Das Landgericht Freiburg im Breisgau hat in seinem Urteil (Az.: 64/23 17 NBs 450 Js 23772/22) vom 08.12.2023 entschieden, dass die Blockade einer Fahrbahn durch Klimaaktivisten, die sich festgeklebt hatten, unter bestimmten Umständen eine strafbare Nötigung darstellen kann. Die Entscheidung betont, dass die Bildung einer Rettungsgasse und die mögliche Nutzung dieser durch Fahrzeuge entscheidend dafür ist, ob eine physische Zwangswirkung und somit eine Nötigung vorliegt.
Ferner wurde hervorgehoben, dass das Selbstbestimmungsrecht der Versammlungsteilnehmer im Kontext mit dem Schutz kollidierender Rechtsgüter Dritter zu bewerten ist. Die rechtliche Bewertung der Aktion als Nötigung hängt dabei stark von der Dauer der Blockade und der Intensität der Beeinträchtigung ab. Die Abwägung der Grundrechte der Versammlungsfreiheit gegenüber den Rechten der betroffenen Verkehrsteilnehmer führte zur Verurteilung der Angeklagten, wobei das Gericht eine Verwarnung mit Strafvorbehalt als angemessene Reaktion ansah.
Übersicht
- ✔ Das Wichtigste in Kürze
- ✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt
- Wie wird festgestellt, ob eine Aktion von Klimaaktivisten wie das Festkleben an einer Fahrbahn rechtlich als Nötigung gilt?
- Inwiefern beeinflusst die Bildung einer Rettungsgasse die rechtliche Bewertung einer Straßenblockade durch Klimaaktivisten?
- Wie werden die Interessen von Verkehrsteilnehmern und Klimaaktivisten bei einer Straßenblockade rechtlich gegeneinander abgewogen?
- § Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil
- Das vorliegende Urteil
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✔ Das Wichtigste in Kürze
- Das LG Freiburg bewertete die Straßenblockade durch Klimaaktivisten als strafbare Nötigung unter bestimmten Bedingungen.
- Die Möglichkeit und tatsächliche Nutzung einer Rettungsgasse spielten eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung der physischen Zwangswirkung.
- Die Abwägung zwischen Versammlungsfreiheit und den Rechten der beeinträchtigten Dritten führte zur Feststellung der Verwerflichkeit der Tat.
- Eine kurzfristige Behinderung des Verkehrs wird als sozialadäquat angesehen, wenn sie die öffentliche Aufmerksamkeit für wichtige Anliegen erhöht.
- Die Dauer der Blockade und die fehlende Möglichkeit zur Umfahrung waren ausschlaggebend für die Rechtswidrigkeit der Aktion.
- Das Gericht legte Wert auf die Abwägung der kommunikativen Absichten der Aktivisten gegenüber den Einschränkungen für die Verkehrsteilnehmer.
- Die Verwarnung mit Strafvorbehalt reflektiert die Abwägung zwischen der Schwere der Tat und der Motivation der Angeklagten.
- Die Entscheidung berücksichtigt die Bedeutung der demokratischen Teilhabe und des Klimaschutzes, setzt aber klare Grenzen bei der Ausübung von Protestaktionen.
Klimaaktivistin setzt Zeichen: Rechtsfragen bei Straßenblockade
Am frühen Morgen des 07. Februar 2022 sorgte eine Gruppe von 14 Klimaaktivisten, darunter die 30-jährige Studentin, für Aufsehen, als sie die Fahrbahn an einem verkehrsreichen Kreuzungsbereich in Freiburg im Breisgau blockierten.
Mit dem Ziel, auf das drängende Problem der Lebensmittelverschwendung und dessen Einfluss auf den Klimawandel aufmerksam zu machen, nahmen sie eine Blockadehaltung ein, die den Verkehr für nahezu zwei Stunden zum Erliegen brachte. Ihre Aktion unter dem Motto „Essen retten, Leben retten“ zog nicht nur die Aufmerksamkeit der vor Ort gestauten Autofahrer, sondern auch der Medien auf sich.
Rechtliche Herausforderungen einer Protestaktion
Die rechtliche Auseinandersetzung um diese Form des zivilen Ungehorsams mündete in einem Urteil des Landgerichts Freiburg. Das Gericht musste die Frage beantworten, inwieweit die Blockade einer Fahrbahn durch Klimaaktivisten als strafbare Nötigung zu werten ist und wie sich das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit in das Geschehen einfügt. Von besonderem Interesse war dabei, ob und inwieweit die Bildung einer Rettungsgasse, die die Nutzung durch die Fahrzeuge ermöglicht hätte, eine Rolle bei der Bewertung der Nötigung durch Gewalt spielt.
Die Entscheidung des Landgerichts Freiburg
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass eine Blockade, die das öffentliche Leben signifikant stört und keine Rettungsgasse zulässt, unter bestimmten Umständen als strafbare Nötigung anzusehen ist. Im spezifischen Fall der Freiburger Blockade wurde festgestellt, dass die Aktivisten mit ihrer Aktion eine physische Zwangswirkung ausübten, da keine funktionsfähige Rettungsgasse für die Nutzung durch Kraftfahrzeuge bestand. Das Gericht betonte jedoch auch, dass das Recht auf Versammlungsfreiheit eine wichtige Säule der demokratischen Gesellschaft darstellt, dessen Ausübung jedoch im Einklang mit anderen Rechtsgütern und der öffentlichen Ordnung stehen muss.
Gründe für die gerichtliche Bewertung
Die Bewertung des Gerichts stützte sich auf eine umfassende Abwägung der kollidierenden Grundrechte: Einerseits das Recht der Aktivisten auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung, andererseits die Rechte der Verkehrsteilnehmer auf Freizügigkeit und ungehinderte Nutzung öffentlicher Straßen. Das Gericht erkannte an, dass Protestaktionen zur Meinungsbildung beitragen und ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung darstellen können. Gleichzeitig wurde jedoch deutlich gemacht, dass der Schutz der Allgemeinheit und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung Grenzen setzen, innerhalb derer solche Aktionen stattfinden dürfen.
Fazit: Ein Balanceakt zwischen Protest und Rechtsordnung
Das Urteil des Landgerichts Freiburg im Breisgau unterstreicht die Notwendigkeit eines sorgfältigen Abwägens zwischen dem Recht auf Protest und den Rechten anderer Bürger sowie der öffentlichen Sicherheit. Es verdeutlicht, dass Aktionen des zivilen Ungehorsams, insbesondere solche, die zu erheblichen Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens führen, einer kritischen rechtlichen Prüfung unterzogen werden. Die Entscheidung zeigt auf, dass auch in einer lebendigen Demokratie die Ausübung von Grundrechten ihre Grenzen findet, wo die Rechte anderer oder die öffentliche Ordnung substantiell beeinträchtigt werden.
✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt
Wie wird festgestellt, ob eine Aktion von Klimaaktivisten wie das Festkleben an einer Fahrbahn rechtlich als Nötigung gilt?
In Deutschland wird die Frage, ob Aktionen von Klimaaktivisten, wie das Festkleben an einer Fahrbahn, rechtlich als Nötigung gelten, durch eine Kombination aus gesetzlichen Bestimmungen, Gerichtsurteilen und der Interpretation dieser Gesetze und Urteile durch Rechtsexperten beantwortet. Gemäß § 240 des Strafgesetzbuches (StGB) ist eine Nötigung dann gegeben, wenn jemand einen anderen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt. Die Rechtswidrigkeit der Tat ist dabei insbesondere dann gegeben, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
Die rechtliche Bewertung von Straßenblockaden durch Klimaaktivisten hängt von verschiedenen Faktoren ab. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner „Zweite-Reihe“-Rechtsprechung festgestellt, dass eine Nötigung vorliegen kann, wenn die Aktivisten durch ihr Handeln eine physische Barriere für die nachfolgenden Fahrzeuge schaffen, indem sie die erste Reihe der Fahrzeuge zum Anhalten bringen. Die Fahrzeuge in der zweiten Reihe werden somit indirekt genötigt, ihre Fahrt nicht fortzusetzen.
Die Verwerflichkeit der Tat, als ein weiteres Kriterium für die Strafbarkeit der Nötigung, wird im Einzelfall geprüft. Dabei spielen die Umstände der Tat, wie die Dauer und Intensität der Blockade, deren vorherige Ankündigung, mögliche Ausweichmöglichkeiten und die Dringlichkeit des blockierten Transports eine Rolle. Gerichte haben in einigen Fällen entschieden, dass die Blockadeaktionen nicht verwerflich waren, insbesondere wenn keine abstrakte oder konkrete Gefährdung der Verkehrsteilnehmer zu befürchten war und ein Sachzusammenhang zwischen der Protestaktion und dem Blockieren der Straße als gegeben angesehen wurde.
