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Polizeiflucht als fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung

Drogenhandel und Raserei: Ein Blick auf das Urteil des Landgerichts Kleve zu Betäubungsmittel-Einfuhr und Straßenverkehrsgefährdung

Ein Mann, der weder im Besitz einer Fahrerlaubnis war noch jemals eine hatte, wurde vom Landgericht Kleve zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Er hatte 9 kg flüssiges Amphetamin, etwa 1.000 Ecstasytabletten sowie kleinere Mengen Kokain und Marihuana aus den Niederlanden nach Deutschland geschmuggelt. Als wäre das nicht genug, versuchte er, sich einer Polizeikontrolle durch eine halsbrecherische Flucht zu entziehen. Der Fall wirft nicht nur Fragen zur Einfuhr von Betäubungsmitteln auf, sondern auch zur fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 120 KLs -204 Js 248/20- 31/20  >>>

Die Flucht: Ein Hochrisikospiel auf der Straße

Polizeiflucht als fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung
Rücksichtlose Raserei und riskanter Drogenhandel: Ein Urteil, das die Schwere von Drogenschmuggel und Verkehrsgefährdung hervorhebt. Ein Fahrer ohne Lizenz, der nicht nur mit dem Gesetz, sondern auch mit dem Leben spielt. (Symbolfoto: geogif /Shutterstock.com)

Nachdem der Angeklagte die Bundesrepublik Deutschland über die BAB 40 erreicht hatte, sollte er einer Routinekontrolle der Bundespolizei unterzogen werden. Anstatt anzuhalten, beschleunigte er seinen Wagen auf bis zu 200 km/h und zwang entgegenkommende Fahrzeuge, auf den Seitenstreifen auszuweichen. Er überfuhr mehrere rote Ampeln und riskierte damit nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das der anderen Verkehrsteilnehmer.

Beschlagnahmte Betäubungsmittel und rechtliche Konsequenzen

Die Polizei beschlagnahmte die sichergestellten Betäubungsmittel, darunter 9008 g flüssiges Amphetamin und 370 g Ecstasytabletten. Der Angeklagte wurde wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sowie fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt. Zusätzlich wurde festgelegt, dass ihm vor Ablauf von drei Jahren keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf.

Persönliche Umstände des Angeklagten

Der Angeklagte wurde in Moskau geboren und wuchs in einem Kinderheim auf. Er hatte nie eine feste Anstellung und lebte zuletzt in Berlin, wo er Gelegenheitsjobs nachging. Er ist mehrfach vorbestraft und hatte bereits vor dem aktuellen Fall mit dem Gesetz in Konflikt gestanden. Interessanterweise trinkt der Angeklagte keinen Alkohol, konsumiert jedoch seit etwa 25 Jahren Cannabis.

Ein komplexes Urteil mit mehreren Facetten

Das Urteil des Landgerichts Kleve ist insofern bemerkenswert, als es mehrere rechtliche Problembereiche abdeckt: von der Einfuhr von Betäubungsmitteln über das Handeltreiben damit bis hin zur fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs. Es zeigt die Schwere der begangenen Straftaten und die damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen auf. Insbesondere die Kombination aus Drogenhandel und rücksichtslosem Fahren macht den Fall besonders brisant.

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Der Fall aus dem Landgericht Kleve zeigt, dass eine Polizeiflucht nicht nur strafrechtliche Konsequenzen wie Freiheitsstrafen mit sich bringt, sondern auch als fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung gewertet werden kann. Dies kann weitreichende Folgen haben, etwa den Entzug der Fahrerlaubnis. Wenn Sie in einer ähnlichen Situation sind, ist professionelle rechtliche Unterstützung unerlässlich. Wir bieten eine erste Einschätzung Ihrer Lage und beraten Sie anschließend umfassend zu Ihren Optionen und Risiken. Zögern Sie nicht, Kontakt mit uns aufzunehmen. Wir stehen an Ihrer Seite.

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Das vorliegende Urteil

Landgericht Kleve – Az.: 120 KLs -204 Js 248/20- 31/20 – Urteil vom 22.02.2021

Der Angeklagte wird wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs kostenpflichtig zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 9 Monaten verurteilt.

Die sichergestellten Betäubungsmittel (9008 g flüssiges Amphetamin, 370 g Ecstasytabletten, 0,5 g Kokain, 1,1 g Marihuana) werden eingezogen.

Die Verwaltungsbehörde darf dem Angeklagten vor Ablauf von 3 Jahren keine Fahrerlaubnis erteilen.

§§ 30 Abs. 1 Nr. 4, 29a Abs. 1 Nr. 2, 33 BtMG; §§ 315c Abs. 1 Nr. 2a, b und d, §§ 27, 52, 69, 69a StGB

Gründe

Der Angeklagte, der noch nie in seinem Leben im Besitz einer Fahrerlaubnis war, verbrachte am 24.6.2020 mit einem angemieteten PKW Mercedes 9 kg flüssiges Amphetamin, rund 1.000 Ecstasytabletten sowie geringe Mengen Kokain und Marihuana aus den Niederlanden in die Bundesrepublik, wo das Amphetamin und die Ecstasytabletten – wie er wusste – hätten gewinnbringend weiterveräußert werden sollen.

Nach der Einreise über die BAB 40 sollte er einer Routinekontrolle unterzogen werden. Nachdem er auf Aufforderung der Bundespolizei die Autobahn verlassen hatte, hielt er nicht an, sondern beschleunigte seinen Wagen auf eine Geschwindigkeit von bis zu 200 km/h, um sich der Kontrolle zu entziehen. Mit dieser Geschwindigkeit befuhr er sodann die B 221. Trotz starken Verkehrsaufkommens und trotz nahen Gegenverkehrs überholte er mehrere Fahrzeuge und zwang dadurch entgegenkommende Fahrzeuge auf den Seitenstreifen auszuweichen. Überdies überfuhr der Angeklagte mehrere in seiner Fahrtrichtung auf Rot geschaltete Ampeln, sodass der Querverkehr zu Notbremsungen gezwungen wurde, um einen Zusammenprall zu vermeiden Auch fuhr er mit hoher Geschwindigkeiten auf einen Streifenwagen zu, der als Straßensperre quer zur Fahrbahn aufgestellt worden war und dessen Insassen unter dem Eindruck des schnell herannahenden PKW des Angeklagten das Fahrzeug fluchtartig verließen. Nachdem der Angeklagte auf seiner weiteren Flucht bereits innerhalb der von Kaldenkirchen in einer für ihn nicht einsehbaren Rechtskurve ein anderes Fahrzeug überholt hatte, fuhr er in die Innenstadt. Hier endete seine Fahrt am Beginn der Fußgängerzone, in die der Angeklagte wegen aufgestellter Poller nicht einfahren konnte. Er setzte seine Flucht zu Fuß fort, konnte jedoch von einem zufällig anwesenden ehemaligen Polizeibeamten gestellt werden.

