OLG München – Az.: 4 StRR 171/10 – Urteil vom 12.01.2011
I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 9. August 2010 samt den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Abteilung des Amtsgerichts München zurückverwiesen.
Gründe
I.
Mit Anklageschrift vom 25. März 2010 hat die Staatsanwaltschaft den Angeklagten folgenden Sachverhalt zur Last gelegt:
Die Angeklagten veräußerten in bewusstem und gewollten Zusammenwirken im Rahmen ihres „Kfz-Zulassungsdienstes“ in der L. Straße in M. jeweils gegen Bezahlung eines Geldbetrags amtliche Kurzzeitkennzeichen einschließlich der dazu gehörenden, auf sie oder dritte Personen ausgestellte Fahrzeugscheine an anderweitig Verfolgte Personen, obwohl die Angeklagten die Weiterveräußerung in keinem der Fälle gemäß § 6b StVG bei der dafür zuständigen Zulassungsbehörde angezeigt hatten.
Die amtlichen Kurzzeitkennzeichen einschließlich der dazu gehörigen Fahrzeugscheine hatten die Angeklagten selbst oder durch Vermittlung Dritter jeweils bei der dafür zuständigen Zulassungsstelle unter Vorgabe der Verwendung für eigene Kfz. zu Probe-, Prüfungs- oder Überführungsfahrten erlangt.
Dies wussten die Angeklagten.
Im Einzelnen handelt es sich um folgende Fälle:
1. Das Kurzzeitkennzeichen xx am 08.06.2009 zwischen 15.00 und 16.00 Uhr gegen Bezahlung eines Geldbetrags in Höhe von 60,– Euro unter Vermittlung des anderweitig Verfolgten K. T. an den Zeugen W. M..
2. Das Kurzzeitkennzeichen xx (gültig vom 29.05.2009 bis 02.06.2009) am 01.06.2009 gegen Bezahlung eines Geldbetrags von ca. 60,– Euro unter Beteiligung des anderweitig Verfolgten B. S. an den Zeugen O.A..
3. Das Kurzzeitkennzeichen xx am 14.07.2009 gegen Bezahlung eines Geldbetrags in Höhe von ca. 80,– Euro an den anderweitig Verfolgten B.E.
4. Das Kurzzeitkennzeichen xx am 19.10.2009 gegen Bezahlung eines Geldbetrags in unbekannter Höhe an den anderweitig Verfolgten Z.-J. M.
5. Das Kurzzeitkennzeichen xx am 28.12.2009 gegen Bezahlung eines Geldbetrags von 70,– Euro an den anderweitig Verfolgten G. A.
6. Das Kurzzeitkennzeichen xx (gültig vom 12.01.2010 bis 16.01.2010) zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor dem 13.01.2010 gegen Bezahlung eines Geldbetrags in Höhe von ca. 70,– Euro an den anderweitig Verfolgten O. I.
Das Amtsgericht hat die Angeklagten mit Urteil vom 9. August 2010 aus Rechtsgründen freigesprochen.
Gegen dieses freisprechende Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, die auf die Sachrüge gestützt wird.
II.
Die nach §§ 333, 335 Abs. 1, 337, 341 Abs. 1, 344, 345 Abs. 1 StPO zulässige Sprungrevision der Staatsanwaltschaft erweist sich aufgrund der erhobenen Sachrüge als begründet. Das Urteil des Amtsgerichts München vom 9. August 2010 verletzt § 22a Abs. 1 Nr. 1 StVG.