Es gibt jedoch auch Urteile, die die Aktionen der Klimaaktivisten als Nötigung bewerten und entsprechende Verurteilungen aussprechen. So wurden beispielsweise Angeklagte in Heilbronn wegen Nötigung verurteilt, nachdem sie eine mehrspurige Straße blockiert hatten. Die rechtliche Bewertung kann also je nach den Umständen des Einzelfalls und der Interpretation durch das jeweilige Gericht variieren.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die rechtliche Einordnung von Aktionen wie dem Festkleben an einer Fahrbahn durch Klimaaktivisten in Deutschland von mehreren Faktoren abhängt, darunter die Art und Weise, wie die Aktion durchgeführt wird, und die Umstände, unter denen sie stattfindet. Die Gerichte prüfen insbesondere, ob eine Nötigung im Sinne des § 240 StGB vorliegt und ob die Tat als verwerflich anzusehen ist. Die Rechtsprechung zeigt, dass es sowohl Verurteilungen als auch Freisprüche gegeben hat, was die Komplexität der rechtlichen Bewertung solcher Protestaktionen unterstreicht.
Inwiefern beeinflusst die Bildung einer Rettungsgasse die rechtliche Bewertung einer Straßenblockade durch Klimaaktivisten?
Die Bildung einer Rettungsgasse ist ein wichtiger Aspekt bei der rechtlichen Bewertung einer Straßenblockade durch Klimaaktivisten. In Deutschland ist die Bildung einer Rettungsgasse gesetzlich vorgeschrieben, um Einsatzfahrzeugen im Notfall eine schnelle Durchfahrt zu ermöglichen. Wird durch eine Straßenblockade die Bildung einer Rettungsgasse verhindert oder erschwert, kann dies die rechtliche Bewertung der Aktion beeinflussen.
Das Amtsgericht Tiergarten hat in einem Beschluss vom 5. Oktober 2022 die Verwerflichkeit einer Straßenblockade durch Klimaaktivisten verneint, da die Blockade so organisiert war, dass der entsprechende Klimaaktivist am Ausgang der Rettungsgasse nicht angeklebt war und sofort Platz machte. Dies deutet darauf hin, dass die Berücksichtigung einer Rettungsgasse und die Möglichkeit, diese im Notfall freizugeben, die rechtliche Bewertung der Aktion beeinflussen kann.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat jedoch einen Freispruch gegen Klimaaktivisten wegen Beteiligung an Straßenblockaden aufgehoben, wobei hier nicht explizit erwähnt wird, ob eine Rettungsgasse bestand oder nicht. Dies zeigt, dass die Gerichte die Umstände jeder einzelnen Aktion individuell bewerten und dass die Bildung einer Rettungsgasse ein Faktor sein kann, der berücksichtigt wird.
Die rechtliche Bewertung einer Straßenblockade als Nötigung gemäß § 240 StGB hängt von verschiedenen Faktoren ab, einschließlich der Frage, ob Gewalt ausgeübt wurde und ob die Tat als verwerflich anzusehen ist. Die Bildung einer Rettungsgasse könnte als ein Aspekt der Verwerflichkeit betrachtet werden, insbesondere wenn durch die Blockade die Hilfeleistung für Notfälle behindert wird.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bildung einer Rettungsgasse und die Möglichkeit, diese im Notfall freizugeben, wichtige Faktoren bei der rechtlichen Bewertung einer Straßenblockade durch Klimaaktivisten sein können. Die Gerichte berücksichtigen diese Aspekte bei der Entscheidung, ob eine Aktion als Nötigung zu bewerten ist und ob die Tat verwerflich ist.
Wie werden die Interessen von Verkehrsteilnehmern und Klimaaktivisten bei einer Straßenblockade rechtlich gegeneinander abgewogen?
Bei der rechtlichen Abwägung der Interessen von Verkehrsteilnehmern und Klimaaktivisten bei einer Straßenblockade in Deutschland spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Diese Abwägung erfolgt im Rahmen der strafrechtlichen Bewertung von Aktionen wie Straßenblockaden, insbesondere unter dem Aspekt der Nötigung gemäß § 240 StGB. Die zentralen Aspekte dieser Abwägung umfassen die Ausübung von Gewalt oder die Androhung eines empfindlichen Übels durch die Aktivisten, den Nötigungserfolg, die Verwerflichkeit der Tat sowie die Berücksichtigung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG.
Die „Zweite-Reihe“-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) stellt klar, dass eine Nötigung vorliegen kann, wenn Aktivisten durch ihr Handeln eine physische Barriere für die nachfolgenden Fahrzeuge schaffen. Dies geschieht, indem sie die erste Reihe der Fahrzeuge zum Anhalten bringen, wodurch die Fahrzeuge in der zweiten Reihe indirekt genötigt werden, ihre Fahrt nicht fortzusetzen.
Die Verwerflichkeit der Tat, als ein weiteres Kriterium für die Strafbarkeit der Nötigung, wird im Einzelfall geprüft. Dabei werden die Umstände der Tat, wie die Dauer und Intensität der Blockade, deren vorherige Ankündigung, mögliche Ausweichmöglichkeiten und die Dringlichkeit des blockierten Transports berücksichtigt.
Die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG spielt ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Bewertung von Straßenblockaden. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass Sitzblockaden unter bestimmten Umständen vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit gedeckt sein können. Entscheidend ist dabei, ob die Aktionen einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leisten und ob die Beeinträchtigung der Rechte Dritter, insbesondere der Verkehrsteilnehmer, im Verhältnis zum angestrebten Zweck der Demonstration als sozialadäquat angesehen werden kann.
Die Gerichte müssen also eine sorgfältige Abwägung der widerstreitenden Interessen vornehmen, wobei sie die spezifischen Umstände jeder einzelnen Aktion berücksichtigen. Dazu gehören die Intentionen der Aktivisten, die Art und Weise der Durchführung der Blockade, die Auswirkungen auf die Verkehrsteilnehmer und die öffentliche Ordnung sowie die Frage, ob und inwieweit die Aktionen einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leisten.
In der Praxis haben die Gerichte sowohl Verurteilungen als auch Freisprüche ausgesprochen, was die Komplexität der rechtlichen Bewertung solcher Protestaktionen unterstreicht. Während einige Gerichte die Aktionen als strafbare Nötigung bewerten, sehen andere Gerichte die Versammlungsfreiheit und die Absicht, auf drängende gesellschaftliche Probleme aufmerksam zu machen, als überwiegend.
§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil
- § 240 StGB (Nötigung): Definiert die Strafbarkeit von Handlungen, die eine andere Person mit Gewalt oder Drohungen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigen. Im Urteil relevant, da die Angeklagten durch das Festkleben an der Fahrbahn Kraftfahrer genötigt haben, ihre Fahrt zu unterlassen.
- Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit): Schützt das Recht, Versammlungen und Demonstrationen abzuhalten. Im Urteil wichtig für die Bewertung der Rechtmäßigkeit der Versammlung und der Abwägung zwischen Demonstrationsrecht und den Rechten Dritter.
- § 34 StGB (Rechtfertigender Notstand): Erlaubt eine sonst rechtswidrige Handlung, wenn sie notwendig ist, um eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden. Im Urteil diskutiert, ob der Klimaschutz einen rechtfertigenden Notstand darstellt.
- § 59 StGB (Verwarnung mit Strafvorbehalt): Erlaubt es, eine Verurteilung zu einer Strafe auszusetzen und stattdessen eine Verwarnung auszusprechen, wenn zu erwarten ist, dass der Täter künftig keine Straftaten mehr begeht. Im Urteil angewandt, um die Angeklagte zu verwarnen und eine Geldstrafe vorzubehalten.
Das vorliegende Urteil
LG Freiburg (Breisgau) – Az.: 64/23 17 NBs 450 Js 23772/22 – Urteil vom 08.12.2023
Leitsatz
1. Soweit eine Rettungsgasse gebildet wurde und von Kraftfahrzeugen faktisch hätte genutzt werden können, liegt schon keine physische Zwangswirkung vor, so dass eine Nötigung mittels Gewalt ausscheidet. Dass die Nutzung der Rettungsgasse ordnungswidrig wäre, spielt auf der Ebene des Gewaltbegriffs keine Rolle.
2. Ausgangspunkt der Abwägung im Hinblick auf Art. 8 GG ist zunächst das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters einer Versammlung. Die Gerichte haben nur zu fragen, ob das Selbstbestimmungsrecht unter hinreichender Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit ausgeübt worden ist. Der Einsatz des Mittels der Beeinträchtigung dieser Interessen ist zu dem angestrebten Versammlungszweck bewertend in Beziehung zu setzen, um zu klären, ob eine Strafsanktion zum Schutz der kollidierenden Rechtsgüter angemessen ist.
