Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Verfahrenshindernis stoppt Bestechungsverfahren: Autofahrer entgeht Strafverfolgung nach Ordnungswidrigkeitsurteil
- Handyverstoß und Bestechungsversuch im Fokus der Ermittlungen
- Vorherige Verurteilung wegen Ordnungswidrigkeit als Grundlage für Verfahrenseinstellung
- Die prozessuale Tat: Einheitlicher Lebensvorgang zwischen Ordnungswidrigkeit und Bestechung
- Innere Verknüpfung und Motivzusammenhang entscheidend für Tateinheit
- Konsequenz: Verfahrenseinstellung und Kostenübernahme durch die Staatskasse
- Bedeutung für Betroffene: Schutz vor Doppelbestrafung
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was bedeutet „Verfahrenshindernis“ im Zusammenhang mit Bestechung genau?
- Wann kann eine bereits erfolgte Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit ein Strafverfahren wegen Bestechung verhindern?
- Was bedeutet „prozessuale Tat“ und warum ist sie wichtig bei der Beurteilung, ob ein Verfahrenshindernis vorliegt?
- Welche Rolle spielt das Motiv bei der Beurteilung, ob eine Ordnungswidrigkeit und ein Bestechungsversuch als „dieselbe prozessuale Tat“ gelten?
- Wer trägt die Kosten, wenn ein Strafverfahren wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt wird?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landgericht Stuttgart
- Datum: 15.03.2023
- Aktenzeichen: 1 ORs 28 Ss 120/23
- Verfahrensart: Revisionsverfahren
- Rechtsbereiche: Strafrecht, Strafprozessrecht
- Beteiligte Parteien:
- Der Angeklagte: Ihm wurde vorgeworfen, sich der Bestechung schuldig gemacht zu haben. Er legte Revision gegen das Urteil des Landgerichts ein.
- Die Staatsanwaltschaft: Sie hatte gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung eingelegt.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, am 29. Juni 2021 während der Fahrt in Stuttgart-Feuerbach ein Mobiltelefon benutzt zu haben und daraufhin den ihn kontrollierenden Polizeibeamten ein Bestechungsgeld angeboten zu haben. Das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt verurteilte ihn daraufhin wegen Bestechung zu einer Geldstrafe.
- Kern des Rechtsstreits: Die Rechtmäßigkeit des Urteils des Landgerichts Stuttgart, welches die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts verwarf.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Urteil des Landgerichts Stuttgart wurde aufgehoben und das Verfahren eingestellt.
- Folgen: Die Kosten des Verfahrens, einschließlich des Revisionsverfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen, fallen der Staatskasse zur Last.
Der Fall vor Gericht
Verfahrenshindernis stoppt Bestechungsverfahren: Autofahrer entgeht Strafverfolgung nach Ordnungswidrigkeitsurteil

Das Landgericht Stuttgart hat in einem Beschluss vom 15. März 2023 (Az.: 1 ORs 28 Ss 120/23) ein Strafverfahren wegen Bestechung gegen einen Autofahrer eingestellt. Dieser war zuvor bereits wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit rechtskräftig verurteilt worden. Das Gericht argumentierte, dass die bereits erfolgte Verurteilung wegen der Ordnungswidrigkeit ein sogenanntes Verfahrenshindernis darstellt und somit eine erneute Strafverfolgung für die Bestechungshandlung ausschließt.
Handyverstoß und Bestechungsversuch im Fokus der Ermittlungen
Dem Fall zugrunde liegt eine Verkehrskontrolle in Stuttgart-Feuerbach im Juni 2021. Polizeibeamte beobachteten den Angeklagten, wie er während der Fahrt ein Mobiltelefon benutzte. Nach kurzer Verfolgung in einem Tunnel stoppten die Beamten den Autofahrer und konfrontierten ihn mit dem Vorwurf des Handyverstoßes.
