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Strafklageverbrauch – Teilrücknahme Einspruch gegen Bußgeldbescheid

KG Berlin – Az.: 3 Ws (B) 189/16 – 162 Ss 33/16 – Beschluss vom 29.04.2016

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 14. Dezember 2015 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben,

2. die weitergehende Rechtsbeschwerde wird gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe, dass der Verstoß gegen das Benutzungsverbot eines Mobiltelefons nach § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO vorsätzlich gegangen worden ist, als unbegründet verworfen und

3. die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

Mit dem Bußgeldbescheid vom 3. Dezember 2014 hat der Polizeipräsident X gegen die Betroffene wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoßes eine Geldbuße von 430 Euro, wegen eines Verstoßes gegen das Benutzungsverbot eines Mobiltelefons eine Geldbuße von 60 Euro und wegen des Nichtmitsichführens der Zulassungsbescheinigung eine Geldbuße von 10 Euro sowie ein einmonatiges Fahrverbot festgesetzt. Dagegen hat die Betroffene Einspruch einlegt, den sie mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 14. September 2015 auf den Vorwurf des fahrlässigen Rotlichtverstoßes beschränkt hat. Unter dem 2. Oktober 2015 hat das Amtsgericht dem Verteidiger mitgeteilt, dass es diese Beschränkung für unwirksam hält, weil es entgegen dem Bußgeldbescheid von einer tateinheitlichen Begehung der Ordnungswidrigkeiten ausgeht. Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat die Betroffene am 14. Dezember 2015 wegen der zuvor genannten, in Tateinheit zueinanderstehenden Vorwürfe zu einer Geldbuße von 300,00 Euro nach §§ 23 Abs.1a (ergänzt: Satz 1) StVG, 37 Abs. 2 (ergänzt: Nr. 2 Satz 7), 49 (ergänzt: Abs. 1 Nr. 20, Abs. 3 Nr. 2) StVO, 11 Abs. 5, 48 (ergänzt: Nr. 5) FZV i.V.m. §§ 24 (ergänzt: Abs. 1, 26a Abs. 1 Nr. 2 StVG, 1 Abs. 2 Abschnitt I lfd. Nr. 174 und Abschnitt II lfd. Nr. 246.1 BKatV) verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat nach §§ 25 (ergänzt: Abs. 1 Satz 1, 26a Abs. 1 Nr. 3 StVG, 4 Abs. 1 Nr. 3, lfd. Nr. 132.3 BKatV) angeordnet.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts stand die Betroffene am 13. Oktober 2014 um 11.12 Uhr in X mit ihrem PKW an der rotlichtabstrahlenden Lichtzeichenanlage der Kreuzung S.-Straße/A.-straße, BAB Zu- und Abfahrt Richtung Osten. Sie hielt zeitgleich ihr Mobiltelefon in der linken Hand und tippte mit der rechten Hand auf dem Tastenfeld. Nach Umschalten der Ampel auf Grün fuhr sie in der linken Geradeausspur auf die Kreuzung S.-Straße/R.-straße zu, während sie weiter auf dem Handy tippte. Ca. 1 bis 2 Fahrzeuglängen vor der Haltelinie wechselte sie plötzlich in die Linksabbiegerspur und fuhr in die Kreuzung ein, obgleich die Lichtzeichenanlage für die Linksabbieger bereits auf Rot geschaltet hatte, als sich das Fahrzeug noch ca. 5 Fahrzeuglängen vor der Haltelinie befand. In der Kreuzungsmitte bremste sie stark ab, weil ihr ein Fahrzeug entgegenkam, das ihretwegen kurz hinter seiner Haltelinie ebenfalls abrupt abbremsen musste. Sie kam auf dem linken Fahrstreifen des Gegenverkehrs zum Stehen. Die Betroffene hielt zu diesem Zeitpunkt immer noch ihr Handy in der Hand am Ohr und telefonierte.

Bei der polizeilichen Kontrolle konnte sie ihre Fahrzeugzulassung nicht vorlegen.

In der Hauptverhandlung räumte die Betroffene den Verstoß gegen die Pflicht, die Zulassungsbescheinigung mit sich zuführen und auf Verlangen den sie kontrollierten Polizeibeamten vorzulegen, ein, während sie die weiteren Vorwürfe zurückwies.

Mit der gegen das Urteil des Amtsgerichts gerichteten Rechtsbeschwerde rügt die Rechtmittelführerin die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG zulässig und hat mit der allgemeinen Sachrüge – aber nur im Rechtfolgenausspruch – Erfolg.

