OLG Bamberg – Az.: 3 OLG 130 Ss 120/17 – Beschluss vom 22.11.2017
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 6. Juli 2017 aufgehoben,
1. soweit der Angeklagte im Fall 2.b (1) der Urteilsgründe verurteilt worden ist, sowie
2. im Gesamtstrafenausspruch.
II. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung sowie wegen Nötigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu jeweils 20 Euro. Die hiergegen gerichteten Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht als unbegründet verworfen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision.
II.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge führt zu dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen, nämlich soweit sich das Rechtsmittel auch gegen den Schuldspruch wegen Nötigung richtet, ist die Revision unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Nach den für die Teilaufhebung relevanten Feststellungen schlug der Angeklagte mit der flachen Hand in Richtung des Gesichts des „Geschädigten“, was dieser mit seinem Arm abwehren konnte, wobei der Angeklagte zumindest billigend in Kauf nahm, dass der „Geschädigte“ durch die Ohrfeige wenigstens Schmerzen oder sogar eine Verletzung davon tragen konnte. Sodann stieß der Angeklagte mit den flachen Händen an den Brustkorb des „Geschädigten“, um diesen nach hinten wegzustoßen. Schließlich wiederholte der Angeklagte das Wegstoßen gegen den Brustkorb, so dass der „Geschädigte“ nach hinten über die Bordsteinkante auf den Fahrbahnrand gestoßen wurde. Der „Geschädigte“, der dabei kurz das Gleichgewicht verlor, sich aber vor einem Sturz nochmals abfangen konnte, wandte sich sodann vom Angeklagten ab und verließ kurz darauf – ebenso wie der Angeklagte – den Tatort. Das Landgericht hat das Tatgeschehen insoweit als versuchte Körperverletzung gewertet und einen strafbefreiender Rücktritt vom Versuch mit der Begründung verneint, es habe ein beendeter Versuch vorgelegen.
2. Die Verurteilung wegen versuchter Körperverletzung kann keinen Bestand haben.
a) Die Begründung, mit der die Berufungskammer eine Straffreiheit wegen Rücktritts vom Versuch der Körperverletzung verneint hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht ist mit nicht tragfähigen Erwägungen und im Ergebnis zu Unrecht von einem beendeten Versuch ausgegangen und hat sich durch diese fehlerhafte Weichenstellung den Blick auf die Prüfung der Freiwilligkeit des für eine Straffreiheit bei einem unbeendeten Versuch genügenden bloßen Aufgebens der weiteren Tatausführung verstellt.
aa) Die Anforderungen, die an die Straffreiheit wegen freiwilligen Rücktritts gestellt werden, hängen davon ab, ob ein Versuch unbeendet oder beendet ist. Im ersten Fall genügt es für die Bejahung des persönlichen Strafausschließungsgrundes, wenn der Täter die weitere Tathandlung freiwillig aufgibt (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB), während bei einem beendeten Versuch die aktive Verhinderung der Tatvollendung (§§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB) bzw., falls die Tat ohne Zutun des Täters nicht vollendet wird, das freiwillige und ernsthafte Bemühen um deren Verhinderung geboten ist (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB).
bb) Ein Versuch ist beendet, wenn der Täter nach seiner Vorstellung alles für die Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan hat (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 08.06.2016 – 5 StR 564/15 = NStZ 2017, 276 m.w.N.). Dagegen ist der Versuch unbeendet, wenn aus Sicht des Täters noch weitere Handlungen zur Herbeiführung der Tatvollendung erforderlich sind (st.Rspr., vgl. nur BGH a.a.O.; Beschl. v. 23.08.2017 – 5 StR 303/17 [bei juris], jeweils m.w.N.). Seit einer grundlegenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs bereits aus dem Jahr 1982 (BGH, Urt. v. 03.12.1982 – 2 StR 550/82 = BGHSt 31, 170 = NJW 1983, 764 = JZ 1983, 262 = StV 1983, 100 = JuS 1983, 556 = NStZ 1983, 360 = JR 1984, 70) entspricht es ebenfalls ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (aus der neueren Rspr. vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 07.09.2017 – 5 StR 350/17; 29.08.2017 – 4 StR 116/17; 23.08.2017 – 5 StR 303/17 [jeweils bei juris]; 22.03.2017 – 5 StR 6/17 = NStZ 2017, 576 = NJW 2017, 3458; 14.06.2017 – 2 StR 140/17 = NStZ-RR 2017, 303, jeweils m.w.N.), dass bei der für die Beurteilung relevanten Tätervorstellung nicht etwa, wie das Landgericht dies offensichtlich getan hat, auf den ursprünglichen Tatplan abzustellen ist. Vielmehr ist allein entscheidend, welche Vorstellung der Täter im Zeitpunkt nach der letzten Ausführungshandlung hatte (sog. Rücktrittshorizont).
