort öffnete der Angeklagte die Haustür und eine Wohnungstür. An der Klingel der Wohnungstür war ein Namensschild angebracht. Dieses wurde von den Polizeibeamten nicht in Augenschein genommen. Nach dem Öffnen der Haustür lief der Angeklagte schneller und ließ die Polizeibeamten hinter sich. Als der Angeklagte in der Wohnung war, versuchte er, die Wohnungstür zu schließen. Die Polizeibeamtin stemmte sich von außen gegen die Wohnungstür. Der Angeklagte sagte für die Polizeibeamtin hörbar, dass er nicht wolle, dass die Polizeibeamten in die Wohnung kämen. Die Wohnungstür wurde von den Polizeibeamten aufgedrückt. Dies geschah allein deshalb, weil sie die Identität des Angeklagten feststellen wollten. Nach ihrer damaligen Einschätzung bestand keine Fluchtgefahr des Angeklagten. Auch dachten sie nicht daran, dass sich in der Wohnung Beweisgegenstände oder Verfalls- oder Einziehungsgegenstände befinden könnten. Eine Datenabfrage im polizeilichen System hatte keinen Treffer zu den Daten des Angeklagten erbracht. Der Tatvorwurf war dem Angeklagten vor dem Betreten der Wohnung durch die Polizeibeamten mitgeteilt worden. Die Polizeibeamten versuchten den Angeklagten im Wohnungsflur zu sistieren. Dabei kam es zu einem Gerangel zwischen dem Angeklagten und den Polizeibeamten. Bei diesem Gerangel traf die Faust des Polizeibeamten S. den Oberkörper des Angeklagten. Vom Wohnungsflur aus sah die Polizeibeamtin in einem Zimmer mehrere Fahrräder. Der Angeklagte wurde aus seiner Wohnung in das Treppenhaus gezogen, wo das Gerangel weiterging. Der Angeklagte wurde dann von dem Polizeibeamten an eine gegen überliegende Türe gedrückt und blieb in dieser Position ca. 45 Minuten fixiert. Währenddessen traf der zur Unterstützung angeforderte Polizeibeamte Gärtner ein. Nachdem ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss erlassen worden war, durchsuchten die Polizeibeamten die Wohnung und fanden in der Wohnung mehrere Fahrräder. Diese wurden von den Polizeibeamten aus der Wohnung verbracht. Der Angeklagte erklärte sich mit der außergerichtlichen Einziehung der aufgefundenen Fahrräder einverstanden. Der Durchsuchungsbeschluss war zum Zwecke des Auffindens von Beweismitteln/Verfalls bzw. Einziehungsgegenständen nämlich Fahrrädern, und zum Identitätsnachweis des Angeklagten beantragt worden. Der Polizeibeamte S. erlitt im Rahmen der körperlichen Auseinandersetzung mit dem Angeklagten geringfügige Verletzungen an den Händen, (…). Die Polizeibeamtin P. erlitt ein Hämatom am linken Arm (…).“

Das Landgericht hat den Angeklagten auf Grundlage der getroffenen Feststellungen wegen Diebstahls in zwei Fällen (§ 242, § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 52 StGB) verurteilt und ihn von dem Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung freigesprochen. Es ist insoweit der Ansicht, dass die Polizisten nicht in die Wohnung hätten eindringen dürfen. Ihre Diensthandlung sei auch auf Grundlage des für § 113 Abs. 3 StGB geltenden strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs nicht rechtmäßig gewesen. Das Betreten der Wohnung sei weder durch §§ 163b, 102, 105, 127 Abs. 2 StPO noch durch die Vorschriften des ASOG Berlin gerechtfertigt. Soweit der Angeklagte die Polizisten im Zuge des Gerangels in seinem Wohnungsflur verletzt habe, sei dies gemäß § 32 StGB gerechtfertigt gewesen.

II.

Die Revision des Angeklagten hat auf seine allgemeine Sachrüge vollumfänglich Erfolg, so dass es auf die von ihm erhobenen Verfahrensrügen nicht mehr ankommt.

Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen im Falle einer Verurteilung des Angeklagten die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen mitteilen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Dies muss in einer geschlossenen Darstellung aller äußeren und der zugehörigen inneren Tatsachen geschehen (vgl. BGH NJW 2020, 559; Löwe/Rosenberg/Stuckenberg, StPO 27. Aufl. § 267 Rn. 37 ff., 44 ff.). Dies hat das Revisionsgericht bereits auf die Sachrüge zu prüfen (Löwe/Rosenberg/Stuckenberg, a.a.O. Rn. 178 mwN). Die für erwiesen erachteten und für die Ausfüllung des Straftatbestandes erforderlichen äußeren Tatsachen müssen sich dabei aus dem Urteil ergeben. In gleicher Weise sind auch die gesetzlichen Merkmale zur inneren Tatseite durch tatsächliche Feststellungen zu belegen Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil ersichtlich nicht gerecht.

Die Feststellung, dass die beiden Diebstähle „vor dem 29. April 2016“ begangen wurden, ist ohne weitere Eingrenzung unzureichend. Diese vage Angabe lässt offen, ob die Taten in bereits verjährter Zeit begangen worden sind. Eine nähere Eingrenzung der Tatzeit ist auch nicht anhand des „Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe“ möglich. Zwar könnte der Hinweis in den persönlichen Verhältnissen auf die Verordnung von Ritalin „Anfang 2016“ und die Begehung der „hier verfahrensgegenständlichen Taten“ „in der Folgezeit“ (jeweils UA S. 3) auf die Begehung der Taten im Jahr 2016 hindeuten. Auf der anderen Seite führt das Landgericht als Beleg für eine noch erhaltene Steuerungsfähigkeit bei der Begehung der hiesigen Taten UA S. 8 aus, dass „Amphetamin grundsätzlich konzentrierter mache“. Amphetamin hatte der Angeklagte ausweislich der Feststellung zu seinen persönlichen Verhältnissen UA S. 3 aber nur bis 2014 konsumiert („Im Jahr 2014 hörte er auf, Amphetamine zu nehmen.“). Das spricht wiederum für eine frühere Tatbegehung, nicht ausschließbar auch in bereits verjährter Zeit. Ist dies – wie hier – nicht auszuschließen, so schlägt ein entsprechender Zweifel zugunsten des Angeklagten aus (vgl. BGHSt 18, 274).

Darüber hinaus fehlen auch jedwede Angaben zur subjektiven Tatseite. Die Feststellung zur äußeren Tatseite, dass der Angeklagte die Fahrräder jeweils „entwendete“, vermag die erforderlichen Feststellungen insbesondere zur Zueignungsabsicht grundsätzlich nicht zu ersetzen.

III.

Die auf den Teilfreispruch, mithin auf den Vorwurf der Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 52 StGB) beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat ebenfalls Erfolg.

1. Das vom Landgericht beschriebene Verhalten des Angeklagten erfüllte, soweit dies auf Grundlage der getroffenen Feststellungen beurteilt werden kann, jedenfalls die Voraussetzungen des § 113 Abs. 1 StGB. Seine Widerstandshandlung war – entgegen der Auffassung des Landgerichts – rechtswidrig; eine Bestrafung des Angeklagten war nicht nach Maßgabe des § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB ausgeschlossen.

a) Es kann dabei offenbleiben, ob das Vorgehen der Polizeibeamten nicht schon durch § 163b Abs. 1 Satz 1 StPO gerechtfertigt war. Dazu nur so viel: Angesichts der Vorkommnisse in der Fahrradwerkstatt war der Angeklagte verdächtig, das Rad der Zeugin K. gestohlen zu haben. Angesichts dessen waren die beiden Polizeibeamten nach § 163b Abs. 1 Satz 1 StPO befugt, die zur Feststellung der Identität des Angeklagten „erforderlichen Maßnahmen zu treffen“. Da der Angeklagte keine Ausweispapiere bei sich führte und seine Identität vor Ort auch sonst nicht festzustellen war, durfte er nach § 163b Abs. 1 Satz 2, 3 StPO „festgehalten“ werden und gegen ihn „erkennungsdienstliche Maßnahmen“ durchgeführt werden. Eben dies geschah in der Folge auch. Für die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen wäre dann auch ohne weiteres die Verbringung zu einer Polizeidienststelle erforderlich und nach § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO zulässig gewesen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 64. Aufl. § 163b Rn. 13). Anstelle der damit verbundenen längeren Freiheitsentziehung haben sich die Polizeibeamten zu Gunsten des Angeklagten darauf eingelassen, diesen zu seiner Wohnung zu begleiten, um mit den dort vermuteten Ausweispapieren ungleich schneller und damit weniger eingriffsintensiv, seine Identität festzustellen. Trotz der örtlichen Veränderung hielten sie ihn dabei aber nach wie vor im Sinne des § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO fest. Denn mit ihrem Tun war die – an den Angeklagten gerichtete – Erklärung verbunden, sich nicht „aus ihrem Gewahrsam“ zu entfernen (vgl. KK-StPO/Griesbaum 8. Aufl. § 163b Rn. 16). Dies tat der Angeklagte aber schließlich, indem er im Wohnhaus angekommen, sich von den Polizeibeamten absetzte und in seine Wohnung zu flüchten versuchte.