3. Die Blockade einer Straße zur Erzeugung öffentlicher Aufmerksamkeit ist nicht per se rechtswidrig. Zwar sind die Fälle, in denen durch eine gezielte Behinderung des Straßenverkehrs die Öffentlichkeit auf das Anliegen der Versammlung aufmerksam gemacht werden soll und die Blockade nur als Kundgabemittel eingesetzt wird, problematisch. In diesen Fällen ist aber mit einer zeitlichen Beschränkung der Versammlung grundsätzlich ein Ausgleich der Interessen möglich, da eine kurzfristige Behinderung des Straßenverkehrs von Autofahrern immer zumutbarerweise hingenommen werden kann. Einem vernünftigen und besonnenen Staatsbürger, der die Grundrechtsausübung seiner Mitbürger und ihre Beteiligung am politischen Diskurs als Beitrag zu einer lebendigen Demokratie schätzt, ist eine Wartezeit von etwa 30 min – je nach Einzelfall – zumutbar. Dies umso mehr, als die Fortbewegungsfreiheit mit Kraftfahrzeugen aufgrund der allgemein bekannten Behinderung durch Staubildung nur selten frei gewährleistet ist.
4. Eine Versammlung muss ein Mindestmaß an Teilhabechancen am Prozess demokratischer Willenbildung eröffnen. Damit geht in der Regel ein Mindestmaß an Störungen einher. So wäre etwa das Ansinnen einer störungsfreien Demonstration durch weitgehend unbewohnte Stadtteile rechtswidrig.
5. Auch darf eine Strafandrohung kein übermäßiges Risiko bei der Verwirklichung des Versammlungszwecks bewirken, insbesondere bei – hier nicht einschlägigen – Eil- und Spontanversammlungen.
6. Ein weiterer Gesichtspunkt ist außerdem die Anzahl der das Versammlungsrecht wahrnehmenden Grundrechtsträger. Eine Demonstration mit mehreren Hundert oder Tausend Teilnehmenden hat ein höheres Gewicht und rechtfertigt stärkere Einschränkungen anderer als eine Demonstration weniger Teilnehmenden, die ganz erhebliche Auswirkungen auf Dritte hat.
7. Wichtige Abwägungselemente sind außerdem die Dauer und die Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit des blockierten Verkehrs, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand, wobei das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Aktion zu bestimmen ist.
8. Die Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstands liegen nicht vor, weil es jedenfalls an der Angemessenheit der Tat für die Abwehr der Gefahren durch den Klimawandel fehlt.
9. Hier: Bei einer zweistündigen Blockade einer im Kreuzungsbereich fünfspurigen Straße mit nur teilweise und nur für zwei Spuren funktionierender Rettungsgasse, einer Staulänge von ca. 2,6 km, einer Gruppe von 15 Demonstrierenden und einer Blockade ohne konkreten Sachbezug, ist für die Insassen der Kraftfahrzeuge eine Wartezeit von maximal 30 min zumutbar, so dass im konkreten Fall eine strafbare Nötigung vorliegt.
Die Angeklagte wird verwarnt.
Die Verhängung einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10 € bleibt vorbehalten.
Im Übrigen wird die Berufung der Angeklagten verworfen.
Die Angeklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; die Berufungsgebühr wird um ¼ vermindert. Von den im Berufungsrechtszug entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten trägt die Staatskasse ¼, die Angeklagte ¾.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Freiburg i. Br. hat die Angeklagte durch Urteil vom 31.05.2023 wegen Nötigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt. Gegen dieses Urteil legte die Angeklagte form- und fristgerecht Berufung ein. Sie erstrebte einen Freispruch.
Die Berufung hatte nur im Rechtsfolgenausspruch Erfolg.
II.
Die dreißigjährige Angeklagte ist Studentin und kam 2019 mit Fridays for Future und den Klimaprotesten in Kontakt. Dabei wurde ihr die Dringlichkeit der Klimakrise und die Bedrohung bewusst, die davon für die Menschheit ausgeht. Seither hat sich die Angeklagte nicht nur beruflich in diese Richtung entwickelt, sondern sich auch an Petitionen beteiligt, Unterschriften gesammelt, Briefe an Politiker verfasst, zahlreiche Veranstaltungen und Demonstrationen zur Klimakrise besucht und sich ehrenamtlich bei einer Umwelt-NGO engagiert. Die Angeklagte kam jedoch schließlich zu der Auffassung, dass sich die objektiven, wissenschaftlich belegten Erkenntnisse zur Klimakrise und auch das erhebliche zivilgesellschaftliche Engagement der letzten Jahre nicht adäquat in politischen Entscheidungen widerspiegele. Insbesondere nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021, der aktuellen Einschätzung des Expertenrates für Klimafragen und einem Brief von sechzig Völkerrechts- und Verfassungsexperten vom August 2023 sei klar, dass die Bundesregierung die Verfassung breche und tagtäglich Leben gefährde. Ihre Verzweiflung über die aus ihrer Sicht mangelhafte politische Reaktion auf die Klimakrise habe die Angeklagte veranlasst, sich im Rahmen der Letzten Generation anderen, wirksameren Protestformen wie etwa dem zivilen Ungehorsam zuzuwenden, die der Dringlichkeit der Situation angemessen sei und in der Vergangenheit oft erfolgreich gewesen seien.
…
Die Angeklagte ist strafrechtlich bisher nicht in Erscheinung getreten.
III.
Am 07.02.2022 gegen 08:20 Uhr blockierte die Angeklagte mit etwa 13 weiteren Demonstranten vom Aktionsbündnis „Aufstand Letzte Generation“ die … auf Höhe der … sowie die Abfahrtspur zur …straße in …. Dazu betraten sie, während die Fahrzeuge bei einer Grünphase der Fußgängerampel auf den fünf Spuren einschließlich des Abbiegeastes in die …straße warteten, den jeweiligen Fußgängerüberweg, setzten sich auf die Fahrbahn und gaben den Weg auch nach dem Umspringen der Lichtzeichenanlage auf Grün für den Verkehr auf der … nicht frei.
Aufgrund der Sitzblockade wurden die fünf Spuren der … blockiert (drei Mittelspuren, jeweils eine kurze Links- und Rechtsabbiegerspur, letztere zweigt vor der Verkehrsinsel mit Lichtzeichenanlage rechts ab). Zwischen der zweiten und dritten Mittelspur von rechts bildete sich bei den letzten fünf Fahrzeugen nur ansatzweise, ansonsten aber eine befahrbare Rettungsgasse, durch die ein Polizei-PKW gegen 8:40 Uhr auf der … bis etwa 20 m vor die Blockade fahren konnte. Jedenfalls die Fahrzeuge auf den Abbiegespuren und auf der ersten Mittelspur waren ab der zweiten Reihe durch die voraus- und nebenstehenden Fahrzeuge physische an einer relevanten örtlichen Veränderung gehindert. Die Staulänge betrug mindestens 2,66 km. Um 9:18 Uhr konnte eine Spur für den Verkehr wieder geöffnet werden. Ab 10:10 Uhr wurde die gesamte Fahrbahn für den Fahrzeugverkehr freigegeben.
Die Angeklagte demonstrierte mit den übrigen Beteiligten der Blockade unter dem Motto „Essen retten Leben retten“. Damit wollte sie auf das Problem der Lebensmittelverschwendung hinweisen, die auch erhebliche Auswirkungen auf den CO2 Ausstoß hat. Zu Beginn der Blockade nahm die Angeklagte entsprechend Kontakt zu den Insassen der blockierten Fahrzeuge auf und machten auf das Ziel der Aktion aufmerksam. Diese Kontaktaufnahme war bis gegen 8:50 Uhr abgeschlossen. Bis zu diesem Zeitpunkt gaben einzelne Beteiligte an der Blockade noch Interviews, die dann kurze Zeit später endeten. Die im Vorfeld informierten Medien waren vor Ort und berichteten in der Folge über die Blockade.
Die Versammlung wurde zuvor weder der Polizei bekannt gegeben, noch ist sie bei der zuständigen Versammlungsbehörde angemeldet worden. Die Rettungsleitstelle wurde jedoch kurze Zeit vor der Blockade informiert. Ein Versammlungsleiter gab sich während der Blockade nicht zu erkennen. Den Demonstranten wurde von der Polizei durch Lautsprecherdurchsage eine alternative Versammlungsfläche zugewiesen, die jedoch nicht in Anspruch genommen und die Blockade fortgeführt wurde. Nach drei Durchsagen (um 9:08 Uhr, 9:09 Uhr und 9:12 Uhr) wurde die Versammlung von der Polizei ausdrücklich aufgelöst.
Die Demonstranten wurde sodann von der Polizei nach erfolgloser Androhung unmittelbaren Zwangs nach und nach von der Straße entfernt. Die (nicht angeklebte) Angeklagte stand im Verlauf der Aktion auf und verließ die Straße, kehrte aber später zurück und setzte sich erneut auf die Fahrbahn. Da sich drei Beteiligte der Blockade mit einer Hand an der Fahrbahn festgeklebt hatten und zunächst von einem Notarzt abgelöst werden mussten, verzögerte sich die Räumung der Kreuzung nicht unerheblich. Die Angeklagte wurde schließlich gegen 09:50 Uhr von Polizeibeamten von der Fahrbahn getragen. Den sodann ausgesprochenen Platzverweis befolgte sie.
