OLG Zweibrücken, Az.: 1 OLG 2 Ss 31/18, Beschluss vom 27.09.2018
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 4. (kleinen) Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 22. Februar 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
Der Angeklagte wird freigesprochen.
2. Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse zu tragen.
Gründe
Das Amtsgericht Speyer hat den Angeklagten am 14. Juli 2017 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 150,– EUR verurteilt. Seine dagegen gerichtete Berufung hat das Landgericht Frankenthal (Pfalz) mit Urteil vom 22. Februar 2018 als unbegründet verworfen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die er auf die Verletzung materiellen Rechts stützt.
Das in verfahrensrechtlicher Sicht unbedenkliche Rechtsmittel ist begründet und führt zur Freisprechung des Angeklagten.
I.
1.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
„Am 27. Juli 2015, gegen 23:30 Uhr, befuhr der Angeklagte mit einem Fahrrad die G. Straße in Speyer. Da er ohne Licht fuhr, wurde er von den Polizeibeamten ., PHK . und PK . angehalten und kontrolliert. Er reagierte dabei von Anfang an aufbrausend und abweisend. Außerdem gab er an, dass er eine Flasche Schnaps getrunken habe. Ob er diese Äußerung von sich aus tätigte oder zuvor auf den Konsum von Alkohol angesprochen worden war, konnte nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Da den Polizeibeamten bei dem Angeklagten ein alkoholähnlicher Geruch, zittrige Hände und gerötete Bindehäute auffielen, boten sie ihm die Durchführung eines Atemalkoholtests an, welchen er jedoch ablehnte. Dabei blieb er trotz des Hinweises, dass er bei Verweigerung des Atemalkoholtests auf der Wache eine Blutprobe abgeben müsse. Es wurde ihm gestattet, zunächst sein Fahrrad zu Hause abzustellen, da er in der … Straße … wohnhaft ist. Sodann nahmen die Polizeibeamten den Angeklagten mit zur Polizeiinspektion Speyer und verständigten die Ärztin Dr. … zur Entnahme einer Blutprobe. Während die Beteiligten auf das Eintreffen der Ärztin warteten, schlief der Angeklagte auf einem Stuhl ein, was den Verdacht auf Alkohol- oder Drogenkonsum bei den Beamten weiter verstärkte. Als er wieder erwachte, begann er erneut lautstark, sich über die Behandlung durch die Polizei zu beschweren. Er steigerte sich immer mehr in seine Beschimpfungen hinein und bezeichnete die Polizeibeamten….. u.a. als „dumm“, „unfähig“, „schikanös“, „machtversessen“ und „niveaulos“. Da er dabei aufstand und mit den Händen vor den Beamten herumfuchtelte, forderten sie ihn auf, dies zu unterlassen, und drohten ihm das Anlegen von Handschellen an. Als er sich auch daraufhin nicht beruhigte, wurde er mit Handschellen gefesselt. Anschließend wurde ihm durch die zwischenzeitlich eingetroffene Ärztin Blut entnommen und er durfte die Dienststelle verlassen. Nach dem Ergebnis der Blutuntersuchung hatte der Angeklagte tatsächlich keinen Alkohol getrunken.“
2.
Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist das Landgericht in seiner rechtlichen Würdigung zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte die Beamten jedenfalls durch die Bezeichnung „dumm“ und „unfähig“ vorsätzlich an der Ehre gekränkt und seine Miss- oder Nichtachtung im Sinne des § 185 StGB kundgegeben hat. Soweit der Angeklagte mit seinen Äußerungen nur Kritik an der nach seiner Auffassung ungerechtfertigten Behandlung durch die Polizeibeamten habe äußern wollen, sei nach Auffassung des Landgerichts zu berücksichtigen, dass die gesamte Eskalation bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich auf sein eigenes Verhalten zurückzuführen gewesen sei. Dass er, statt durch Einlenken die von ihm ausgelöste Eskalationsspirale zu stoppen, zu den verfahrensgegenständlichen Äußerungen gegriffen habe, könne ihm daher nicht als Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne von § 193 StGB angerechnet werden. Auch sei angesichts seines Gesamtverhaltens nicht davon auszugehen, dass sich die Äußerungen tatsächlich nur auf die Maßnahme beziehen sollten, sondern dass sie – wie es auch die Zeugen empfunden hätten – zu deren Herabwürdigung gedacht waren.
