Die Konsequenzen wiederholter Störungen in Zeugenvernehmungen
Es ist ein tagtägliches Ereignis in Gerichtssälen – der Austausch zwischen Angeklagten, Zeugen und Richtern. Doch was geschieht, wenn dieser Austausch aus dem Ruder läuft? In diesem speziellen Fall handelt es sich um einen Angeklagten, der trotz mehrfacher Ermahnungen weiterhin Zeugenvernehmungen unterbrochen hat. Die Folgen seiner Aktionen? Ein Ordnungsgeld, welches in weiterer Folge zu Unstimmigkeiten führte. Der Angeklagte erhob dagegen Beschwerde, doch das Oberlandesgericht Hamm sah die Strafe als gerechtfertigt an. Sie bildet ein Beispiel dafür, wie unser Rechtssystem auf Störungen des gerichtlichen Prozesses reagiert.
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Übersicht
Die Ausübung der Ungebühr und deren Folgen
Das Amtsgericht Steinfurt hat gegen den Angeklagten ein Ordnungsgeld verhängt, weil er während Zeugenvernehmungen wiederholt dazwischengeredet hat. Dieser Verstoß gegen die Ordnung und Disziplin in der Gerichtsverhandlung wurde gemäß § 178 Abs. 1 S. 1 GVG bestraft. Dieser Paragraph sieht vor, dass gegen einen Angeklagten, der sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig macht, ein Ordnungsgeld verhängt werden kann. Dieses Verhalten des Angeklagten wurde als „Ungebühr“ eingestuft, die insbesondere ein Dazwischenreden außerhalb des verfahrensrechtlichen Frage-, Antrags- und Stellungnahmerechts umfasst.
Der angefochtene Widerspruch und die sofortige Beschwerde
Der Angeklagte erhob gegen die genannten Beschlüsse des Amtsgerichts Steinfurt einen „Widerspruch“. Unter Berücksichtigung von § 300 StPO wurde dieser Widerspruch als sofortige Beschwerde gemäß § 181 GVG interpretiert. Diese Beschwerde war zwar zulässig, konnte jedoch in der Sache keinen Erfolg haben. Die sofortigen Beschwerden wurden auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.
Die Anwendung des Rechts auf Gehör
Wird ein Ordnungsmittel gegen eine Person festgesetzt, ist diese Person grundsätzlich anzuhören. Es wurde jedoch festgestellt, dass in diesem speziellen Fall die Gewährung rechtlichen Gehörs ausnahmsweise entbehrlich war. Der Grund dafür war das Gesamtverhalten des Angeklagten. Man konnte davon ausgehen, dass der Angeklagte weiterhin stören würde, und daher konnte dem Gericht die vorherige Anhörung nicht zugemutet werden. Somit wurde das Recht des Angeklagten auf Gehör in diesem Fall als zweitrangig eingestuft.
Das vorliegende Urteil
OLG Hamm – Az.: III-4 Ws 138/21 – Beschluss vom 16.09.2021
Die sofortigen Beschwerden werden auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.
Gründe
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 16.08.2021 Folgendes ausgeführt:
„I.
Das Amtsgericht Steinfurt hat gegen den Angeklagten wegen wiederholten Unterbrechens von Zeugenvernehmungen durch zwei Beschlüsse vom 06.07.2021 jeweils ein Ordnungsgeld in Höhe von 150,- EUR, ersatzweise drei Tage Ordnungshaft, verhängt (Bl. 80 f. d. A.).
Gegen diese am 06.07.2021 verkündeten (Bl. 71 d. A.) Beschlüsse hat der Angeklagte mit am 12.07.2021 bei dem Amtsgericht Steinfurt eingegangenem Schreiben vom 11.07.2021 (Bl. 79 d. A.) „Widerspruch“ erhoben.
II.
Der erhobene „Widerspruch“ ist bei verständiger Würdigung unter Berücksichtigung von § 300 StPO als sofortige Beschwerde gemäß § 181 GVG anzusehen. Diese ist zulässig, kann jedoch in der Sache keinen Erfolg haben.
Die gegen den Angeklagten verhängten Ordnungsmittel finden ihre Grundlage in § 178 Abs. 1 S. 1 GVG. Hiernach kann gegen einen Beschuldigten – mithin auch gegen den Angeklagten in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens (zu vgl. Kissel/Mayer, GVG, 10. Auflage, §178 Rn. 4 i. V. m. § 177 Rn. 18) -, der sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig macht, ein Ordnungsgeld bis zu 1.000,- EUR oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt werden.
Als Ungebühr in diesem Sinne kann insbesondere ein Dazwischenreden außerhalb des verfahrensrechtlichen Frage-, Antrags- und Stellungnahmerechts angesehen werden (zu vgl. Senatsbeschluss vom 06.10.2016 – 4 Ws 308/16 -; KG, Beschluss vom 23.05.2001 – 1 AR 524/01 -; Kissel/Mayer a. a. O., Rn. 11). Hier hat der Angeklagte ausweislich des Protokolls (§ 182 GVG) die Zeugenvernehmungen in der Hauptverhandlung wiederholt unterbrochen, ohne dass ihm das Wort erteilt worden wäre.
Soweit dem Adressaten eines Ordnungsmittels vor dessen Festsetzung rechtliches Gehör zu gewähren ist (zu vgl. Kissel/Mayer a. a. O., Rn. 45 m. w. N.), kann dahinstehen, ob hierzu – wie vorliegend ausweislich des Protokolls geschehen – die bloße Androhung des Ordnungsmittels ausreicht, denn die Gewährung rechtlichen Gehörs war hier ausnahmsweise entbehrlich, da aufgrund des Gesamtverhaltens des Angeklagten mit weiteren Ausfällen zu rechnen war und dem Gericht daher die vorherige Anhörung nicht zugemutet werden konnte (zu vgl. Kissel/Mayer a. a. O., Rn. 46 m. w. N.).
Keinen Bedenken begegnet auch die zweifache Festsetzung der Ordnungsmittel, da der Angeklagte sein ungebührliches Verhalten nach dem Erlass des ersten Beschlusses fortgesetzt hat (zu vgl. Kissel/Mayer a. a. O., Rn. 33 m. w. N.).
Soweit die Begründungen der angefochtenen Beschlüsse die mit Blick auf § 34 StPO gebotene vollständige und aus sich heraus verständliche Darstellung des zugrunde liegenden Verfahrensgeschehens (zu vgl. Kissel/Mayer a. a. O., Rn. 9 m. w. N.) vermissen lassen, ist dies unschädlich. Eine solche Darstellung ist entbehrlich, wenn aufgrund des ausdrücklich oder stillschweigend in Bezug genommenen Protokollvermerks über seine Veranlassung davon auszugehen ist, dass die Gründe für den Betroffenen außer Zweifel standen, und wenn der Protokollvermerk dem Beschwerdegericht die volle Nachprüfung des Beschlusses ermöglicht (zu vgl. OLG Celle, Beschluss vom 21.07.2001 – 2 Ws 166/11 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.01.1988 – 1 Ws (OWi) 19/88 -; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage, § 182 GVG, Rn. 4). So liegt der Fall hier, denn dem Protokoll lässt sich ohne Weiteres entnehmen, auf welchem Geschehen die Anordnung der Ordnungsmittel beruht, und es konnte für den Angeklagten kein Zweifel daran bestehen, aus welchem Grund sie verhängt worden sind.
Der sofortigen Beschwerde ist daher der Erfolg zu versagen.“
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung vollumfänglich an. Die Stellungnahme des Angeklagten in seinem Schreiben vom 30.08.2021 gebietet keine abweichende Entscheidung.