1. Die Verfahrensrüge, durch teilweise Rücknahme des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid vom 3. Dezember 2014, sei Strafklageverbrauch nach § 84 Abs. 1 OWiG eingetreten, dringt nicht durch. Das Verfahren ist nicht nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 206a StPO einzustellen, weil ein Verfahrenshindernis nicht besteht.

a) Entgegen der Auffassung des Verteidigers führt die teilweise Rücknahme des Einspruchs nicht dazu, dass die Betroffene gemäß § 84 Abs. 1 OWiG wegen des Vorwurfs des qualifizierten Rotlichtverstoßes nicht mehr verurteilt werden könnte. Denn die Beschränkung des Einspruches war aus Rechtsgründen unwirksam. Auch wenn nach § 67 Abs. 2 OWiG der Einspruch „auf bestimmte Beschwerdepunkte“ beschränkt werden kann, gilt dies – ebenso wie bei der Berufung (§ 318 Satz 1 StPO) und dem Einspruch gegen einen Strafbefehl (§ 410 Abs. 2 StPO) – nicht, wenn die maßgeblichen Handlungen eine einheitliche Tat im Sinne des § 19 OWiG, § 52 StGB betrifft (vgl. Senat, Beschluss vom 14. April 2014 – 3 Ws (B) 197/14 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Juni 2009 – VI -2a Kart 2-6/08 Owi -; Bohnert in Karlsruher Kommentar, OWiG 3. Aufl., § 67 Rn. 57, 58f m.w.N.; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO 58. Aufl., § 318 Rdnr. 11; BGH NStZ 2003, 264 [Revision]). Die Zulässigkeit einer nachträglichen Beschränkung des Einspruchs durch Teilrücknahme ist nach den gleichen Maßstäben zu beurteilen (vgl. Bohnert in Karlsruher Kommentar, a.a.O., § 67 Rn. 59).

b) Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Bußgeldbehörde die Taten als tatmehrheitlich begangen gewürdigt und demzufolge drei Geldbußen festgesetzt hat. Bei der Prüfung der Wirksamkeit der Beschränkung ist nämlich nicht auf die Beurteilung der Konkurrenzverhältnisse im Bußgeldbescheid abzustellen. Vielmehr sind die Konkurrenzen vom Gericht von Amts wegen eigenständig zu bewerten. Das Ergebnis ist der Prüfung der Zulässigkeit einer Beschränkung des Einspruchs zugrunde zu legen (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O. m.w.N.; BGH a.a.O. [Revision]). Dass das Gericht an eine rechtliche Vorbewertung durch die Bußgeldbehörde nicht gebunden ist, ergibt sich aus § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 411 Abs. 4 StPO. Dies gilt nicht nur für die Rechtsfolgen, sondern auch für den Schuldspruch, also für die rechtliche Bewertung der zur Aburteilung stehenden Tat (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 411 Rn. 11).

c) Auch wenn aus den Urteilsgründen zu erkennen ist, dass das Amtsgericht – irrig meint – es hätte nur noch wegen des Rotlichtverstoßes verurteilen dürfen, ergibt sich aus dem Urteilstenor eindeutig, dass es – entsprechend dem gerichtlichen Schreiben vom 2. Oktober 2015 – die durch den Bußgeldbescheid beschriebenen Taten im Verhältnis der Tateinheit stehend gewürdigt und eine einheitliche Geldbuße verhängt hat. Diese Feststellung ist das Ergebnis der Beweisaufnahme. Die Taten bilden eine natürliche Handlungseinheit, weil sie in einem solchen unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, dass das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen Dritten (objektiv) als ein einheitlich zusammengefasstes Tun anzusehen ist (vgl. Gürtler in Göhler, OWiG 16. Aufl. vor § 19 Rn. 3, § 19 Rn. 2; Bohnert in Karlsruher Kommentar, a.a.O., § 19 Rn. 19 jeweils m.w.N.).

d) Ungeachtet dieser Erwägungen kann eine wegen des Doppelbestrafungsverbotes von Amts wegen zu berücksichtigende Sperrwirkung nur von einer rechtskräftigen Entscheidung ausgehen, der eine sachlich abschließende Prüfung der Vorwürfe zugrunde liegt und zwar unabhängig davon, ob es sich bei den Vorwürfen prozessual um eine Tat handelt. Strafklageverbrauch tritt hingegen nicht ein, wenn die Vorwürfe Gegenstand desselben, durch einen einheitlichen Bußgeldbescheid abgeschlossenen Vorverfahrens waren und die gerichtliche Entscheidung in (teilweiser) Fortsetzung dieses Verfahrens ergeht (Senat, Beschluss vom 9. Oktober 2015 – 3 Ws (B) 403-404/15 -; OLG Düsseldorf, Urteil vom 26. Juni 2009 – VI-2a Kart 2-6/08 OWi -, juris Rn. 376). So liegt der Fall hier. Die Entscheidung des Amtsgerichts vom 14. Dezember 2015 stellt sich als Fortsetzung des mit Bußgeldbescheid vom 4. Dezember 2014 abgeschlossenen Vorverfahrens dar.

