OLG Zweibrücken – Az.: 1 OLG 2 Ss 1/21 – Urteil vom 14.06.2021
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil der 6. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 22. September 2020 wird verworfen.
2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dadurch angefallenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Landeskasse zur Last.
Gründe
Das Amtsgericht – Strafrichter – Ludwigshafen am Rhein hat den Angeklagten am 13. Februar 2020 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 Euro verurteilt. Zudem hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine sechsmonatige Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis bestimmt. Gegen dieses Urteil hat sich der Angeklagte mit der Berufung gewandt, die er in der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf die Anfechtung des Maßregelausspruchs beschränkt hat. Das Landgericht hat die Beschränkung für wirksam erachtet und auf das verbleibende Rechtsmittel den Maßregelausspruch aufgehoben. Zusätzlich hat es gegen den Angeklagten als Nebenstrafe ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft, welche ihr zu Ungunsten des Angeklagten eingelegtes Rechtsmittel auf das Absehen von der Anordnung einer Maßregel nach § 69 Abs. 1 und 3 StGB beschränkt hat.
I.
Das Landgericht hat seiner Entscheidung die zum Schuldspruch getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts zugrunde gelegt. Danach fuhr der Angeklagte am 22. Juli 2019 in der …straße in … aus Unachtsamkeit gegen ein geparktes Fahrzeug und verursachte hierdurch an diesem einen Sachschaden in Höhe von 3.911,51 Euro. Obwohl er den Unfall bemerkt hatte, verließ er die Unfallstelle, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Das Landgericht hat weiter festgestellt, dass der Angeklagte, der als selbstständiger Tiefbauunternehmer tätig ist, seit dem Jahr 1993 über eine Fahrerlaubnis verfügt und mit Kraftfahrzeugen jährlich rund 50.000 km zurücklegt. Er ist am 17. April 2018 durch das Amtsgericht Rüsselsheim wegen einer am 6. April 2017 im Straßenverkehr begangenen Nötigung zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen sowie einem zweimonatigen Fahrverbot verurteilt worden.
II.
Soweit die Staatsanwaltschaft ihre Revision auf den unterbliebenen Maßregelausspruch beschränkt und (konkludent) das Fahrverbot von ihrem Rechtsmittelangriff ausgenommen hat, ist die Beschränkung aus den von der Generalstaatsanwaltschaft in der Antragsschrift vom 11. Januar 2021 dargelegten Gründen unwirksam. Fahrverbot und Fahrerlaubnisentziehung schließen sich einander regelmäßig aus (BGH, Beschluss vom 07.08.2018 – 3 StR 104/18, juris Rn. 6) und stehen daher in einer untrennbaren Wechselbeziehung. In diesem Umfang ist die Rechtsmittelbeschränkung dann allerdings zulässig.
1.
Die Revision kann wie die Berufung grundsätzlich auf die Anfechtung bestimmter Urteilsteile beschränkt werden. Eine Beschränkung in diesem Sinne ist grundsätzlich zulässig und als solche wirksam, wenn sich der Gegenstand der Anfechtung als ein Teil der Entscheidung darstellt, der losgelöst von den nicht angegriffenen Entscheidungsteilen eine in sich selbstständige Prüfung und Beurteilung zulässt, wenn also lediglich Beschwerdepunkte angegriffen werden, die rechtlich und tatsächlich selbstständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig zu machen (BayObLG, Beschluss vom 17.12.2019 – 204 StRR 1940/19, juris Rn. 9 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschluss vom 15.05.2001 – 4 StR 306/00, juris Rn. 19 m.w.N.) ist es geboten, hierbei dem in den Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck gekommenen Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren und Entscheidungsteile von der Nachprüfung auszunehmen, die von keiner Seite beanstandet worden sind.
2.
