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Nachträgliche Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe

Festlegung der Dauer der Bewährungszeit

KG Berlin – Az.: 5 Ws 23/20 – 161 AR 12/20 – Beschluss vom 06.02.2020

1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer – vom 2. Dezember 2019 wird mit der Maßgabe verworfen, dass

a) die Aussetzung der mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 15. März 2018 – 208 Ds 6112 Js 115812/15 (86/17) – gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten zur Bewährung widerrufen wird und dass

b) die von dem Beschwerdeführer geleisteten Zahlungen an die Landeskasse Niedersachsen in Höhe von insgesamt 500,– Euro mit 23 Tagen auf die genannte Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet werden.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer die dem Beschwerdeführer durch den Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Hannover vom 15. März 2018 (im Beschlusstenor unrichtig bezeichnet mit 21. August 2017) – 208 Ds 6112 Js 115812/15 (86/17) – bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen; von der Anrechnung der von dem Beschwerdeführer in Erfüllung einer Auflage nach § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 StGB geleisteten Zahlungen an die Landeskasse Niedersachsen in Höhe von insgesamt 500,– Euro hat die Kammer abgesehen. Das gegen den Beschluss gerichtete Rechtsmittel des Verurteilten ist als sofortige Beschwerde statthaft (§ 453 Abs. 2 Satz 3 StPO) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben (§ 311 Abs. 2 StPO). In der Sache bleibt ihm jedoch überwiegend der Erfolg versagt.

1. Die dem Beschwerdeführer bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung war zu widerrufen.

a) Der Beschwerdeführer hat während einer laufenden Bewährungszeit eine neue Straftat begangen, die den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigt (§ 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB). Im August 2018 verschaffte er sich mindestens 18 gefälschte 50-Euro-Banknoten und brachte diese teilweise als echt in Verkehr. Am 12. Dezember 2018 verurteilte ihn das Amtsgericht Tiergarten deshalb wegen Geldfälschung (§ 146 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten. Das Urteil ist – in Verbindung mit dem Berufungsurteil des Landgerichts Berlin vom 19. Juli 2019 – seit dem 27. Juli 2019 rechtskräftig.

Die neue Tat fällt in die Bewährungszeit aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Hannover vom 15. März 2018. Dem steht nicht entgegen, dass das Amtsgericht es in dem Beschluss unterlassen hat, die Dauer der Bewährungszeit festzulegen. Dies wäre allerdings geboten gewesen, weil die nachträgliche Bildung einer Gesamt(freiheits)strafe das ursprüngliche Erkenntnis entfallen lässt und die neue Entscheidung künftig die alleinige Grundlage der Vollstreckung bildet (vgl. KG, Beschluss vom 13. März 2003 – 5 Ws 90/03 –, juris Rn. 6). Die Bewährungszeit beginnt dann ebenfalls neu; ihre Dauer ist wiederum gesondert festzusetzen (KG, a. a. O.; Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl., § 460 Rn. 17). Unterbleibt eine erneute Festsetzung, so führt dies indes nicht dazu, dass eine Bewährungszeit nicht läuft. Diese beginnt vielmehr von Gesetzes wegen mit der Rechtskraft der Entscheidung, mit der die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird (§ 56a Abs. 2 Satz 1 StGB); das Gericht bestimmt daher nicht über das „Ob“, sondern nur über die Dauer der Bewährungszeit (vgl. Schall in: SK-StGB 2. Aufl., § 56a Rn. 2). Ist diese Bestimmung (versehentlich) unterblieben, so läuft eine Bewährungszeit im Umfang der gesetzlich vorgesehenen Mindestdauer (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 2. Dezember 1999 – 3 Ws 710/99 –, juris Rn. 9; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. Mai 1999 – 4 Ws 75/99 –, juris Rn. 10; Claus in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB 4. Aufl., § 56a Rn. 6; Hubrach in: Leipziger Kommentar, StGB 12. Aufl., § 56a Rn. 9; Ostendorf in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB 5. Aufl., § 56a Rn. 2; Schall, a. a. O.). Im Falle der Aussetzung einer nachträglich gebildeten Gesamtstrafe verkürzt sich das Mindestmaß der neuen Bewährungszeit gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 StGB gegenüber der in § 56a Abs. 1 Satz 2 StGB geregelten Untergrenze um die bereits abgelaufene Bewährungszeit, jedoch nicht auf weniger als ein Jahr. Damit fiel die im August 2018 begangene neue Tat in die ab der am 28. März 2018 eingetretenen Rechtskraft des Gesamtstrafenbeschlusses laufende Bewährungszeit. Das erforderliche Gewicht der Tat (vgl. dazu etwa Senat, Beschlüsse vom 2. Juli 2018 – 5 Ws 105-106/18 – und vom 13. März 2017 – 5 Ws 28/17 –, jeweils m. w. Nachw.) ergibt sich maßgeblich aus dem Verbrechenscharakter der Anlasstat und der von dem erkennenden Gericht insoweit als tat- und schuldangemessen erachteten erheblichen Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten.

