LG München I, Az.: 8 Qs 20/14, Beschluss vom 28.05.2014
Auf die Beschwerde des Beschuldigten Sch T vom 15.05.2014 wird der Beschluss des Amtsgerichts München vom 29.04.2014 – ER VI Gs 1222/14 -, durch welchen dem Beschuldigten Rechtsanwalt A K als Pflichtverteidiger bestellt wurde, aufgehoben, und wird dem Beschuldigten Rechtsanwalt C F als Pflichtverteidiger bestellt.
Gründe
1. Dem Beschuldigten wurde am 20.04.2014 der Haftbefehl des Amtsgerichts München vom gleichen Tag, Gz. ER XXX Gs 214/ 14 (Bl. 86 d.A.), eröffnet. Gleichzeitig wurde ihm eine Frist von 5 Tagen zur Benennung eines Pflichtverteidigers gewährt, wobei hierzu im Protokoll der Haftbefehlseröffnung vermerkt ist „Er/ Sie wird die Benennung eines Pflichtverteidigers unverzüglich an die Staatsanwaltschaft München I senden. Das entsprechende Formblatt wurde ausgehändigt“.
Mit gesonderten Schriftsätzen vom 25.04.2014 (Bl. 96 d.A.) und 28.04.2014 (Bl. 97 d.A.) erbaten die beiden Rechtsanwälte A K und C F bei der Staatsanwaltschaft München I jeweils die Erteilung eines Verteidigersprechscheins, welche jeweils am 28.04.2014 gewährt wurden.
Mit Schriftsatz vom 28.04.2014(Bl. 121 d.A. und Bl. 131 d.A.), sowohl bei der Staatsanwaltschaft München I als auch beim Amtsgericht München/ Ermittlungsrichter am gleichen Tag per Fax eingegangen, beantragte Rechtsanwalt K seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Der Antrag enthält den Zusatz: „Gemäß ausdrücklicher Weisung des Beschuldigten ist mitzuteilen, dass er am anderweitigen auf dem Postweg befindlichen Gesuch um Beiordnung eines anderweitigen Verteidigers nicht festhält. Dieses Gesuch erklärt sich mit der Annahme des Beschuldigten, der Unterfertigte sei zu Verteidigerbesuch oder Verteidigungsübernahme nicht bereit. Der Unterfertigte erhielt die Besuchsaufforderung vom 22.04.2014 allerdings erst am 25.04.2014 sowie einen am 25. und 26.04.2014 per Telefax beantragten Sprechschein – auf telefonische Rückfrage – erst am heutigen Tage.“ Eine Vollmacht des Beschuldigten war dem Antrag nicht beigefügt.
Mit Telefax vom 29.04.2014 (Bl. 124 d.A.) an die Staatsanwaltschaft München I beantragte Rechtsanwalt C F ebenfalls seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Dem Schriftsatz beigefügt war eine schriftliche Vollmacht des Beschuldigten vom 28.04.2014 sowie die Kopie einer Kündigung des am Tag zuvor zwischen dem Beschuldigten und Rechtsanwalt K begründeten Mandatsverhältnisses.
Am 30.04.2014 ging bei der Staatsanwaltschaft München I das ausgefüllte Formblatt des Beschuldigten ein, in der dieser um Beiordnung des Rechtsanwalts C F als Pflichtverteidiger ersucht (Bl. 123 d.A.). Das Formblatt war – entgegen des darauf angebrachten Aufdrucks „Eilt sehr! Haft! Per Fax!“ – offensichtlich mit normaler Behördenpost von der JVA München an die Staatsanwaltschaft München I gelangt.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 29.04.2014 (Bl. 130 d.A.) bestellte das Amtsgericht München – Ermittlungsrichter – dem Beschuldigten Rechtsanwalt A K als Pflichtverteidiger. Ausweislich des Akteninhalts hier vorliegenden Drittakte war eine Aktenvorlage seitens der Staatsanwaltschaft München I an das Amtsgericht München bis dahin nicht erfolgt und hatte das Amtsgericht München bei der Pflichtverteidigerbestellung lediglich den (ihm direkt per Telefax übermittelten) Antrag des Rechtsanwalts Klein vom 28.04.2014 (Bl. 131 d.A.) vorliegen.
