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Jugendstrafe – Verhängung wegen der Schwere der Schuld

AG Waldshut-Tiengen – Az.: 2 Ls 22 Js 1928/17 jug – Urteil vom 14.01.2019

Die Angeklagte … wird wegen Freiheitsberaubung von über einer Woche zur Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.

Die Vollstreckung der Jugendstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt.

Es wird davon abgesehen, Kosten und Auslagen aufzuerlegen; die Kosten der Nebenklage hat die Angeklagte zu tragen.

Angewandte Strafvorschriften: §§ 239 I, III Nr. 1 StGB; 1, 105 JGG.

Gründe

Abgekürzt gem. § 267 Abs. 4 StPO

I.

Die heute 27 Jahre alte Angeklagte … hat in … ihren Hauptschulabschluss gemacht. Sie hat dann die zweijährige Hauswirtschaftsschule gemacht und im Jahre 2009 die Mittlere Reife erlangt. Im Anschluss daran hat sie eine Ausbildung als Altenpflegerin begonnen, diese allerdings nach vier Monaten abgebrochen; sie empfand die Ausbildung als zu große Belastung. Die Angeklagte war sodann arbeitslos bis April 2010. Im April 2010 begann sie dann über den Internationalen Bund in … berufsvorbereitende Maßnahmen, d. h. verschiedene Praktika, die bis Juli 2011 andauernden.

Sodann war sie im Rehazentrum … untergebracht und hat dort eine medizinische Reha durchlaufen. Diese medizinische Reha hat bis in das Jahr 2015 gedauert. Anschließend hat sie ein einjähriges Praktikum als Heilerziehungspflegerin absolviert. Dies tat sie in der Diakonie in …

Im Juni/Juli 2016 ist dann ein Nervenzusammenbruch erfolgt. Die Angeklagte ist dann nach … in eine eigene Wohnung gezogen und hat nochmals eine Ausbildung zur Altenpflegerin angetreten. Nach sechs Monaten hat sie wieder einen Zusammenbruch erlitten und die Ausbildung daraufhin abgebrochen. Die Angeklagte ist dann zwei Jahre arbeitslos gewesen. Seit August 2018 arbeitet sie auf 450-Euro-Basis bei Essen auf Rädern bei der Arbeiterwohlfahrt in … und verdient ca. 400,00 Euro im Monat. Sie ist im Fahrdienst tätig. Die Wohnung der Angeklagten wird über das Jobcenter finanziert.

Die Mutter der Angeklagten lebt in …, der Vater in … Die Eltern sind seit dem Jahre 2015 getrennt. Kontakt hat sie zu beiden Elternteilen.

Die Angeklagte hat derzeit Schulden in Höhe von ca. 3.000 Euro, diese resultieren aus Mietschulden bzw. aus Handyrechnungen von O2.

Die Angeklagte zahlt monatlich insgesamt 100,00 Euro an verschiedene Gläubiger, um die Schulden zu reduzieren.

Strafrechtlich ist die Angeklagte bisher nicht in Erscheinung getreten.

II.

Ein Kriminalbeamter der Kriminalpolizei … vernahm die Angeklagte am 23. Sept. 2008 und am 28. Okt. 2008 in den Räumen der Kriminalpolizei … wegen eines mutmaßlichen Sexualdelikts zu ihrem Nachteil.

Die Angeklagte gab hierbei – zusammengefasst – bewusst wahrheitswidrig folgendes an:

Jugendstrafe - Verhängung wegen der Schwere der Schuld
(Symbolfoto: Von Anelo/Shutterstock.com)

Sie habe sich am 16. Aug. 2008 in der Wohnung ihres Nachbarn … in der …-straße … in … aufgehalten. Sie sei dort als Babysitterin für dessen zehn Monate alten Sohn Mike tätig gewesen. … sei ebenfalls zuhause gewesen. Zwischen 15:00 und 16:00 Uhr habe die Angeklagte das Kind in der dritten Etage des Hauses (Dachgeschoss) zum schlafen hingelegt. Nach etwa zehn Minuten habe sie das Zimmer verlassen und sei in Richtung der Treppe gegangen, die ins untere Geschoss führe. Noch bevor sie die Treppe erreicht habe, sei ihr … entgegen gekommen. Er habe sie unvermittelt an den Oberarmen festgehalten. Anschließend habe … sie zu Boden gebracht und eine Hand auf ihre Brust gelegt, damit sie auf dem Boden liegen bleibe. … habe sodann ihre Jogginghose und Unterhose nach unten bis zu den Füßen gezogen. Die Angeklagte will dabei vor Schreck wie gelähmt gewesen sein. … habe anschließend versucht, mit aller Kraft mit seinem Penis in sie vaginal einzudringen. Er sei nicht vollständig eingedrungen und sei auch nicht zum Samenerguss gekommen. … habe zu ihr gesagt, sie sei „voll eng“. Es sei schmerzhaft für sie gewesen. … habe die Sexualhandlungen dann von sich aus abgebrochen, als er durch das geöffnete Dachfenster das Geräusch eines Fahrzeugs gehört und sich dadurch erschrocken habe.

Zugunsten der Angeklagten wird davon ausgegangen, dass sie bei ihren beiden polizeilichen Vernehmungen, vor allem bei der wesentlichen ersten Vernehmung, aus Naivität noch glaubte, es handelte sich um ein Beratungsgespräch hinsichtlich des weiteren Vorgehens und nicht schon um Angaben im Rahmen einer Anzeige, die die Verfolgung … nach sich ziehen könnte.

Aufgrund der Angaben der Angeklagten erhob die Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen im Ermittlungsverfahren 22 Js 9463/08 am 01. April 2009 Anklage zum Amtsgericht – Schöffengericht – Bad Säckingen.

Zu der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht – Schöffengericht – Bad Säckingen – 2 Ls 22 Js 9463/08 – am 20. April 2010 wurde auch die Angeklagte als Zeugin geladen. Obwohl die Angeklagte auf ihre Wahrheitspflicht hingewiesen worden ist, entschloss sie sich bewusst und gewollt, ihre bei der Kriminalpolizei gemachten wahrheitswidrigen Angaben aufrecht zu erhalten. Sie machte daraufhin am 20. April 2010 vor dem Amtsgericht Bad Säckingen die gleichen Angaben wie in ihrer polizeilichen Vernehmung. Das Amtsgericht Bad Säckingen verurteilte … aufgrund ihrer Angaben am 11. Mai 2010 wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

… legte gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Säckingen Berufung ein. Spätestens mit der Ladung zur Hauptverhandlung in der Berufungsinstanz erkannte die Angeklagte, dass … wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung auch zu einer längeren Gefängnisstrafe verurteilt werden könnte. Die Angeklagte hat glaubhaft angegeben, gewusst zu haben, dass … in der ersten Instanz vor dem Amtsgericht Bad Säckingen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden ist. Trotzdem wiederholte die Angeklagte in der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Waldshut-Tiengen am 24. Nov. 2010 ihre zuvor gemachten Angaben. Vor allem aufgrund der durch die Angeklagte gemachten Angaben wurde … mit Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 25. Nov. 2010 wiederum zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dieses Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen wurde am 21. Sept. 2011 rechtskräftig, nachdem der Angeklagte mit seiner eingelegten Revision keinen Erfolg hatte.

… verbüßte die Haftstrafe in vollem Umfang in der Zeit vom 24. April 2012 bis 06. Oktober 2014.

Nunmehr hat das Jugendschöffengericht festgestellt, dass die Verurteilungen von … zu Unrecht erfolgt sind.

Erstmals in einem Brief vom 03. Feb. 2017 gerichtet an … hat die Angeklagte eingeräumt, dass … schuldlos zwei Jahre und sechs Monate hinter Gitter gewesen ist.

Die Angeklagte hat mittlerweile in mehreren Vernehmungen und auch in der hiesigen Hauptverhandlung eingeräumt, dass sämtliche sexuelle Handlungen zwischen … und ihr damals einvernehmlich erfolgt sind.

III.

Die Angeklagte ist somit schuldig der Freiheitsberaubung von über einer Woche begangen in mittelbarer Täterschaft.

IV.

In Anwendung von Jugendstrafrecht hat das Jugendschöffengericht die Voraussetzung der Schwere der Schuld bejaht.

Das Jugendschöffengericht verkennt nicht, dass das Vorliegen der Schwere der Schuld nur grundsätzlich bei Kapitalverbrechen bejaht wird. Im vorliegenden Fall ist zu sehen, dass der zu Unrecht verurteilte … unendliches Leid erlitten hat.

Als Sexualstraftäter ist er im Gefängnis besonders schlecht behandelt worden. Er musste trotz ordentlicher Führung Endstrafe verbüßen. Er wurde einer Führungsaufsicht unterstellt. Eines seiner beiden Kinder ist aufgrund seiner Abwesenheit und einer dann erlittenen Epilepsieerkrankung schwer geschädigt worden.

Die Ehefrau von … hat die Scheidung eingereicht, und diese Scheidung ist dann auch erfolgt.

Des Weiteren ist die finanzielle Situation von … durch den Gefängnisaufenthalt desaströs. Unter anderem musste auch das Eigenheim verkauft werden.

Nach alledem erschien die Verhängung einer Jugendstrafe unumgänglich. Das Jugendschöffengericht hielt eine Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten für sachgerecht.

Diese erstmalige Jugendstrafe konnte zur Bewährung ausgesetzt werden. Als fühlbare Sanktion hat die Angeklagte 120 Arbeitsstunden abzuleisten.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 JGG, die Kosten der Nebenklage hat die Angeklagte zu tragen gemäß § 472 Abs. 1 StPO.

 

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