Die Angeklagte hatte mit den weiteren Teilnehmern der Blockade den Ablauf der Aktion im Vorfeld besprochen und im Wesentlichen so antizipiert, wie sie dann auch stattgefunden hat. Der Angeklagten war insbesondere klar, dass es zu einer Blockade der Kraftfahrzeuge über einen längeren Zeitraum kommt und hat dies zur Erreichung ihres Zieles, dem Erzeugen öffentlicher Aufmerksamkeit und dem Werben für wirksame politische Maßnahmen gegen die sich verschärfende Klimakrise, zumindest billigend in Kauf genommen.
IV.
1. Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen ergeben sich aus den glaubhaften Angaben der Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung und den gem. § 254 StPO verlesenen Angaben der Angeklagten über ihre persönlichen Verhältnisse vor dem Amtsgericht sowie dem verlesenen Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 27.11.2023.
2. Die Feststellungen zur Sache folgen aus dem glaubhaften Geständnis der Angeklagten, den Aussagen der Zeugen Z01 und Z02, den in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen und des verlesenen und in Augenschein genommenen Flugblattes.
a. Die Angeklagte hat sich wie folgt zur Sache eingelassen:
Sie könne den Vorwurf der Nötigung nicht nachvollziehen. Sie habe vielmehr ein Bedürfnis nach politischer Teilhabe. Ihr beruflicher Hintergrund sei die Umweltbildung. Für sie habe die Umwelt schon seit ihrer Kindheit immer einen besonderen Stellenwert gehabt. Seit 2019 sei sie über Fridays for Future in der Umweltbewegung aktiv geworden, habe Petitionen unterstützt, an Klimacamps teilgenommen und auch vor dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft protestiert. Der Globale Süden und sozial Benachteiligte müssten die Last der Klimakrise tragen, ohne dafür verantwortlich zu sein. Ihr eigenes wie das gesellschaftliche Engagement habe aber keinen Niederschlag in politischen Prozessen gefunden. Die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zum Klimagesetz habe klargestellt, dass Art. 20a GG den Staat zum Klimaschutz verpflichte. Der Sachverständigenrat habe festgestellt, dass die bisherigen Anstrengungen nicht ausreichten. Daraus ergebe sich – wie Völker- und Verfassungsrechtler zuletzt auch festgestellt hätten -, dass die aktuelle Klimapolitik verfassungswidrig sei. Die Bundesregierung breche die Verfassung, aber ein Aufschrei bleibe aus.
Die Blockade, die sie mit den übrigen Teilnehmern und Teilnehmerinnen gemeinsam geplant habe und die im Wesentlichen so abgelaufen sei, wie sie sie geplant hätten, sei eine friedliche Versammlung gewesen, um wirksam politisch Einfluss zu nehmen. Andere politische Aktionsformen reichten – wie sie inzwischen aus eigener Erfahrung wisse – offensichtlich nicht aus. Nicht alle gesellschaftlichen Probleme könnten in bestehenden demokratischen Institutionen gelöst werden, weil viele Interessen dort nicht repräsentiert seien. Manches müsse gegen die träge Mehrheit durchgesetzt werden. Ziviler Ungehorsam sei ein historisch erprobtes und legitimes politisches Mittel dazu.
Man habe unter dem Motto „Essen retten Leben retten“ demonstriert. Damit habe auf das Problem der Lebensmittelverschwendung hingewiesen werden sollen, die auch erhebliche Auswirkungen auf den CO2 Ausstoß habe.
Vor der Aktion sei die Notzentrale angerufen worden, so dass in Notfällen der Straßenbereich hätte umfahren werden können. Insgesamt seien sie mit 14 Personen dort gewesen, davon hätten sieben oder acht gesessen und seien weggetragen worden. Während die Fahrzeuge bei einer Grünphase der Fußgängerampel warteten, seien sie auf den Fußgängerüberweg gegangen. Ein Teil habe eine Kette gebildet, um die Sitzenden zu schützen, die anderen hätten sich auf die Fahrbahn gesetzt. Die Autos hätten an der Haltelinie gestanden, es sei bis zu den Personen der Blockade noch etwas Platz zum Rangieren gewesen. Es habe zwar die Möglichkeit einer Rettungsgasse bestanden, eine solche sei aber tatsächlich vor Ort nicht wirksam gebildet worden. Sie sei aber davon ausgegangen, dass eine solche im Notfall tatsächlich gebildet werde. Sie sei durch die Autoreihen gegangen, habe ein Schild mit der Bitte um die Bildung einer Rettungsgasse dabei gehabt und mit den Insassen Kontakt aufgenommen, um für ihr Anliegen zu werben, Fragen zu beantworten und Flyer zu verteilen. Die Reaktionen seien sehr unterschiedlich, oft aber gesprächsbereit und verständnisvoll gewesen. Die Polizei sei zügig gekommen, da habe es keine Gespräche mit den Autofahrern mehr gegeben.
Es habe drei Durchsagen gegeben und ihnen sei ein alternativer Versammlungsort zugewiesen worden. Sie seien aber sitzengeblieben. Dann sei unmittelbarer Zwang angedroht worden. Ob was zur rechtlichen Situation oder zu einer Auflösung der Versammlung etwas gesagt worden sei, wisse sie nicht mehr.
Sie habe dann zunächst die Personen der Blockade betreut und habe sich in Fahrtrichtung rechts auf die Fahrbahn gesetzt. Sie selbst sei nicht angeklebt gewesen, sei im Verlauf der Aktion auch noch einmal aufgestanden und habe die Straße verlassen, sei aber später zurückgekehrt und habe sich erneut auf die Fahrbahn gesetzt. Die Polizei habe später mehrere Demonstranten von der Straße getragen. Dadurch habe es links eine Lücke gegeben, durch die der Verkehr abgeleitet worden sei. Das sei teilweise etwas heikel gewesen, weil einer der Demonstranten in der Nähe der Spur noch festgeklebt gewesen sei. Sie sei später dann auch weggetragen worden.
Über die Aktion sei die Presse informiert worden, so dass Medienvertreter da gewesen seien und später auch berichtet worden sei. Im Übrigen habe es zwar bundesweit abstrakte Ankündigungen der Letzten Generation gegeben, dass Straßen blockiert würden, es habe aber keine Ankündigung gegeben, die sich direkt auf Freiburg bezogen habe.
Diese Angaben der Angeklagten sind glaubhaft. Sie entsprechen ihren Angaben beim Amtsgericht und enthalten Details zum Ablauf und zu ihrer Rolle bei der gemeinschaftlichen Blockade.
b. Die Zeugen Z02 und Z01 haben angegeben, dass die Angeklagte am 07.02.2022 gegen 08:20 Uhr zusammen mit etwa 15 Teilnehmern vom Aktionsbündnis „Aufstand Letzte Generation“ die … auf Höhe der … sowie die Abfahrtspur zur …straße in … blockiert habe. Dazu hätten sie, während die Fahrzeuge bei einer Grünphase der Fußgängerampel auf den fünf Spuren einschließlich des Abbiegeastes in die …straße warteten, den jeweiligen Fußgängerüberweg betreten, sich auf die Fahrbahn gesetzt und den Weg auch nach dem Umspringen der Lichtzeichenanlage auf Grün für den Verkehr auf der … nicht freigegeben.
Aufgrund der Sitzblockade seien die fünf Spuren der … blockiert worden (drei Mittelspuren, eine Linksabbiegerspur und eine Rechtsabbiegerspur, die vor der Verkehrsinsel mit Lichtzeichenanlage rechts abzweigt). Um 9:18 Uhr habe eine Spur für den Verkehr wieder geöffnet werden können, ab 10:10 Uhr habe die gesamte Fahrbahn für den Fahrzeugverkehr freigegeben werden können.
Der Z01 hat weiter ausgesagt, er sei kurz vor 9 Uhr angerufen worden. Er sei nur schwer zum Einsatzort gekommen, weil auch die Nebenstraßen zu gewesen seien. Er habe mit dem Kollegen 150 m laufen müssen. Der Verkehr sei zum Erliegen gekommen und die Fahrbahn sei blockiert gewesen. Die erste Streife vor Ort habe die Situation zunächst unter versammlungsrechtlichen Gesichtspunkten bewertet und eine zeitlang laufen lassen. Die Leitung sei an ihn übergeben worden. Er habe dann das persönliche Gespräch gesucht, es habe sich aber keiner der Teilnehmenden als Versammlungsleiter zu erkennen gegeben. Er habe darauf hingewiesen, dass die Blockade rechtswidrig sei und zur Räumung aufgefordert. Den Demonstranten sei von ihm durch Lautsprecherdurchsage eine alternative Versammlungsfläche zugewiesen worden, der jedoch nicht in Anspruch genommen und die Blockade fortgeführt worden sei. Nach drei Durchsagen (um 9:08 Uhr, 9:09 Uhr und 9:12 Uhr) sei die Versammlung von ihm ausdrücklich aufgelöst worden.