Es liegt nahe, dass angesichts dieser besonderen Umstände auch ein kurzfristiges Betreten der Wohnung erlaubt war, welches hier nicht über den Eingangsbereich hinausging und lediglich zum Ziel hatte, den Angeklagten hinaus zu ziehen, um seine Identität festzustellen (nicht aber um die Wohnung zu durchsuchen). Zwar wird der damit verbundene Eingriff in das Recht des Angeklagten aus Art. 13 Abs. 1 GG in § 163b StPO nicht ausdrücklich aufgeführt. Denkbar ist jedoch insoweit, dass ein solches Vorgehen als unselbständige Begleitmaßnahme zur Fortsetzung der Identitätsfeststellung legitimiert ist (sog. Annexkompetenz; vgl. allgemein dazu SK-StPO/Wohlers/Greco Vor §§ 94 ff. Rn. 2 ff.; Krey/Heinrich StrafverfahrensR 2. Aufl. Rn. 706 ff.; speziell zum Betreten einer Wohnung als Sekundäreingriff vgl. BGH NStZ 1981, 22; OLG Düsseldorf NStZ 1981, 402; Kaiser NJW 1980, 875; siehe aber auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 21. Januar 2019 – 2 VAs 7/18 –, BeckRS 2019, 16427).

b) Letztlich kann das aber auf sich beruhen. Denn selbst wenn die Maßnahme materiell-rechtlich rechtswidrig gewesen wäre, würde dies an der Strafbarkeit des Angeklagten nach § 113 Abs. 1 StGB nichts ändern.

aa) Vielmehr ist die Rechtmäßigkeit einer Diensthandlung gemäß § 113 Abs. 3 StGB nach eigenständigen, vom Verwaltungsrecht losgelösten strafrechtlichen Kriterien zu beurteilen, die geringere Anforderungen stellen (vgl. BGHSt 4, 161, 163; 21, 334; KG NJW 2002, 3789). Danach ist entscheidend nicht die materielle Richtigkeit der Diensthandlung, sondern (nur) deren formelle Richtigkeit (vgl. BGH a.a.O.).

Dazu genügt, dass für die Diensthandlung dem Grunde nach eine gesetzliche Eingriffsgrundlage besteht (Fischer, StGB 68. Aufl. § 113 Rn. 13). Maßgebend sind dabei ferner die Einhaltung der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit und die Wahrung der wesentlichen Förmlichkeiten. Zudem trägt der handelnde Organwalter die Pflicht zur situationsangemessenen Beurteilung erkennbarer Eingriffsvoraussetzungen sowie im Falle eines durch die Eingriffsnorm eröffneten Ermessens zu einem adäquaten Ermessensgebrauch. Rechtmäßig ist die Diensthandlung in derartigen Fällen dann, wenn der Beamte das ihm eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausübt und sein Handeln nach dem Ergebnis dieser Prüfung ausrichtet; ob dieses Ergebnis richtig ist oder sich nach späterer Prüfung als falsch herausstellt, ist für die Frage der Rechtmäßigkeit bedeutungslos, wenn der Beamte aufgrund sorgfältiger Prüfung in der Annahme gehandelt hat, zu der Dienstausübung berechtigt und verpflichtet zu sein. Es kommt darauf an, ob der Beamte im Bewusstsein seiner Verantwortung und unter bestmöglicher pflichtgemäßer Abwägung aller ihm bekannten Umstände die Handlung für nötig und sachlich gerechtfertigt halten durfte (vgl. BGHSt 21, 334, 363). Denn die Beamten müssen sich in der konkreten Situation in der Regel unter einem gewissen zeitlichen Druck auf die Ermittlung eines äußeren Sachverhalts beschränken, ohne die Rechtsmäßigkeit des eigenen Handelns auf der Grundlage des materiellen Rechts oder des Vollstreckungsrechts bis in alle Einzelheiten klären zu können (vgl. BGH NStZ 2015, 574). Nur ein schuldhafter Irrtum über die Erforderlichkeit der Amtsausübung, Willkür oder Amtsmissbrauch machen die Handlung rechtswidrig (vgl. BGHSt 21, 334, 363; Senat, Urteil vom 11. Mai 2005 – [5] 1 Ss 61/05 [12/05]).

bb) Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe stellt sich die Diensthandlung als rechtmäßig dar.