II.
Die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte habe mittels der Äußerung, diese seien „dumm“ und „unfähig“, die persönliche Ehre der Zeugen verletzt, ist nicht frei von durchgreifenden Rechtsfehlern.
1.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschlüsse vom 13.02.1996 – 1 BvR 262/91, juris Rn. 26 = BVerfGE 94, 1, und vom 23.08.2005 – 1 BvR 1917/04, juris Rn. 21), an der sich der Senat unbeschadet der daran geäußerten Kritik (hierzu: BayObLG, Beschluss vom 20.10.2004 – 1 St RR 153/04, NJW 2005, 1291, 1293; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 193 Rn. 25; Kriele, NJW 1994, 1897; Schmitt Glaeser, NJW 1996, 873 ff.) zu orientieren hat – verlangt Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG bei der Anwendung des § 185 StGB grundsätzlich eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Äußernden. Die Meinungsfreiheit tritt allerdings regelmäßig dann hinter den Ehrschutz zurück, wenn und soweit es sich um herabsetzende Äußerungen handelt, die eine bloße Schmähung der angegriffenen Person darstellen. Einer Abwägung mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit ist eine als bloße Schmähung zu wertende Äußerung regelmäßig nicht zugänglich (KG Berlin, Beschluss vom 12.08.2005 (4) 1 Ss 93/04, NJW 2005, 2872, 2873 mwN.). Zur Schmähung wird eine Meinungsäußerung allerdings nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte. Auch eine überzogene und selbst eine ausfällige Kritik macht für sich genommen eine Äußerung noch nicht zur Schmähkritik. Dies gilt selbst dann, wenn diese – wie hier – in kränkender und zu missbilligender Art geäußert wird (vgl. OLG München, Beschluss vom 06.11.2014 – 5 OLG 13 Ss 535/14, juris Rn. 14). Eine herabsetzende Äußerung nimmt vielmehr erst dann den Charakter einer Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss ihre Wirkung jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person entfalten (BVerfG, Beschluss vom 26.06.1990 – 1 BvR 1165/89, juris Rn. 41 = BVerfGE 82, 272). Von einer bloßen Schmähkritik ist namentlich auszugehen, wenn ein sachlicher Anlass nur vorgegeben oder als Vorwand genutzt wird und eine Äußerung eine allein persönlich diffamierende und herabsetzende Zielrichtung hat (Fischer aaO., § 193 Rn. 18). Gleiches gilt, wenn es sich um eine Äußerung handelt, deren diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass sie in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von ihrem konkreten Kontext stets als persönliche diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss, wie es insbesondere bei der Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter – etwa aus der Fäkalsprache – der Fall ist (sog. Formalbeleidigung, vgl.: OLG Koblenz, Beschluss vom 07.10.2009 – 2 Ss 130/09, juris Rn. 36; OLG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2014 – 1 Ss 599/13, juris Rn. 18 mwN.).
2.
Diesen Maßstäben wird die angefochtene Entscheidung nicht vollumfänglich gerecht.