Manche Demonstranten hätten sich nach dem Wegtragen nicht an den Platzverweis halten wollen. Diese seien dann in Gewahrsam genommen worden. Nach ca. einer 3/4 h habe der Verkehr einspurig ausgeleitet werden können. Alle Fahrspuren seien zu gewesen, der Verkehr habe sich bis zur … Allee gestaut. Fahrzeuge hätten nicht mehr durchfahren können. Die Autofahrer seien relativ gelassen gewesen. Die Stimmung auch der Demonstranten sei nicht aggressiv oder feindselig gewesen. Für die Polizei sei es nicht einfach gewesen zu klären, wer letztlich dazu gehöre und wer nicht. Es sei – auch untereinander – diskutiert und es seien zunächst auch noch Interviews geführt worden.
Da es sich um die erste Blockade mit angeklebten Händen gehandelt habe, habe man noch keine Erfahrung gehabt. Dass sei auch dem Notarzt so gegangen, der erst einmal habe googlen müssen, wie vorzugehen sei. Es sei ein Sichtschutz gestellt worden und dann seien die Hände von der Fahrbahn gelöst worden. Das Ganze habe sich relativ lang hingezogen. Es habe den Dienstbetrieb erheblich beeinträchtigt, es seien bis zu 40 Kollegen involviert gewesen. Man habe den Einsatz später nachbereitet und die Abläufe optimiert. Es habe später noch sechs weitere Blockadeaktionen gegeben, die seien deutlich schneller aufgelöst worden.
Der Z02 hat ausgesagt, er sei mit seinem Einsatzfahrzeug von der … Allee kommend die … entlanggefahren, bis etwa 10 bis 20 m vor die Blockade. Ganz zu sei der Weg nicht gewesen, insoweit habe es eine Rettungsgasse gegeben, die er habe nutzen können. Dann hätten die Autos aber zu dicht gestanden. Er sei die dritte oder vierte Streife gewesen und habe die Fotos und Videoaufnahmen ab 8:50 Uhr gemacht. Der Stau habe nach späteren Messungen mindestens 2,66 km betragen. Die Angeklagte sei schließlich gegen 09:50 Uhr von Polizeibeamten von der Fahrbahn getragen worden. Den ausgesprochenen Platzverweis habe sie befolgt.
Die Aussagen der Zeugen sind glaubhaft. Sie haben detailliert und mit professioneller Distanz die Abläufe geschildert.
c. Die Videoaufnahmen haben Folgendes ergeben:
Im Video 1 wird vom Filmenden die Uhr in die Kamera gehalten, die 8:50 Uhr zeigt. Die Videos selbst enthalten keine Zeitangaben.
In Video 3 sind die Banner „Aufstand der letzten Generation“ und „Essen retten Leben retten“ zu erkennen. Auf der Straße sitzen mindestens elf Blockierer auf der Hauptfahrbahn, zwei auf dem Abbiegeast nach rechts. Es wird die Aktion von einem Teilnehmer mit einem Mobiltelefon dokumentiert, ein Blockierer wird von einem Kamerateam des SWR interviewt. Zwischen den Fahrzeugen ist kein Demonstrant zu erkennen. Die Fahrzeuge der zweiten und dritten Mittelspur haben erkennbar versucht, eine Rettungsgasse zu bilden und sind dafür teilweise über die Haltelinie gefahren. Die Gasse ist an dieser Stelle aber zu schmal für eine sichere Durchfahrt. In der Rettungsgasse steht etwa vier bis fünf Fahrzeuglängen nach der ersten Reihe ein Polizeifahrzeug mit Blaulicht. Die Fahrzeuge stehen unterschiedlich dicht, geschätzt ca. 50 cm bis 2 m, hintereinander. Die Fahrzeuge der (jeweils kurzen) Rechts- und Linksabbiegespur sowie der ersten Mittelspur sind durch die vorherigen und hinteren Fahrzeuge wie auch die Fahrzeuge auf der Nebenspur an einer signifikanten Ortsveränderung gehindert.
Auf Video 12 sind die Durchsagen der Polizei zu hören, insbesondere auch die Auflösung der Versammlung. Interviews sind zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu sehen. Der Fahrzeugbestand ist unverändert.
V.
Damit hat sich die Angeklagte wegen Nötigung strafbar gemacht, § 240 Abs. 1 u. 2 StGB.
1. Die Angeklagte hat durch die gemeinsam mit anderen durchgeführte Blockade der … die Kraftfahrzeugführer auf den Abbiegespuren und der ersten Mittelspur sowie von mindestens sechs Fahrzeugen auf der zweiten und dritten Mittelspur mit Gewalt zu einem Unterlassen genötigt. Genau das war auch ihre Absicht.
a. Zwar sind die Führer der ersten Reihe von Fahrzeugen vor der Blockade nicht mit Gewalt genötigt worden.
Nötigen bedeutet, einem Menschen ein von ihm nicht gewolltes Verhalten (Handeln, Dulden oder Unterlassen) aufzuzwingen (Lackner/Kühl/Heger/Heger, 30. Aufl. 2023, StGB § 240 Rn. 4). Dabei reicht nicht jede Zwangseinwirkung aus, es muss ein spezifisches Nötigungsmittel – Gewalt oder die Drohung mit einem empfindlichen Übel – vorliegen. Gewalt ist die unter Anwendung körperlicher Kraft erfolgende Einwirkung auf einen anderen zur Überwindung geleisteten oder erwarteten Widerstands (RGSt 64, 113). Notwendig ist also zum einen eine körperliche Kraftentfaltung des Täters (Zwangsmittel) und zum anderen eine physische Einwirkung auf das Opfer (Zwangswirkung). Dabei hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die Anforderungen an die körperliche Kraftentfaltung über die Zeit deutlich reduziert, so dass bereits das Abschließen bzw. das Zuziehen einer selbstschließenden Tür oder der Druck auf einen Knopf zum Ingangsetzen eines Fahrzeugs, einer Tür oder einer Explosion ausreicht (BGH, Urteil vom 20. Juli 1995 – 1 StR 126/95 –, BGHSt 41, 182-187, Rn. 15). Jedenfalls die Zwangswirkung muss aber nach der einschränkenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine physische Einwirkung auf das Opfer darstellen und darf nicht nur psychisch vermittelt sein (BVerfG, Beschluss vom 10. Januar 1995 – 1 BvR 718/89 –, BVerfGE 92, 1-25, juris, Rn. 61). Wenn die Tat lediglich in der körperlichen Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung nur psychischer Natur ist, scheidet eine Strafbarkeit nach § 240 Abs. 1 StGB in der Variante „mit Gewalt“ aus (BVerfG, a.a.O. und BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, juris, Rn. 33; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 –, BVerfGK 18, 365-377, juris, Rn. 23). Die Zwangswirkung ist allein psychischer Natur, wenn es um die bloße Anwesenheit an einer Stelle geht, die ein anderer einnehmen oder passieren will. Die Gefahr der Verletzung oder Tötung eines Demonstranten durch ein Kraftfahrzeug bei Fortsetzung der Fahrt trotz Blockade ist hingegen allein ein psychisch vermittelter Zwang (s. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, juris, Rn. 33).
Die Zwangswirkung ist allerdings dann auch physischer Art, wenn zusätzliche physische Barrieren errichtet werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht angenommen für den Fall der Anbringung von in Hüfthöhe mit den Demonstranten verbundenen Metallketten an beiden Pfosten eines Einfahrtstores. Die Ankettung habe den Demonstranten die Möglichkeit genommen, beim Heranfahren von Kraftfahrzeugen auszuweichen und habe die Räumung der Einfahrt erschwert (BVerfG, a.a.O.).
Das Ankleben auf der Fahrbahn stellt zwar auch eine Erschwerung der Räumung dar und nimmt den angeklebten Blockierern (teilweise) die Möglichkeit, heranfahrenden Kraftfahrzeugen auszuweichen. Dabei handelt es sich aber nicht um eine unlösbare Verbindung, da ein Ausweichen unter Inkaufnahme schmerzhafter, aber nicht lebensbedrohlicher Selbstverletzungen möglich bleibt (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 12. November 2013 – 1 (8) Ss 14/13 –, Rn. 8, juris). Wenn aber die Verletzung oder Tötung eines Demonstranten nur ein psychisches Hindernis ist, dann kommt es auf die Frage des Ausweichens für die Abgrenzung zu auch physisch wirkenden Hindernissen gerade nicht an. Auch die Frage, wie leicht oder schwer geräumt werden kann, dürfte hier nicht maßgeblich sein. Das betrifft nicht die Frage des Ausmaßes des Hindernisses, sondern die Mühe für dessen Beseitigung.
Im Übrigen sind die Fälle schon insoweit nicht vergleichbar, als es in dem vom Bundesverfassungsgerichts entschiedenen Fall mit dem durch die angeketteten Menschen blockierten Tor ein klares physisches Hindernis gab, das im vorliegenden Fall fehlt.
b. Die Führer der Fahrzeuge in zweiter und folgenden Reihen, soweit keine Rettungsgasse bestand, die sie hätten nutzen können, wurden jedoch durch Gewalt zur Unterlassung einer Weiterfahrt genötigt.
aa. Soweit eine Rettungsgasse gebildet wurde und faktisch genutzt werden konnte, liegt schon keine physische Zwangswirkung vor, so dass eine Nötigung ausscheidet.