I.               Feststellungen zur Person

Der Angeklagte wurde in Moskau geboren. Da seine Mutter krank war und bald darauf auch starb, kam der Angeklagte in ein Kinderheim, als er etwa 5 Jahre alt war. In dem Kinderheim blieb er, bis er 18 Jahre alt war. Der Angeklagte besuchte während dieser Zeit 9 Jahre lang die Mittelschule. Nachdem er dort ein Abschluss erlangt hatte, war er als Lkw-Fahrer tätig, obwohl er nie einen Führerschein erworben hatte. Der Angeklagte, der nie über einen längeren Zeitraum eine Arbeitsstelle hatte, hielt sich nicht nur in Russland, sondern später auch in der Ukraine und in Moldawien auf. Hier lernte er seine Lebensgefährtin kennen, mit der er 3 in den Jahren 2008 (oder 2009), 2013 und 2014 geborene Kinder hat.

Im Jahr 2011 kam der Angeklagte nach Deutschland und hielt sich hier hauptsächlich in Berlin auf. Seine Lebensgefährtin zog mit den gemeinsamen Kindern im Jahr 2013 ebenfalls nach Deutschland, von ihr lebt der Angeklagte seit etwa 2 Jahren getrennt. In Berlin hat der Angeklagte eine neue Freundin, die in Berlin-Friedenau in der O oder 17 wohnt (genauere Feststellungen konnten nicht getroffen werden). In Deutschland stellte der Angeklagte einen Asylantrag, der jedoch – im Gegensatz zu demjenigen seiner Lebensgefährtin – abgelehnt wurde. Eine ihm zuletzt im August 2016 erteilte Aufenthaltsgestattung ist seit dem 10.1.2018 erloschen. Seinen Lebensunterhalt stellte der Angeklagte durch Gelegenheitstätigkeiten, zuletzt als Autowäscher, sicher. Sein Verdienst dabei belief sich auf etwa 30 € bis 50 € täglich. In Berlin hielt er sich zeitweise in einer Wohngemeinschaft auf. Zuletzt war er ohne festen Wohnsitz und schlief in einem Auto. Auch nach mehrjährigem Aufenthalt in Deutschland beherrscht der Angeklagte die deutsche Sprache allenfalls bruchstückhaft. Der Angeklagte trinkt keinen Alkohol. Er konsumiert jedoch seit rund 25 Jahren Cannabis, um sich zu beruhigen. Der Konsum des Betäubungsmittels hat bei ihm nicht zu Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit geführt. Wegen des Erwerbs von Cannabis hat der Angeklagte Schulden in Höhe von rund 1000 €.

Der Angeklagte ist mehrfach vorbestraft. Am 8.8.2013 verhängte das Amtsgericht Tiergarten in Berlin gegen ihn wegen Diebstahls eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 10 €. Am 7.10.2014 verurteilte das Amtsgericht Tiergarten den Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen das Asylverfahrensgesetz zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10 €. Zuletzt erkannte das Amtsgericht Tiergarten gegen den Angeklagten am 14.12.2017 wegen Diebstahls mit Waffen auf Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10 €.

II.             Feststellungen zur Sache

Der Angeklagte, der noch nie eine Fahrerlaubnis erworben hat und der am 3.6.2020 bei einer in Berlin durchgeführten allgemeinen Verkehrskontrolle als Führer eines Pkw sich mit einem gefälschten rumänischen Führerschein ausgewiesen hatte, begab sich ein oder zwei Tage vor dem 24.6.2020 als Fahrer des Pkw Mercedes-Benz mit dem amtlichen Kennzeichen B-AZ 4968 von Berlin in die Niederlande. Bei dem Pkw handelt es sich um ein Mietfahrzeug, welches von einem Ga (zeitweilig gemeldet in der O-Straße in Berlin) für die Zeit vom 10.6.2020 bis zum 24.6.2020 bei einem Berliner Autovermieter angemietet worden war. Der Mietvertrag enthält keinen Hinweis auf die Person des Angeklagten (beispielsweise als weiterer Mieter oder berechtigter Führer des Pkw).

In den Niederlanden übernahm der Angeklagte an einem unbekannt gebliebenen Ort 9008 g (9700 ml) Amphetaminöl mit einem Wirkstoffgehalt von jedenfalls 1580 g Amphetaminbase sowie 370 g Ecstasytabletten (995 Stück) mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 43,5 g MDMA-Base. Die Betäubungsmittel waren, was der Angeklagte wusste, zur gewinnbringenden Weiterveräußerung bestimmt. Aufgabe des Angeklagten, der in diesem Zusammenhang im Auftrag unbekannt gebliebener Hinterleute handelte, war es, die Betäubungsmittel aus den Niederlanden in die Bundesrepublik Deutschland und hier höchstwahrscheinlich nach Berlin zu verbringen. Für diese Tätigkeit sollte der Angeklagte ein Entgelt in unbekannter Höhe, zumindest aber 100 € erhalten.

Das Amphetaminöl hatten die Lieferanten der Betäubungsmittel in einen Kanister gefüllt und die Ecstasytabletten in einen Klarsichtbeutel. Diese Behältnisse wurden im Kofferraum des von dem Angeklagten benutzten Fahrzeugs deponiert. Dort lag auch eine Nahkampfwaffe (ein Kubotan) parat.

