AG Plettenberg – Az.: 9 Cs – 262 Js 1764/16 – 4/17
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I)
1. In dem Strafbefehl des erkennenden Gerichts vom 05.01.2017 wurde dem Angeklagten vorgeworfen, sich einer Beleidigung gem. § 185 StGB schuldig gemacht zu haben. Dem Vorwurf liegt nach dem vorgenannten Strafbefehl der folgende Sachverhalt zugrunde:
Gegen 13:20 Uhr soll der Angeklagte gegenüber den Polizeibeamten I und J, die auf das Firmengelände der Firma G, D-Straße aufgrund einer angestellten Leiter und eines damit einhergehenden Einbruchsverdachts gerufen worden waren, geäußert haben: „Sie können mich mal. Kinder, nehmt Ihr Euch eigentlich selber ernst?“ Damit soll er beabsichtigt haben, die Polizeibeamten in ihrer Ehre herabzusetzen.
2. Die Beweisaufnahme im Hauptverhandlungstermin vom 08.08.2017 hat folgende Feststellungen ergeben:
Am Vormittag – oder frühen Mittag – des 12.10.2016 wurden die Beamten I und J, die sich zu diesem Zeitpunkt bei einem Einsatz in Werdohl befanden, zu den ehemaligen Räumlichkeiten der Fa. G in der D in Plettenberg, in denen der Angeklagte als Geschäftsführer eine Firma betreibt, gerufen. Grund der Meldung war ein bestehender Einbruchsverdacht aufgrund einer an das Dach des Gebäudes angelehnten Leiter und die Meldung von einer Person, die sich auf dem Dach befinde. Den Beamten war zu diesem Zeitpunkt unbekannt, dass es sich bei dieser Person tatsächlich um den Zeugen S handelte, der seitens des Angeklagten angewiesen worden war, das Dach bzw. die dort installierte Photovoltaikanlage zu waschen. Nachdem die Beamten vor Ort zunächst die Werkshalle überprüft hatten, deren Tor offenstand, erblickten sie den Angeklagten telefonierend in dem angeschlossenen Büro, betraten dieses und teilten dem Angeklagten den Grund ihres Erscheinens mit. Ferner baten die Beamten den Angeklagten, sich darüber zu erklären, wer er sei und sich auszuweisen. Der Angeklagte teilte lediglich mit, dass es nicht zu einem Einbruch gekommen sei und kam der Aufforderung auch auf mehrmaliges Insistieren nicht nach, wobei er während des weiteres Diskussionsverlaufs sein Telefonat zunächst nur kurzfristig unterbrach. Nachdem dem Angeklagten von den Beamten eine Durchsuchung zwecks Identitätsfeststellung angedroht wurde, rief dieser im weiteren Verlaufe den Zeugen S hinzu. Während der Angeklagte weiterhin keine Angaben dazu machte, wer er ist, erläuterte der Zeuge S den Beamten, um wen es sich bei dem Angeklagten handelte. Gleichwohl wurde der Angeklagte nochmals um Aushändigung seiner Papiere gebeten.
Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt während des Einsatzes äußerte der Angeklagte zum einen: „Kinder nehmt Ihr Euch eigentlich selber ernst“ und „Ihr könnt mich mal“, wobei sich ebenfalls nicht mehr aufklären lässt, ob die Wendungen im Zusammenhang oder getrennt voneinander gefallen sind.
II)
Während die für die Beurteilung der Strafbarkeit maßgeblichen Geschehensabläufe in den Büroräumlichkeiten bzw. in der Diskussion zwischen den Beteiligten im Wesentlichen gemäß der vorangehenden Darstellung übereinstimmend geschildert werden, hat der Angeklagte sich lediglich eingelassen, dass es gut sein könne, dass er die (rhetorische) Frage gestellt hat: „Kinder, nehmt Ihr Euch eigentlich selbst noch ernst?“. Die weitere in der Anklage genannte Äußerung getätigt zu haben streitet er ab.