cc) Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe besteht kein ernsthafter Zweifel, dass der Versuch der Körperverletzung unbeendet war. Der Angeklagte, der seinem Opfer mit der Hand ins Gesicht schlagen wollte, hatte erkannt, dass der geführte Schlag den Zeugen nicht getroffen hatte, weil dieser ihn abwehren konnte. Auch nach den anschließenden „Stößen“ gegen den Oberkörper, die nach den tatrichterlichen Feststellungen offensichtlich zu keiner Beeinträchtigung der physischen Unversehrtheit oder des körperlichen Wohlbefindens des Zeugen geführt hatten, weil andernfalls eine Verurteilung nur wegen versuchter Körperverletzung unverständlich wäre, war dem Angeklagten klar, dass er sein Ziel, das Opfer körperlich zu misshandeln, noch nicht erreicht hatte und er deshalb weitere Tätigkeiten zu Erfolgsherbeiführung hätte entfalten müssen, zumal keine Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass der Angeklagte die tatsächlichen Umstände fehlerhaft eingeschätzt hätte. Damit hätte es zur Erlangung der Straffreiheit genügt, wenn der Angeklagte freiwillig, d.h. aus autonomen Gründen von der Tatvollendung Abstand genommen hat und subjektiv noch in der Lage war, das zur Vollendung der Tat Notwendige zu tun (vgl. nur BGH, Urt. v. 28.09.2017 – 4 StR 282/17 [bei juris] m.w.N.), und nicht aus äußerem Zwang (vgl. BGH, Beschl. v. 26.02.2014 – 4 StR 40/14 = NStZ-RR 2014, 171; Urt. v. 22.10.2013 – 5 StR 229/13 = NStZ-RR 2014, 9), wie etwa der Furcht vor Tatentdeckung (vgl. BGH, Urt. v. 28.09.2017 – 4 StR 282/17 [bei juris]; Beschl. v. 19.12.2006 – 4 StR 537/06 = NStZ-RR 2007, 136 = NStZ 2007, 265), vor einem Eingreifen Dritter oder aufgrund der Besorgnis, seinem Gegenüber nicht gewachsen zu sein, sein weiteres Tun aufgegeben hat. Hierzu hat das Landgericht wegen seiner unzutreffenden Weichenstellung konsequent keine Feststellungen getroffen, welche die neue Strafkammer nachzuholen haben wird.
b) Davon, dass der Versuch fehlgeschlagen wäre, was einem freiwilligen Rücktritt entgegenstünde, kann nicht ausgegangen werden. Ein fehlgeschlagener Versuch liegt vor, wenn die Tat nach dem Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält (st.Rspr., vgl. zuletzt u.a. BGH, Beschl. v. 22.08.2017 – 3 StR 299/17 = NStZ-RR 2017, 335). Hierfür ist nach den maßgeblichen Feststellungen der Berufungskammer nichts ersichtlich.
III.
Aufgrund des aufgezeigten Sachmangels ist das angefochtene Urteil in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang aufzuheben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§§ 353, 354 Abs. 2 StPO). Die Aufhebung erstreckt sich auf die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich verwirklichter Beleidigung (st.Rspr., vgl. BGH, Beschl. v. 21.06.2017 – 2 StR 57/16 [bei juris] und 13.04.2017 – 4 StR 581/16 = StraFo 2017, 252 m.w.N.). Jedoch können die Feststellungen bestehen bleiben, da die Beweiswürdigung jedenfalls im Ergebnis keinen durchgreifenden Rechtsfehler aufweist (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie können durch neue ergänzt werden, sofern diese den bisherigen nicht widersprechen. Mit dem Wegfall der Einzelgeldstrafe ist auch der festgesetzten Gesamtgeldstrafe die Grundlage entzogen. Jedoch schließt der Senat aus, dass die für die Nötigung festgesetzte Einzelgeldstrafe hierdurch beeinflusst worden ist.