Ist eine Rettungsgasse funktionsfähig gebildet, besteht für die Fahrzeugführer jeweils die Möglichkeit, sich unter Nutzung der Rettungsgasse weiter zu bewegen, so dass kein unüberwindbares physisches Hindernis vorliegt. Zentraler Punkt der Zweiten-Reihe-Rechtsprechung des BGH ist, dass „der großen Zahl der nachfolgenden Kraftfahrer infolge des Verhaltens der Blockierer nicht zu beseitigende physische Hindernisse entgegenstanden in Form vor und hinter ihnen auf der Fahrbahn angehaltener Fahrzeuge – diese Fahrer konnten ihre Fahrt nicht fortsetzen, selbst wenn psychischer Zwang sie nicht beeindruckt haben würde (BGH, Urteil vom 20. Juli 1995 – 1 StR 126/95 –, BGHSt 41, 182-187, Rn. 13). Auch das BVerfG geht von einem „unüberwindbaren physischen Hindernis“ aus (s. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 –, Rn. 29). (- Hervorhebung durch die Kammer.)
Dass die Nutzung der Rettungsgasse ordnungswidrig wäre, spielt auf der Ebene des Gewaltbegriffs keine Rolle. Denn soweit die erste Reihe der Fahrzeugführer nicht durch Gewalt genötigt wird, weil die sitzenden Personen für das Fahrzeug kein „physisches Hindernis“ bedeutet und deren Fahrer – tatsächlich – die Durchfahrt hätten erzwingen können, handelte es sich um eine Situation des Könnens, aber – um den Preis schwerer Verletzungen – „Nicht-Dürfens“ (BGH, Urteil vom 20. Juli 1995 – 1 StR 126/95 –, BGHSt 41, 182-187, Rn. 11). Das ist bei der Möglichkeit einer ordnungswidrigen Nutzung der Rettungsgasse parallel zu bewerten (“Können, aber nicht Dürfen“).
Das betrifft vorliegend die Fahrzeuge, die hinter dem Polizeifahrzeug, das zwischen der zweiten und dritten Mittelspur etwa 20 m vor der Blockade in der Rettungsgasse stand, an der Rettungsgasse beteiligt waren.
bb. Die übrigen Fahrzeuge der zweiten und späteren Reihen, insbesondere auch auf dem ersten Mittelstreifen, wurden durch Gewalt zum Unterlassen einer Weiterfahrt genötigt, weil insoweit keine Ausweichmöglichkeit bestand.
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs benutzt ein Demonstrant bei einer Sitzblockade auf einer öffentlichen Straße den ersten aufgrund von psychischem Zwang anhaltenden Fahrzeugführer und sein Fahrzeug bewusst als Werkzeug zur Errichtung eines physischen Hindernisses für die nachfolgenden Fahrzeugführer (vgl. BGHSt 41, 182, 187). Diese vom zuerst angehaltenen Fahrzeug ausgehende physische Sperrwirkung für die nachfolgenden Fahrzeugführer sei den Demonstranten zurechenbar (vgl. BGHSt 41, 182, 185). Dieser Rechtsprechung hat sich das Bundesverfassungsgericht zwischenzeitlich angeschlossen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 –, BVerfGK 18, 365-377, juris, Rn. 28). So liegt der Fall für die angegebenen Fahrzeuge hier.
c. Genau diese Nötigungswirkung durch die Blockadeaktion beabsichtigte die Angeklagte auch. Insbesondere nahm sie billigend in Kauf, dass keine funktionierende Rettungsgasse gebildet würde und deshalb ein physisches Hindernis durch die Fahrzeuge entsteht.
2. Die Nötigung durch die Angeklagte war rechtswidrig, weil die Anwendung der Gewalt zum angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Auch ein Rechtfertigungsgrund für die tatbestandliche Nötigung einer Vielzahl von Fahrzeugführern ist nicht ersichtlich.
a. Die Nötigung durch die Angeklagte war rechtswidrig.
Gem. § 240 Abs. 2 ist eine Nötigung erst dann rechtswidrig, wenn die Verwendung des Nötigungsmittels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Das Urteil der Verwerflichkeit bezieht sich somit auf das Verhältnis beider (der sog. Mittel-Zweck-Relation; BGHSt 2, 194 (196)). Das Urteil der Verwerflichkeit bestimmt sich im Wege einer Gesamtwürdigung.
Verwerflich ist ein Verhalten, das einen erhöhten Grad an sittlicher Missbilligung erreicht, sodass es als strafwürdiges Unrecht zu bewerten ist. Bei der Beurteilung stehen keine ethischen Maßstäbe im Vordergrund. Wegen der Korrektivfunktion des Abs. 2, sozialadäquate Verhaltensweisen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift auszuschließen, gibt vielmehr den Ausschlag, ob das Verhalten sozialwidrig erscheint (BeckOK StGB/Valerius, 58. Ed. 1.8.2023, StGB § 240 Rn. 48 m. w. N.).
Bei der Auslegung der Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs 2 StGB sind im Falle einer Versammlung im Sinne des Art. 8 GG insbesondere Art und Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 –, BVerfGK 18, 365-377, Orientierungssatz 2.).
aa. Die Blockadeaktion der Angeklagten und der übrigen Beteiligten stellt eine Versammlung dar, die dem Grundrechtsschutz nach Art. 8 GG unterfällt.
Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfGE 104, 92, 104). Dazu gehören auch solche Zusammenkünfte, bei denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder aufsehenerregender Meinungskundgabe in Anspruch genommen wird. Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen, darunter auch Sitzblockaden (vgl. BVerfGE 73, 206, 248; 87, 399, 406; 104, 92, 103 f.; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 7. März 2011 – 1 BvR 388/05 –, juris, Rn. 32).
Der Versammlungscharakter der Blockade steht hier angesichts der Programmatik, die durch Banner und Flyer transportiert wurde, und die auf öffentliche Aufmerksamkeit, Presseberichterstattung und politischer Einflussnahme zielende Aktionsform außer Frage.
bb. Im Rahmen der Abwägung der Interessen der Angeklagten auf Verwirklichung ihres Grundrechts aus Art. 8 GG und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bzw. schuldangemessener Strafe nach Art. 2 Abs. 1 GG auf der einen und der Interessen der von der Aktion der Angeklagten beeinträchtigten Verkehrsteilnehmer auf Fortbewegungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 2 S. 2, 104 GG und eventuell der beruflichen Betätigung gem. Art. 12 GG auf der anderen Seite verdient letztere im konkreten Fall den Vorrang, so dass die Tat als verwerflich anzusehen ist.
(1) In Bezug auf Nötigungen durch Blockadeaktionen mit physischen Barrieren misst das BVerfG der Versammlungsfreiheit jedenfalls keine rechtfertigende oder die Verwerflichkeit ohne weiteres ausschließende Wirkung zu (s. Altvater/Coen in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl. 2022, § 240 Rn. 165; BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 53), so dass die betroffenen Interessen der Grundrechtsträger gegeneinander abzuwägen sind (BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 57).
Dabei gilt, dass mit der Ausübung des Versammlungsrechts häufig unvermeidbar gewisse nötigende Wirkungen in Gestalt von Behinderungen Dritter verbunden sind (vgl. BVerfGE 73, 206, 250). Derartige Behinderungen Dritter und Zwangswirkungen sind durch Art. 8 GG gerechtfertigt, soweit sie als sozial-adäquate Nebenfolgen mit rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind (vgl. BVerfGE ebd.; BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 54). Eine versammlungsrechtlich (z.B. lediglich formal) rechtswidrige Demonstration führt indes nicht notwendig zur Strafbarkeit wegen Nötigung. Bis zur rechtmäßigen Auflösung genießt eine Versammlung den Schutz des Art. 8 GG, so dass zunächst eine Abwägung zu erfolgen hat (BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, Rn. 50). Eine rechtswidrige Versammlung, insb. eine Blockade, berechtigt die Polizei aber zum Einschreiten gegen die Störer und zur Auflösung der Versammlung, um den Rechten der behinderten Dritten Geltung zu verschaffen, wenn deren Behinderung über eine Geringfügigkeit hinausgeht. Jedenfalls mit dieser rechtmäßigen Auflösung entfällt Art. 8 GG als denkbarer Rechtfertigungsgrund für die Durchführung von Sitzblockaden und damit auch die Notwendigkeit einer weiteren Abwägung (BVerfG, Urteil vom 11. November 1986 – 1 BvR 713/83 –, BVerfGE 73, 206-261, Rn. 89). Die Frage der Rechtmäßigkeit einer Auflösung ist freilich vor dem Hintergrund einer Abwägung von Art. 8 GG mit konkurrierenden Rechtsgütern nach materiellem Versammlungsrecht nach gleichen Grundsätzen zu prüfen.