Es jedoch steht zur Überzeugung des Gerichts unter Zugrundelegung der Bekundungen der Zeugen I und J jedoch fest, dass der Angeklagte den Beamten im Laufe der Diskussion auch „Ihr könnt mich mal“ vorgehalten hat.
Die Zeugen vermochten sich, wenngleich nicht mehr mit Blick auf den Zeitpunkt der Äußerung, konkret daran erinnern, dass diese gefallen ist. Wenngleich der Zeuge S dies – anders als noch in seiner polizeilichen Ermittlung – nicht mehr zu bestätigen wusste, da er sich in Ansehung des Zeitablaufes nicht mehr sicher war, so spricht jedoch die Schilderung des Ablaufes der Diskussion, bei der jedenfalls nach Bekunden des Angeklagten für diesen im Mittelpunkt stand, bei einem wichtigen Telefonat gestört worden zu sein, ebenfalls dafür, dass in der eingeräumten Erregung bzw. dem „Hochschaukeln“ der Diskussion auch diese Äußerung gefallen ist.
III)
Von dem auf diesen Äußerungen gründenden Vorwurf der Beleidigung ist der Angeklagte nach eingehender Prüfung der Tatumstände aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
Die beiden vorgenannten Äußerungen gegenüber den beiden Beamten erfüllen weder für sich genommen noch bei – unterstellter – Kombination den Tatbestand der Beleidigung im Sinne von § 185 StGB.
1. Eine nach § 185 StGB strafbare Beleidigung liegt vor, wenn eine Äußerung eine Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung enthält. Dies ist der Fall, wenn dem Betroffenen der ethische oder soziale Wert ganz oder teilweise abgesprochen und dadurch der grundsätzlich uneingeschränkte Achtungsanspruch verletzt oder gefährdet wird.
Für die Interpretation einer Äußerung als herabsetzendes Werturteil, kann nicht alleine am Wortlaut haften geblieben werden, es kommt vielmehr auf den objektiven Sinn der Äußerungen an, der aus der Sicht eines unbefangenen Erklärungsempfängers zu erforschen ist, ohne dass es auf die Intention des Täters oder das subjektive Empfinden des Adressaten ankommt (vgl. Hamm NStZ-RR 2007, 140, beck-online). Bei der Auslegung müssen der sprachliche Zusammenhang und die außertextlichen Begleitumstände des konkreten Einzelfalls, soweit diese für die Adressaten der Äußerung wahrnehmbar waren, berücksichtigt werden (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 – 1 BvR 1476/91 -, BVerfGE 93, 266-319).
2. Unter Zugrundelegung dessen vermag das Gericht schon nicht davon auszugehen, dass in der Aussage: „Kinder, nehmt ihr euch eigentlich selbst ernst“ keine Herabwürdigung der Beamten durch Absprache des sozialen Geltungsanspruches zu erkennen. Die Äußerung ist entsprechenden den vorangehend dargestellten Grundsätzen zunächst vor dem Hintergrund der Diskussionssituation zu sehen. Der Angeklagte befand sich in den Büroräumlichkeiten der Firma, deren Geschäftsführer er ist, und führte dort ein Telefonat mit einem Kunden, das durch den Einsatz der Polizei unterbrochen wurde. Der Angeklagte hat in diesem Zusammenhang nicht ganz zu unrecht eingewandt, dass es eher unwahrscheinlich erscheint, dass der Täter eines Einbruchs nach oder während dessen Ausführung wie selbstverständlich an einem Schreibtisch Platz nimmt und mit Kunden telefoniert. Weiter muss, da sich der genaue Zeitpunkt während der Diskussion, zu dem die Äußerungen gefallen sind, nicht