a) Die Feststellung des Sachverhalts einschließlich der Ermittlung von Wortlaut und Erklärungsgehalt einer Äußerung ist grundsätzlich allein Sache des Tatrichters. Diesem obliegt es, den Sinn, den eine Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat, zu ermitteln und festzustellen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.05.2018 – 2 Rv 4 Ss 193/18, juris Rn. 6 mit Anm. Bertlings, jurisPR-StrafR 14/2018 Anm. 3). An die Auslegung einer Äußerung durch den Tatrichter ist das Revisionsgericht grundsätzlich gebunden, es darf diese nicht selbst vornehmen (KG Berlin, Urteil vom 12.08.2005 – (4) 1 Ss 93/04, NJW 2005, 2872 m.w.N.). Bei der Auslegung einer Äußerung ist von deren objektivem Sinngehalt (Erklärungsgehalt) auszugehen, wie ihn ein unbefangener verständiger Dritter versteht. Maßgebend ist weder die subjektive Sicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den diese nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Dritten hat (KG Berlin, Urteil vom 12.08.2005 – 1 Ss 93/04, NJW 2005, 2872). Die Auslegung hat stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber noch nicht abschließend fest (OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.03.2012 – 2 Ss 329/11, NStZ-RR 2012, 244, 245). In den Blick zu nehmen sind vielmehr alle Begleitumstände bzw. die gesamte konkrete Situation. Will sich ein Strafgericht unter mehreren nicht fernliegenden Deutungen für diejenige entscheiden, die zu einer Strafbarkeit führt, muss es dafür nachvollziehbar Gründe angeben (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.05.2018 – 2 Rv 4 Ss 193/18, juris Rn. 6 mwN.).
aa) Den Ausführungen des Landgerichts kann bereits nicht eindeutig entnommen werden, ob es die Äußerungen des Angeklagten als Schmähkritik gewertet und daher zu Recht von einer Abwägung abgesehen hat. Die in den schriftlichen Urteilsgründen enthaltene Formulierung, es sei nicht davon auszugehen, dass sich die „Äußerungen tatsächlich nur auf die Maßnahme beziehen sollten, sondern dass sie – wie es auch die Zeugen empfunden haben – zu deren Herabwürdigung gedacht waren“, kann zwar auf ein entsprechendes Verständnis hindeuten. Nicht nachvollziehbar wäre dann aber, dass sich das Landgericht gleichwohl noch mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob sich der Angeklagte auf ein berichtigtes Interesse im Sinne von § 193 StGB berufen konnte; denn diese Vorschrift greift in Fällen der Schmähkritik von vornherein nicht ein (vgl. Fischer, aaO. § 193 Rn. 18 mwN.).
bb) Jedenfalls aber wäre die Annahme einer reinen Schmähung nicht tragfähig begründet. Denn das Landgericht hätte den Gesamtkontext, in dem die verfahrensgegenständlichen Äußerungen gefallen sind, nicht ausreichend in den Blick genommen. Nach den hierzu getroffenen Feststellungen begann sich der Angeklagte, als er auf der Polizeidienststelle wieder erwachte, lautstark über die Behandlung durch die Polizei zu beschweren. Hierbei „steigerte er sich immer mehr in seine Beschimpfungen hinein“, die schließlich in den festgestellten Äußerungen mündeten. Mit dem sowohl zeitlich-sachlich als auch motivatorisch engen Zusammenhang zwischen der vom Angeklagten vorgenommenen ablehnenden Bewertung des polizeilichen Vorgehens und der daran unmittelbar anschließenden Bezeichnung der Beamten als „dumm“ und „unfähig“ hat sich das Landgericht nicht näher befasst. Dies wäre bei Annahme einer Schmähkritik aus Rechtsgründen aber erforderlich gewesen, da dieser hier maßgeblich für den Sinn der verfahrensgegenständlichen Äußerungen ist. Durch ihre enge Verbindung mit der vom Angeklagten erhobenen Kritik an dem Vorgehen der Beamten kann der Äußerung der Charakter einer nicht durch einen sachlichen Anlass gedeckten Schmähung genommen sein. Die Feststellungen des Landgerichts zum Gesamtkontext der verfahrensgegenständlichen Äußerungen lassen es zumindest nicht fern liegend erscheinen, dass trotz ihres Wortlauts nicht der Angriff auf die persönliche Ehre der Beamten im Vordergrund stand, sondern dass diese jedenfalls auch als Ausdruck der Missbilligung des Vorgehens der Beamten gemeint waren. Entgegen der Ansicht des Landgerichts reicht der Umstand allein, dass die „gesamte Eskalation (..) ausschließlich auf sein eigenes Verhalten zurückzuführen“ war und er „die Eskalationsspirale“ nicht gestoppt hat, nicht aus, um diese nicht fernliegende Auslegung der Äußerung auszuschließen. Denn ob eine geäußerte Sachkritik nachvollziehbar oder gar berechtigt ist, ist in diesem Zusammenhang ebenso wenig von Relevanz (BVerfG, Beschluss vom 23.08.2005 – 1 BvR 1917/04, juris Rn. 21), wie die Frage, ob das behördliche Vorgehen rechtmäßig oder rechtswidrig war (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 20.03.2012 – 2 Ss 329/11, NStZ-RR 2012, 244, 245).