Danach ist grundsätzlich auch eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis möglich (BGH, Urteil vom 23.06.1992 – 1 StR 211/92; Urteil vom 28. August 1996 – 3 StR 241/96). Der Maßregelausspruch ist losgelöst vom Strafausspruch beurteilbar, wenn die Gründe des angefochtenen Urteils eine Wechselwirkung mit der Strafzumessung nicht belegen und der Rechtsmittelführer die (ggfs. doppelrelevanten) Feststellungen, welche die Maßregelanordnung tragen, nicht in Frage stellt, sondern zu erkennen gibt, sie seien lediglich nicht geeignet, die Anordnung zu tragen (OLG Stuttgart, Urteil vom 07.01.1997 – 4 Ss 672/96, NZV 1997, 316, 317; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 27.02.2002 – 2 Ss 21/02, juris Rn. 7; OLG Dresden, Urteil vom 09.07.2005 – 2 Ss 130/05, NStZ-RR 2005, 385 [Ls]).
Ob gleiches für die Anordnung eines Fahrverbotes gilt, ist streitig. Hier wird regelmäßig schon eine Wechselwirkung zwischen der Nebenstrafe und dem übrigen Strafausspruch bestehen; sind jedoch Art und Höhe der Hauptstrafe erkennbar unabhängig von den Erwägungen festgesetzt worden, die für die Anordnung des Fahrverbots maßgebend waren, so soll nach der einen Meinung auch eine Beschränkung des Rechtsmittels auf das Fahrverbot nicht ausgeschlossen sein (Gössel in LR-StPO, 26. Aufl., § 318 Rn. 100; Quentin, Mü-Ko, StPO § 318 Rn. 67). Die Gegenansicht beruft sich auf die Rechtsnatur der Nebenstrafe, die den Ausschluss einer Wechselwirkung nicht zulasse (OLG Düsseldorf NZV 1993, 76; OLG Hamm NStZ 2006, 592; OLG Jena NZV 2006, 167 f.; Meyer-Goßner/Schmitt StPO, § 318 Rn. 22). Der Senat neigt dazu, dass eine Wechselwirkung zumindest im Einzelfall ausgeschlossen werden kann, wenn die Anordnung des Fahrverbotes erkennbar an die Stelle einer als nicht (mehr) angemessen bewerteten Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis tritt.
3.
Im vorliegenden Fall ist die Revisionsbeschränkung in dem bezeichneten Umfang allerdings unabhängig von dem dargestellten Meinungsstreit wirksam. Weder die Gründe des erstinstanzlichen Urteils noch die des Berufungsurteils lassen den Schluss zu, dass eine Wechselwirkung zwischen der verhängten Geldstrafe und der Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. dem an die Stelle der Maßregel getretenen Fahrverbot bestanden hat. Das Landgericht war in seiner Berufungsentscheidung wegen des Verschlechterungsverbots gehindert, im Hinblick auf den Wegfall der Maßregel statt auf ein Fahrverbot auf eine Erhöhung der Geldstrafe zu erkennen; eine Verminderung der Geldstrafe war im Hinblick auf den Wegfall der Maßregel erkennbar ausgeschlossen. Damit war die Wechselwirkung zwischen Haupt- und Nebenstrafe jedenfalls durch die in der Berufungsinstanz vorliegende verfahrensrechtliche Konstellation aufgehoben. Daran hat sich durch die Revision der Staatsanwaltschaft nichts geändert.
III.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist nicht begründet. Die Aufhebung der Maßregelanordnung durch das Landgericht hält rechtlicher Prüfung stand.
1.