Im Zuge der Anzeigenaufnahme soll der Angeklagte den Polizisten angeboten haben, ihnen als Kfz-Sachverständiger bei Bedarf an ihren privaten Fahrzeugen zu helfen. Im Gegenzug bat er darum, anstelle des punktbewehrten Handyverstoßes lediglich einen Gurtverstoß zu protokollieren, der keine Punkte in Flensburg zur Folge gehabt hätte.
Vorherige Verurteilung wegen Ordnungswidrigkeit als Grundlage für Verfahrenseinstellung
Noch bevor das Verfahren wegen Bestechung vor Gericht kam, wurde der Autofahrer bereits für den ursprünglichen Handyverstoß zur Rechenschaft gezogen. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte ihn am 21. Februar 2022 wegen des Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO zu einer Geldbuße von 120 Euro. Dieses Urteil wurde am 1. März 2022 rechtskräftig.
Diese rechtskräftige Verurteilung wegen der Ordnungswidrigkeit wurde nun zum entscheidenden Punkt im nachfolgenden Strafverfahren wegen Bestechung. Das Landgericht Stuttgart stellte fest, dass durch das frühere Urteil ein Strafklageverbrauch eingetreten sei, der die Verfolgung der Bestechungshandlung als Straftat unmöglich mache.
Die prozessuale Tat: Einheitlicher Lebensvorgang zwischen Ordnungswidrigkeit und Bestechung
Kern der juristischen Auseinandersetzung war die Frage, ob die Ordnungswidrigkeit des Handyverstoßes und der anschließende Bestechungsversuch als dieselbe prozessuale Tat anzusehen sind. Nach § 84 Abs. 2 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) schließt eine gerichtliche Entscheidung über eine Tat deren erneute Verfolgung unter allen rechtlichen Gesichtspunkten aus – sowohl als Ordnungswidrigkeit als auch als Straftat.
Das Landgericht Stuttgart bejahte die Frage der prozessualen Tateinheit. Das Gericht argumentierte, dass der Bestechungsversuch unmittelbar durch die Verkehrskontrolle und den Vorwurf des Handyverstoßes motiviert war. Die Bestechung sei eine spontane Reaktion auf die befürchteten Konsequenzen der Ordnungswidrigkeit gewesen.
Innere Verknüpfung und Motivzusammenhang entscheidend für Tateinheit
Die Richter betonten, dass zwischen dem Handyverstoß und dem Bestechungsversuch eine „unlösbare innere Verknüpfung“ bestehe. Diese gehe über einen bloßen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang hinaus. Der Motivzusammenhang sei ausschlaggebend: Der Unrechts- und Schuldgehalt der Bestechung könne nur im Zusammenhang mit dem vorausgegangenen Verkehrsverstoß und der gesamten Kontrolls situation richtig bewertet werden.
Auch der Umstand, dass zwischen dem eigentlichen Handyverstoß und dem Bestechungsangebot möglicherweise einige Minuten und eine kurze Wegstrecke lagen, ändere nichts an der prozessualen Tateinheit. Entscheidend sei der enge zeitliche und vor allem der motivische Zusammenhang zwischen den Ereignissen.
Konsequenz: Verfahrenseinstellung und Kostenübernahme durch die Staatskasse
Aufgrund des festgestellten Strafklageverbrauchs hob das Landgericht Stuttgart das vorangegangene Urteil des Amtsgerichts auf und stellte das Verfahren wegen Bestechung ein. Diese Entscheidung beruht auf § 206a in Verbindung mit § 354 Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO).
Darüber hinaus entschied das Gericht, dass die Kosten des gesamten Verfahrens, einschließlich des Revisionsverfahrens, sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten von der Staatskasse zu tragen sind. Dies begründete das Gericht damit, dass das Verfahrenshindernis – der Strafklageverbrauch – bereits vor dem ersten Urteil des Amtsgerichts bestanden hatte.