Nachdem er die Betäubungsmittel übernommen hatte, trat der Angeklagte, der bei der Fahrt im Besitz eines gefälschten rumänischen Führerscheins war, der auf den Namen Aa ausgestellt worden war, die Rückreise nach Deutschland an. Mit dem von ihm gesteuerten Pkw reiste der Angeklagte am 24.6.2020 gegen 10:15 Uhr über die BAB 40 (ehemaliger Grenzübergang Straelen-Autobahn) in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Dabei wurde er von einer Streife der Bundespolizei, der die Zeugen L2 und PHMin L3 angehörten, beobachtet. Die Zeugen beschlossen, das Fahrzeug und seinen Insassen einer Routinekontrolle zu unterziehen (kein überwachtes Geschäft). Zu diesem Zweck wurde der Angeklagte angewiesen, die Autobahn an der Ausfahrt Straelen zu verlassen. Der Angeklagte folgte dem Streifenfahrzeug in die Ausfahrt gefolgt war, an deren Seitenstreifen die Kontrolle stattfinden sollte. Dort hielt er entgegen den Weisungen der Polizeibeamten nicht an, sondern entzog sich über die B 221, auf die die Ausfahrt mündet, der Kontrolle. Dabei beschleunigte er das von ihm gelenkte Fahrzeug auf bis zu 200 km/h. Mit einer Geschwindigkeit von weit mehr als 100 km/h überholte er auf der B 221 mehr als 20 andere Fahrzeuge. Da auf der Bundesstraße zur Tatzeit ein hohes Verkehrsaufkommen herrschte, befuhr der Angeklagte die Bundesstraße überwiegend auf dem für den Gegenverkehr vorgesehenen Fahrstreifen. Die ihm währenddessen entgegenkommenden Fahrzeuge mussten an den äußersten Rand der Bundesstraße fahren, um eine Kollision mit dem von dem Angeklagten gelenkten Pkw zu vermeiden. Bei seiner Flucht näherte sich der Angeklagte der Kreuzung B 221/Louisenburger Straße. Die dort eingerichtete Lichtzeichenanlage zeigte für den Verkehr auf der Bundesstraße 221 rotes Licht. Vor der Lichtzeichenanlage warteten in Fahrtrichtung des Angeklagten mehrere Fahrzeuge. Obwohl Angeklagte, der das für den Verkehr auf der B 221 geltende Rotlicht bemerkt hatte, näherte sich diesen vor ihm stehenden Fahrzeugen mit einer Geschwindigkeit von jedenfalls 100 km/h, ohne seine Geschwindigkeit zu verringern. Der Angeklagte, der entschlossen war, seine Flucht vor der Polizei unter allen Umständen fortzusetzen, fuhr auf der Fahrbahn des Gegenverkehrs an den wartenden Fahrzeugen vorbei. Als er in den Kreuzungsbereich einfuhr, beachtete der Angeklagte nicht einen in diesem Augenblick von rechts aus der Louisenburger Straße in die Kreuzung einfahrenden LKW. Dessen Fahrer brachte das Fahrzeug durch eine Notbremsung zum Stehen, sodass der von dem Angeklagten gesteuerte PKW, der auch angesichts des LKW kein Bremsmanöver einleitete, gerade noch an diesem vorbeifahren konnte. Hätte der Lastkraftwagen nicht angehalten, wäre der von dem Angeklagten gelenkte Wagen mit dem LKW zusammengeprallt. Ein solcher Zusammenprall hätte an dem LKW und dem dem Angeklagten nicht gehörenden PKW zu einem Schaden von jedenfalls jeweils weit über 1000 € geführt.

Auf seiner weiteren Fahrt erreichte der Angeklagte in Höhe des Parkplatzes Grote Heide erneut eine Ampel, die für ihn Rotlicht anzeigte. Hier überholte er wiederum in seiner Fahrtrichtung wartende Fahrzeuge, um seine Flucht fortzusetzen.

Mittlerweile hatte eine weitere Polizeistreife auf der Bundesstraße 221 in der Ortschaft Leuth eine Straßensperre errichtet, indem die Beamten ihr Fahrzeug quer auf die Fahrbahn stellten, um das herannahende Fahrzeug des Angeklagten zum Anhalten zu zwingen. Dieser Straßensperre näherte sich der Angeklagte mit einer Geschwindigkeit von etwa 70 km/h. Diese Geschwindigkeit verringerte der Angeklagte auch angesichts der Straßensperre nicht und umfuhr mit einem Abstand von nicht einmal einem Meter das auf der Fahrbahn stehende Polizeifahrzeug auf dem angrenzenden Grünstreifen sowie den Geh- und Fahrradweg.

In gleicher Weise passierte der Angeklagte eine weitere Straßensperre, die ebenfalls von einer Streife der Bundespolizei, der der Zeuge W angehörte, in der Ortschaft Leuth errichtet worden war. Auch diese Beamten hatten ihr Fahrzeug quer auf die Fahrbahn der Bundesstraße 221 gestellt. Als die Beamten bemerkten, dass das von dem Angeklagten gelenkte Fahrzeug, der auch diesmal seine Geschwindigkeit von 70 km/h nicht verringerte, auf ihren Pkw, den sie bis dahin nicht verlassen hatten, zufuhr, verließen sie ihr Fahrzeug fluchtartig, um bei einem möglichen Zusammenprall nicht verletzt zu werden. Tatsächlich behielt der Angeklagte seine Fahrtrichtung bei und änderte sie erst wenige Meter vor dem Polizeifahrzeug, wobei er wiederum so knapp das Hindernis über den Grünstreifen und den Gehweg bzw. Fahrradweg umfuhr und auch bei diesem Fahrmanöver nicht abbremste. Bei einem Zusammenprall mit den Polizeifahrzeugen wäre allein an diesen ein Schaden von weit über 1000 € eingetreten.Ebenfalls in Leuth überholte der Angeklagte in einer für ihn nicht einsehbaren Rechtskurve andere Fahrzeuge und passierte dabei eine Verkehrsinsel über die Fahrbahn des Gegenverkehrs, wobei er mit einer Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h fuhr. Aufgrund dieses waghalsigen Fahrmanövers verloren die ihm folgenden Polizeibeamten das Fahrzeug des Angeklagten kurzzeitig aus den Augen, weil sie, um andere Verkehrsteilnehmer nicht zu gefährden, trotz der von ihnen in Anspruch genommenen Sonderrecht (Blaulicht, Martinshorn) ihrerseits von einem Überholvorgang Abstand nahmen.

