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Pflichtverteidigerbeiordnung im Strafbefehlsverfahren

LG Mannheim – Az.: 5 Qs 58/18 – Beschluss vom 15.11.2018

1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird – unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Mannheim vom 21.09.2018 – die Beiordnung von Rechtsanwalt L. als Pflichtverteidiger aufgehoben und Rechtsanwalt U. dem Angeklagten für das weitere Verfahren als Pflichtverteidiger beigeordnet.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Mannheim erhob beim Amtsgericht Mannheim – Strafrichter – mit Schrift vom 06.11.2017 gegen A. sowie einen Mitangeschuldigten Anklage wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung. Mit Beschluss des Amtsgerichts Mannheim vom 24.11.2017 wurde die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Mit Verfügung vom selben Tag wurde Termin zur Hauptverhandlung auf den 26.03.2018 bestimmt. Die Ladung wurde dem Angeklagten A. am 05.12.2017 ordnungsgemäß zugestellt.

Im Verhandlungstermin am 26.03.2018 erschien der Angeklagte nicht. Das Amtsgericht beschloss auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegen den Angeklagten gemäß § 408a StPO einen Strafbefehl, in dem eine Freiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, festgesetzt wurde, zu erlassen. Gleichzeitig wurde dem Angeklagten gemäß § 408b StPO Rechtsanwalt L. als Pflichtverteidiger bestellt.

Der Strafbefehl wurde Rechtsanwalt L. am 11.04.2018 zugestellt. Dieser legte mit am selben Tag eingegangenem Schreiben vom 11.04.2018 Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Mit Schreiben vom 25.07.2018 beantragte Rechtsanwalt U. für den Angeklagten, die Beiordnung von Rechtsanwalt L. aufzuheben und stattdessen ihn, Rechtsanwalt U., als Pflichtverteidiger beizuordnen. Die Bestellung sei unter Verletzung der Vorschrift des § 142 Abs. 1 StPO erfolgt, der auch für die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafbefehlsverfahren gelte.

Die Staatsanwaltschaft Mannheim trat mit Verfügung vom 01.08.2018 der Entpflichtung von Rechtsanwalt L. entgegen. Im Verfahren nach § 408b StPO sei eine vorherige Befragung des Beschuldigten nach § 142 Abs. 1 S. 2 StPO nicht vorgesehen.

Mit angefochtenem Beschluss des Amtsgerichts Mannheim vom 21.09.2018 wurde der Antrag des Angeklagten, die Beiordnung des Pflichtverteidigers Rechtsanwalt L. vom 26.03.2018 aufzuheben und Rechtsanwalt U. als Pflichtverteidiger beizuordnen, abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass § 408b S. 2 StPO lediglich auf § 141 Abs. 3 StPO und nicht auf § 142 StPO verweise, so dass eine Anhörung des Angeklagten nicht erforderlich gewesen sei.

Gegen diesen Beschluss legte Rechtsanwalt U. namens des Angeklagten Beschwerde ein. Mit Beschluss des Amtsgerichts Mannheim vom 16.10.2018 wurde der Beschwerde nicht abgeholfen.

Im Beschwerdeverfahren erhielten sowohl Rechtsanwalt L. als auch die Staatsanwaltschaft Mannheim Gelegenheit zur Stellungname gewährt. Rechtsanwalt L. erklärte mit Schreiben vom 05.11.2018 es sei zumindest fraglich, ob das vorgetragene Entpflichtungsbegehren wirklich namens des Angeklagten erfolgt sei. Durch Schreiben des Rechtsanwalts U. vom 12.11.2018 versicherte dieser anwaltlich, dass der Wunsch auf eine Verteidigung durch ihn und die Beschwerde dem erklärten Willen des Angeklagten entsprechen.

Der Angeklagte befindet sich seit 16.04.2018 in anderer Sache in Untersuchungshaft.

II.

1.

Die Beschwerde hat Erfolg.

