OLG Dresden – Az.: 2 Ws 418/11 – Beschluss vom 24.08.2011
1. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Aufhebung der Haftbefehle durch Beschluss des Landgerichts Dresden vom 29. Juli 2011 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels sowie die notwendigen Auslagen der Angeklagten im Beschwerdeverfahren hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe
I.
Das Landgericht Dresden verhandelte seit dem 19. Juli 2011 gegen die Angeklagten, denen die Staatsanwaltschaft unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 163 Fällen (Angeklagter N.A.) bzw. 173 Fällen (Angeklagter N.B.) sowie Verstöße gegen das Grundstoffüberwachungsgesetz (N.A.) und das Arzneimittelgesetz (N.B.) zur Last legt. Nach Durchführung von drei Hauptverhandlungstagen hat die Strafkammer am 29. Juli 2011 die Aufhebung ihrer gegen die Angeklagten erlassenen Haftbefehle beschlossen, weil sie der ihnen zur Last gelegten Taten nicht mehr dringend verdächtig seien. Der Belastungszeuge, auf dessen Angaben die Haftbefehle maßgeblich gestützt waren, habe sich als unglaubwürdig herausgestellt. Der hiergegen erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat die Strafkammer mit Beschluss vom 09. August 2011 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat vorgelegt.
Am 22. August 2011 hat die Strafkammer den Angeklagten N.A. durch Urteil freigesprochen; den Angeklagten N.B. hat sie unter Freisprechung im Übrigen wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt.
II.
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.
Soweit die Angeklagten zwischenzeitlich durch Urteil freigesprochen wurden, waren die Haftbefehle ohnehin gemäß § 120 Abs. 1 S. 2 StPO aufzuheben.
Im Übrigen unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang durch das Beschwerdegericht. Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme.
Der Prüfungsumfang ist insbesondere dann erheblich eingeschränkt, wenn die Beweisaufnahme abgeschlossen ist oder unmittelbar vor dem Abschluss steht oder sich auf Bewertungsaspekte bezieht, die nach Aktenlage nicht zu beurteilen sind. Verneint das Gericht in dieser Situation den dringenden Tatverdacht, kann das Beschwerdegericht nur eingreifen und die Beurteilung durch eine eigene abweichende Bewertung ersetzen, wenn der Inhalt der angefochtenen Haftentscheidung grob fehlerhaft ist und den dringenden Tatverdacht aus Gründen verneint, die in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht nicht vertretbar sind (vgl. BGHR StPO § 112 Tatverdacht 3).
Auch nach diesen Maßstäben dringt die Beschwerde der Staatsanwaltschaft – ungeachtet der sich dann aufzeigenden Unverhältnismäßigkeit einer weiteren Untersuchungshaft in Bezug auf das gegen den Angeklagten N.B. erkannte Strafmaß – nicht durch. Die Strafkammer hat nach intensiver Vernehmung des Zeugen S., auf dessen Angaben im Ermittlungsverfahren sich maßgeblich sowohl die Haftbefehle des Landgerichts als auch die Haftfortdauerentscheidung des Senats vom 23. Mai 2011 stützten, erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen. Die hierfür tragenden Bewertungen und Anknüpfungstatsachen teilt sie in der angegriffenen Haftentscheidung und – ergänzend – im Nichtabhilfebeschluss mit. Soweit sich die Staatsanwaltschaft gegen die Schlussfolgerung wendet, die das Landgericht aus dem mitgeteilten Aussageverhalten des Zeugen zieht, ersetzt sie lediglich die Bewertung der Kammer durch ihre eigene, zeigt jedoch keinen offensichtlichen Fehler auf, der es als unvertretbar erscheinen ließe, den Tatverdacht im gegenwärtigen Verfahrensstand als nicht mehr dringend zu erachten. Ein solcher Fehler ist auch nicht ersichtlich.
III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 StPO.