Bedeutung für Betroffene: Schutz vor Doppelbestrafung
Dieses Urteil des Landgerichts Stuttgart verdeutlicht das Prinzip des Strafklageverbrauchs im deutschen Rechtssystem. Es schützt Bürgerinnen und Bürger davor, für denselben Lebensvorgang mehrfach strafrechtlich oder ordnungswidrigkeitenrechtlich verfolgt zu werden. Auch wenn verschiedene Gesetze möglicherweise verletzt wurden, kann eine bereits erfolgte rechtskräftige Verurteilung eine weitere Strafverfolgung verhindern, wenn die Taten in einem engen prozessualen Zusammenhang stehen.
Im konkreten Fall bedeutet dies, dass der Autofahrer trotz des Bestechungsversuchs nicht erneut strafrechtlich belangt werden kann, da er bereits für den zugrundeliegenden Verkehrsverstoß zur Verantwortung gezogen wurde. Das Urteil stärkt somit die Rechtssicherheit und das Vertrauen in ein faires Strafverfahren, in dem niemand für ein und dasselbe Fehlverhalten mehrfach bestraft wird.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil verdeutlicht das Prinzip des Strafklageverbrauchs: Wurde bereits rechtskräftig über einen Verkehrsverstoß als Ordnungswidrigkeit entschieden, kann dieselbe Tat nicht mehr als Straftat verfolgt werden. Entscheidend ist der innere Zusammenhang zwischen beiden Handlungen – hier hatte die Handynutzung am Steuer und das anschließende Bestechungsangebot einen unmittelbaren Motivzusammenhang und bildeten einen einheitlichen Lebensvorgang. Dies ist besonders wichtig für Betroffene, da es sie vor doppelter Bestrafung für zusammenhängende Vorfälle schützt.
Benötigen Sie Hilfe?
Klare Perspektiven in verwickelten Verfahrenssituationen?
Wenn komplexe Sachverhalte unterschiedliche Rechtsfragen berühren – beispielsweise wenn ein Verfahrenshindernis infolge einer bereits rechtskräftigen Entscheidung die erneute Strafverfolgung ausschließt – können Unklarheiten bei der Einschätzung der rechtlichen Lage entstehen. Insbesondere die enge Verbindung einzelner Tatbestände erfordert eine präzise Betrachtung, um den tatsächlichen Schutz vor Doppelbestrafung und die Gestaltungsspielräume im Verfahren genau zu verstehen.
Wir unterstützen Sie dabei, Ihre individuelle Situation sachlich zu analysieren und die rechtlichen Möglichkeiten zu erkennen. Mit einer fundierten Beratung arbeiten wir daran, Missverständnisse auszuräumen und Ihnen eine verlässliche Grundlage für die nächsten Schritte zu bieten.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet „Verfahrenshindernis“ im Zusammenhang mit Bestechung genau?
Ein Verfahrenshindernis ist ein Rechtsbegriff, der im Strafprozessrecht verwendet wird. Es handelt sich um Umstände, die ein Gerichtsverfahren verhindern oder stoppen, obwohl möglicherweise eine Straftat begangen wurde. Diese Hindernisse sind so schwerwiegend, dass sie die Zulässigkeit des gesamten Verfahrens beeinflussen.
Verfahrenshindernisse können beispielsweise durch folgende Faktoren entstehen:
- Verjährung: Die Straftat ist verjährt, was bedeutet, dass die Zeit, innerhalb derer eine Anklage erhoben werden kann, abgelaufen ist.
- Entgegenstehende Rechtskraft: Eine Entscheidung in derselben Sache ist bereits rechtskräftig, was eine erneute Verhandlung verhindert (ne bis in idem).
- Fehlender Strafantrag: Bei Antragsdelikten fehlt der erforderliche Strafantrag.
- Immunität: Der Beschuldigte genießt Immunität, wie z.B. diplomatische Immunität.
- Tod oder Verhandlungsunfähigkeit des Beschuldigten: Der Beschuldigte ist verstorben oder verhandlungsunfähig.