2. Die Sachrügen sind aus den zutreffenden Gründen der Generalstaatsanwaltschaft nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe unbegründet, dass der Tenor wegen des Verstoßes gegen das Benutzungsverbot für Mobiltelefone nach § 23 Abs. 1a Satz 1 StVG (Handyverstoß) dahin gehend zu berichtigen war, dass diese Ordnungswidrigkeit vorsätzlich begangen worden ist. Denn nach lfd. Nr. 246.1 Abschnitt II der Bußgeldkatalog-Verordung „ vorsätzlich begangene Ordnungswidrigkeiten“ ist ein solcher Verstoß regelmäßig vorsätzlich (König in Henschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 23 Rn. 38 m.w.N.). Anhaltspunkte für ein Abweichen von diesem Grundsatz ergeben die Urteilsfeststellungen nicht. Die Schuldspruchänderung ist zulässig; die Betroffene ist dadurch nicht beschwert.

3. Der Rechtsfolgenentscheidung kann keinen Bestand haben, da die getroffenen Feststellungen eine Verurteilung wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes nicht tragen.

Die Generalstaatsanwaltschaft führt dazu aus:

„Sowohl die Angaben zur gefahrenen Geschwindigkeit der Betroffenen als auch zum Abstand zur Haltelinie beim Umschalten des Ampellichts auf Rot erweisen sich als nicht näher nachvollziehbare Schätzungen, die dem Senat bislang eine ausreichend zuverlässige Prüfung eines Rotlichtverstoßes von über 1 Sekunde Dauer nicht ermöglicht. Woraus genau sich aus den Zeugenaussagen ergeben soll, dass die Betroffene nicht schneller als die erlaubten 50 km/h gefahren sei, erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht, zumal diesbezügliche Anknüpfungstatsachen für eine offenbar nicht auf Messung beruhende Einschätzung der Beweiswürdigung nicht zu entnehmen sind. Auch der Abstand zur Haltelinie zum maßgeblichen Zeitpunkt des Umspringens des Ampellichts auf Rot lässt sich dem Urteil nicht hinreichend zweifelsfrei entnehmen. Ungeachtet der Widersprüchlichkeit, dass insoweit zum einen von ca. 5 Fahrzeuglängen, zum anderen von 5 Metern die Rede ist, wird jedenfalls auch nicht dargelegt, welches konkrete Maß einer Fahrzeuglänge zugrunde gelegt worden ist. Angesichts der somit nicht hinreichend bestimmbaren Variablen lässt sich ein qualifizierter Rotlichtverstoß nicht ausreichend zweifelsfrei belegen. Auch aus dem Umstand, dass auf der Kreuzung ein entgegenkommendes Fahrzeug abrupt abbremsen musste, kann der Vorwurf nicht ausreichend zweifelsfrei abgeleitet werden, da es insoweit der Heranziehung und Auswertung eines Ampelschaltplanes bedürfte und zudem festgestellt werden müsste, ob sich auch der andere Verkehrsteilnehmer seinerseits überhaupt verkehrsgerecht verhalten hatte.“

Der Senat tritt diesen zutreffenden Ausführungen bei.

4. Die Darstellungsmängel nötigen zum Aufheben des Rechtsfolgenausspruches mit den zugrundeliegenden Feststellungen nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 353 StPO. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass weitere Feststellungen zu einem qualifizierten Rotlichtverstoß in einer neuen Hauptverhandlung getroffen werden können, wird die Sache, auch zur Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde, nach § 79 Abs. 6 OWiG an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen.

5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat in Anlehnung an die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft daraufhin, dass die Berücksichtigung des Bußgeldbescheides vom 24. April 2014 zum Nachteil der Betroffenen bei der Festsetzung der einheitlichen Geldbuße besonderer Prüfung zu unterziehen ist, da möglicherweise für diese Eintragung Tilgungsreife eingetreten sein könnte.

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