LG München I – Az.: 12 Qs 7/22 – Beschluss vom 29.03.2022
In dem Ermittlungsverfahren wegen Urkundenfälschung erlässt das Landgericht München I – 12. große Strafkammer – durch die unterzeichnenden Richter am 29. März 2022 folgenden Beschluss
1. Die Beschwerde der Beschuldigten pp. vom 24.02.2022 gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts München vom 17.12.2021, Aktenzeichen ER V Gs 501/22, mit dem Antrag festzustellen, dass der angefochtene Durchsuchungsbeschluss rechtswidrig war, wird als unbegründet verworfen.
2. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Rechtsmittels.
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft München I führt seit 22.12.2021 ein Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigte pp. wegen Urkundenfälschung.
Der Beschuldigten lag zur Last, am 18.10.2021 einen gefälschten Impfpass in der pp.-Apotheke, München vorgelegt zu haben, um ein digitales Impfzertifikat zu erlangen. Aus dem Dokument ging hervor, dass die Beschwerdeführerin zweimal im Klinikum Stuttgart gegen das Coronavirus geimpft worden sein soll.
Das digitale Impfzertifikat wurde aufgrund von Zweifeln an der Echtheit der darin bescheinigten Coronaimpfzertifikate durch die Apotheke zunächst nicht erteilt, stattdessen wurde durch die Apotheke eine Anfrage hinsichtlich der im Impfpass genannten Chargennummern bei der Taskforce Impfen in Baden-Württemberg gestellt.
Am Folgetag wurde der Impfpass an die Beschuldigte wieder ausgehändigt, wobei eine Antwort hinsichtlich der genannten Anfrage an die Taskforce Baden-Württemberg zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingegangen war. Am 22.11.2021 wurde von der Taskforce die Auskunft erteilt, dass die Chargennummern nicht verimpft wurden.
Die Zeugin pp., Apothekerin der pp. Apotheke, erstattete daraufhin am 24.11.2021 Strafanzeige gegen die Beschuldigte bei der Polizeiinspektion 13 in München.
Das Amtsgericht München erließ auf Antrag der Staatsanwaltschaft München I am 17.12.2021 einen Durchsuchungsbeschluss gem. § 102 StPO für die Wohnung der Beschwerdeführerin in der pp., München wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB. Es wurde die Durchsuchung nach folgenden Gegenständen angeordnet: (gefälschter) Impfpass, weitere (Blanko-) Impfpässe, digitale(s) Impfzertifikat(e), sowie Datenträger (insbes. Handy, Laptop, PC) und sonstige Unterlagen, aus denen Erkenntnisse auf die Herkunft des gefälschten Impfpasses gewonnen werden können.
Der Durchsuchungsbeschluss wurde am 03.02.2022 durch das Kommissariat 65 des Polizeipräsidiums München vollzogen.
Bei der Durchsuchung wurden folgende Gegenstände sichergestellt beziehungsweise beschlagnahmt: Zwei digitale Covidzertifikate der EU 1/2 und 2/2, ein gelbes Impfbuch, ein Laptop Marke ASUS mit Ladekabel, ein Mobiltelefon Marke HUAWEI.
Auf dem Handy der Beschuldigte konnten zwei digitale Impfzertifikate festgestellt werden.
Die Beschuldigte machte am 03.02.2022 keine Angaben zur Herkunft des Impfpasses, teilte jedoch mit, dass sie das digitale Impfzertifikat in einer Apotheke in pp., ausgestellt wurde. Sie fügte später zu der Vernehmung noch hinzu, dass sie sich aus Angst nicht habe impfen lassen, weil sie in der Vergangenheit auf ein Medikament allergisch reagiert habe. In ihrer Arbeit sei es gewünscht, dass man geimpft sei. Sie habe Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.
Der Laptop ASUS wurde an die Beschuldigte zwischenzeitlich wieder ausgehändigt.
Mit Schriftsatz vom 24.02.2022 beantragte der Verteidiger der Beschuldigten, Rechtsanwalt pp. festzustellen, dass die mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 17.01.2022 angeordnete Wohnungsdurchsuchung rechtswidrig war und die Sicherstellung / Beschlagnahme für rechtswidrig zu erklären und aufzuheben.
