LG Kiel – Az.: 7 Qs 43/19 – Beschluss vom 10.10.2019
1. Die Beschwerden der Landeskasse Schleswig-Holstein, vertreten durch den Bezirksrevisor beim Landgericht Kiel, vom 20.05.2019 gegen die Kostenfestsetzungsbeschlüsse des Amtsgerichts Kiel vom 08.05.2019 werden als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Freigesprochenen trägt die Landeskasse.
Gründe
Das Amtsgericht Kiel hat in zwei Beschlüssen vom 08.05.2019 zum einen über die dem Verteidiger als notwendige Auslagen zu erstattenden Kosten (Bl. 1562 ff. d.A.) sowie weiterhin über die erstattungsfähigen notwendigen Auslagen des Freigesprochenen entschieden (Bl. 1566 ff.).
Die gemäß den §§ 464b StPO, 104 Abs. 3 ZPO, 21, 11 Abs. 2 RPflG als sofortige Beschwerde zu behandelnde Erinnerung des Bezirksrevisors gegen die vom Amtsgericht getroffene Kostenfestsetzung in beiden Beschlüssen ist zulässig, in der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
Hinsichtlich des Beschlusses vom 09.05.2019 betreffend die dem Verteidiger zu erstattenden Auslagen (Bl. 1562 ff.) wird mit der Beschwerde geltend gemacht, dass die Kostenfestsetzung für die erste Instanz nach den alten, bis Juli 2013 geltenden Gebührensätzen hätte erfolgen müssen.
Die Beschwerdebegründung übersieht jedoch, dass dies tatsächlich auch so erfolgt ist. Der Verteidiger des Freigesprochenen hatte mit seinem ursprünglichen Kostenfestsetzungsantrag (Bl. 1534) zunächst sowohl die Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühren für das Jahr 2012 nach den bis Ende Juli 2013 geltenden alten Gebührensätzen beantragt und lediglich für die im Jahre 2013 stattgefunden Termine die ab August 2013 geltenden neuen Gebühren geltend gemacht. Daraufhin wurde der Verteidiger mit Schreiben des Amtsgerichts vom 24.02.2018 um einen berichtigten Antrag gebeten im Hinblick auf die erstinstanzlich geltenden alten Gebühren. Dies ist seitens des Verteidigers mit der mit Schriftsatz vom 05.11.2018 eingereichten berichtigten Kostenrechnung (Bl. 1559 ff.) auch erfolgt, indem für die erste Instanz bezüglich der Rahmengebühren jeweils die (Höchst-) Gebühren nach altem, bis zum 01.08.2013 geltenden Recht beantragt wurden.
Hinsichtlich des Beschlusses vom 09.05.2019 betreffend die an den Freigesprochenen zu erstattenden notwendigen Auslagen (Bl. 1566 ff.) wird mit der Beschwerde geltend gemacht, dass die Kosten eines Privatgutachtens zu Unrecht festgesetzt worden seien.
Die Kammer erachtet die Beschwerde jedoch auch insoweit für unbegründet.
Zu Recht ist das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung im Ansatz davon ausgegangen, dass die Kosten für eigene Ermittlungen und Privatgutachten grundsätzlich nicht erstattungsfähig sind, weil die Ermittlungsbehörden und das Gericht von Amts wegen zur Sachaufklärung verpflichtet sind. Die Interessen des Beschuldigten werden in der Regel bereits dadurch sowie sein Recht zur Stellung von Beweisanträgen ausreichend geschützt. Die private Beschaffung von Beweismitteln wird deshalb nur im Ausnahmefall unter strengen Voraussetzungen als notwendig anerkannt. Grundsätzlich ist der Beschuldigte gehalten, zunächst seine prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Staatsanwaltschaft bzw. das Gericht zu entsprechenden Ermittlungen zu veranlassen.
Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. So ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass in besonderen Fallgestaltungen Ausnahmen anzuerkennen sind, etwa bei komplizierten technischen Fragen, bei einem „Informationsvorsprung“ der Staatsanwaltschaft im Interesse einer effektiven Verteidigung, oder auch dann, wenn sich die Prozesslage eines Angeklagten aus seiner Sicht bei verständiger Betrachtung der Beweislage ohne solche eigenen Ermittlungen alsbald erheblich verschlechtert hätte (OLG Düsseldorf, NStZ 1997, 511; KK, 8.Aufl. 2019, Rn 7 zu § 464a StPO m.w.N.).
So liegen die Dinge auch hier. Es handelte sich vorliegend um erhebliche Anklagevorwürfe, nämlich um 18 Fälle des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen. Entscheidendes Beweismittel waren insoweit die Angaben der Nebenklägerin als vermeintlich Geschädigte und die Beurteilung ihrer Glaubwürdigkeit. Bereits am 3. Verhandlungstag hatte die Verteidigung die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens beantragt mit der Begründung, dass im Hinblick auf die Besonderheiten des Falles, insbesondere einer zwischenzeitlich durchgeführten therapeutischen Behandlung der noch jungen Nebenklägerin, die eigene Sachkunde des Gerichts nicht mehr ausreiche. Dieser Antrag wurde unter Hinweis auf die beim Gericht vorhandene eigene Sachkunde abgelehnt. Erst am 10. Verhandlungstag (30.11.2012) nachdem bereits zahlreiche Zeugen, darunter die Nebenklägerin, vernommen, die Beweisaufnahme geschlossen war und die Staatsanwaltschaft bereits auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren plädiert hatte, beschloss das Amtsgericht auf erneuten Antrag der Verteidigung, nunmehr ein aussagepsychologisches Gutachten einzuholen und die Hauptverhandlung auszusetzen. Dem war vorausgegangen, dass die Verteidigung zur Begründung ihres Antrages ein auf den 29.11.2012 datiertes Privatgutachten eingeholt und vorgelegt hatte. Dieses Gutachten kam zu dem Schluss, dass zahlreiche Hinweise vorlägen, die nach Auffassung des Gutachters eine aussagepsychologische Begutachtung zwingend erforderlich machen würden.
Bei dieser Sachlage ist festzuhalten, dass die Verteidigung bereits frühzeitig die Einholung eines Gutachtens beantragt hatte, dieser Antrag jedoch zurückgewiesen wurde. Nach Schluss der Beweisaufnahme und dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft musste ein verständiger Angeklagter davon ausgehen, dass es, gestützt auf die eigene Sachkunde des Gerichts, zu einer Verurteilung mit einer erheblichen Freiheitsstrafe kommen werde. Dies entspricht der in der Rechtsprechung angenommenen Fallgestaltung, dass der Angeklagte bei verständiger Würdigung annehmen müsse, es werde ohne Einführung eines privat eingeholten Gutachtens in den Prozess zu einer Verschlechterung der Prozesslage kommen. Unter den gegebenen Umständen durfte der Freigesprochene hier davon ausgehen, dass das Gericht eine Verurteilung zu einer erheblichen Freiheitsstrafe allein auf die eigene Sachkunde stützen werde. Er war danach aus seiner verständigen Sicht darauf angewiesen, sich sachkundig unterrichten zu lassen, ob dies im Hinblick auf in der Beweisaufnahme zutage getretene Besonderheiten tatsächlich ausreichend war. Im Übrigen hat das sodann vom Gericht auf Antrag der Verteidigung nach Kenntnisnahme des Privatgutachtens eingeholte aussagepsychologische Gutachten auch maßgeblich zum Freispruch beigetragen.
Diese besondere Fallgestaltung führt im Ergebnis dazu, vorliegend die Kosten des privat eingeholten Gutachtens als notwendige Auslagen des Freigesprochenen anzuerkennen.
Die Beschwerdebegründung geht schließlich auch insoweit schon fehl, als dort ausgeführt wird, der Beschuldigte sei durch einen Fachanwalt für Strafrecht vertreten gewesen, der in der Lage sei, Fragen an einen gerichtlichen Sachverständigen zu formulieren. Dabei wird übersehen, dass es bis zur Einholung des Privatgutachtens einen solchen gerichtlichen Sachverständigen gerade nicht gegeben hat.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.