Nachträgliche Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe
(Symbolfoto: Von icedmocha/Shutterstock.com)

b) Mildere Maßnahmen als der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, wie etwa die Erteilung von Auflagen oder Weisungen oder eine Verlängerung der Bewährungszeit (vgl. § 56f Abs. 2 Satz 1 StGB), reichen nicht aus. Sie stellten nur dann eine angemessene Reaktion auf die erneute Straffälligkeit des Beschwerdeführers dar, wenn die Prognose aufgrund neu hinzugetretener Tatsachen jetzt günstig wäre und wenn trotz des Bewährungsversagens objektiv eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestände, dass der Verurteilte nunmehr von Straftaten Abstand nehmen und Tatanreizen widerstehen werde (stRspr., vgl. etwa Senat, Beschlüsse vom 26. November 2018 – 5 Ws 207/18 – und vom 13. März 2017 – 5 Ws 28/17 –; jeweils m. w. Nachw.). Die günstige Prognose setzt dabei mehr voraus als den Willen, sich künftig straffrei zu führen. Es muss auch die Fähigkeit belegt sein, diesen Willen in die Tat umzusetzen. Diese Befähigung hat sich auf Tatsachen zu stützen; sie darf nicht unterstellt werden. Dabei ist von Bedeutung, dass der Widerruf nicht der Ahndung des Bewährungsbruchs dient, sondern dass auf der Grundlage der aktuellen Lebenssituation prognostisch bewertet werden muss, ob der Verurteilte seine kriminelle Lebensführung geändert hat oder mit einer solchen Änderung aufgrund nachvollziehbarer Tatsachen höchstwahrscheinlich zu rechnen ist (vgl. Senat, a. a. O., m. w. Nachw.).