Die Staatsanwaltschaft München I legte den Schriftsatz des Verteidigers mit Verfügung vom 28.02.2022 dem Amtsgericht München vor mit dem Antrag, der Beschwerde nicht abzuhelfen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass eine Strafbarkeit gem. § 279 StGB a.F. vorläge.
Das Amtsgericht München half der Beschwerde mit Beschluss vom 03.03.2022, Aktenzeichen ER V Gs 2747/22 nicht ab.
Mit Verfügung vorn 07.03.2022 beantragte die Staatsanwaltschaft München I „die wohl als Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts München vom 17.01.202, ER V Gs 510/22 auszulegenden Antrag des Verteidigers […] als unbegründet zu verwerfen.“
Die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss ist zulässig und hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
II.
Die Beschwerde vom 24.02.2022 gegen den Durchsuchungsbeschluss vom 17.12.2022 ist statthaft und auch sonst zulässig, § 306 Abs. 1 StPO. Die Beschwerde, gerichtet auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der mittlerweile erledigten richterlich angeordneten Durchsuchung ist statthaft. Für die Überprüfung der erledigten Maßnahmen besteht ein Rechtsschutzinteresse (BVerfG NJW 1997, 2163, BVerfG NJW 2002, 1333; 2005, 1855), denn durch die Maßnahme wurde tiefgreifend in Grundrechte eingegriffen.
Die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss vom 17.12.2021 hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen für den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses nach § 102 StPO lagen zum Zeitpunkt des Erlasses vor.
Zwar war die Vorlage des Impfausweises in der Apotheke nach Maßgabe der zum Zeitpunkt der Handlungen geltenden Straftatbestände nicht strafbar, jedoch bestand dennoch ein Anfangsverdacht hinsichtlich des Gebrauchens des gefälschten Impfausweises zur Täuschung von Behörden über den Gesundheitszustand.
1. Keine Strafbarkeit wegen der Vorlage in einer Apotheke
a) Eine Strafbarkeit gemäß § 275, 276 StGB aF wegen der Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen kommt nicht in Betracht. Tatgegenstand der §§ 275, 276 StGB aF sind amtliche Ausweise, d.h. Urkunden, die von einer tatsächlich existierenden Behörde oder sonstigen Stelle, öffentlicher Verwaltung ausgestellt wurden, um zumindest auch die Identität der Person nachzuweisen (BGH StV 2015, 360, OLG Köln, Beschluss vom 06.10.2009 — 81 Ss 43/09). Ein Impfausweis wird von Ärztinnen und Ärzten sowie deren Hilfspersonal ausgestellt. Daher handelt es sich nicht um einen amtlichen Ausweis im Sinne dieser Vorschriften (LG Kaiserslautern, Beschluss vom 23.12.2021 — 5 Qs 107/21, LG Osnabrück, Beschluss vom 27.10.2021 — 3 Qs 38/21).
b) Aufgrund der Vorlage eines gefälschten Impfausweises in einer Apotheke, ist eine Strafbarkeit gem. §§ 277, 279 StGB aF nicht gegeben. Bei einem Impfausweis handelt es sich um ein Gesundheitszeugnis, d.h. eine Bescheinigung über den gegenwärtigen Gesundheitszustand eines Menschen, über frühere Krankheiten sowie ihre Spuren und Folgen oder über Gesundheitsaus-sichten, wobei auch Angaben tatsächlicher Natur, so etwa über erfolgte Behandlungen bzw. deren Ergebnis erfasst sind, wobei nicht erforderlich ist, dass die Bescheinigung eine Diagnose oder sachverständige Stellungnahme enthält (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.09.2013 — 2 Ss 519/13). Durch die Impfbescheinigung steht fest, dass dem Patienten ein Impfstoff gegen eine COVID-Erkrankung verabreicht wurde und dass die Körperzellen des Patienten dem Wirkstoff zumindest übergangsweise ausgesetzt wurden. Unschädlich im Hinblick auf die Einordnung als Gesundheitszeugnis ist, dass ein Impfpass keine Aussage über die Wirksamkeit im Hinblick auf eine etwaige Immunisierung enthält (vgl. LG Kaiserslautern, Beschluss vom 23.12.2021 — 5 Qs 107/21).