Dient eine Maßnahme – wie hier – der Identitätsfeststellung nach § 163b Abs. 1 StPO ist die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung im Sinne des § 113 Abs. 3 StGB von der Beobachtung der bei ihr einzuhaltenden wesentlichen Förmlichkeiten abhängig. Nach § 163b Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 StPO in Verbindung mit § 163 Abs. 4 Satz 1 StPO ist dem Betroffenen bei Beginn der ersten Maßnahmen zur Identitätsfeststellung zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird (vgl. OLG Hamm NStZ 2013, 62). Dies ist ausweislich der vom Landgericht getroffenen Feststellungen geschehen.

Die handelnden Polizeibeamten waren zudem auch zuständig. Denn nach § 163 Abs. 1 Satz 1 StPO haben die „Beamten des Polizeidienstes“ „Straftaten zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunklung der Sache zu verhüten“.

Schließlich bestand in Gestalt des § 163b Abs. 1 StPO (zumindest dem Grunde nach) auch eine gesetzliche Eingriffsgrundlage für ihr Vorgehen. Nach den getroffenen Feststellungen war der Angeklagte im Sinne dieser Vorschrift „verdächtig“, das in der Werkstatt befindliche Rad gestohlen zu haben. Eine sofortige Identitätsfeststellung war nicht möglich, da der Angeklagte keine Ausweispapiere bei sich führte, mit der Folge, dass er bis zur sicheren Klärung seiner Personalien gemäß § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO „festgehalten“ werden durfte. Dadurch, dass die Polizeibeamten den Angeklagten zu seiner Wohnung zur Feststellung seiner Identität begleiteten, haben sie ihn im rechtlichen Sinne des § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO (weiter) festgehalten, und zwar als milderes Mittel gegenüber der Verbringung zur nächsten Polizeidienststelle. Mit ihrem Tun war die – an den Angeklagten gerichtete – Erklärung verbunden, sich nicht „aus ihrem Gewahrsam“ zu entfernen (vgl. KK-StPO/Griesbaum a.a.O.). Dem widersetzte sich der Angeklagte, indem er plötzlich und unerwartet aus dem unmittelbaren Zugriff der Polizeibeamten flüchtete, um in seine Wohnung zu entkommen. Da sich der Angeklagte ihrer Anordnung widersetzt hatte, waren sie dabei auch zur Anwendung unmittelbaren Zwanges (§§ 1, 2 UZwG Bln) befugt.

Von dieser Befugnis haben die Beamten vorliegend auch Gebrauch gemacht. Für die materiell-rechtliche Zulässigkeit ihres Vorgehens im Sinne einer Annexkompetenz (s.o.) spricht, dass eigentliches Ziel der Maßnahme nach wie vor die Identitätsfeststellung war und die Polizisten den Angeklagten dazu auch festhalten durften. Dieser hatte sich dabei aber dem Zugriff der Beamten entzogen, um in seine Wohnung zu fliehen. Im Zuge der Nacheile versuchten die Beamten dies zu verhindern, indem sie den Angeklagten aus den Eingangsbereich der Wohnung in das Treppenhaus zogen, was ihnen schließlich auch gelang. Ob sie bei diesem „Sekundengeschehen“ kurzfristig die Türschwelle übertreten durften oder unmittelbar davor hätten stehen bleiben müssen, um den Angeklagten dann sehenden Auges (jedenfalls zunächst) entkommen zu lassen, betrifft allein die materiell-rechtliche Seite der Eingriffsgrundlage, nicht aber die für § 113 Abs. 3 StGB allein maßgeblich formelle Richtigkeit der Maßnahme (s.o.).