Diese Hindernisse sind von Amts wegen zu berücksichtigen und führen zur Einstellung des Verfahrens, wenn sie nicht behebbar sind. Sie dienen als Schutzmechanismus, um sicherzustellen, dass Verfahren nur unter bestimmten Voraussetzungen durchgeführt werden.
Im Zusammenhang mit Bestechung könnte ein Verfahrenshindernis beispielsweise vorliegen, wenn die Straftat verjährt ist oder wenn ein erforderlicher Strafantrag fehlt. In solchen Fällen kann das Verfahren nicht fortgesetzt werden, selbst wenn die Tat nachgewiesen werden könnte.
Wann kann eine bereits erfolgte Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit ein Strafverfahren wegen Bestechung verhindern?
Eine Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit verhindert grundsätzlich nicht die spätere Strafverfolgung wegen einer zusammenhängenden Straftat, wie z.B. Bestechung. Der entscheidende Faktor ist der Zusammenhang zwischen den beiden Handlungen. Wenn eine Ordnungswidrigkeit und eine Straftat durch dieselbe Handlung verwirklicht werden, spricht man von Tateinheit. In solchen Fällen wird gemäß § 21 Abs. 1 OWiG nur das Strafgesetz angewendet, und die Ahndung der Ordnungswidrigkeit scheidet aus.
Ein Verfahrenshindernis könnte nur dann entstehen, wenn beide Handlungen so eng miteinander verbunden sind, dass eine doppelte Ahndung gegen das Verbot der Doppelbestrafung (ne bis in idem) verstoßen würde. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn die Straftat und die Ordnungswidrigkeit dieselbe Tat darstellen und nicht zwei separate Handlungen sind. In der Regel werden Ordnungswidrigkeiten und Straftaten getrennt verfolgt und geahndet, was bedeutet, dass eine Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit eine spätere Strafverfolgung nicht unbedingt verhindert.
Beispiel: Wenn jemand wegen eines Verkehrsverstoßes (Ordnungswidrigkeit) verurteilt wurde und dieser Verstoß im Zusammenhang mit einer Bestechungshandlung stand, könnte die Verurteilung wegen der Ordnungswidrigkeit die Strafverfolgung wegen Bestechung nicht verhindern, solange die Bestechung als separate Handlung betrachtet wird.
Wichtig ist, dass der Grundsatz „ne bis in idem“ nur dann gilt, wenn es um dieselbe Tat geht. Wenn die Handlungen getrennt sind, kann eine Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit die Strafverfolgung wegen einer Straftat nicht verhindern.
Was bedeutet „prozessuale Tat“ und warum ist sie wichtig bei der Beurteilung, ob ein Verfahrenshindernis vorliegt?
Die prozessuale Tat ist ein zentraler Begriff im deutschen Strafprozessrecht. Sie bezeichnet einen einheitlichen geschichtlichen Lebensvorgang, der sich von anderen ähnlichen Vorgängen unterscheidet. Dieser Vorgang umfasst das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach natürlicher Betrachtungsweise einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt. Die prozessuale Tat wird durch Faktoren wie Tatort, Tatzeit und das Tatbild umgrenzt und ist entscheidend für die Verfahrenskonzentration und den Schutz des Angeklagten vor Mehrfachverurteilung.
Gerichte prüfen, ob die Handlungen in einem so engen zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang stehen, dass sie als eine Einheit betrachtet werden müssen. Dies ist wichtig, um zu verhindern, dass ein einheitlicher Lebensvorgang unnatürlich aufgespalten wird. Die prozessuale Tat ist auch entscheidend für die Anwendung von Verfahrenshindernissen, da sie bestimmt, welche Handlungen in einem Verfahren abgeurteilt werden können und welche nicht.