Das Tatbestandsmerkmal der Vorlage zur Täuschung einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft ist nicht erfüllt. Die Beschuldigte legte ihren gefälschten Impfpass am 18.10.2021 bei einer Apotheke zur Erlangung eines digitalen Impfpasses vor. Bei einer Apotheke handelt es sich jedoch nicht um einen geeigneten Vorlageadressaten im Sinne des § 279 StGB aF, denn man-gels Eingliederung in das staatliche Eingliederungsverwaltungsgefüge handelt es sich bei einer Apotheke nicht um eine Behörde im Sinne dieser Vorschrift, wobei auch § 22 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 IfSG hieran nichts ändert (vgl. LG Osnabrück, Beschluss vom 28.10.2021, 3 Qs 38/21, LG Kaiserslautern, Beschluss vom 23.12.2021 — 5 Qs 107/21).
c) Eine Strafbarkeit gem. § 279 StGB aF ergibt sich auch nicht daraus, dass die Apotheke die Daten gem. § 22 Abs. 2 S.1, Abs. 4 IfSG an das Robert-Koch-Institut, d.h. an eine Behörde, weiter-leitet. Eine Zurechnung des Handelns der Apotheke zur Beschuldigten ist nur über die Vorausset-zungen der mittelbaren Täterschaft möglich. Jedoch wird dem Robert-Koch-Institut das Gesundheitszeugnis nicht vorgelegt, d.h. nicht sinnlich wahrnehmbar zugänglich gemacht. Dem Robert-Koch-Institut werden von der Apotheke lediglich die in dem gefälschten Impfausweis enthaltenen Daten übermittelt. Daher liegt kein Gebrauchmachen im Sinne des § 279 StGB aF vor (vgl. LG Kaiserslautern, Beschluss vom 23.12.2021 — 5 Qs 107/21)
e) Eine Strafbarkeit gem. § 271 StGB ist nicht gegeben. Mangels Prüfungsmöglichkeit des Robert-Koch-Instituts wird das digitale Impfzertifikat nicht mit öffentlichem Glauben versehen LG Kaiserslautern, Beschluss vom 23.12.2021 — 5 Qs 107/21).
f) Eine Strafbarkeit gem. § 267 Abs. 1 StGB scheidet aus, da der Rückgriff auf die Vorschrift durch die speziellen Vorschriften der §§ 277 bis 279 StGB gesperrt ist (vgl. OLG Bamberg, Be-schluss vom 17.01.2022 —1 Ws 732-73/21, LG Osnabrück, Beschluss vom 27.10.2021 — 3 Qs 38/21, LG Kaiserslautern, Beschluss vom 23.12.2021- 5 Qs 107/21).
g) Auch eine Strafbarkeit gem. §§ 75a Abs. 3 Nr. 1 IfSG scheidet aus, da dieser Straftatbestand voraussetzt, dass die Eintragung im Impfpass von einer „zum Durchführen von Schutzimpfungen berechtigten Person“ (§ 22 Abs. 1 IfSG) vorgenommen wurde (LG Osnabrück, Beschluss vom 27.10.2021,5 Qs 107/21, Gaede / Krüger, NJW 2021, 2159), wofür vorliegend keine Anhaltspunkte gegeben sind.
2. Jedoch bestand ein Anfangsverdacht hinsichtlich der Begehung einer Straftat gemäß § 279 StGB aF durch Vorlage des gefälschten Impfausweises bei Behörden.
Voraussetzung für den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Straftat begangen wurde. Hierfür müssen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen genügen hierfür nicht, andererseits bedarf es aber auch keines hinreichenden oder dringenden Tatverdachts (Mey-er-Großner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 102, Rn. 2).
a) Bei dem Impfpass handelt es sich um ein objektiv fehlerhaftes Gesundheitszeugnis, da eine nicht erfolgte COVID-Impfung attestiert wird.
Zudem bestand zumindest der Anfangsverdacht hinsichtlich des Gebrauchens zur Täuschung einer Behörde.