mehr feststellen ließ, zugunsten des Angeklagten auch davon ausgegangen werden, dass diese Äußerungen womöglich gefallen sind als der Zeuge S bereits mitgeteilt hatte, dass er Dachreinigungsarbeiten vorgenommen hatte und der Angeklagte der Geschäftsführer Herr C2 ist. In dieser Situation kann, unabhängig davon, wie der Angeklagte dies nun gemeint hat, diese Äußerung ohne weiteres auch als Kritik an dem weiteren Vorgehen der Polizeibeamten verstanden werden, die trotz Bestätigung einer weiteren Person auf einer Identifikation durch Ausweisen des Angeklagten beharrten, so dass die Frage nach dem „selbst ernst nehmen“ auch dergestalt verstanden werden kann, dass ihr die Bedeutung: „Meint ihr das jetzt ernst?“ bei kommt. Dabei darf nicht außer Betracht bleiben, dass nicht jede drastische Formulierung von Kritik (vgl. Fischer, StGB, § 185 Rn. 10) zur Schmälerung oder zur Absprache des sozialen Geltungsanspruches führt. Das berechtigte Interesse des einzelnen, sich im Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG kritisch zu äußern, darf nicht dadurch eingeschränkt werden, dass bei womöglich derberen Äußerungen diese alleine auf ihren Wortlaut reduziert werden. Folglich kann auch hier unter Würdigung aller Verständnismöglichkeiten eines objektiven Dritten nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger in gereizter Stimmung lediglich die Erforderlichkeit der weiteren Feststellungsmaßnahmen kritisieren wollte.
Eine andere Bedeutung erlangt die Aussage auch nicht durch Voranstellung des Wortes „Kinder“. Bei den Beamten handelte es sich offensichtlich nicht um „Kinder“ und die Schilderung der Gesprächsatmosphäre durch sämtliche Beteiligte lässt nicht im Ansatz den Schluss zu, dass der Angeklagte die Beamten bewusst als solche bezeichnet hat, um sie in irgendeiner Weise – wie genau bliebe ohnehin unklar – herabzuwürdigen. Im Gegenteil liegt hier näher, dass es sich lediglich um eine saloppe, umgangssprachliche und nicht mit näherem Sinngehalt gefüllte Anrede der Anwesenden handelte, die in etwa denselben Gehalt gehabt hätte, wie die Anrede mit „Leute, [ … ]“. Dafür spricht jedenfalls erheblich, dass der Angeklagte diese Wendung auch im Rahmen seiner Einvernahme gegenüber dem Gericht zur Schilderung seiner Gedanken bei Eintreffen der Polizei im Büro – ohne dass dies konstruiert wirkte – verwendet hat.
3. Bei der Würdigung der Bedeutung der Aussage „Ihr könnt mich mal“ kann im Wesentlichen auf die vorangegangenen Ausführungen Bezug genommen werden.
Dabei ist zunächst zu berücksichtigen – und insoweit schließt sich das Gericht ausdrücklich den Ausführungen des OLG Karlsruhe in NStZ 2005, 158 an – , dass bei Vervollständigung der Aussage mit dem sog. Goetz-Zitat („am Arsch lecken“) einiges dafür spricht, bei einer solchen Äußerung eine Herabwürdigung des Geltungsgehaltes des Adressaten anzunehmen ist. Vorliegend steht die Aussage zunächst aber einmal für sich und hat in dieser Form keinen negativer Bedeutungsinhalt. In Anlehnung an die eingangs dargelegten Grundsätze ist vielmehr maßgeblich, ob diese Aussage – wenn auch unausgesprochen – mit einem herabwürdigenden Zusatz verbunden sein sollte und auch so in der konkreten Situation für einen verständigen Dritten zu verstehen war.
