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Längerfristige Observation –  Zufallserkenntnis – Verwertbarkeit

OLG Düsseldorf – Az.: III-2 RVs 15/22 – Urteil vom 24.05.2022

Die Revision wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Mit der Anklage ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, am 27. Januar 2021 gegen 10:57 Uhr in Duisburg auf der pp. Straße den Pkw Opel Tigra, amtliches Kennzeichen pp., geführt zu haben, ohne im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein. Dies sei dem Angeklagten auch bewusst gewesen. Er sei zu einer Hauptverhandlung bei dem Amtsgericht Duisburg-Hamborn gefahren, bei der er wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden sei.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen, weil die Erkenntnisse zu dem Tatvorwurf bei einer längerfristigen Observation in anderer Sache erlangt worden seien und deshalb in dem vorliegenden Verfahren ein Beweisverwertungsverbot bestehe.

Hiergegen richtet sich die (Sprung-)Revision der Staatsanwaltschaft, die sich auf die Aufklärungsrüge und die Sachrüge stützt.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.

1. Die Aufklärungsrüge greift nicht durch.

Das Amtsgericht hat zu Recht von der Vernehmung des Zeugen pp. abgesehen. Denn die Beobachtung des Angeklagten bei der ihm zur Last gelegten Tat ist im Rahmen einer längerfristigen Observation (§ 163f StPO) erfolgt, die in anderer Sache wegen des Verdachts des banden- und gewerbsmäßigen Betruges angeordnet worden war. Die dadurch erlangten Erkenntnisse unterliegen im vorliegenden Verfahren gemäß § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. § 161 Abs. 3 Satz 1 StPO einem Beweisverwertungsverbot.

Ist eine Maßnahme nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässig, so gilt für die Verwendung der aufgrund einer solchen Maßnahme erlangten Daten in anderen Strafverfahren die Regelung des § 161 Abs. 3 StPO entsprechend (§ 479 Abs. 2 Satz 1 StPO). Nach der in Bezug genommenen Verwendungsbeschränkung des § 161 Abs. 3 Satz 1 StPO dürfen die aufgrund einer solchen Maßnahme erlangten personenbezogenen Daten ohne Einwilligung der von der Maßnahme betroffenen Personen zu Beweiszwecken im Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach diesem Gesetz hätte angeordnet werden dürfen (Gedanke des „hypothetischen Ersatzeingriffs“). Dies ist bei einer längerfristigen Observation hinsichtlich eines Vergehens nach § 21 Abs. 1 StVG nicht der Fall.

a) Bei den Erkenntnissen aus der am 27. Januar 2021 durchgeführten Observation des Angeklagten handelt es sich um personenbezogene Daten.

Für die Bestimmung des in der StPO nicht eigens definierten Begriffs der „personenbezogenen Daten“ kann auf die Legaldefinition des Art. 4 Nr. 1 DSGVO zurückgegriffen werden (vgl. Menges in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2018, § 98a Rdn. 3). Danach sind „personenbezogene Daten“ alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare Person beziehen. Dabei wird als identifizierbar eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann.

Längerfristige Observation -  Zufallserkenntnis – Verwertbarkeit
(Symbolfoto: Kittyfly/Shutterstock.com)

Diese Legaldefinition umfasst ohne Einschränkung „alle Informationen“, die sich auf eine Person beziehen, und ist daher grundsätzlich weit zu verstehen. Darunter fallen Identifikationsmerkmale, äußere Merkmale, innere Zustände sowie die sachlichen und sonstigen persönlichen Verhältnisse einer natürlichen Person (vgl. Klar in: Kühling/Buchner, DSGVO, 3. Aufl. 2020, Art. 4 Abs. 1 Rdn. 8).

Bei der im Rahmen längerfristiger Observation erlangten Information, dass der Angeklagte zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort als Fahrer eines bestimmten Pkw in Erscheinung getreten ist, handelt es sich um personenbezogene Daten, bei denen Erkenntnisse zu dem Verhalten einer optisch identifizierten Person und Erkenntnisse zu deren sachlicher und räumlicher Beziehung (Pkw, Fahrtstrecke) kombiniert werden. Die Einstufung der Erkenntnisse als personenbezogene Daten wird dadurch bestätigt, dass die längerfristige Observation polizeirechtlich als Mittel der „Datenerhebung“ benannt wird (vgl. § 45 Abs. 2 Nr. 1 BKAG, § 28 Abs. 2 Nr. 1 BPolG, § 16a Abs. 1 PolG NRW). Auch § 101 Abs. 3 StPO spricht von personenbezogenen Daten, die durch verdeckte Maßnahmen, zu denen die längerfristige Observation zählt (§ 101 Abs. 1 StPO), erhoben wurden.

b) Die Ermittlungsmaßnahme der längerfristigen Observation unterfällt der Verwendungsbeschränkung des § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO.