1. Nach § 22a Abs. 1 Nr. 1 StVG wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer Kennzeichen ohne vorherige Anzeige bei der zuständigen Behörde herstellt, verteilt oder ausgibt. Die Angeklagten haben, indem sie im Rahmen ihres Unternehmens in den angeklagten sechs Fällen Kennzeichen entweder unmittelbar oder durch Vermittlung Dritter weiteren Personen zur Verfügung gestellt und damit das Tatbestandsmerkmal des Ausgebens erfüllt. Unter Ausgeben im Sinne des § 22a Abs. 1 Nr. 1 StVG versteht das Gesetz jede entgeltliche oder unentgeltliche Weitergabe von Kennzeichen, wenn diese entgegen § 6b StVG ohne vorherige Anzeige bei der zuständigen Behörde erfolgt. Dies ist vorliegend der Fall. Die Sichtweise des Amtsgerichts, die Anzeigepflicht nach § 6b Abs. 1 StVG diene ausschließlich der Überwachung der Kfz.-Schilderhersteller greift zu kurz und findet weder im Wortlaut der Vorschrift noch in ihrer Entstehungsgeschichte eine Stütze (BTDrucks 14/8766 S. 59). Die Anzeigepflicht nach § 6b StVG trat an die Stelle des Bescheinigungsverfahrens nach früherem Recht, macht aber keinen Unterschied zwischen Schilderherstellern und sonstigen Personen, die geschäftlich oder in anderer Weise mit Kraftfahrzeugkennzeichen umgehen. Diese Sichtweise wird durch einen Blick auf § 6 Abs. 1 Nr. 8 StVG bestätigt, der – wie auch § 22a StVG – im Zusammenhang mit dem strafrechtlich erheblichen Umgang mit Kraftfahrzeugkennzeichen zu sehen ist.
2. Im Übrigen tritt der Senat der Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft ausdrücklich bei, die ihre Sachrüge in der Revisionsbegründung vom 6. Oktober 2010 wie folgt ausgeführt hat:
Die Vorschriften der §§ 6b, 22a StVG wurden mit dem Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes vom 03.08.1978 (BGBl. I S. 1177) eingeführt. Nach der ausdrücklichen Intention des Gesetzgebers sollte damit insbesondere auch der Missbrauch von Fahrzeugkennzeichen für die Begehung von Straftaten bekämpft werden (vgl. BT-Drucks. 8/971 S. 1, 6, 8). Dieses Ziel kann aber nur dann effektiv erreicht werden, wenn sämtliche Kraftfahrzeugkennzeichen und damit auch die – erst später eingeführten (dazu nachfolgend) Kurzzeitkennzeichen im Sinne von § 16 Abs. 2 FZV den Regelungen der §§ 6b, 22a StVG unterfallen. Ansonsten würde nämlich in diesen Fällen, in denen dann lediglich der Antragsteller bekannt wäre, die Feststellung des Halters und des Fahrers eines Kraftfahrzeugs erschwert und damit der Gesetzeszweck der Bekämpfung des Missbrauchs von Kennzeichen zur Begehung von Straftaten vereitelt.
Zwar wurde das Kurzzeitkennzeichen gemäß § 16 Abs. 2 FZV (ursprünglich § 28 Abs. 4 StVZO), das in den Fällen einer einmaligen Verwendung an die Stelle der roten Kennzeichen trat, erst durch die 27. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 09.03.1998 (BGBl. I S. 441) und damit nach Schaffung der Vorschriften der §§ 6b, 22a StVG eingeführt. Hätte der Gesetzgeber jedoch gewollt, dass diese neue Art von Kennzeichen – anders als die übrigen – nicht dem einheitlichen Begriff des Kennzeichens und damit nicht den Regelungen der §§ 6b, 22a StVG unterfiele, so hätte er dies ausdrücklich geregelt. Nachdem er dies auch mehr als zwölf Jahre nach Einführung des Kurzzeitkennzeichens nicht getan hat, sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Kurzzeitkennzeichen nach dem gesetzgeberischen Willen anders zu behandeln sein sollen als die Kennzeichen im Übrigen.
Zudem gebietet der Gedanke der Parallelität der Vorschrift des § 22 StVG einerseits und des § 22a StVG andererseits, dass Kurzzeitkennzeichen der Strafbarkeit gemäß § 22a StVG unterliegen. Sowohl § 22 StVG als auch § 22a StVG sollen den Kennzeichenmissbrauch bekämpfen. § 22a StVG wurde als ergänzende Maßnahme zu § 22 StVG eingeführt, um auch die Vorbereitungshandlungen zum Kennzeichenmissbrauch im Sinne von § 22 StVG unter Strafe zu stellen (vgl. BT-Drucks. 8/971 S. 7, 8; in diesem Sinne auch Windhorst NZV 2003, 310, 311).