Ein Beispiel: Wenn jemand in einem Geschäft einbrechen und dabei mehrere Gegenstände stehlen will, könnte dies als eine prozessuale Tat betrachtet werden, da alle Handlungen Teil eines einheitlichen Lebensvorgangs sind. Würde der Täter jedoch am selben Tag ein anderes Geschäft betreten und dort ebenfalls stehlen, könnte dies als eine separate prozessuale Tat angesehen werden, da es sich um einen anderen Ort und möglicherweise einen anderen Zeitpunkt handelt.
Die prozessuale Tat ist also entscheidend für die Konzentration des Verfahrensstoffs und den Schutz der Rechte des Angeklagten. Sie stellt sicher, dass der Angeklagte nicht mehrfach für denselben Lebensvorgang verurteilt wird und dass das Verfahren effizient und gerecht abläuft.
Welche Rolle spielt das Motiv bei der Beurteilung, ob eine Ordnungswidrigkeit und ein Bestechungsversuch als „dieselbe prozessuale Tat“ gelten?
Das Motiv spielt eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung, ob eine Ordnungswidrigkeit und ein Bestechungsversuch als dieselbe prozessuale Tat angesehen werden. Wenn die Bestechungshandlung direkt durch die Ordnungswidrigkeit motiviert ist, spricht dies für eine enge Verbindung zwischen den beiden Handlungen. Diese Verbindung kann dazu führen, dass sie als eine einzige prozessuale Tat betrachtet werden.
Beispiel: Stellen Sie sich vor, jemand versucht, einen Polizisten zu bestechen, um eine Verwarnung für eine Verkehrsordnungswidrigkeit zu vermeiden. In diesem Fall könnte das Motiv der Bestechung (Angst vor Punkten in Flensburg) eine innere Verknüpfung zwischen der Ordnungswidrigkeit und der Bestechungshandlung herstellen. Diese Verknüpfung ist entscheidend für die Frage, ob es sich um eine einzige prozessuale Tat handelt.
In der Rechtspraxis wird eine Tat im prozessualen Sinne angenommen, wenn die Handlungen materiellrechtlich in Tateinheit stehen, d.h., wenn sie eng miteinander verbunden sind und sich auf dieselbe Handlung oder einen engen Lebensvorgang beziehen. Das Motiv kann dabei helfen, diese Verbindung zu bewerten und festzustellen, ob die Handlungen als eine einzige Tat angesehen werden können.
Die rechtliche Grundlage hierfür liegt im Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) und der Strafprozessordnung (StPO). Gemäß § 21 OWiG wird, wenn eine Handlung sowohl eine Straftat als auch eine Ordnungswidrigkeit darstellt, nur das Strafgesetz angewendet. In Fällen, in denen eine Bestechung mit einer Ordnungswidrigkeit in Verbindung steht, könnte dies zu einem Verfahrenshindernis führen, wenn die Tat bereits als Straftat verfolgt wird.
Für die Praxis bedeutet dies, dass das Motiv der Handlungen eine zentrale Rolle spielt, um zu bestimmen, ob es sich um eine einzige prozessuale Tat handelt. Dies kann erhebliche Auswirkungen auf die Verfahrensführung und die Rechtsfolgen haben.
Wer trägt die Kosten, wenn ein Strafverfahren wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt wird?
Wenn ein Strafverfahren wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt wird, fallen in der Regel die Kosten des Verfahrens der Staatskasse zur Last. Dies umfasst sowohl die Kosten des Verfahrens als auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten, wie z.B. Anwaltskosten.
Ein Verfahrenshindernis kann beispielsweise die Verjährung sein, bei der die Straftat nicht mehr innerhalb der gesetzlichen Frist verfolgt werden kann. In solchen Fällen wird das Verfahren eingestellt, und die Staatskasse übernimmt die Kosten.
Es gibt jedoch Ausnahmen, in denen das Gericht von der Erstattung der notwendigen Auslagen absehen kann. Dies geschieht, wenn der Angeklagte nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht, und zusätzlich besondere Umstände vorliegen, die es als unbillig erscheinen lassen, die Auslagen zu erstatten. Solche besonderen Umstände könnten ein strafprozessual vorwerfbares Verhalten des Angeklagten sein.