Die Anordnung der längerfristigen Observation erfordert zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ begangen worden ist (§ 163f Abs. 1 Satz 1 StPO). Es handelt sich damit im Sinne des § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO um eine Maßnahme, die „nur bei Verdacht bestimmter Straftaten“ zulässig ist.

Das Kammergericht (Beschluss vom 20. Dezember 2018, 3 Ws 309/18, bei juris = NStZ 2019, 429) hat zu dem inhaltsgleichen § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO a. F. mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass der Terminus „bestimmte Straftaten“ nicht nur konkret und enumerativ aufgeführte Katalogtaten, sondern auch generalklauselartig umschriebene Delikte wie etwa eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ erfasst. Dieser Bewertung tritt der Senat bei.

So gelten die Verfahrensregeln für verdeckte Maßnahmen gemäß § 101 Abs. 1 StPO auch für die längerfristige Observation. Durch die Pflicht, dass personenbezogene Daten, die durch solche verdeckten Maßnahmen erhoben wurden, nach § 101 Abs. 3 StPO entsprechend zu kennzeichnen sind, soll nach dem Willen des Gesetzgebers gerade sichergestellt werden, dass die für eingriffsintensive verdeckte Ermittlungsmaßnahmen geltenden Verwendungsbeschränkungen beachtet werden (vgl. BT-Drucksache 16/5846 S. 3 zu § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO a.F.). Daraus geht klar hervor, dass der Gesetzgeber die Verwendung von personenbezogenen Daten, die durch längerfristige Observation bei dem Verdacht einer „Straftat von erheblicher Bedeutung“ erlangt wurden, den Beschränkungen des § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO unterwerfen wollte (vgl. auch: Henseler NZV 2020, 423).

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverfassungsgericht wiederholt festgestellt hat, dass das Merkmal einer „Straftat von erheblicher Bedeutung“ Grundrechtseingriffe im Strafverfahren einer hinreichend bestimmten Begrenzung unterwirft. Eine solche Straftat muss mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sein, den Rechtsfrieden empfindlich stören und dazu geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BVerfG NJW 2001, 879, 880; NJW 2003, 1787, 1791; NJW 2005, 1338, 1339).

Genügt das in § 163f Abs. 1 Satz 1 StPO bezeichnete Merkmal einer „Straftat von erheblicher Bedeutung“ mithin auf der Eingriffsebene den Anforderungen an die Normenklarheit und Tatbestandsbestimmtheit, ist es nur folgerichtig, die Regelung des § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO, die für die Verwendungsbeschränkung auf eine „nur bei Verdacht bestimmter Straftaten“ zulässige Maßnahme abstellt, auch auf eine derart umschriebene Straftat anzuwenden.

c) Die gesetzlichen Verwendungsbeschränkungen können bei Zufallserkenntnissen nicht mit der Erwägung umgangen werden, dass dieselben personenbezogenen Daten auch durch weniger eingriffsintensive Maßnahmen hätten erlangt werden können. Maßgeblich ist stets, aufgrund welcher Ermittlungsmaßnahme die Zufallserkenntnisse tatsächlich gewonnen wurden. Anderenfalls würden die gesetzlichen Verwendungsbeschränkungen häufig leerlaufen. So kann etwa dann, wenn an einer nach § 111 StPO eingerichteten Kontrollstelle ein Kraftfahrzeugführer ohne die erforderliche Fahrerlaubnis angetroffen wurde, nicht darauf abgestellt werden, dass derselbe Sachverhalt auch bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle (§ 36 Abs. 5 StVO) hätte festgestellt werden können.

Soweit von Teilen der Literatur zufällige Erkenntnisse zu anderen Straftaten, die durch eine längerfristige Observation (§ 163f StPO) erlangt wurden, ohne nähere Begründung als uneingeschränkt verwertbar angesehen werden (vgl. von Häfen in: BeckOK, StPO, 42. Edition 2022, § 163f Rdn. 15; Moldenhauer in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl. 2019; § 163f Rdn. 31), steht dies in Widerspruch zu § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO.

So ist die Erwägung, dass sich bei einer längerfristigen Observation strafrechtlich relevante Beobachtungen zu anderen, nicht von der Anordnung erfassten Tathandlungen zuweilen gar nicht vermeiden ließen und deshalb wie Ergebnisse kurzfristiger Observationen gemäß § 163 Abs. 1 StPO zu behandeln seien (vgl. von Häfen a.a.O), nicht überzeugend. Zufallserkenntnisse können sich bei sämtlichen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen ergeben. Es kommt auch nicht in Betracht, die längerfristige Observation, die tatsächlich durchgeführt wurde, fiktiv auf die weniger eingriffsintensive Stufe einer einfachen Observation zu reduzieren (vgl. Günther in: Münchener Kommentar, StPO, 1. Aufl. 2016, § 163f Rdn. 33). Maßgeblich ist nach § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. § 161 Abs. 3 Satz 1 StPO, ob die längerfristige Observation auch zur Aufklärung der zufällig entdeckten Straftat hätte angeordnet werden dürfen (vgl. LG Braunschweig StV 2019, 320, 321 = BeckRS 2018, 41459; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 163f Rdn. 11; Erb in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2018; § 163f Rdn. 18; Zöller in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Aufl. 2019, § 163f Rdn. 12; Ambos in: Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 5. Aufl. 2022, § 163f StPO Rdn. 2).

d) Die Anordnung der längerfristigen Observation wäre zur Aufklärung eines Vergehens nach § 21 Abs. 1 StVG nicht zulässig gewesen. Denn bei vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis handelt es sich nicht – wie gemäß § 163f Abs. 1 StPO erforderlich ist – um eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“.

Eine Straftat hat – wie oben bereits dargelegt (II.1.b) – „erhebliche Bedeutung“, wenn sie mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Dies setzt voraus, dass der Gesetzgeber der Straftat allgemein ein besonderes Gewicht beimisst und sie im konkreten Fall erhebliche Bedeutung hat (vgl. BVerfG NJW 2003, 1787, 1791; BGH NStZ 2014, 281).

Der Strafrahmen des § 21 Abs. 1 StVG reicht von Geldstrafe bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe. Bei dieser geringen Strafrahmenobergrenze, die sich etwa auch bei Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) und Erschleichen von Leistungen (§ 265a StGB) findet, hat der Gesetzgeber dem Delikt schon allgemein kein besonderes Gewicht beigemessen (vgl. KG NStZ 2019, 429, 431). Zwar liegen im konkreten Fall erschwerende Umstände vor, die in der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft aufgezeigt worden sind. So ist der Angeklagte wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis mehrfach vorbestraft, wobei er zur Tatzeit am 27. Januar 2021 wegen der einschlägigen Verurteilung vom 13. Mai 2019 unter laufender Bewährung stand. Auch stellt es eine besondere Dreistigkeit dar, dass der Angeklagte mit einem Pkw ohne die erforderliche Fahrerlaubnis zu dem Hauptverhandlungstermin vom 27. Januar 2021 gefahren ist, bei dem er wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer weiteren Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Da allein die Hinfahrt zum Amtsgericht Duisburg-Hamborn Gegenstand der Anklage ist, sei der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass er zur Tatzeit entgegen dem Revisionsvorbringen nicht zweifach unter laufender Bewährung stand. Ungeachtet dessen ändern die erschwerenden Tatumstände nichts daran, dass vorliegend eine geringe Strafrahmenobergrenze von einem Jahr Freiheitstrafe gilt. Für die Annahme einer „Straftat von erheblicher Bedeutung“ fehlt es bereits an der Voraussetzung, dass der Gesetzgeber der Straftat allgemein ein besonderes Gewicht beimisst. Dass die Straftat auch im konkreten Fall erhebliche Bedeutung hat, muss ggf. hinzutreten.

Nach alledem war das Amtsgericht gemäß § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. § 161 Abs. 3 Satz 1 StPO gehindert, die Zufallserkenntnisse aus der längerfristigen Observation zur Aufklärung des Tatvorwurfs zu verwenden. Ein „hypothetischer Ersatzeingriff“ wäre nicht zulässig gewesen.

2. Soweit die Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge beanstandet, dass das Amtsgericht keine Feststellungen zur Person des Angeklagten, insbesondere zu dessen Vorstrafen, getroffen hat, bleibt die Revision ebenfalls ohne Erfolg.

Zwar ist der Tatrichter auch bei freisprechenden Urteilen aus sachlich-rechtlichen Gründen dann zu solchen Feststellungen verpflichtet, wenn diese für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können und deshalb zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 206, 207; NJW 2008, 2792; 2793; NStZ 2010, 529, 530). Vorliegend existiert zu dem Tatvorwurf des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis indes kein Beweisgebäude, in das Erkenntnisse zu einschlägigen Vorstrafen und der daraus ableitbaren Tatgeneigtheit des Angeklagten flankierend hätten eingefügt werden können. Ohne verwertbare Erkenntnisse zur Tat selbst fehlt für eine Verurteilung jegliche Grundlage.

Soweit die Vorstrafen nach Auffassung der Staatsanwaltschaft unter dem Gesichtspunkt einer „Straftat von erheblicher Bedeutung“ für die Beurteilung des Beweisverwertungsverbotes relevant sind, waren diese – wie geschehen – mit der Verfahrensrüge darzulegen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

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