LG Offenburg, Az.: 3 Qs 50/14, Beschluss vom 24.09.2014
1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Offenburg vom 23.06.2014 wird als unbegründet verworfen.
2. Die weiteren Kosten des Verfahrens und die dem Angeschuldigten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Offenburg legt dem angeschuldigten Lehrer in ihrem Strafbefehlsantrag (Az. 1 Cs 207 Js 17839/13) folgendes zur Last: Am 15.11.2013 habe er Sportunterricht in der Turnhalle in der … gehabt. Die Trennwände der Halle seien herunter gelassen gewesen, so dass diese gedrittelt gewesen sei. Nachdem eine Trennwand zum Angeschuldigten geschwungen sei, habe er sich auf die andere Seite begeben, indem er die Trennwand beiseite geschoben habe. Dahinter habe der Schüler Ö. gestanden und dieser sei vor ihm stehen geblieben. Der Angeschuldigte sei auf den Schüler zugegangen und habe ihn gewaltsam gezwungen, zur Seite zu treten, indem er ihn mit der rechten Hand beiseite geschoben habe. Anschließend habe der Angeschuldigte herumgebrüllt. Der Angeschuldigte habe sich hierdurch der Nötigung gemäß § 240 Abs. 1, Abs. 2 StGB strafbar gemacht.
Das Amtsgericht Offenburg hat den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls durch Beschluss vom 13.06.2014 zurückgewiesen. Das dem Angeschuldigten vorgeworfene Verhalten erfülle nicht die Voraussetzungen einer strafbaren Nötigung gem. § 240 StGB. Denn das Beiseiteschieben des Schülers sei jedenfalls nicht verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB und somit nicht rechtswidrig. Die Behauptung des Schülers, dass … ihn nicht nur beiseite geschoben sondern auch fest auf das Schulterblatt gegriffen habe, sei durch die Aussage der Zeugin L. nicht bestätigt worden, obwohl diese so etwas hätte sehen müssen. Der Schüler habe auch keinerlei Verletzungen erlitten. Aus den Akten ergebe sich ferner, dass sich der Angeschuldigte einige Tage nach dem Vorgang bei der Klasse entschuldigt habe, wobei der Schüler Ö. an diesem Tage nicht anwesend gewesen sei .
II.
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Offenburg ist zulässig aber unbegründet. Für die Begründung kann im Wesentlichen auf die zu treffende Entscheidung des Amtsgerichts Offenburg vom 13.06.2014 verwiesen werden, die sich die Kammer zu Eigen macht.
Das Amtsgericht Offenburg hat gemäß § 408 Abs. 2 S. 1 StPO den Erlass eines Strafbefehls zu Recht abgelehnt, weil nach dem Ermittlungsergebnis ein hinreichender Tatverdacht fehlt. Ein hinreichender Tatverdacht besteht dann, wenn bei einer vorläufigen Bewertung auf Basis der Akten als Ergebnis des Hauptverfahrens die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung mindestens so hoch wie die Wahrscheinlichkeit eines Freispruches ist (Vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 203, Rn. 2; Ritscher, Beck’scher Online-Kommentar, StPO, 24.03.2014, § 203 StPO, Rn. 4).
Im vorliegenden Fall wäre für eine Verurteilung des … wegen Nötigung der Nachweis notwendig, dass er den Schüler mit Gewalt dazu genötigt hat, zur Seite zu treten und dass die Anwendung dieser Gewalt unter Berücksichtigung des angestrebten Zweckes als verwerflich anzusehen wäre. Zwar hat … hier Gewalt angewendet, dies war aber nach dem jetzigen Stand der Ermittlungen nicht verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB. Verwerflich ist ein Verhalten, das einen erhöhten Grad an sittlicher Missbilligung erreicht, so dass es als strafwürdiges Unrecht zu bewerten ist. Bei der Beurteilung stehen indes keine ethischen Maßstäbe im Vordergrund. Wegen der Korrektivfunktion der Norm, sozialadäquate Verhaltensweisen aus dem aufgrund des weiten Gewaltbegriffs breiten Anwendungsbereich der Vorschrift auszuschließen, gibt vielmehr den Ausschlag, ob das Verhalten sozial unerträglich bzw. sozialwidrig erscheint. (Vgl. zum ganzen m.w.N.: BeckOK, StGB/Valerius StGB § 240 Rn. 47-48) So sind nach dem hieraus abgeleiteten Geringfügigkeitsprinzip Nötigungshandlungen als nicht verwerflich anzusehen, die lediglich zu Beeinträchtigungen des Opfers mit Bagatellcharakter führen, sei es, dass sie nur einmalig oder von geringer Dauer sind. (Vgl. m.w.N.: BeckOK, StGB/Valerius StGB § 240 Rn. 47-48)
Bei einer Bewertung des angeklagten Sachverhaltes auf Basis der Akten ist es auch nach Auffassung der Kammer nicht ausreichend wahrscheinlich, dass dem Angeschuldigten in einer Hauptverhandlung mehr nachgewiesen werden könnte, als dass er den Schüler mehr oder weniger kräftig zur Seite geschoben und dabei gebrüllt hat. Angesichts des Umstandes, dass nicht zu belegen sein wird, dass der Schüler irgendwelche Folgen davongetragen hat und dass es sich um einen einmaligen Vorgang von sehr geringer Dauer handelte, ist diese Handlung jedenfalls nicht als unerträglich bzw. sozialwidrig zu werten. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft auch nicht aus der Gesamtsituation des Vorgangs. Denn die Handlung ist zwar sicherlich für einen Lehrer unangemessen gewesen, weshalb sich … hierfür später bei der Klasse entschuldigt hat. Die Reaktion mit der damit einhergehenden ganz geringfügigen Gewalteinwirkung ist aber gerade aufgrund der Gesamtsituation und der Tatsache nachvollziehbar, dass er die Schüler schon mehrmals gebeten hatte, nicht gegen die Abtrennung zu springen. Sie ist insbesondere deshalb nicht strafwürdig im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB, weil es sich um einen einmaligen Verstoß handelt.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 2 S. 1 StPO.