Unzweifelhaft erfasst § 22 StVG Kurzzeitkennzeichen nach § 16 Abs. 2 FZV (vgl. nur Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl. 3010, § 22 StVG Rdn. 2; König in Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl. 2007, § 22 StVG Rdn. 1; Grohmann DAR 2001, 57, 58). Diese vom Gesetzgeber beabsichtigte Ergänzung des § 22 StVG durch § 22a StVG und die damit verbundene Parallelität der beiden Vorschriften setz damit voraus, dass Kurzzeitkennzeichen nach § 16 Abs. 2 FZV ebenso der Strafnorm des § 22a StVG unterfallen.
Ebenso erfordert es der weitere Schutzzweck der Norm des § 22a StVG, dass auch Kurzzeitkennzeichen von dieser Strafvorschrift erfasst werden.
§ 22a StVG schützt das staatliche Zulassungswesen, indem er Verstöße gegen die Anzeigepflicht nach § 6b StVG unter Strafe stellt (vgl. BT-Drucks, 8/971 S. 8; Thiemer NZV 2009, 587, 589 f.; Windhorst NZV 2003, 310, 311 m.w.N.)
Für die Zulassungsstelle muss die Möglichkeit bestehen, die Zweckbestimmung (die ausnahmsweise Inbetriebnahme eines nicht zugelassenen Fahrzeugs für privilegierte Fahrten) und den Bedarf des Kennzeichenerwerbers (§ 16 Abs. 3 FZV; vgl. dazu VG Berlin NZV 2008, 421, 422) zu überprüfen. Dieser Prüfungspflicht könnte aber nicht entsprochen werden, wenn die Weitergabe – sprich der Vertrieb und die Ausgabe – amtlich zugeteilter Kurzzeitkennzeichen nicht der Anzeigepflicht nach § 6b StVG und damit nicht der Strafvorschrift des § 22a StVG unterfiele. Denn dann könnte sich derjenige, der die durch amtliche Zuteilung besorgten Kurzzeitkennzeichen ohne Anzeige nach § 6b StVG weitergibt, entgegen dem Schutzzweck an die Stelle der staatlichen Zulassungsstelle (so auch Windhorst NVZ 2003, 210, 213) setzen und diese zugleich ihrer Prüfungspflicht und –kompetenz entheben.
Unzutreffend ist auch die Auffassung des Amtsgerichts, wonach die Anzeigepflicht nach § 6b StVG – und dementsprechend auch die Strafvorschrift des § 22a StVG – nur die Überwachung der Schilderhersteller betreffe und es nicht Sinn und Zweck der Vorschrift sei, die Weitergabe von amtlich zugelassenen Schildern grundsätzlich zu verhindern oder von einer vorherigen Anzeigepflicht abhängig zu machen. Dieses Verständnis der Regelungen der §§ 6b, 22a StVG steht in eindeutigem Widerspruch zum Wortlaut der Norm und zum Willen des Gesetzgebers.
Der Anzeigepflicht des § 6b StVG und damit auch der Strafnorm des § 33a StVG unterliegt dem Wortlaut nach ausdrücklich derjenige, der Kennzeichen für Fahrzeuge herstellen, vertreiben oder ausgeben will. Damit ist unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, dass davon nicht nur – wie das Amtsgericht meint – die Schilderhersteller betroffen sind, sondern alternativ auch diejenigen, die nach der Herstellung des Kennzeichens dieses lediglich vertreiben oder ausgeben. Sollte die Vorschrift des § 6b und § 22a StVG – wie vom Amtsgericht angenommen – ausschließlich die Herstellung betreffen, wäre die alternative Aufzählung der weiteren beiden Tatbestandsalternativen im Gesetzestext obsolet.