Vorliegend wurde Rechtsanwalt L. für das gesamte gegenständliche Verfahren – ohne vorherige Anhörung – zum Pflichtverteidiger bestellt. Zwar wurde er ausweislich des schriftlich niedergelegten Beschlusses vom 26.03.2018 ausdrücklich nur „für das Strafbefehlsverfahren“ (Bl. 54) – anders allerdings als nach dem Protokoll der Sitzung vom 26.03.2018 (Bl. 52) – gemäß § 408b StPO bestellt. Jedoch wurde Rechtsanwalt L. auch nach dem Einspruch durch das Gericht weiter als Verteidiger geführt und mit Verfügung vom 17.07.2018 zur Stellungnahme über die Aufrechterhaltung des Einspruchs unter Ankündigung einer erneuten Terminierung zur Hauptverhandlung aufgefordert. Auch aus der Begründung des angegriffenen Beschlusses ist nichts dafür ersichtlich, dass eine zeitliche Beschränkung der Verteidigung beabsichtigt war. Dies zeigt, dass das Gericht zumindest konkludent davon ausging, dass Rechtsanwalt L. der Verteidiger des Angeklagten für das gesamte Verfahren sein sollte.

Von daher kann die umstrittene Frage, ob die Bestellung nach § 408b StPO für das auf den Einspruch folgende weitere Verfahren, namentlich die Hauptverhandlung, gilt (so OLG Köln, Beschluss v. 11.09.2009 – 2 Ws 386/09, NStZ-RR 2010, 30; OLG Celle, Beschluss v. 22.02.2011 – 2 Ws 415/10, StraFo 2011, 291;OLG Oldenburg, Beschluss vom 15.06.2017 – 1 Ss 96/17,LSK 2017, 119219) oder diese nur für das Strafbefehlsverfahren bis zur Einlegung des Einspruchs wirksam ist (so KG, Beschluss vom 29.05.2012 – 1 Ws 30/12, JurBüro 2013, 381; OLG Saarbrücken Beschluss vom 17.09.2014 – 1 Ws 126/14, BeckRS 2014, 18593;Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 408b StPO, Rn 6), offen bleiben (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.7.2014, 1 Ws 106/13).

Für das weitere Verfahren ist entsprechend dem Wunsch des Angeklagten jedoch Rechtsanwalt U. als Pflichtverteidiger – unter Aufhebung der Bestellung von Rechtsanwalt L. – beizuordnen, zumal ein Fall des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO vorliegt, da sich der Angeklagte in anderer Sache in Untersuchungshaft befindet.

Es braucht insoweit nicht entschieden zu werden, ob in Fällen des § 408b StPO der Angeklagte vor einer Pflichtverteidigerbestellung anzuhören ist, denn dem Angeklagten ist jedenfalls dann der von ihm gewünschte Verteidiger – ggfs. unter Aufhebung der Beiordnung des bisherigen Verteidigers – als Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn die Beiordnung des Pflichtverteidigers wie vorliegend – zumindest konkludent – nicht nur für das Strafbefehlsverfahren erfolgt ist und der Angeklagte zur Verteidigerbestellung nicht angehört worden war.

Ein Beschuldigter hat grundsätzlich das Recht, sich im Strafverfahren von einem Rechtsanwalt als gewähltem Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Die freie Verteidigerwahl stärkt die Stellung des Beschuldigten als Prozesssubjekt. Durch die Beiordnung eines Verteidigers soll der Beschuldigte nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich gleichen Rechtsschutz erhalten wie ein Beschuldigter, der sich auf eigene Kosten einen Verteidiger gewählt hat; dies gebietet bereits das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) und folgt auch aus Art. 6 Abs. 3 lit.c EMRK. Dem entspricht es, dass dem Beschuldigten der Anwalt seines Vertrauens als Pflichtverteidiger beizuordnen ist, wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen (vgl. BVerfG, NJW 2001, 3695).

Von daher ist einem Beschuldigten, der – etwa aus Gründen der Eilbedürftigkeit – zur Verteidigerbestellung zunächst nicht angehört wurde, im weiteren Verlauf der Verteidiger seiner Wahl zu bestellen, um dem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch, sich grundsätzlich auch bei einer Pflichtverteidigung vom Verteidiger seiner Wahl zu verteidigen zu lassen, gerecht zu werden.

Die Kammer hat vorliegend keinen Anlass, an der Richtigkeit der anwaltlichen Versicherung von Rechtsanwalt U. zu zweifeln, dass der Angeklagte dessen Beiordnung ausdrücklich wünscht. Seiner Bestellung steht auch kein wichtiger Grund im Sinne des § 142 Abs. 1 S. 2 StPO entgegen.

2.

Die Kosten des erfolgreichen Rechtmittels und die notwendigen Auslagen des Angeklagten hat auf Grund des Erfolgs des Rechtsmittels die Staatskasse zu tragen.

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