Für Betroffene bedeutet dies, dass sie in der Regel nicht mit den Kosten des Verfahrens belastet werden, solange kein vorwerfbares Verhalten vorliegt.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Verfahrenshindernis
Ein Verfahrenshindernis ist ein Umstand, der die Durchführung oder Fortsetzung eines Strafverfahrens rechtlich unmöglich macht. Es handelt sich um prozessuale Gründe, die unabhängig von der tatsächlichen Schuldfrage eine strafrechtliche Verfolgung ausschließen. Die Regelungen zu Verfahrenshindernissen ergeben sich aus verschiedenen Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) und dem Grundgesetz.
Beispiel: In diesem Fall bildete die rechtskräftige Verurteilung wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit ein Verfahrenshindernis für das nachfolgende Strafverfahren wegen Bestechung, da beide Handlungen einen einheitlichen Lebensvorgang darstellten.
Bestechung
Bestechung bezeichnet im Strafrecht das Anbieten, Versprechen oder Gewähren eines Vorteils an einen Amtsträger als Gegenleistung für eine Diensthandlung. Dieser Straftatbestand ist in § 334 Strafgesetzbuch (StGB) geregelt und zielt auf den Schutz der Lauterkeit des öffentlichen Dienstes ab. Bestechung kann mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden.
Beispiel: Der Autofahrer bot dem kontrollierenden Polizeibeamten Geld an, vermutlich um einer Strafe wegen der Handynutzung am Steuer zu entgehen, was den Tatbestand der Bestechung erfüllen kann.
Strafklageverbrauch
Der Strafklageverbrauch (auch „ne bis in idem“-Grundsatz) bedeutet, dass niemand für dieselbe Tat zweimal strafrechtlich verfolgt werden darf. Dieses Prinzip ist in Art. 103 Abs. 3 Grundgesetz und § 46 Abs. 1 OWiG verankert und schützt Personen vor mehrfacher Strafverfolgung für denselben Lebenssachverhalt. Es gilt auch im Verhältnis zwischen Ordnungswidrigkeiten und Straftaten.
Beispiel: Da der Autofahrer bereits wegen der Handynutzung am Steuer (Ordnungswidrigkeit) rechtskräftig verurteilt wurde, durfte er für die damit zusammenhängende Bestechungshandlung nicht mehr strafrechtlich belangt werden.
Einheitlicher Lebensvorgang
Ein einheitlicher Lebensvorgang im Strafrecht bezeichnet einen zusammenhängenden Geschehensablauf, bei dem mehrere Handlungen in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang stehen und von einem einheitlichen Willen getragen sind. Dieses Konzept ist wichtig für die Anwendung des Strafklageverbrauchs nach Art. 103 Abs. 3 GG und bestimmt den Umfang der Sperrwirkung einer rechtskräftigen Entscheidung.
Beispiel: Die Handynutzung am Steuer und das anschließende Bestechungsangebot während derselben Verkehrskontrolle bildeten einen einheitlichen Lebensvorgang, da sie in unmittelbarem zeitlichen und motivatorischen Zusammenhang standen.
Motivzusammenhang
Der Motivzusammenhang beschreibt die innere Verbindung zwischen verschiedenen Handlungen, die auf derselben Antriebssituation beruhen. Im Strafrecht ist dieser Zusammenhang bedeutsam für die Beurteilung, ob mehrere Handlungen als eine prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO anzusehen sind. Er kann entscheidend sein für die Anwendung des Grundsatzes „ne bis in idem“.
Beispiel: Zwischen der Handynutzung am Steuer und dem Bestechungsversuch bestand ein unmittelbarer Motivzusammenhang, da der Autofahrer durch die Bestechung vermutlich die Konsequenzen seiner Verkehrsordnungswidrigkeit abwenden wollte.
Revisionsverfahren
Das Revisionsverfahren ist ein Rechtsmittel gegen Urteile höherer Gerichte, bei dem nur Rechtsfehler, nicht aber die Tatsachenfeststellung überprüft werden. Es ist in §§ 333-358 StPO geregelt und dient der Kontrolle der korrekten Rechtsanwendung. Im Gegensatz zur Berufung findet keine neue Beweisaufnahme statt, sondern nur eine Prüfung auf Rechtsfehler.
Beispiel: Im vorliegenden Fall führte der Angeklagte das Revisionsverfahren gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart, was letztlich zur Aufhebung des Urteils und zur Einstellung des Verfahrens führte.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 84 Abs. 2 OWiG: Diese Vorschrift besagt, dass eine gerichtliche Entscheidung über eine Ordnungswidrigkeit eine erneute Verfolgung derselben Tat sowohl als Ordnungswidrigkeit als auch als Straftat ausschließt. Damit wird der Grundsatz „ne bis in idem“ (nicht zweimal für dieselbe Sache) im Ordnungswidrigkeitenrecht verankert und auf Strafverfahren ausgeweitet, wenn beide Verfahren dieselbe prozessuale Tat betreffen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Da der Angeklagte bereits rechtskräftig wegen der Ordnungswidrigkeit (Handy am Steuer) verurteilt wurde, verhindert § 84 Abs. 2 OWiG die Strafverfolgung wegen der Bestechung, wenn beide Taten als dieselbe prozessuale Tat anzusehen sind.
- § 206a StPO: Diese Norm regelt die Einstellung des Verfahrens aufgrund eines dauerhaften Verfahrenshindernisses. Ein solches Hindernis liegt vor, wenn die Durchführung des Strafverfahrens aus rechtlichen Gründen dauerhaft unmöglich ist, beispielsweise wegen Strafklageverbrauchs. Die Einstellung nach § 206a StPO ist zwingend, wenn ein solches Hindernis festgestellt wird. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Landgericht hat hier ein Verfahrenshindernis in Form des Strafklageverbrauchs (§ 84 Abs. 2 OWiG) festgestellt und das Verfahren daher gemäß § 206a StPO eingestellt.
- § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 264 StPO: Diese Paragraphen definieren den prozessualen Begriff der „Tat“. Eine Tat im prozessualen Sinne umfasst alle Handlungen eines Beschuldigten, die einen einheitlichen Lebensvorgang darstellen und innerlich miteinander verknüpft sind, unabhängig von der materiell-rechtlichen Bewertung. Für die Annahme einer prozessualen Tat ist entscheidend, ob die Handlungen in einem engen zeitlichen und motivbedingten Zusammenhang stehen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht musste prüfen, ob die Ordnungswidrigkeit (Handyverstoß) und die Bestechungshandlung eine prozessuale Tat darstellen, um § 84 Abs. 2 OWiG anwenden zu können. Es bejahte dies aufgrund des engen zeitlichen und motivbedingten Zusammenhangs.
- § 354 Abs. 1 StPO: Diese Vorschrift bestimmt, dass das Revisionsgericht das Urteil aufhebt und das Verfahren einstellt, wenn ein Verfahrenshindernis vorliegt. Die Aufhebung des Urteils und die Verfahrenseinstellung sind die notwendigen Rechtsfolgen, wenn das Revisionsgericht ein Verfahrenshindernis feststellt. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Da das Landgericht ein Verfahrenshindernis (Strafklageverbrauch) übersehen hatte, musste das Revisionsgericht (LG Stuttgart als Revisionsgericht im OWiG-Verfahren) das Urteil aufheben und das Verfahren gemäß § 354 Abs. 1 StPO einstellen.
Das vorliegende Urteil
LG Stuttgart – Az.: 1 ORs 28 Ss 120/23 – Beschluss vom 15.03.2023
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