Bei seiner weiteren Flucht geriet der Angeklagte, der weiterhin die Straße mit unangepasst hoher Geschwindigkeit befuhr, in den Ortskern der Gemeinde Kaltenkirchen. Am Beginn der dortigen Fußgängerzone musste er an dort errichteten Pollern, die verhindern sollen, dass Fahrzeuge in die Fußgängerzone einfahren, anhalten. Er verließ den Pkw und flüchtete vor den ihn weiter verfolgenden Beamten der Bundespolizei zu Fuß in die Fußgängerzone. Dabei wurde er von dem Zeugen X, einem pensionierten Polizeibeamten, beobachtet. Der Zeuge ging angesichts der den Angeklagten verfolgenden uniformierten Beamten davon aus, dass der Angeklagte flüchten wollte. Da er mit dem Fahrrad unterwegs war, konnte er dem Angeklagten, den er an einem Wiesengrundstück erreichte, den Fluchtweg abschneiden. Der Zeuge X forderte den Angeklagten durch lautes Zurufen auf, sich hinzulegen; der Angeklagte kann diesen Aufforderungen ohne Widerstand nach und konnte von den zwischenzeitlich ebenfalls eingetroffenen Polizeibeamten festgenommen werden. Bei der Durchsuchung des Angeklagten entdeckten die Beamten dessen Hosentasche noch 0,5 g Kokain sowie 1,1 g Marihuana.

III.          Beweiswürdigung

Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf dessen Angaben in der Hauptverhandlung, denen die Kammer folgt. Den Feststellungen zu den ausländerrechtlichen Erkenntnissen der Behörden liegen die Angaben des Zeugen L zugrunde, der über das Ergebnis seiner Ermittlungen einen Vermerk gefertigt hat, welcher ergänzend zu seiner Zeugenaussage verlesen worden ist. Die Verlesung eines Auszuges aus dem Bundeszentralregister hat zu den Feststellungen über die Vorstrafen des Angeklagten geführt.

Zur Sache hat sich der Angeklagte wie folgt eingelassen: Er habe einen rumänischen Bekannten namens „Doro“. Dieser habe „ein Business“ in den Niederlanden. Mit „Doro“ sei er kurz vor dem 24.6.2020 schon zum zweiten Mal von Berlin aus dorthin gefahren. Sie hätten dort Marihuana kaufen wollen. Man habe sich in einem kleinen Dorf, etwa 5-10 Minuten hinter der Grenze gelegen, aufgehalten. Den Namen des Ortes kenne er nicht. Eigentlich habe man dort nur einen Tag lang bleiben wollen.

In den Niederlanden habe „Doro“ plötzlich erklärt, dass man 4 Tage bleiben werde. Damit sei er nicht einverstanden gewesen, weil seine Freundin gewollt habe, dass er zurückkehre. „Doro“ habe ihm daraufhin 100 € gegeben und gesagt, er solle verschwinden; er habe sich dann das Auto genommen, mit dem man gemeinsam in die Niederlande gereist sei, um nach Berlin zurückzufahren. Von dem Rauschgift in Kofferraum wisse er nichts. Als er kontrolliert werden sollte, habe er die Flucht ergriffen, weil er keine eigenen Ausweispapiere mit sich geführt habe. Außerdem habe er befürchtet, dass er wegen des Diebstahls des Fahrzeugs zu einer hohen Strafe, wie sie in Russland bei Autodiebstählen verhängt würden, verurteilt würde. Auf der Flucht vor der Polizei habe er keinen Unfall verursacht. Er sei „Profifahrer“ und könne Auto fahren. Von den Betäubungsmitteln habe er nichts gewusst, er habe lediglich 1 g Marihuana bei sich gehabt.

Diese Einlassungen sind nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt, soweit sie mit den hier getroffenen Feststellungen nicht übereinstimmen. Die Kammer ist aufgrund einer Gesamtschau der im folgenden aufzuführenden Umstände zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte die Reise von Berlin in die Niederlande bewusst unternommen hat, um dort größere Mengen an Betäubungsmitteln zu übernehmen und nach Deutschland zu verbringen.

Dafür sprechen schon die Umstände der Reise. Der bei der Tat verwendete Pkw war ausweislich des Mietvertrags, der in dem Fahrzeug aufgefunden wurde und den die Kammer in der Hauptverhandlung verlesen hat, für die Zeit vom 10.6.2020 bis zum 24.6.2020 angemietet worden. Der Angeklagte ist seinen Einlassungen zufolge zweimal mit diesem Fahrzeug von Berlin in die Niederlande gefahren, wobei er in beiden Fällen mit „Doro“ gefahren ist. Welchen Zwecken diese Reisen dienten, hat der Angeklagte nicht erläutert. Den Nachnamen des „Doro“ hat er nicht preisgegeben und erklärt, dass der im Mietvertrag aufgeführte Nachname a ihm unbekannt sei; der Angeklagte hat bei der Vorlage der bei Anmietung des Fahrzeuges gefertigten Kopie der Personalpapiere des Mieters (Ga) diesen als den „Doro“ bezeichnet. Nach den Daten des Mietvertrags über den PKW wohnt Ga unter der Anschrift O-Straße in Berlin, während die Freundin des Angeklagten sich nach dessen Angaben bei seiner verantwortlichen Vernehmung durch den Zoll, von der der Zeuge C berichtet hat, in der O oder 17 wohnen soll; die genaue Anschrift konnte der Angeklagte nicht angeben.

Die von dem Angeklagten geschilderten Umstände der Fahrt sprechen dafür, dass jedenfalls die zweite Reise in die Niederlande von vornherein einem Rauschgifttransport dienen sollte. Der Angeklagte hat eine Reise über eine Entfernung von mehreren hundert Kilometern unternommen, sich am Zielort nur kurz aufgehalten und sodann die Rückreise angetreten. Dies ist eine Vorgehensweise, die nach der Erfahrung der Kammer bei Drogenkurierfahrten häufig an den Tag gelegt wird. Hinzu kommt, dass das Reiseziel Niederlande als Hauptumschlagplatz für Drogen in Europa bekannt ist. Dies wusste auch der Angeklagte, der seit vielen Jahren Marihuana konsumiert und nach seinen Einlassungen in den Niederlanden dieses Betäubungsmittel kaufen wollte.

Zu einer abweichenden Bewertung führt nicht die Erklärung des Angeklagten, er habe seinem Bekannten in den Niederlanden das Fahrzeug gestohlen und von den im Kofferraum befindlichen tatbetroffenen Betäubungsmitteln nichts gewusst. Es ist lebensfremd, dass ein Drogenhändler (wenn man unterstellt, dass es sich bei „Doro“ um einen solchen handelt) derart große Mengen an Betäubungsmitteln, wie sie hier in Rede stehen, in einem PKW lagert, auf den ein Anderer zugreifen kann. Denn die Drogen haben für die daran interessierten Personen einen hohen Wert und werden daher vor dem unbefugten Zugriff Dritter geschützt, kaum aber in einer Weise aufbewahrt, dass sie schnell gestohlen werden können.