Nach Auffassung der Kammer besteht allein aufgrund des Besitzes eines gefälschten Impfaus-weises eine Wahrscheinlichkeit dahingehend, dass der Impfausweis im täglichen Leben gebraucht wurde und damit auch zur Täuschung von Behörden zur Vorlage kam. Der Zweck des Besitzes eines gefälschten Impfausweises ist eine COVID-Impfung zu umgehen und dennoch ohne Beschränkungen am täglichen Leben umfassend teilnehmen zu können. Dies umfasst nicht nur den Zugang zur Gastronomie und Freizeitangeboten, sondern auch den Umgang mit Behörden, wie z.B. Schulbehörden, Universitäten, öffentlichen Arbeitgebern, aber auch etwa öffentlichen Kliniken und Krankenhäusern, welche auch Behörden sind (vgl. BGH NStZ 1984, 231), etwa zu Besuchszwecken, staatlichen Museen oder Kunstsammlungen, staatlichen Theaterbetrieben, staatlichen Gesundheitsämtern – beispielweise als Kontaktperson zu einer/m Infi-zierten -, etc., mit denen auch Privatpersonen regelmäßig Umgang haben.
Allein aus dem Besitz eines gefälschten Impfausweises ergibt sich demnach bereits ein Anfangsverdacht dahingehend, dass dieser – auch bei Behörden – eingesetzt wird, dem zur Erhärtung eines weiteren Tatverdachts nachgegangen werden durfte und sogar musste. Aus dem Besitz eines gefälschten Impfausweises ergibt sich zwanglos der Verdacht, eines vorsätzlichen Gebrauchs.
Zwar bestand zum Zeitpunkt der Durchsuchung keine Kenntnis der Ermittlungsbehörden von der Anstellung der Beschuldigten beim Bayerischen Staatsschauspiel, einer Behörde i.S.d. § 279 StGB aF, dies hindert jedoch aus Sicht der Kammer den Anfangsverdacht nicht. Eine vorherige Ermittlung des Arbeitgebers oder Anfrage dort Anfrage durch die Staatsanwaltschaft München I vor der Durchsuchung war nicht veranlasst, da damit die Gefahr einer zeitlichen Verzögerung oder Kenntniserlangung der Beschuldigten vom Ermittlungsverfahren und damit eines Beweismittelverlustes bestand.
b) Da es sich bei dem Durchsuchungsobjekt um die Wohnanschrift der Beschuldigten handelte, war davon auszugehen, dass die im Durchsuchungsbeschluss bezeichneten Gegenstände dort aufzufinden sind.
c) Die Durchsuchungsanordnung war verhältnismäßig. § 279 StGB aF sieht eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr vor. Generalpräventive Gründen werden jedoch im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten der Beschuldigten zu berücksichtigen sein. Mildere, gleich geeignete Maßnahmen sind nicht ersichtlich.
Der Durchsuchungsbeschluss ist demnach rechtmäßig ergangen.
Soweit sich der Verteidiger mit Schriftsatz vom 24.02.2022 gegen die Beschlagnahme der o.g. Gegenstände wendet, handelt es sich insoweit um einen Antrag auf richterliche Bestätigung der Beschlagnahme gemäß § 98 Abs. 2 S. 2 StPO und nicht um eine Beschwerde gegen die richterliche Beschlagnahmeanordnung.
Ordnet ein Richter – etwa gleichzeitig mit dem Erlass eines Durchsuchungsbefehls – die Beschlagnahme von Gegenständen an, bevor diese von den Strafverfolgungsbehörden in amtlichen Gewahrsam genommen worden sind, und bezeichnet er die Gegenstände nicht so genau, dass keine Zweifel darüber entstehen, ob sie von der Beschlagnahmeanordnung erfasst sind, dann liegt noch keine wirksame Beschlagnahmeanordnung vor, sondern nur eine Richtlinie für die Durchsuchung.
In einem solchen Fall hat ein Beschwerdeführer zunächst eine Entscheidung gem. § 98 II 2 StPO über die Bestätigung der Beschlagnahme konkreter Beweismittel herbeizuführen. Eine gegen die unwirksame Beschlagnahmeanordnung gerichtete Beschwerde ist entsprechend auszulegen. Die Nichtabhilfeentscheidung ersetzt nicht die richterliche Bestätigung der Beschlagnahme gem. § 98 II 2 StPO (OLG Koblenz, NStZ, 2007, 285).
So liegt es hier. Die Beweismittel sind in dem Durchsuchungsbeschluss nicht hinreichend genau bezeichnet, sodass noch keine wirksame richterliche Beschlagnahmeanordnung vorliegt. Insbesondere liegt im Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts München vom 03.03.2022, Aktenzeichen ER V Gs 2747 / 22, keine richterliche Beschlagnahmebestätigung. Der Beschluss bezieht sich offensichtlich nur auf die Durchsuchungsanordnung.
IV. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 StPO.