(2) Ausgangspunkt der Prüfung nach materiellem Versammlungsrecht und der Abwägung im Hinblick auf Art. 8 GG ist zunächst das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters einer Versammlung, das die Auswahl des Ortes, der Zeit und der sonstigen Modalitäten der Versammlung umfasst. Die Versammlungsbehörde hat im Normalfall lediglich zu prüfen, ob durch die Wahl des konkreten Versammlungsortes Rechte anderer oder sonstige verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter der Allgemeinheit beeinträchtigt werden. Ist dies der Fall, kann der Veranstalter die Bedenken durch eine Modifikation des geplanten Ablaufs ausräumen oder aber es kommen versammlungsrechtliche Auflagen in Betracht, um eine praktische Konkordanz beim Rechtsgüterschutz herzustellen (BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985, 1 BvR 233/81, juris Rn. 61 ff.; BVerfG, Beschluss vom 18.07.2015, 1 BvQ 25/15, juris Rn. 9; BVerfG, Urt. v. 22.02.2011, 1 BvR 699/06, juris, Rn. 64). Ggf. sind unterschiedliche Auffassungen zwischen Veranstalter und Versammlungsbehörde im Verwaltungsrechtsweg zu klären.
Im Strafverfahren besteht anders als für versammlungsbehördliche Entscheidungen, die im Vorfeld von Versammlungen ergehen, jedoch keine Möglichkeit, Rechtsgüterkollisionen durch versammlungsrechtliche Auflagen auszuschließen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch Modifikation der Durchführung der Versammlung, etwa die Veränderung der Route eines Aufzugs oder der Dauer der Kundgebung, Rechnung zu tragen. Die Strafgerichte können lediglich die schon durchgeführte Versammlung strafrechtlich einordnen.
Vom Selbstbestimmungsrecht der Grundrechtsträger ist nicht die Entscheidung umfasst, welche Beeinträchtigungen die Träger der kollidierenden Rechtsgüter hinzunehmen haben. Bei der Angemessenheitsprüfung haben die Gerichte daher auch zu fragen, ob das Selbstbestimmungsrecht unter hinreichender Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit ausgeübt worden ist. Der Einsatz des Mittels der Beeinträchtigung dieser Interessen ist zu dem angestrebten Versammlungszweck bewertend in Beziehung zu setzen, um zu klären, ob eine Strafsanktion zum Schutz der kollidierenden Rechtsgüter angemessen ist (BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 63).
(3) Ob eine Handlung als verwerfliche Nötigung zu bewerten ist, lässt sich ohne Blick auf den mit ihr verfolgten Zweck nicht feststellen (BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 58). Die Angeklagte wollte mit der Blockade der …, die sie in Erwartung ihrer baldigen Entfernung durch die Polizei als kurzfristig einkalkuliert hatten, Aufmerksamkeit für ihren Protest gegen die Klimakrise erzeugen. Insofern war der für Art. 8 GG maßgebende Zweck nicht die mit der demonstrativen Blockade bewirkte Verhinderung der Durchfahrt. Die Angeklagte und die übrigen Beteiligten setzten die Blockade als Mittel ein, um das kommunikative Anliegen, die Erzielung von öffentlicher Aufmerksamkeit für ihren politischen Standpunkt, auf eine den Alltag störende und damit auffällige Weise zu verfolgen und dadurch am Prozess öffentlicher Meinungsbildung teilzuhaben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 59 – 60). Es handelt sich insofern nicht um eine Verhinderungsblockade, die als eine Art Selbsthilfemaßnahme gerade den Verkehr oder Transport selbst verhindern will oder damit wirtschaftlichen und politischen Druck zur unmittelbaren Durchsetzung konkreter Handlungen aufbaut.
Die Blockade einer Straße zur Erzeugung öffentlicher Aufmerksamkeit ist auch – entgegen einer alten Ansicht des Bundesverfassungsgerichts im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aus den späten 1960er Jahren (vgl. BVerfG, Urteil vom 11. November 1986 – 1 BvR 713/83 –, BVerfGE 73, 206-261, Rn. 89) – nicht per se rechtswidrig. Zwar sind die Fälle, in denen durch eine gezielte Behinderung des Straßenverkehrs die Öffentlichkeit auf das Anliegen der Versammlung aufmerksam gemacht werden soll und die Blockade nur als Kundgabemittel eingesetzt wird, problematisch. In diesen Fällen ist aber mit einer zeitlichen Beschränkung der Versammlung grundsätzlich ein Ausgleich der Interessen möglich, da eine kurzfristige Behinderung des Straßenverkehrs von Autofahrern immer zumutbarerweise hingenommen werden kann (so auch Dürig-Friedl/Enders/Dürig-Friedl, 2. Aufl. 2022, VersammlG § 15 Rn. 108).
Bei der Abwägung ist weiter zu berücksichtigen, dass eine Versammlung ein Mindestmaß an Teilhabechancen eröffnen muss. Zwar besteht kein Anspruch auf ein bestimmtes Maß an öffentlicher Wirkung, die von einer Vielzahl von Faktoren abhängt. Dazu gehören z.B. die Pressearbeit, die eigene Dokumentation und Öffentlichkeitsarbeit, die Frage lokaler oder überregionaler Bedeutung der Themen, das allgemeine öffentliche Interesse an der Fragestellung, insbesondere Bezüge zu aktuellen Debatten usw. Die Grenze ist freilich da erreicht, wo überhaupt eine Eignung, auf die politische Öffentlichkeit Einfluss nehmen zu können, in Frage steht. So sind Beschränkungen, die den Zweck der Versammlung verhindern, in dem z. B. ein Marschweg durch unbewohnte Stadtteile angeordnet wird, rechtswidrig (OVG Weimar DVBl. 1998, 849; Dürig-Friedl/Enders/Dürig-Friedl, 2. Aufl. 2022, VersammlG § 15 Rn. 97).
Auch darf eine Strafandrohung kein übermäßiges Risiko bei der Verwirklichung des Versammlungszwecks bewirken (BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 2001 – 1 BvR 1190/90 –, BVerfGE 104, 92-126, Rn. 62). Das betrifft indes in besonderem Maße Eilversammlungen, wenn also eine sofortige Reaktion auf ein aktuelles Ereignis notwendig ist, weil ein Zuwarten die öffentliche Reaktion weitgehend sinnlos machen würde, oder Spontanversammlungen, die sich aus einem momentanen Anlass ungeplant und ohne Veranstalter entwickeln. Keiner dieser Fälle liegt hier vor. Die zu beurteilende Versammlung der Angeklagte und der weiteren Beteiligten ist im Voraus geplant worden und war keine Reaktion auf ein aktuelles Ereignis. In diesem Fall ermöglicht das versammlungsrechtliche Verwaltungsverfahren und der dagegen bestehende verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz eine risikolose Wahrnehmung des Versammlungsrechts.
Ein weiterer Gesichtspunkt ist außerdem die Anzahl der das Versammlungsrecht wahrnehmenden Grundrechtsträger. Eine Demonstration mit mehreren Hundert oder Tausend Teilnehmenden hat ein höheres Gewicht und rechtfertigt stärkere Einschränkungen anderer als eine Demonstration weniger Teilnehmenden, die ganz erhebliche Auswirkungen auf Dritte hat.
Wichtige Abwägungselemente sind außerdem die Dauer und die Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit des blockierten Verkehrs, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand, wobei das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Aktion zu bestimmen ist. Stehen die äußere Gestaltung der Blockademaßnahme und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema und/oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und damit in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und inwieweit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Januar 2015 – 1 (8) Ss 510/13 –, Rn. 10, juris).
Zwar hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Hinblick auf die Versammlungsfreiheit gem. Art. 11 EMRK erklärt, eine ungenehmigte Demonstration rechtfertige nicht zwingend einen Eingriff in das Recht auf Versammlungsfreiheit. „Vorschriften über öffentliche Versammlungen wie über vorherige Anmeldung sind zwar für den reibungslosen Ablauf wesentlich, weil sie den Behörden ermöglichen, Störungen des Verkehrs zu verringern und andere Sicherheitsmaßnahmen zu treffen. Ihre Durchsetzung kann aber nicht Selbstzweck sein (s. EGMR, Urt. v. 12.6.2014 – 17391/06 Rn. 118 – Primov ua ./. Russland). Insbesondere wenn Demonstranten keine Gewalt anwenden, ist wesentlich, dass Behörden und Gerichte ein gewisses Maß an Toleranz für friedliche Versammlungen zeigen, weil sonst Art. 11 EMRK substanzlos würde.“ (NVwZ-RR 2017, 103 Rn. 150). Der Gerichtshof betont aber auch, dass bei Demonstrationen, die ganz oder teilweise so durchgeführt würden, dass das tägliche Leben und andere Tätigkeiten stärker gestört werden, als nach den Umständen unvermeidlich sei, sie nicht den gleichen privilegierten Schutz nach der Konvention genießen könnten (ebd., Rn. 156). „Wenn Demonstranten vorsätzlich das tägliche Leben und rechtmäßige Tätigkeiten anderer in einem wesentlich größeren Ausmaß stören, als das durch normale Ausübung des Demonstrationsrechts im öffentlichen Raum geschieht, können solche Störungen verwerfliches Handeln iSd Rechtsprechung des Gerichtshofs sein. Das kann Sanktionen einschließlich Strafen rechtfertigen.“ (ebd. Rn. 173)
(4) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war die Versammlung spätestens 30 min nach ihrem Beginn rechtswidrig.