Gegen die Unkenntnis des Angeklagten vom Inhalt des Kofferraums spricht weiter, dass darin eine Plastikflasche entdeckt worden ist, die nach den Einlassungen des Angeklagten von ihm als „Bong“ (Vorrichtung zum Rauchen von Marihuana) genutzt worden ist.

Schließlich belegen Art und Weise der Flucht, mit der sich der Angeklagte nach seiner Einreise in die Bundesrepublik der Kontrolle durch die Bundespolizei entziehen wollte, für sein Wissen um die im Kofferraum befindlichen Drogen. Der Angeklagte hatte ein starkes Interesse daran, diese unbehelligt an den Zielort zu verbringen. Soweit er seine waghalsige Flucht vor der Polizei damit erklärt hat, er habe wegen des von ihm begangenen Diebstahls des Pkw befürchtet, zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt zu werden wie sie in Russland bei Kraftfahrzeugdiebstählen üblicherweise verhängt würden, folgt ihm die Kammer nicht. Der Angeklagte hielt sich zur Tatzeit bereits neun Jahre lang in Deutschland auf. Er hat freimütig eingeräumt, niemals über eine gültige Fahrerlaubnis verfügt und deshalb sich mehrfach gefälschte Führerscheine verschafft zu haben. Tatsächlich hatte sich der Angeklagte nur wenige Wochen vor der hier in Rede stehenden Tat in Berlin bei einer Verkehrskontrolle mit einem ebenfalls gefälschten rumänischen Führerschein ausgewiesen. Der Zeuge C hat zudem davon berichtet, dass auf dem Mobiltelefon des Angeklagten das Bild einer gefälschten rumänischen Identitätskarte vorgefunden wurde, die den Angeklagten unter dem Namen VU zeigt. Auch dies hat der Angeklagte eingeräumt dies damit erklärt, dass er wegen fehlender bzw. niemals ordnungsgemäß geführter Unterlagen in Russland seine Identität nicht belegen könne. Vor diesem Hintergrund ist die von dem Angeklagten geltend gemachte Angst vor einer harten Strafe wegen des vermeintlichen Kraftfahrzeugdiebstahls nicht geeignet, seine so extrem riskante Flucht zu erklären. Überdies konnte dieser vermeintlichen Angst durch die Flucht auch aus Sicht des Angeklagten nicht begegnet werden, weil er damit rechnen musste, dass sein Bekannter „Doro“, dessen Nachnamen der Angeklagte nicht kennt und zu dem er deshalb offensichtlich kein engeres Verhältnis unterhält, welches ihn gegebenenfalls von einer Anzeige verschont, den Diebstahl der Polizei angezeigt und er deshalb bestraft wird.

Die Feststellungen zu Art, Menge und Wirkstoffgehalt der tatbetroffenen Betäubungsmittel beruhen auf dem in der Hauptverhandlung verlesenen Gutachten des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung in Köln vom 23.9.2020.

Die Kammer ist vor diesem Hintergrund davon überzeugt, dass der Angeklagte angesichts des erheblichen Aufwandes (lange Strecke, Mietwagen) wusste, dass es um eine große Menge Betäubungsmittel ging; die genaue Art und (Wirkstoff-) Menge der tatbetroffenen Betäubungsmittel hielt er für möglich und nahm sie um des angestrebten Kurierlohnes Willen billigend in Kauf nahm. Ein gezielt eingesetzter Drogenkurier muss nicht nur für den ordnungsgemäßen Transport der tatbetroffenen Betäubungsmittel sorgen, sondern auch auf unvorhersehbare Vorkommnisse, die den Erfolg des Transports gefährden können (z. B. Autopanne, Diebstahl des Fahrzeugs einschließlich des Rauschgifts), vorbereitet sein, um in solchen Situationen im Sinne der Hinterleute „richtig“ handeln zu können (Schutz des Transportguts vor Entdeckung). Auch liegt es im Interesse der Auftraggeber, dass der Kurier im Falle seiner Ergreifung keine Umstände preisgibt, die zu ihrer Enttarnung oder unnötiger Aufdeckung der Zusammenhänge führen. Dies wird dadurch sichergestellt, dass dem Kurier für eine arbeitstechnisch einfache Aufgabe ein Entgelt erhält (hier hat der Angeklagten zumindest entsprechend seiner Einlassung zumindest 100 € erhalten).

Die Feststellungen zu den Einzelheiten der Fluchtfahrt auf der Bundesstraße 221 von der Anschlussstelle Straelen bis in den Ortskern von Kaldenkirchen beruhen auf den Schilderungen der an der Verfolgung beteiligten Polizeibeamten L2, L3 und W. Die Zeugin L3 hat darüber hinaus in zeitlicher Nähe zum Tattag mit Datum vom 1.7.2020 einen umfangreichen Ermittlungsvermerk über die Einzelheiten der Verfolgungsfahrt und der dabei von ihr gemachten Beobachtungen insbesondere zum Verkehrsverhalten des Angeklagten gefertigt. Diesen Vermerk hat die Kammer nach der Vernehmung der Zeugin in der Hauptverhandlung verlesen. Bereits zuvor hatte die Zeugin, wie auch der sie am Tattag begleitende Zeuge L2, das Fluchtgeschehen in gleicher Weise beschrieben. Insbesondere haben die Zeugen die hohe Geschwindigkeit des Angeklagten (bis zu 200 km/h) geschildert sowie davon berichtet, dass an Kreuzungen, an denen Ampeln für die Verkehrsteilnehmer auf der Bundesstraße 221 Rot zeigte, Querverkehr abbremsen musste, um einen Zusammenprall mit dem vom Angeklagten gelenkten Fahrzeug zu vermeiden. Weder in dem genannten Vermerk noch bei den Aussagen der Zeugen vor der Kammer haben die Beamten eine Belastungstendenz zum Nachteil des Angeklagten gezeigt. Alle Zeugen haben berichtet, dass bei den Manövern des Angeklagten, die von der Polizei spontan errichteten Straßensperren zu umfahren, Fußgänger oder Radfahrer nicht gefährdet wurden und dass sie in der Ortschaft Kaldenkirchen den Blickkontakt zu dem Angeklagten kurzzeitig verloren hatten, nachdem diese eine Verkehrsinsel über die Fahrbahn des Gegenverkehrs umfahren hatte und sie ihm mit Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer nicht in gleicher Weise folgen konnten. Die Beamten haben schließlich bei ihrer Schilderung nicht ausgelassen, dass sie selbst, als sie in Kaldenkirchen hinter dem Fahrzeug des Angeklagten zum Stehen gekommen waren, durch Unachtsamkeit einen Auffahrunfall mit den beteiligten Polizeifahrzeugen verursacht haben, bei denen sie leicht verletzt wurden.

Trotz des von ihm geschilderten langjährigen Konsums von Marihuana war der Angeklagte bei Tatbegehung voll schuldfähig. Betäubungsmittelkonsum, aber auch die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln, begründet nach ständiger Rechtsprechung (BGH NStZ 1990, 384; 1999, 448; 2001, 82 und 85) für sich allein noch nicht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB. Diese kommt nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn

langjähriger Betäubungsmittelgenuss namentlich unter Verwendung „harter“ Drogen zu einer Persönlichkeitsveränderung im Sinne einer schweren anderen seelischen Abartigkeit geführt hat oder

der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, ferner dann, wenn er das Delikt im Zustand eines aktuellen Rausches verübt.

Zu einer erheblichen Verminderung der Hemmungsfähigkeit kann auch die Angst des Drogenabhängigen vor Entzugserscheinungen, die er schon als äußerst unangenehm erlebt hat und als nahe bevorstehend einschätzt, führen.

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die Beamten, die den Angeklagten am Tattag festgenommen haben, haben keine Hinweise auf eine infolge des Genusses von Drogen eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Angeklagten oder gar signifikante Ausfallerscheinungen bei diesem gefunden. Der in der Hauptverhandlung verlesene ärztliche Befundbericht vom Tag der Festnahme führt entsprechende Umstände (z. B. unsicherer Gang, eingeschränkte Orientierung, auffällige Stimmungslage, undeutliche Sprache) ebenfalls nicht auf und schließt mit dem Prädikat, dass Anhaltspunkte für eine Drogen- oder Alkoholbeeinflussung des Angeklagten „nicht merkbar“ seien. Gegen das Vorliegen erheblicher Entzugserscheinungen oder der Angst davor spricht bereits, dass der Angeklagte im Besitz von Marihuana war, dass er hätte zur Bekämpfung auch nur befürchteter Entzugserscheinungen hätte einsetzen können. Anhaltspunkte für eine drogenbedingte Persönlichkeitsveränderung konnten nicht festgestellt werden.

IV.         Rechtliche Würdigung

Der Angeklagte hat auf der Grundlage der hier getroffenen Feststellungen den Tatbestand der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verwirklicht (§ 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG). Eine „nicht geringe Menge“ im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes liegt bei Amphetamin ab 10 g Amphetaminbase und bei Ecstasy ab 30 g MDMA-Base vor. Der festgestellte Wirkstoffgehalt von 2580 g Amphetaminbase entspricht dem 258-Fachen der kleinsten nicht geringen Menge dieses Betäubungsmittels, während bei einem Wirkstoffgehalt von 43,5 g MDMA-Base der Grenzwert zur nicht geringen Menge um das 1,4-Fache überschritten wird. Tateinheitlich (§ 52 StGB) zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat der Angeklagte Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge begangen. Hinsichtlich des Handeltreibens war er nicht (Mit-)Täter (§ 25 StGB), sondern lediglich Gehilfe (§ 27 StGB). Seine Tätigkeit im Gesamtgeschäft betraf zwar den besonders risikoreichen grenzüberschreitenden Transport der Drogen, jedoch ist beim Rauschgiftkurier ist – auch bei einem erheblichen Entgelt und zeitweiliger Verfügungsmacht über die Drogen – eine bloße Gehilfenstellung anzunehmen, wenn sich seine Tätigkeit in bloßem Transport von Betäubungsmitteln erschöpft. Der Angeklagte war zu dem Transport von Hinterleuten veranlasst worden. Dass er auf eigene Rechnung mit dem Erwerb der Drogen oder deren Weiterverkauf befasst war oder dies nur beabsichtigte, ist nicht erkennbar.

Weiter tateinheitlich zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat der Angeklagte den Tatbestand der fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c Abs. 1 Nr. 2a, b und d, 315 c Abs. 3 StGB) verwirklicht. Dadurch, dass er auf seiner Fahrt mit hoher Geschwindigkeit auf der Bundesstraße 221 die für ihn Rot zeigenden Lichtzeichenanlagen überfuhr, hat er die Vorfahrt des aus den jeweiligen Querstraßen kommenden Verkehrs nicht beachtet (§ 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB). Ferner hat er dadurch, dass er, um die vor ihm fahrenden Fahrzeuge zu überholen, trotz entgegenkommender Fahrzeuge auf den für den Gegenverkehr bestimmten Fahrstreifen ausgewichen ist, falsch überholt (§ 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB). Schließlich hat er in Kaldenkirchen, Ortsteil Leuth in einer für ihn nicht einsehbaren Rechtskurve überholt und dabei eine Verkehrsinsel über die Fahrbahn des Gegenverkehrs passiert wobei er mit einer Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h fuhr. Damit ist der Angeklagte an einer übersichtlichen Stelle zu schnell gefahren (§ 315c Abs. 1 Nr. 2d StGB). Durch die genannten Tathandlungen hat der Angeklagte über die ihnen innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus kritische Verkehrssituation herbeigeführt, in denen die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer und ihrer Fahrzeuge  so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob deren Rechtsgüter (Gesundheit, Eigentum) verletzt wurden oder nicht. Es kam zu „Beinahe-Unfällen“, also Geschehen, bei denen ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, „das sei glücklicherweise noch einmal gut gegangen.“ Dass es bei dem Vorfall auf der Kreuzung B 221/Louisenburger Straße (Einfahren eines LKW auf die Kreuzung) nicht zu einem Zusammenprall kam, ist allein der ungewöhnlich guten Reaktion des Berufskraftfahrers des LKW zu verdanken. Der Angeklagte, der seine Geschwindigkeit von 100 km/h (= 27 m/sec) nicht verringert hatte und auch seine Fahrtrichtung nicht geändert hatte, hätte bereits allein deshalb den Zusammenprall nicht mehr verhindern können, weil er innerhalb der Reaktionszeit das andere Fahrzeug bereits erreicht hätte. Bei den Vorfällen in Leuth (Heranfahren an zwei als Straßensperren aufgestellte Polizeifahrzeuge) konnte der Angeklagte die Hindernisse nur dadurch umgehen, dass er jeweils auf den Grünstreifen und den diesem angrenzenden Rad- und Gehweg fuhr. Bei einer Geschwindigkeit von 70 km/h (= 19 m/sec) und vor dem Hintergrund, dass der Grünstreifen angesichts seines andersartigen Untergrunds konnte der Angeklagte sein Fahrzeug nicht mehr sicher beherrschen. Er musste vielmehr damit rechnen, dass er ins Schleudern kam und/oder das Steuer seines PKW „verriss“ und dadurch mit den Polizeifahrzeugen zusammenstieß.