Das hier vertretene Verständnis stimmt – anders als die Auslegung des Amtsgerichts – mit dem Willen des Gesetzgebers überein. Dieser führt in den Gesetzesmaterialien eindeutig aus, dass durch § 6b Abs. 1 StVG das Anzeigeverfahren eingeführt wird, „dem jeder unterliegt, der Kennzeichen herstellen vertreiben oder lediglich ausgeben will. Nicht unter die Anzeigepflicht fällt somit nur die bloße Herstellung von Zwischenprodukten (vgl. BT-Drucks. 8/971 S. 8).
Damit ist klargestellt, dass der Vorschrift des § 6b StVG und damit auch des § 22a StVG sämtliche Schilderbetriebe und Dienstleister auf diesem Sektor unterfallen, unabhängig davon, ob sie die Schilder herstellen, produzieren lassen oder sich diese durch amtliche Zuteilung besorgen und sie anschließend vertreiben oder ausgeben (so auch Thiemer NZV 2009, 587, 590).
Dem steht auch nicht die Erwägung des Amtsgerichts entgegen, wonach sich dann jeder (insbesondere auch jede Privatperson), der sein Kraftfahrzeug samt Kennzeichen ohne vorherige Anzeige nach § 6b StVG veräußere, strafbar mache. Insofern fehlt es regelmäßig bereits an der Tatbestandsmäßigkeit. In diesen Fällen der Veräußerung eines Kraftfahrzeugs, dessen Kennzeichen Zubehör ist, handelt es sich nicht um einen „Vertrieb“ von Kennzeichen. Denn dieser Begriff erfasst seinem Wortsinn nach nicht den einzelnen Verkauf, sondern setzt eine wiederkehrende Tätigkeit voraus (in diesem Sinne auch Thiemer NZV 2009, 587, 590).
3. Ergänzend zu diesen sorgfältig und rechtlich auch zutreffenden Überlegungen sieht sich der Senat nur noch zu folgenden ergänzenden Rechtsausführungen veranlasst: Unabhängig davon, dass § 22a StVG strafbare Handlungen im Umgang mit Kraftfahrzeugen auch denjenigen der Art nach § 16 Abs. 2 FZV unterbinden will, bewehrt § 22a StVG Handlungen mit Strafe, die das staatliche Zulassungswesen unterlaufen (Windhorst NZV 2003, 310/314). Das staatliche Zulassungswesen rechtfertigt sich, was die Strafzwecke anbelangt, aus der Aufgabenstellung der Abwehr von Gefahren, die vom Betrieb von Fahrzeugen im öffentlichen Verkehr ausgehen können. Die Prüfung der Zulassungsfähigkeit von Fahrzeugen nach der FZV oder nach der StVZ ist somit im weiteren Sinne Polizeiaufgabe, welcher der Gesetzgeber, ohne gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu verstoßen oder sich dem Vorwurf der Willkür auszusetzen, den Rang eines Rechtsguts zu erkennen kann, dass sein strafrechtlicher Schutz erforderlich ist. Neben der staatlichen Zulassung lässt das Gesetz private zulassungsähnliche Dienste grundsätzlich nicht zu. Nach dem von Amtsgericht im aufgehobenen Urteil aber festgestellten Sachverhalt haben die Angeklagten im Rahmen ihres Dienstleistungsunternehmens aber gerade ein solches Unterfangen unternommen.
III.
Da das Urteil des Amtsgerichts München vom 9. August 2010 als Sachverhalt nur den Sachverhalt der Anklageschrift vom 25. März 2010 wiedergibt und darüber hinaus keine Tatsachenfeststellungen getroffen hat, waren Behördengepflogenheiten im Umgang mit der Ausgabe von Kurzzeitkennzeichen dem Senat zur Beurteilung nicht zugänglich ebenso wenig das Vorstellungsbild der Angeklagten darüber, dass wegen der zwischen ihnen und der Zulassungsstelle geübten Praxis sie von der Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens ausgingen.
IV.
Das Urteil des Amtsgerichts München vom 9. August 2010 war daher auf die Revision der Staatsanwaltschaft samt den zugrunde liegenden Feststellungen gemäß § 353 StPO aufzuheben; die Sache war zu erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts München zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).