Mit vorliegender Beschwerde vom 15.05.2014 (Bl. 164 d.A.) beantragt Rechtsanwalt F im Namen des Beschuldigten, den Beschluss des Amtsgerichts München vom 29.04.2014 aufzuheben und ihn selbst dem Beschuldigten als Pflichtverteidiger beizuordnen. Er begründet dies zum einen damit, dass das Amtsgericht München die Vorschrift des § 141 Abs. 3 S. 2 StPO (teilweise in der Beschwerdebegründung fälschlicherweise bezeichnet als § 142 Abs. 3 S. 2 StPO) missachtet habe, indem der Entscheidung des Amtsgerichts München kein entsprechender Antrag der Staatsanwaltschaft München I vorausgegangen sei. Zum anderen bringt er vor, es sei auch die Vorschrift des § 142 Abs. 1 S. 1 StPO (Anhörungsrecht des Beschuldigten) verletzt worden, indem sich das Amtsgericht München – Ermittlungsrichter – vor Erlass des Beschlusses nicht zumindest bei der Staatsanwaltschaft München I darüber informierte, ob gegenüber dieser ein der beabsichtigten Entscheidung entgegenstehender Wille des Beschuldigten bekannt ist. Der Beschwerde beigefügt ist ein handschriftliches Schreiben des Beschuldigten vom 15.05.2014 (Bl. 166 d.A.), in welchem der Beschuldigte seinen Wunsch zum Ausdruck bringt, von Rechtsanwalt F verteidigt zu werden. Den Anhörungsbogen zur Verteidigerfrage habe der Beschuldigte bereits am 26.04.2014 einem Vollzugsbediensteten der JVA München zur eiligen Übermittlung an die Staatsanwaltschaft München I übergeben.
Das Amtsgericht München – Ermittlungsrichter – hat mit Beschluss vom 21.05.2014 (Bl. 172 d.A.) der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Staatsanwaltschaft München I hat mit Verfügung vom 23.05.2014 beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen, da die Stellungnahmefrist von 5 Tagen bei Bestellung des Rechtsanwalts K als Pflichtverteidiger bereits abgelaufen gewesen sei.
2. Die Beschwerde erwies sich als statthaft und zulässig. Nach herrschender Meinung steht dem Angeklagten/ Beschuldigten das Recht zur Beschwerde gegen die Auswahl des Pflichtverteidigers zu (vgl. Meyer-Goßner, StPO-Kommentar, 57. Aufl., § 142 Rn 19).
3. Die Beschwerde erwies sich auch als begründet.
Nach überzeugender Rechtsprechung des OLG Stuttgart ist auf die Beschwerde des Beschuldigten, dem nicht vor Pflichtverteidigerbestellung Gelegenheit zur Bezeichnung eines Rechtsanwalts gegeben wurde, die Bestellung aufzuheben und der in der Beschwerde von ihm bezeichnete Rechtsanwalt beizuordnen (OLG Stuttgart StV 2014, 11).
Zwar dürfte es grundsätzlich unproblematisch (und wegen § 141 Abs. 3 S. 4 StPO auch boten) sein, dass einem in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten unverzüglich – ohne Antrag der Staatsanwaltschaft – ein Pflichtverteidiger bestellt wird (vgl. die so zu verstehende Kommentierung in Karlsruher Kommentar, 7. Aufl., § 141 Rn 6). Hierauf kam es vorliegend jedoch nicht an.
Auch war vorliegend dem Beschuldigten zwar zusammen mit der Haftbefehlseröffnung am 20.04.2014 eine 5-tägige Frist zur Bezeichnung eines Rechtsanwalts eingeräumt worden, welche im Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Beschlusses vom 29.04.2014 bereits abgelaufen war, ohne dass dem Ermittlungsrichterin eine eigene Erklärung des Beschuldigten (die ja erst am 30.04.2014 bei der Staatsanwaltschaft München I einging) vorlag. Auch nach Fristablauf eingegangene Vorschläge des Beschuldigten sind jedoch bei der Entscheidung zu berücksichtigen (vgl. Meyer-Goßner a.a.O. § 142 Rn 10 unter Hinweis auf LG Braunschweig StraFo 09, 520).
Die effektive Wahrnehmung des Rechts des Beschuldigten, einen Verteidiger seiner Wahl vorzuschlagen, erfordert es ferner, dass der die Pflichtverteidigerbestellung anordnende Richter sich – auch nach Fristablauf – bei der Staatsanwaltschaft nach einer dort vorliegenden Erklärung des Beschuldigten erkundigt. Dies muss vorliegend insbesondere deshalb gelten, weil ausweislich des Protokolls der Haftbefehlseröffnung und des dem Beschuldigten insoweit ausgehändigten Formblatts dieser ausdrücklich dazu aufgefordert worden war, den von ihm gewünschten Pflichtverteidiger gegenüber der Staatsanwaltschaft München I (und nicht gegenüber dem Amtsgericht/ Ermittlungsrichter) zu benennen.
Vorliegend hätte zwar zum Zeitpunkt des Beschlusserlasses bei der Staatsanwaltschaft München I das Anhörungsformblatt, in dem der Beschuldigte um Beiordnung des Rechtsanwalts Finke ersucht, noch nicht vorgelegen, da dies dort erst am 30.04.2014 einging. Es kann jedoch dem Beschuldigten nicht zum Nachteil gereichen, dass das Formblatt seitens der JVA München nicht – wie auf dem Formblatt ausdrücklich vorgesehen – per Telefax, sondern mit normaler Behördenpost übermittelt wurde. Wäre das am 26.04.2014 vom Beschuldigten einem Vollzugsbediensteten der JVA München übergebene Formblatt am nächsten Werktag (28.04.2014) per Telefax an die Staatsanwaltschaft München I übersandt worden, wäre in Anbetracht des bei Haftsachen gebotenen und üblichen Verfahrenslaufs damit zu rechnen gewesen, dass sich das ausgefüllte Formblatt am 29.04.2014 bei der Akte befunden hätte. Dann wiederum hätte eine Erkundigung des Ermittlungsrichters am 29.04.2014 bei der Staatsanwaltschaft München I ergeben, dass sowohl die handschriftliche Formblatt-Erklärung des Beschuldigten vorliegt, in der dieser um Beiordnung des Rechtsanwalts F ersucht, als auch der von keiner handschriftlichen Erklärung des Beschuldigten begleitete Schriftsatz des Rechtsanwalts K vom 28.04.2014, in dem dieser für den Beschuldigten erklärt, dass er am anderweitigen auf dem Postweg befindlichen Gesuch um Beiordnung eines anderweitigen Verteidigers nicht festhält. Zur Aufklärung des in den beiden Erklärungen des Beschuldigten einerseits und des Rechtsanwalts K andererseits enthaltenen Widerspruchs wäre dann eine erneute kurzfristige schriftliche Anhörung des Beschuldigten (über Telefax an die JVA München) möglich und geboten gewesen.
Ferner ergab sich spätestens ab Eingang des Telefaxes des Rechtsanwalts F vom 29.04.2014, 15:35 Uhr, bei der Staatsanwaltschaft München I, dem die schriftliche Vollmacht des Beschuldigten und die Mandatskündigung ggü. Rechtsanwalt K beigefügt war, aus der Gesamtheit der zu diesem Zeitpunkt in der Akte der Staatsanwaltschaft München I befindlichen Schriftstücken Klarheit bezüglich des Wunsches des Beschuldigten, von Rechtsanwalt F verteidigt zu werden.
Da dieser Wunsch des Beschuldigten dem Ermittlungsrichter vor Beiordnung des Pflichtverteidigers bei ordnungsgemäßem Verfahrensablauf bekannt gewesen wäre (wenn nämlich erstens das Anhörungsformblatt umgehend von der JVA München an die Staatsanwaltschaft München I weitergeleitet worden wäre, zweitens der Ermittlungsrichter sich bei der Staatsanwaltschaft München I nach dort vorliegenden Erklärungen des Beschuldigten erkundigt hätte und drittens der Ermittlungsrichter den sich sich aus dem Formblatt und dem Schriftsatz des Rechtsanwalts Klein ergebenden potentiellen Widerspruch zum Anlass für eine Nachfrage beim Beschuldigten genommen hätte), war – entsprechend der oben zitierten Rechtsprechung des OLG Stuttgart – der angegriffene Beschluss aufzuheben und dem Beschuldigten Rechtsanwalt Finke als Pflichtverteidiger beizuordnen.