Die danach erforderliche günstige Prognose kann dem Beschwerdeführer nicht gestellt werden. Er ist bereits seit dem Jahr 2007 mit zahlreichen Straftaten – unter anderem aus dem Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte – in Erscheinung getreten, die anfangs mit jugendstrafrechtlichen Sanktionen – darunter im Jahre 2013 auch eine zur Bewährung ausgesetzte sechsmonatige Jugendstrafe – und später zunächst mit Geldstrafen geahndet wurden. Nur etwa ein Jahr nach der Ausgangsverurteilung vom 21. August 2017 zu einer Bewährungsstrafe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln beging der Beschwerdeführer sodann die zum Widerruf der Strafaussetzung führende Tat nach § 146 Abs. 1 StGB. Am 29. August 2018 wurde er deswegen vorläufig festgenommen. Ab dem Folgetag wurde gegen ihn in jener Sache Untersuchungshaft vollstreckt; seit dem 27. Juli 2019 befindet er sich in Strafhaft. Der Beschwerdeführer ist nach seinen eigenen Angaben im Beschwerdeschreiben vom 9. Dezember 2019 bereits seit seinem 13. Lebensjahr drogenabhängig. Seine Straffälligkeit steht hiermit ersichtlich im Zusammenhang. Nach den im Urteil vom 21. August 2017 getroffenen Feststellungen konsumierte er im Dezember 2015 regelmäßig Betäubungsmittel. Bei Begehung der letzten Tat im August 2018 litt er ausweislich der Gründe des Berufungsurteils vom 19. Juli 2019 unter ständigem Suchtdruck; das Falschgeld diente der Beschaffung von Betäubungsmitteln. Die Suchterkrankung ist bislang nicht erfolgreich therapiert. Soweit der Verurteilte in seinem Beschwerdeschreiben unter Vorlage eines Bewilligungsbescheides der Deutschen Rentenversicherung vom 23. August 2019 und einer Bestätigung der Fachklinik Wiesengrund in Freudenstadt vom 11. September 2019 erklärt hat, er wolle sich einer Entwöhnungstherapie unterziehen und habe bereits die Zusage für einen Therapieplatz, trägt dies eine positive Prognose nicht. Die ernsthafte Bereitschaft zu einer Therapie, um sich von einer langjährigen Drogenabhängigkeit zu lösen, rechtfertigt das Absehen von einem Bewährungswiderruf für sich genommen noch nicht; selbst der Beginn einer solchen Behandlung bietet jedenfalls solange keine tragfähige Grundlage für eine Entscheidung nach § 56f Abs. 2 Satz 1 StGB, wie ihr Erfolg ungewiss ist (vgl. etwa Senat, Beschluss vom 18. August 2017 – 5 Ws 191/17 –, m. w. Nachw.). Hier ist ein Therapieerfolg in keiner Weise absehbar. Vielmehr hat die Fachklinik auf Nachfrage seitens des Senats mitgeteilt, der Beschwerdeführer werde nicht in der dortigen Einrichtung behandelt, weil die zunächst gewährte Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG widerrufen worden sei. Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer innerhalb des Strafvollzuges anderweitig die seiner langjährigen Delinquenz zugrunde liegenden Charaktermängel und Persönlichkeitsdefizite behoben hat (vgl. Senat, Beschluss vom 24. März 2015 – 5 Ws 30/15 –, juris Rn. 12), sind nicht vorhanden. Einer Arbeit ging er nach den Feststellungen des Amtsgerichts Tiergarten im Urteil vom 12. Dezember 2018 seit März 2018 nicht mehr nach. Zum Zeitpunkt seiner Festnahme Ende August 2018 bezog er Arbeitslosengeld I und lebte unter leicht löslichen Wohnverhältnissen. Stabilisierende soziale oder familiäre Bindungen sind nicht erkennbar.

c) Auch der Zeitablauf seit dem Bewährungsbruch steht dem Widerruf nicht entgegen. Der Beschwerdeführer hat die neue – erhebliche – Tat im August 2018 und damit nur etwa fünf Monate nach Beginn der (verkürzten Mindest-)Bewährungszeit begangen. Unmittelbar im Anschluss wurde er deswegen in Untersuchungshaft genommen; seither befindet er sich ununterbrochen in Haft. Ein Vertrauen dahingehend, dass sein Verhalten im Rahmen der Bewährungsaufsicht keine Konsequenzen mehr nach sich ziehen würde (vgl. etwa Senat, Beschluss vom 16. Juli 2015 – 5 Ws 69-70/15 –, juris Rn. 22) konnte bei ihm angesichts dessen nicht entstehen. Auch ist das Widerrufsverfahren seitens der Justiz nicht verzögert bearbeitet worden. Vielmehr hat die Strafvollstreckungskammer nach Übernahme der Bewährungsaufsicht und Eintritt der Rechtskraft des Anlassurteils in vertretbarer Zeit über den Widerruf entschieden.