(aa) Das Ziel der Blockadeaktion war die Erzielung von öffentlicher Aufmerksamkeit für ihren politischen Standpunkt und die Teilhabe am Prozess öffentlicher Meinungsbildung. Daher ist für die Abwägung bedeutsam, dass die Angeklagte bei ihrer Aktion davon ausgingen, zu einer die Öffentlichkeit angehenden, kontrovers diskutierten Frage – Maßnahmen gegen die Klimakrise – Stellung zu beziehen.
Es handelte sich um eine wirksame Form des Protestes und ermöglichte hinreichende Aufmerksamkeit für die Forderungen der Versammlungsteilnehmenden. Das zeigte sich auch durch das mediale Interesse von SWR und Zeitungen und die Möglichkeit, mit den von der Blockade Betroffenen ins Gespräch zu kommen. Diese Gespräche wurden indes spätestens 30 min nach Beginn der Aktion eingestellt, das Interview mit dem SWR war kurze Zeit später beendet. Zuletzt war auf den Videoaufnahmen keine mediale Begleitung der Aktion mehr zu erkennen. Die Verwirklichung des Versammlungszieles auf Teilhabe am demokratischen Diskurs auf der einen Seite und die Behinderung Dritter auf der anderen ist spätestens zu diesem Zeitpunkt zu Gunsten letzterer zu entscheiden.
Die Kammer ist der Auffassung, dass einem vernünftigen und besonnenen Staatsbürger, der die Grundrechtsausübung seiner Mitbürger und ihre Beteiligung am politischen Diskurs als Beitrag zu einer lebendigen Demokratie schätzt, eine Wartezeit von etwa 30 min – je nach Einzelfall – zumutbar ist. Dies umso mehr, als die Fortbewegungsfreiheit mit Kraftfahrzeugen aufgrund der allgemein bekannten Behinderung durch Staubildung nur selten frei gewährleistet ist (so insbesondere AG Tiergarten, Urteil vom 16. Mai 2023 – 298 Cs 269/22 –, juris, Rn. 51 – 53; LG Berlin, Beschluss vom 31. Mai 2023 – 502 Qs 138/22 –, Rn. 22, juris).
(bb) Eine längere Zeitspanne kommt vorliegend nicht in Betracht. Ein konkreter Sachbezug zwischen Versammlungsthema (Klimakrise und Lebensmittelverschwendung) und Versammlungsort oder den von der Aktion Betroffenen bestand kaum. Die Angeklagte hat nicht symbolische Orte gewählt, die in besonderer Weise mit Lebensmittelverschwendung in Verbindung gebracht werden könnten. Dass der Autoverkehr einen erheblichen Anteil an der Klimakrise hat, trifft sicher zu, wurde bei der Blockadeaktion aber nicht spezifisch thematisiert. Die Blockade trifft hier allerdings auch wahllos Wenigfahrer, Car Sharing Nutzer, Elektrofahrzeuge, etc. Auch insoweit wären eher (Verbrenner-) Fahrzeug- oder Kraftstoffproduzenten ein entsprechend symbolisch relevanter Ort gewesen. Damit steht vorliegend stärker die Behinderung des öffentlichen Lebens im Vordergrund als bei spezifischen, symbolischen Aktionen.
Die Gruppe der Versammlungsteilnehmer war mit 14 – 15 Personen klein, das Gewicht ihrer Meinungsäußerung dementsprechend beschränkt. Dem standen mehrere hundert Fahrzeugführer und Insassen der Kraftfahrzeuge gegenüber.
Die Dauer war mit knapp zwei Stunden bis zur vollständigen Freigabe des Verkehrs sehr lang und weit außerhalb normaler Behinderung im Morgenverkehr. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass nach etwa einer Stunde ein einspuriger Abfluss eines Teils der Fahrzeuge erfolgen konnte. Die Verkehrsbehinderung war auch nicht angekündigt und die Betroffenen hatte keine Möglichkeit, der Blockade auszuweichen.
b. Die Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstandes liegen nicht vor.
Es kann dahinstehen, ob ein menschengerechtes globales Erdklima ein notstandsfähiges Rechtsgut i.S.d. § 34 StGB darstellt (so aber Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 9. August 2023 – 1 ORs 4 Ss 7/23 –, Rn. 26, juris), weil eine Blockade jedenfalls nicht gem. § 34 S. 2 StGB angemessen war. Die Angemessenheit entfällt, wenn die Rechtsordnung für die Lösung eines Interessenkonflikts abschließende Sonderregelungen, insbesondere ein geordnetes gerichtliches Verfahren, vorsieht. In diesem Fall liegt eine sogenannte Sperrwirkung rechtlich geordneter Verfahren vor. Diese Sperrwirkung greift auch dann ein, wenn das gerichtliche Verfahren im Einzelfall eine Gefahrenabwehr nicht ermöglicht, weil andernfalls die in dem rechtlichen Verfahren zum Ausdruck kommenden Wertungen unterlaufen würden. Die Angemessenheit der Notstandsmaßnahme kann auch nicht deshalb bejaht werden, weil bei der Auslegung des Begriffs „angemessen“ das verfassungsrechtliche Gebot des Klimaschutzes nach Art. 20a GG zu berücksichtigen ist. Zwar gibt Art. 20a GG dem demokratischen Entscheidungsprozess inhaltliche Bindungen vor. Dies betrifft insbesondere auch den Schutz künftiger Generationen. Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass Art. 20a GG das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG außer Kraft setzt (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 9. August 2023 – 1 ORs 4 Ss 7/23 –, Rn. 65, juris).
VI.
1. Bei der Strafzumessung war der Strafrahmen des § 240 Abs. 1 StGB zugrunde zu legen, der Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vorsieht.
Zu Gunsten der Angeklagten spricht ihr Geständnis. Die Tat liegt inzwischen fast zwei Jahre zurück. Die Angeklagte hat sich weder vor noch nach der Tat etwas zuschulden kommen lassen. Hintergrund der Tat ist ein kommunikatives, die Öffentlichkeit angehendes Anliegen. Die Angeklagte selbst hat sich nicht angeklebt, sondern widerstandslos wegtragen lassen und ist dem Platzverweis gefolgt.
Zu ihren Lasten war zu werten, dass eine Vielzahl von Personen teilweise bis zu zwei Stunden in ihrer Fortbewegungsfreiheit gehindert wurde.
Nach Abwägung aller für und gegen die Angeklagte sprechenden Gesichtspunkte, insbesondere den oben genannten Strafzumessungserwägungen, hat die Kammer die Angeklagte als tat- und schuldangemessene Strafe verwarnt und die Verhängung einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10 € vorbehalten.
Die Voraussetzungen des § 59 StGB liegen vor. Die Angeklagte hat eine Geldstrafe von nicht mehr als 180 Tagessätzen verwirkt. Da die Angeklagte nicht vorbestraft ist und seit der Tat auch nicht straffällig wurde, außerdem glaubhaft den Eindruck vermittelt hat, nun zunächst ihr Studium beenden zu wollen und erkennbar vom Strafverfahren beeindruckt war, ist nicht zu erwarten, dass die Angeklagte weitere Straftaten begehen wird.
Es liegen auch besondere Umstände vor, die die Verhängung einer Strafe entbehrlich machen. Die Tat der Angeklagten steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Sorge um die natürlichen Lebensgrundlagen und der Ausübung demokratischer Rechte. Die Angeklagte handelte nicht in rechtsfeindlicher Gesinnung, sondern wollte den Schutzauftrag des Grundgesetzes für die Umwelt nach Art. 20a GG gerade unterstützen.
Auch die Verteidigung der Rechtsordnung gebietet weder unter dem Aspekt des Rechtsgüterschutzes noch unter dem Aspekt der Wiederholungs- oder Nachahmungsgefahr die Verhängung einer Strafe. Die Tat liegt bereits fast zwei Jahre zurück, die Blockadeaktionen der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ sind zwischenzeitlich durch andere Aktionsformen ersetzt worden. Auch im Vergleich zu aktuellen politischen Protesten (so z.B. derzeit besonders der Bauern) ist die Bedeutung dieser Blockaden und sind deren reale Auswirkungen überschaubar.
Die Tagessatzhöhe wurde entsprechend der wirtschaftlichen Verhältnissen der Angeklagten auf 10 € festgesetzt (BAFöG-Bezug).
VII.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 und 4 StPO.