Die Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis setzt gem. § 69 Abs. 1 StGB regelmäßig die aufgrund einer Gesamtwürdigung von Tat und Täter festzustellende Ungeeignetheit des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen und die darauf gestützte Erwartung weiterer, die Verkehrssicherheit beeinträchtigender Straftaten voraus (v. Heintschel-Heinegg/Huber in Mü-Ko-StGB, 4. Aufl., § 69 Rn. 64). Sind jedoch – wie hier – die Voraussetzungen eines der in § 69 Abs. 2 Nr. 1 – 4 StGB aufgeführten Regelbeispiele erfüllt, bedarf es einer solchen Gesamtwürdigung nicht; die Ungeeignetheit des Täters zum Führen von Kraftfahrzeugen wird dann bereits durch die Tat selbst indiziert (Valerius in LK-StGB, 13. Aufl., § 69 Rn. 117). An deren Stelle tritt vielmehr die Prüfung der Frage, ob besondere Umstände es rechtfertigen, den Täter im Gegensatz zu dem allgemeinen Bewertungsmaßstab des Gesetzes noch für geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen zu halten (v. Hentschel-Heinegg/Huber aaO. Rn. 75; Halecker/Scheffler in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, AnwaltKommentar StGB, 3. Aufl., § 69 Entziehung der Fahrerlaubnis, Rn. 34). Von dieser Regelwirkung kann nur in seltenen Ausnahmen abgewichen werden, so wenn die Tat selbst Ausnahmecharakter hat, wenn die Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Täters die Gewähr dafür bietet, dass er in Zukunft gleiche oder ähnliche Taten nicht mehr begehen wird, oder wenn ganz besondere vor oder nach der Tat liegende Umstände objektiver oder subjektiver Art festgestellt sind, die den Eignungsmangel entfallen lassen. Es müssen Umstände vorliegen, die sich von den Tatumständen des Durchschnittsfalles deutlich abheben (OLG Stuttgart, Urteil vom 07.01.1997 – 4 Ss 672/96, NZV 1997, 316, 317 m.w.N.). Diese Umstände sind im Urteil zu benennen; die Nichtanordnung der Fahrerlaubnisentziehung trotz Vorliegens eines Regelbeispiels ist eingehend zu begründen (Valerius aaO. Rn. 196).
2.
Das in dem hier vorliegenden Fall einer Unfallflucht bestehende Regel-Ausnahmeverhältnis (vgl. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB) hat das Landgericht beachtet. Die Annahme eines atypischen Ausnahmefalls ist im Hinblick auf die vom Tatgericht herangezogenen und in eine Gesamtwürdigung eingestellten Umstände auch unter Beachtung der hieran zu stellenden gesteigerten Anforderungen vertretbar und daher vom Revisionsgericht zu akzeptieren; ob es selbst zu der gleichen oder zu einer abweichenden Wertung gelangt wäre, ist nicht von Belang.
a) Die Abwägung des Landgerichts ist insbesondere nicht lückenhaft. Auch die Beschwerdeführerin zeigt keine weiteren Umstände auf, deren Erörterung sich in diesem Zusammenhang aufgedrängt hätte.
b) Die vom Landgericht in die Abwägung eingestellten Gesichtspunkte sind entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrer Summe auch geeignet, die gesetzliche Regelvermutung zu widerlegen. Insbesondere wirkt es sich nicht aus, dass das Landgericht die Grenze, ab der ein bedeutender Fremdschaden im Sinne von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB angenommen werden kann, in Abweichung von der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung auf 2.500 Euro bemessen hat.
(a) Zwar ist nach der überwiegenden neueren Rechtsprechung und Literatur unter Berücksichtigung der allgemeinen Preissteigerung die Grenze zum bedeutenden Sachschaden bei jedenfalls nicht über 1.500 Euro anzusetzen (Valerius aaO Rn. 131 sowie die Nachweise bei v. Heintschel-Heinegg/Huber aaO. Rn. 72 und Kretschmer in Mü-Ko-StVR,, StGB § 69 Rn. 48). Die Frage, ob der Tat aufgrund der vergleichsweise geringen Höhe des verursachten Fremdschadens Ausnahmecharakter beizumessen ist (hierzu: v. Heintschel-Heinegg/Huber, aaO. Rn. 76) bemisst sich jedoch nicht an dem Maß des Überschreitens eines Grenzwertes. Maßgebend ist vielmehr, dass sich der konkret verursachte Fremdschaden im Verhältnis zu den denkbaren Fällen der Fahrerflucht als verhältnismäßig niedrig erweist, mithin am Grad der Abweichung vom Durchschnittsfall (Valerius aaO. Rn. 141). Nach diesen Grundsätzen ist die Formulierung des Landgerichts, „die Wertgrenze, die § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB überhaupt anwendbar werden lässt, [sei] zudem auf der Skala der denkbaren Schadensfälle nicht weit überschritten“ (UA S. 5) zwar missverständlich formuliert; der Senat besorgt jedoch nicht, dass die Strafkammer dem Begriff des Regelfalls ein unzutreffendes Verständnis zugrunde gelegt und sich dies auf die Entscheidung ausgewirkt haben kann.