Die vorbezeichneten Verhaltensweisen waren grob verkehrswidrig und rücksichtslos. Denn der Angeklagte hat gegen die von ihm missachteten Verkehrsvorschriften in besonders schwerwiegender und objektiv besonders gefährlicher Weise verstoßen. Darüber hinaus hat er die Verkehrsverstöße innerhalb kurzer Zeit mehrfach begangen. Bei den Verkehrsverstößen handelte der Angeklagter auch rücksichtslos, denn er hat sich aus eigensüchtigen Gründen über seine Pflicht zur Vermeidung unnötiger Gefährdung anderer (vergleiche § 1 StVO) hinweggesetzt, weil es ihm bei seiner Flucht vor der Polizei allein auf sein schnelles Fortkommen ankam und er Bedenken gegen sein Verhalten von vornherein nicht hat aufkommen lassen (vgl. BeckOK StGB/Kudlich, 49. Ed. 1.2.2021, StGB § 315c Rn. 39, 40).

Hinsichtlich der Betäubungsmitteldelikte und der Begehung der Verkehrsverstöße handelte der Angeklagte vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft.

Durch sein Fahrverhalten auf der Flucht über die B 221 hat der Angeklagte schließlich fahrlässig eine Gefahr für Leib und Leben anderer Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert herbeigeführt. Denn er hat bei allen vorstehenden Handlungen objektiv gegen seine Sorgfaltspflicht verstoßen, die dem Schutz der bezeichneten Rechtsgüter dient. Die dadurch eingetretene Gefahr für die Rechtsgüter der anderen Verkehrsteilnehmer war für den Angeklagten voraussehbar und vermeidbar.

V.            Strafzumessung

Ausgangspunkt der Strafzumessung ist der durch § 30 Abs. 1 BtMG bestimmte Strafrahmen von Freiheitsstrafe von 2 bis 15 Jahren.

Eine Gesamtabwägung der nachfolgend dargestellten Strafzumessungsgesichtspunkte ergibt, dass ein minder schwerer Fall, der nach Maßgabe des § 30 Abs. 2 BtMG zu einer Strafrahmenverschiebung zugunsten des Angeklagten führt, nicht vorliegt. Denn das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit weicht vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle nicht in so erheblichem Maße ab, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Bei dieser Beurteilung hat die Kammer eine Gesamtbetrachtung aller wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände vorgenommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen. Sie ist nach dem auf diese Weise gewonnenen Gesamteindruck zu der Auffassung gelangt, dass allein der ordentliche Strafrahmen dem vorliegenden Fall gerecht wird.

Die Kammer hat dabei zugunsten des Angeklagten bedacht, dass er insofern ein Teilgeständnis abgelegt hat, als er das äußere Bild der Flucht vor den Polizeibeamten eingeräumt hat. Soweit der Angeklagte „Doro“ als Mitwirkenden benannt hat, liegt darin keine Aufklärungshilfe im Sinne des § 31 BtMG. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Täter die Beteiligung anderer an der Tat zutreffend schildert, insbesondere wenn er Hintermänner, Auftraggeber, Lieferanten und Abnehmer, aber auch Gehilfen mitteilt. Auf Grund der Angaben müssen abgesicherte Erkenntnisse zu anderen Tatbeteiligten und deren Tatbeiträgen gewonnen werden (BGH StV 1986, 436). Der Angeklagte hat zwar auf einem ihm vorgelegten Lichtbild den Ga als die ihm unter dem Namen „Doro“ bekannte Person bezeichnet. Sie belegen jedoch nicht, dass „Doro“/ a mit dem Betäubungsmittelgeschäft zu tun hat. Die Erklärung des Angeklagten, „Doro“ habe ihn auf der Fahrt in die Niederlande begleitet, kann mangels weiterer Anhaltspunkte nicht überprüft werden. Aus dem Mietvertrag über das bei der Tat benutzte Fahrzeug ergibt sich lediglich, dass a den Wagen angemietet hat. Ob er dabei wusste, zu welchen Zwecken das Fahrzeug dienen sollte, oder ob er es dem Angeklagten aus Gefälligkeit überlassen hat, bleibt unklar, zumal der Angeklagte selbst nicht behauptet hat, a habe in den Niederlanden Tätigkeiten im Hinblick auf den Abschluss eines Betäubungsmittelgeschäfts entfaltet.

Zugunsten des Angeklagten wirkte sich aus, dass die Drogen sichergestellt worden sind und er im Rahmen des Gesamtgeschäfts eine untergeordnete Rolle spielte. Für den Angeklagten spricht ferner, dass er angesichts seiner finanziellen Verhältnisse mit Rücksicht auf ein ihm zugesagtes Entgelt sowie seines langjährigen Rauschgiftkonsums besonders tatgeneigt war (herabgesetzte Hemmschwelle). Soweit er auf seiner Flucht vor der Polizei weitere Personen und deren Sachen gefährdet hat, ist ihm zugutezuhalten, dass es in keinem Fall Verletzungen oder Schäden der unbeteiligten Dritten gekommen ist.

Der Angeklagte ist zudem in höherem Maße haftempfindlich. Er wird zum ersten Mal für eine längere Zeit in den Strafvollzug aufgenommen werden, wobei sich weiter erschwerend für ihn auswirkt, dass er die deutsche Sprache allenfalls bruchstückhaft beherrscht.

Dass der Angeklagte sich schon seit einigen Monaten in Untersuchungshaft befindet, hat dagegen hier keinen strafmildernden Wert, weil er ohnehin zu einer weit längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wird. Der Freiheitsentzug durch Untersuchungshaft als solcher stellt bei Verhängung einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe wegen der vollen Anrechenbarkeit nach § 51 StGB grundsätzlich keinen strafmildernd zu berücksichtigenden Nachteil für den Angeklagten dar (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 18; BGH wistra 2001, 105; BGH NStZ-RR 2003, 110; BGH, Beschluss vom 13.10.2011 – 1 StR 407/11). Anders mag dies sein, wenn im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten wie eine besondere Beeindruckung eines Täters durch den Freiheitsentzug, die dazu führte, dass gegen ihn eine Bewährungsstrafe verhängt werden kann. Solche Besonderheiten liegen hier aber nicht vor.

Strafschärfend musste sich die erhebliche Menge der Drogen Amphetamin und MDMA auswirken, deren Wirkstoffmenge den Grenzwert, ab dem eine „nicht geringe Menge“ vorliegt, insgesamt um fast das 260-Fache überstieg. Der Angeklagte ist zudem mehrfach (wenn auch nicht einschlägig) vorbestraft, was sich ebenfalls gegen ihn auswirkt. Weiter muss sich der Angeklagte entgegenhalten lassen, dass er tateinheitlich zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge einen weiteren Verbrechenstatbestand (Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) sowie mit der Straßenverkehrsgefährdung einen weiteren Straftatbestand verwirklicht hat.

Die Gesamtabwägung der Strafzumessungsgesichtspunkte ergibt, dass ein minder schwerer Fall im Sinne des § 30 Abs. 2 BtMG nicht vorliegt. Ausschlaggebend für diese Bewertung waren insbesondere die erhebliche Menge der tatbetroffenen Drogen.

Bei der Strafzumessung innerhalb des nach dem Vorstehenden maßgeblichen Normalstrafrahmens hat die Kammer alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte noch einmal bedacht und gegeneinander abgewogen. Danach ist eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 9 Monaten tat- und schuldangemessen.

VI.          Maßregeln

1) Die Kammer hat davon abgesehen, gegen den Angeklagten neben der Strafe eine Maßregel nach § 64 StGB (Unterbringung in einer Entziehungsanstalt) zu verhängen. Zwar liegt im Falle des Angeklagten ein Hang, Betäubungsmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, vor. Der Angeklagte konsumiert seit über 25 Jahren das Betäubungsmittel Marihuana; bei ihm ist nach seiner Festnahme ein selbstgebasteltes Rauchgerät („Bong“) entdeckt worden. Aber auch wenn man darüber hinaus davon ausgeht, dass die Tat des Angeklagten jedenfalls auch auf seinen Betäubungsmittelkonsum und damit auf seinen Hang zurückgeht, weil der Angeklagte mit dem ihm gezahlten Entgelt Betäubungsmittel erwerben wollte, sieht die Kammer in Ausübung des ihr zukommenden pflichtgemäßen Ermessens von der Anordnung der Maßregel ab. Der Angeklagte beherrscht die deutsche Sprache auch nach längerem Aufenthalt in Deutschland allenfalls bruchstückhaft und wird vor diesem Hintergrund durchgreifende Schwierigkeiten haben, dem hauptsächlich von Gesprächstherapien gekennzeichneten Maßregelvollzug nach § 64 StGB zu folgen. Vor dem Hintergrund, dass auch der mehrjährige Aufenthalt des Angeklagten in Deutschland nicht zu einer durchgreifenden Verbesserung seiner Sprachkenntnisse geführt hat, ist mehr als zweifelhaft, dass der Angeklagte sich die erforderlichen Fertigkeiten während des Vollzugs der Maßregel oder während eines Vorwegvollzugs von Freiheitsstrafe aneignen wird. Zuletzt sprechen die Umstände dagegen, dass der Angeklagte in einer Dauerbeurlaubung wird erprobt werden können, die regelmäßig am Ende der Therapiemaßnahme steht und in der der Betroffene zeigen muss, dass er das während des stationären Teils der Therapie Erlernte und weitestgehend freiheitlichen Bedingungen im täglichen Leben umsetzen kann. Der Angeklagte ist weder deutscher Staatsangehöriger noch Angehöriger eines Mitgliedsstaates der EU. Im Hinblick auf seine Straffälligkeit muss er mit der Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland rechnen, zumal seine Aufenthaltsberechtigung bereits im Jahr 2018 erloschen ist und er seither zur Ausreise verpflichtet ist. Der Kammer, deren berufsrichterliche Mitglieder zugleich Mitglieder einer Strafvollstreckungskammer sind, welche für die im Zusammenhang mit dem Maßregelvollzug zu treffenden Entscheidungen für die Untergebrachten einer großen Maßregelvollzugsklinik zuständig ist, ist bekannt, dass die als Vollstreckungsbehörden tätigen Staatsanwaltschaften im Benehmen mit den Ausländerbehörden Bedenken gegen eine derart weitgehende Lockerung anmelden, die daraufhin allenfalls mit Verzögerungen stattfinden kann. Kann sich der Betroffene indes nicht oder nicht lange genug in der Dauerbeurlaubung erproben, schwindet die Aussicht auf einen erfolgreichen Abschluss der Therapie beträchtlich.

2) Gegen den Angeklagten war jedoch eine Sperrfrist zu bestimmen, innerhalb der ihm keine Fahrerlaubnis erteilt werden kann (§ 69a Abs. 1 StGB). Weil er eine Gefährdung des Straßenverkehrs begangen hat, ist der Angeklagte als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Ein Ausnahmefall, der es erlaubt, von der durch die Verwirklichung des Tatbestandes des § 315c StGB begründeten Regelvermutung (§ 69 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB) abzuweichen, ist nicht gegeben. Dadurch, dass der Angeklagte immer wieder ohne Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge führt und sich zu diesem Zweck gefälschte Führerscheine verschafft hat, hat er gezeigt, dass er nicht bereit ist, wesentliche Verkehrsvorschriften zu beachten. Die vor diesem Hintergrund allein zu verhängende Sperrfrist (§ 69a Abs. 1 S. 3 StGB) konnte mit drei Jahren bemessen werden. Trotz seiner dauerhaften Missachtung der verkehrsrechtlichen Vorschriften ist er bislang mit Straßenverkehrsdelikten in Erscheinung getreten. Seine charakterlichen Mängel sind nicht derart schwerwiegend, dass sie zum Schutz der Allgemeinheit eine längere Sperrfrist als die hier verhängte rechtfertigen.

VII.       Nebenentscheidungen

Die sichergestellten Betäubungsmittel waren gemäß § 33 BtMG einzuziehen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 Abs. 1 StPO.

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