Hierfür lassen sich der konkreten Situation keine zwingenden Anhaltspunkte dafür finden, dass die für sich stehende Aussage mit dem Goetz-Zitat zumindest gedacht vervollständigt werden sollte. Zu Recht weist das OLG Karlsruhe darauf hin, dass dem Ausdruck auch nach heutigem Verständnis „Lass mich zufrieden, lass mich in Ruhe, die Sache ist auch für mich erledigt“ beikommt. Dies wird im Übrigen auch von kritischen Stimmen in der Literatur für das vollständige Zitat eingeräumt (vgl. Jerouschek NStZ 2006, 345, beck-online). Wie bereits ausgeführt, ist es vor dem Hintergrund der erneuten Nachfrage hinsichtlich des Ausweisens bzw. der Identität, nachdem diese bereits durch Herrn S geklärt war, nicht fernliegend, dass der Angeklagte nach der Offenlegung seiner Identität durch einen Dritten mit dieser Äußerung schlichtweg ausdrücken wollte, dass er sich nun nicht weiter mit den Beamten und der Sache auseinandersetzen werde. Dafür spricht in jedem Falle auch, dass die Zeugen in Übereinstimmung mit den Bekundungen des Angeklagten angaben, dass dieser sich irgendwann einfach wieder den Telefonaten zuwandte.
Soweit dieser Ansatz in der Literatur (Jerouschek a.a.O) Kritik erfahren hat mit der Begründung, dass es sich bei der Aussage für sich stehend oder mit anderen möglichen Endungen “ … mal gern haben“ “ … kreuzweise“ “ … den Buckel runterrutschen“ bloß um Euphemismen, Abkürzungen und Chiffrierungen des Götzzitates handele, vermag dem das Gericht nicht zu folgen. Die hierzu weitergehend angebrachten Exkurse zu Abbreviaturen bei blasphemischen Äußerungen oder zur historischen Entwicklung des Götzzitates, dem sich im Übrigen auch König Friedrich Wilhelm I. sogar in seinen Kabinettsordnern oder gegenüber seinen Ministern wiederholt bediente, mögen sich womöglich dem höheren Bildungsbürgertum oder mehrfach promovierten und habilitierten Gelehrten an der Universität erschließen. Für die Auslegung nach dem Empfängerhorizont eines (bloß) verständigen Dritten fehlt es derlei Anknüpfungspunkten an einem brauchbaren Maß von Wirklichkeitsbezug, denn solche Erwägungen wird ein verständiger Dritter nicht anstellen.
Als brauchbarer Ausgangspunkt für den Horizont des verständigen Dritten ist vorrangig in den Blick zu nehmen, dass die Wendung „Du kannst mich mal … am Arsch lecken“ durchweg und in allen Gesellschaftskreisen an sich bekannt ist. Ferner, dass der Äußerung in jeder Form – wie schon ausgeführt – die Bedeutung zukommt, dass man in Ruhe gelassen werden will. Seine besondere Form der Herabwürdigung mit „anale[r] Kontur und Dominanz“ (Jerouschek, a.a.O) erlangt die Äußerung „Du kannst mich mal“ folglich erst durch die Ergänzung mit („am Arsch lecken“).
Entscheidet sich vor diesem Hintergrund der Äußernde, es bei einem „Du kannst mich mal“, evtl. in Verbindung mit einer der oben genannten unverfänglicheren Vervollständigungen, zu belassen, kann diese bewusste Entscheidung nicht einfach ausgeblendet und unterstellt werden, es sei ohnehin in jeder Ausdrucksform „am Arsch lecken“ gemeint. Dem vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Erfordernis, den Bedeutungsgehalt der Erklärung unter allen Umständen des Einzelfalles zu erforschen, wäre damit jedenfalls nicht Genüge getan, sondern stellte eine vorweggenommene Würdigung bar jeder Berücksichtigung der Begleitumstände dar. Fehlt es – wie im vorliegenden Fall – an weiteren Begleitumständen, die allein den Schluss zulassen, dass es dem Angeklagten um eine Herabwürdigung der Beamten ging, kann die Äußerung „Du kannst mich mal“ nicht im inkriminierten Sinne gedacht erweitert werden.
Was bleibt, ist ein grob unhöfliches und in Ansehung des Umstandes, dass die Beamten letztlich im mutmaßlichen Interesse des Klägers mit Blick auf einen möglichen Einbruch tätig geworden sind, nur schwer nachvollziehbares Verhalten, das nicht den Tatbestand des § 185 StGB erfüllt.
IV)
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.