Ein schuldhafter Irrtum der Polizeibeamten ist vorliegend zu verneinen. Vielmehr war die gesamte Situation zunächst einmal durch das absprachewidrige Verhalten des Angeklagten geprägt. Entgegen der Anordnung, in ihrem Gewahrsam zu verbleiben (s.o.), setzte er – nachdem er sich anfangs noch ordnungsgemäß verhalten und die Polizisten in Sicherheit gewogen hatte – unvermittelt zur Flucht an. Um selbst nicht dem Vorwurf eines Verstoßes gegen ihre Pflichten aus § 163 Abs. 1 Satz 1 StPO oder gar einem Strafvorwurf (§§ 258, 258a StGB) ausgesetzt zu werden, mussten die Polizisten darauf in „Sekundenbruchteilen“ reagieren. Für eine sorgfältige Abwägung des gesamten Für und Wider – und eine dem Fortgang des dynamischen Geschehens dann noch jeweils angepasste weitere Planung – verblieb in dieser hektischen Situation schlichtweg keine Zeit.

2. Weitere Rechtsfehler weist das Urteil mit Blick auf den tateinheitlich verwirkten Vorwurf der Körperverletzung (§ 223 StGB) auf. Bereits die Feststellungen zu diesem Vorwurf sind ersichtlich lückenhaft, so dass der Teilfreispruch auch deshalb keinen Bestand haben konnte. Dabei ist Folgendes zu beachten:

a) Auch ein freisprechendes Urteil muss aus sich heraus verständlich sein (BGH Urteil vom 13. Oktober 2016 – 4 StR 248/16 –, juris). Verfahrensrechtlich müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen das festgestellte Verhalten nicht für strafbar erachtet worden ist. Bei einem wie hier aus rechtlichen Gründen erfolgten Freispruch müssen gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO die für erwiesenen Tatsachen dargelegt und es muss erörtert werden, aus welchen Gründen das Gericht die Tat nicht für strafbar hält (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 374). Die Urteilsgründe müssen eine erschöpfende Würdigung der Feststellungen unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten enthalten (BGH GA 1974, 61; BayObLGSt 1954, 38 [39]). Spricht der Tatrichter den Angeklagten wegen Notwehr frei, so sind die tatsächlichen Voraussetzungen der Notwehr in revisionsrechtlich nachprüfbarer Weise darzulegen (BGH JA 2017, 629; BGHSt 42, 97 [102]; BGH NStZ-RR 2009, 70). Bei der hier in Frage stehenden Prüfung einer Rechtfertigung durch Notwehr ist es geboten, Art und Umfang der vom Angegriffenen ausgeführten Verteidigungshandlungen im Einzelnen festzustellen und darzulegen. Nur so kann beurteilt werden, ob – wie von der Generalstaatsanwaltschaft zu Recht angesprochen – die Gegenwehr des Angeklagten den Voraussetzungen des § 32 StGB entsprach, insbesondere auch im Sinne des § 32 Abs. 1, 2 StGB „geboten“ und „erforderlich“ war oder diese Schwelle bereits überschritten wurde (vgl. BGHSt 42, 97 [100]).

b) Diese Anforderungen erfüllt das Urteil ersichtlich nicht. Das Tatgericht teilt insoweit lediglich mit, dass der Polizeibeamte S. „im Rahmen der körperlichen Auseinandersetzung mit dem Angeklagten geringfügige Verletzungen an den Händen“ erlitten habe und die Polizeibeamtin P. „ein Hämatom am linken Arm“ (UA S. 4 unten). Wie, wo und wann diese im Einzelnen entstanden sind (ob etwa noch in der Wohnung oder aber erst im Treppenhaus), lässt das Urteil offen. Ebenso wenig werden etwaige für eine Körperverletzung erforderliche Handlungen des Angeklagten geschildert. Vielmehr beschränkt sich das Urteil – soweit es den Angeklagten betrifft – auf die Angabe, dass es „zu einem Gerangel zwischen dem Angeklagten und den Polizeibeamten“ gekommen und im Treppenhaus „das Gerangel“ weitergegangen sei (UA S. 4). Auf Grundlage dieser rudimentären Feststellungen ist es dem Revisionsgericht von vornherein nicht möglich, zu prüfen, ob der Teilfreispruch mit Blick auf den Vorwurf der Körperverletzung zu Recht erfolgt ist.

IV.

Nach alledem war das Urteil aufzuheben und insgesamt gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Im weiteren Verlauf des Verfahrens wird mit Blick auf den Vorwurf der Körperverletzung gegebenenfalls eine Verfahrensweise gemäß §§ 154, 154a StPO in Betracht zu ziehen sein.

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