(b) Zwar wird die Regelvermutung zumeist nur dann widerlegt sein, wenn abgesehen von der Schadenshöhe und der Verursachung einer Kollision außerhalb des fließenden Verkehrs die Voraussetzungen des § 142 Abs. 4 StGB gewahrt sind, der Täter also freiwillig innerhalb von 24 Stunden nach einem Unfall die erforderlichen Feststellungen nachträglich ermöglicht hat und lediglich ein Sachschaden eingetreten ist (Valerius aaO. Rn. 161 m.w.N.). Dadurch, dass der Angeklagte (erst) einige Tage nach der Kollision seine Verantwortlichkeit gegenüber dem Geschädigten angezeigt hat, war dem Landgericht die Annahme eines Ausnahmefalls jedoch nicht generell verschlossen. Denn das Landgericht war rechtlich nicht daran gehindert, dem Umstand, dass der Angeklagte seine Kontaktdaten an dem beschädigten Fahrzeug angebracht hatte, noch bevor der in Urlaub befindliche Geschädigte den Schaden bemerkt und zur Anzeige gebracht hat, vergleichbar hohes Gewicht beizumessen. Zudem hat es mehrere weitere mildernde Umstände angeführt, aus denen es zusammen mit der Schadenshöhe in der Summe die Regelvermutung der Ungeeignetheit des Angeklagten für widerlegt ansehen durfte. So hat es namentlich darauf abgestellt, dass die Identifizierung des Angeklagten als Schadensverursacher ohne dessen freiwilliger Offenbarung zumindest erheblich erschwert gewesen wäre. Zudem war der Schaden im Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung bereits vollständig reguliert und die Sache aus Sicht des Geschädigten dadurch erledigt. Ferner ist der Angeklagte trotz einer jährlichen Fahrleistung von ca. 50.000 km in den ca. 14 Monaten zwischen der Tat und der Berufungshauptverhandlung nicht erneut verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten. Das Landgericht hat auch nicht übersehen, dass der Angeklagte wegen einer Nötigungshandlung im Straßenverkehr vorgeahndet war; ausweislich des in den schriftlichen Urteilsgründen hierzu festgestellten Tatsachverhalts ist die Wertung des Landgerichts, diese sowie die abgeurteilte Tat bewegten sich „im deutlich unteren Schwerebereich der Straßenverkehrsdelinquenz“ noch vertretbar.
3.
Der auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin veranlasste Überprüfung der Nebenstrafe auf den Angeklagten benachteiligende Rechtsfehler hält das Urteil des Landgerichts ebenfalls stand.
Das Landgericht war nicht im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot (§ 331 Abs. 1 StPO) daran gehindert, die Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Anordnung eines Fahrverbots zu ersetzen (vgl. Gössel in LR-StPO, 26. Aufl., § 331 Rn. 93 und König in LK-StGB, 13. Aufl., § 44 Rn. 103 jeweils m.w.N.). Die tatsächlichen Voraussetzungen für die Verhängung eines Fahrverbots nach § 44 StGB hat das Landgericht ohne Rechtsfehler festgestellt und ermessensfehlerfrei abgewogen.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO.