LG Nürnberg-Fürth – Az.: 5 Ks 102 Js 2876/20 – Beschluss vom 22.06.2021
1. Der Sachverständige Dr. T. wird von der Verpflichtung zur Erstattung des Gutachtens entbunden.
2. Der Sachverständige Dr. W., wird mit der Erstattung des Gutachtens zu den Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB zum Tatzeitpunkt und zu den Voraussetzungen der Unterbringung gemäß 64 StGB beauftragt.
Gründe
Der Sachverständige Dr. T. wird gem. § 76 Abs. 1 Satz 2 StPO von der Verpflichtung zur Erstattung des Gutachtens entbunden.
Dr. T. wurde von der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth mit der Erstellung eines forensisch-psychiatrischen Gutachtens zu Fragen der medizinischen Voraussetzungen der Schuldfähigkeit und Gefährlichkeit gem. §§ 20, 21, 64 StGB beauftragt. In seinem schriftlichen Gutachten führte Dr. T. aus, dass der Angeschuldigte in Anwesenheit von Frau B., B.Sc. Psychologie und des Sachverständigen an zwei Tagen, am 10.03.2021 und 19.03.2021, über insgesamt 2 Stunden und 45 Minuten untersucht wurde.
Auf Nachfrage des Gerichts, ob beide Sachverständige die ganze Zeit anwesend waren und wenn nicht, wer bei welchem Teil, insbesondere der Exploration, anwesend war, teilte Herr Dr. T. mit, dass die Angaben des Angeschuldigten S. (Seite 31 bis 50 des Gutachtens) am 10.03.2021 gegenüber Frau B. in „detaillierter Art und Weise“ gemacht und am 19.03.2021 ihm gegenüber in „kompakter Form“ wiederholt worden seien.
Zwar kann ein beauftragter Sachverständiger, der grundsätzlich zur persönlichen Erstellung und Erstattung des Gutachtens verpflichtet ist, Hilfskräfte in Anspruch nehmen, solange er sich von den Untersuchungsergebnissen selbst überzeugt und das Gutachten selbst verantwortet. Die Staatsanwaltschaft hat die Zuziehung einer Hilfskraft genehmigt.
Aufgrund der Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstattung besteht jedoch ein Delegationsverbot, soweit durch Heranziehung anderer Personen die Verantwortung des Sachverständigen für das Gutachten in Frage gestellt wird (BGH, Beschluss vom 25.05.2011 – 2 StR 585/10; Löwe-Rosenberg, 27. Auflage 2017, StPO, § 73 Rn. 6). Das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen muss eine Exploration des Probanden durch den Sachverständigen einschließen. Dabei handelt es sich um die zentrale Untersuchungsmethode. Deren Ergebnisse kann der gerichtliche Sachverständige nur dann eigenverantwortlich bewerten, wenn er sie selbst durchgeführt oder zumindest insgesamt daran teilgenommen hat. Dies gilt erst recht, wenn bei der Exploration auch Mimik und Gestik des Probanden aufgefasst werden. Die Durchführung dieser Untersuchung darf daher nicht an eine Hilfsperson delegiert werden (MüKoStGB, 4. Auflage 2020, § 20 StGB Rn. 171; Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Auflage 2012, S. 407; BSG, Beschluss vom 18.09.2003 – B 9 VU 2/03 B; OLG Köln, Beschluss vom 20.07.2011 – 17 W 129/11).
Laut Auskunft des Sachverständigen Dr. T. erfolgte eine detaillierte Exploration durch Frau B., durch ihn lediglich eine kompakte Abfrage. Eine kompakte Abfrage reicht aber nicht aus, um sich – bei der Exploration als zentrale Untersuchungsmethode – ein eigenes Bild von der Richtigkeit der Befunderhebung zu machen. Die Kammer hat daher erhebliche Zweifel, dass der Sachverständige die Verantwortung für das Gutachten übernehmen kann. Daran vermag auch eine hypothetisch ergänzende Exploration durch den Sachverständigen Dr. T. nichts zu ändern, da hierdurch verbleibende Zweifel an der notwendigen Objektivität des Sachverständigen bestehen blieben. Dies gilt umso mehr, als der Angeschuldigte in dem beschlagnahmten Brief an seine Lebensgefährtin vom 10.05.2021 (Bl. 372 d.A.) seine Verärgerung über der Sachverständigen Dr. T. zum Ausdruck gebracht hat. In dem Brief äußerte der Angeschuldigte unter anderem, dass er „richtig sauer auf den Sachverständigen“ sei, da das „Gutachten Frau B. und kein T. gemacht habe“, und er „mit ihm nur fünf Minuten über den § 64 und nicht über meine Gedanken gesprochen habe“. Eine unbefangene Mitwirkung des Angeschuldigten an einer weiteren Exploration durch Dr. T. ist daher zweifelhaft.