2. In Abweichung von dem angefochtenen Beschluss sind die (Teil-)Zahlungen in Höhe von insgesamt 500,– Euro, die der Beschwerdeführer im Hinblick auf die ihm durch Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 21. August 2017 nach § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 StGB erteilte, im Gesamtstrafenbeschluss vom 15. März 2018 ausdrücklich aufrecht erhaltene Auflage an die Landeskasse Niedersachsen geleistet hat, in dem im Tenor bezeichneten Umfang auf die zu vollstreckende Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen (§ 56f Abs. 3 Satz 2 StGB).

a) Wenngleich die Entscheidung über die Anrechnung im pflichtgemäßen Ermessen der Strafvollstreckungskammer steht, unterliegt sie der Überprüfung durch das Beschwerdegericht. Der eingeschränkte Prüfungsmaßstab des § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO gilt für die gegen den Widerrufsbeschluss insgesamt statthafte sofortige Beschwerde nicht (vgl. KG, Beschluss vom 26. Juni 2013 – 2 Ws 303/13 –, juris Rn. 8, m. w. Nachw.; Senat, Beschluss vom 2. März 2017 – 5 Ws 56/17 –).

b) Die Anrechnung entspricht – insbesondere in den Fällen des § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB – regelmäßig der Billigkeit; denn der Genugtuungszweck der Auflage wird bei einem späteren Widerruf der Strafaussetzung bereits durch die Strafvollstreckung erfüllt (vgl. KG, a. a. O., Rn. 10, m. w. Nachw.; Senat, a. a. O.). Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn besondere Umstände entgegenstehen, namentlich die Erfüllung der Bewährungsauflage mit Geldern aus neuen Straftaten, ein nur geringer Umfang der Bewährungsleistungen oder ein besonders krasses bewährungswidriges Verhalten (vgl. KG, a. a. O., m. w. Nachw.). Für einen derartigen Ausnahmefall bestehen hier keine Anhaltspunkte; auch der angefochtene Beschluss führt solche nicht an. Der Beschwerdeführer hat insgesamt die Hälfte des gesamten Auflagenbetrages geleistet; die Raten hat er bis unmittelbar vor seiner Inhaftierung für das Anlassverfahren gezahlt. Dass die Beträge aus Straftaten herrühren könnten, ist nicht erkennbar. Trotz ihres erheblichen Gewichts stellt die in der Bewährungszeit begangene neue Tat kein besonders schwerwiegendes Bewährungsversagen dar, das ein Absehen von einer Anrechnung rechtfertigte.

c) Maßstab für den Umfang der Anrechnung sind die Einkommensverhältnisse des Täters zur Zeit der Erteilung der Geldauflage (vgl. KG, Beschluss vom 29. Juni 2000 – 5 Ws 465/00 –, juris Rn. 6). Angemessen ist eine Anrechnung, die dem Zeitraum entspricht, den ein Verurteilter zur Zeit der Auflagenerteilung benötigte, um den auferlegten Betrag abzuarbeiten oder ihn anderweitig zu erzielen (vgl. KG, Beschluss vom 30. Dezember 2013 – 2 Ws 602/13 –). Nach den Erkenntnissen aus dem Anlassverfahren bezog der Beschwerdeführer seit dem Verlust seines Arbeitsplatzes im März 2018 – und damit ersichtlich auch zur Zeit des der Auflage zugrundeliegenden Gesamtstrafenbeschlusses – Arbeitslosengeld I in Höhe von monatlich 670,– Euro. Der Senat rechnet die geleisteten Zahlungen von insgesamt 500,– Euro daher mit 23 Tagen auf die Strafe an.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Die Anrechnung der von dem Beschwerdeführer geleisteten Zahlungen stellt keinen kostenrechtlich relevanten Teilerfolg im Sinne des § 473 Abs. 4 StPO dar. Mit seinem Rechtsmittel hat der Beschwerdeführer sich nicht explizit gegen die unterbliebene Anrechnung, sondern gegen den Bewährungswiderruf als solchen gewandt. Daher ist davon auszugehen, dass er sein Rechtsmittel auch dann eingelegt hätte, wenn bereits die Strafvollstreckungskammer die Anrechnung vorgenommen hätte (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Januar 2018 – 5 Ws 8/18 –, juris Rn. 29).

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