b) Eine Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten der Beamten und der Meinungsfreiheit des Angeklagten hat das Berufungsgericht nicht erkennbar durchgeführt. Das Revisionsgericht kann eine vom Tatgericht rechtsfehlerhaft unterlassene Abwägung der Rechtsgüter der Meinungsfreiheit und des Ehrenschutzes nachholen, wenn – wie hier – das angefochtene Urteil ausreichende Feststellungen zu den Tatumständen und der Motivation des Angeklagten enthält (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2014 – 1 Ss 599/13, juris Rn. 21). Diese ergibt, dass die Äußerung des Angeklagten, wenn sie keine Schmähkritik darstellt, vom Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gedeckt war.
Dabei ist auf Seiten der betroffenen Beamten namentlich in die Abwägung einzustellen, dass diese nach dem Wortlaut der Äußerung unmittelbar betroffen waren und ihr Vorgehen angesichts der festgestellten Auffälligkeiten in der Person des Angeklagten rechtmäßig gewesen war. Auf Seiten der Meinungsfreiheit ist demgegenüber wesentlich, dass der Angeklagte die verfahrensgegenständlichen Äußerungen nicht als unbeteiligter Dritter, sondern als Betroffener einer polizeilichen Maßnahme getätigt hat. Bezieht sich ein Werturteil – wie hier – auf Bedienstete staatlicher Einrichtungen und deren dienstliche Vorgehensweise, so gehört das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen – auch in überzogener Form – kritisieren zu dürfen, zum Kernbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung. Dies gilt unabhängig davon, ob dies der öffentlichen Meinungsäußerung dient oder im Rahmen einer persönlichen Auseinandersetzung erfolgt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.03.2003 – III-2b Ss 224/02-2/03, NStZ-RR 2003, 295, 297; KG Berlin, Beschluss vom 28.06.2010 – 1 Ss 173/10, juris Rn. 9; OLG München, Beschluss vom 06.11.2014 – 5 OLG 13 Ss 535/14, juris Rn. 8; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.05.2018 – 2 Rv 4 Ss 193/18, juris Rn. 10; vgl. hierzu auch: OLG Koblenz, Beschluss vom 07.10.2009 – 2 Ss 130/09, juris Rn. 38). Die Äußerung ist zudem von keinem unbeteiligten Dritten wahrgenommen worden und ihr Beleidigungsgehalt war eher moderat. Auch wurde sie im Rahmen einer affektiv aufgeladenen Situation aus einer „sehr aufgeheizten Stimmung“ (UA S. 5) heraus spontan getätigt. Dies führt hier zum Überwiegen der Meinungsäußerungsfreiheit des Angeklagten, hinter der der Ehrschutz der Beamten aus Gründen des Verfassungsrechts zurücktreten muss.
3.
Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung rechtsfehlerfrei weitere Feststellungen und Wertungen im Hinblick auf das Vorliegen einer Schmähung getroffen werden können. Entsprechendes gilt für weitere, die Abwägung wesentlich beeinflussende Gesichtspunkte. Der Senat spricht daher den Angeklagten aus Rechtsgründen frei (§ 354 Abs. 1 StPO).
III.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.