Konflikt im Fokus: Eine fliegende Glasattacke ohne Opfer
Inmitten fröhlich feiernder Fußballfans, nahe des Lokals „C.-C.“ an der Sielwallkreuzung, spielte sich ein Vorfall ab, der zu einem strafrechtlichen Verfahren führte. Ein betrunkener Fan, im weiteren Verlauf als Angeklagter bezeichnet, warf aus der Menge heraus ein leeres Longdrinkglas in hohem Bogen. Sein Ziel: ein freier Bereich zwischen der Menge und den dort postierten Polizeibeamten. Es war kein Angriff auf Personen, sondern vielmehr eine Aktion aus Übermut oder Ärger gegen die Polizei, die er als „Spielverderber“ sah. Der Mann wurde schließlich festgenommen und wegen seines betrunkenen Zustandes seiner Freundin übergeben.
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Übersicht
Ein Wurf mit Konsequenzen
Aus den Schilderungen ergibt sich eine Reihe von juristischen Fragestellungen. Der Anklage zufolge hätte der geworfene Glaswurf den Tatbestand der versuchten gefährlichen Körperverletzung sowie einen tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte erfüllen können. Die polizeiliche Videoaufzeichnung des Vorfalls wurde während des Prozesses in Augenschein genommen und zeigte das Wurfgeschehen sowie das Aufschlagen und Zerbrechen des Glases auf der Straße.
Interpretation des Beweismaterials
Die Videoaufnahmen zeigten den Angeklagten inmitten der feiernden Fans und warfen Licht auf seine Taten. Die Aufnahmen konnten belegen, dass der Mann aufgrund seiner Körpergröße klar erkennen konnte, wohin er das Glas warf. Es erschien glaubwürdig, dass es seine Absicht war, „Dampf abzulassen“, aber nicht, Menschen zu treffen oder zu verletzen. Eine objektive Gefahr durch den Glaswurf bestand daher nicht.
Tatbestand und strafrechtliche Bewertung
Trotz der Annahme eines entsprechenden Vorsatzes des Angeklagten wäre lediglich ein bloßes Wahndelikt zu unterstellen. Die sehr weite Fassung des § 114 StGB, der tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte behandelt, erfordert nach Gerichtsauffassung eine restriktive Auslegung. Ebenso wurde die Frage der Gefahr durch die auf der Straße liegenden Glasscherben berücksichtigt.
Persönliche Umstände und Verhalten des Angeklagten
Bei der Tat war der Angeklagte stark betrunken. Zudem war er nur wenige Monate vor dem Vorfall wegen einer anderen Straftat verurteilt worden, die er ebenfalls im Zusammenhang mit einem Fußballspiel begangen hatte. Der Angeklagte äußerte Reue und beteuerte, sein Verhalten im Nachhinein bereue und dafür entschuldigen zu wollen.
Das vorliegende Urteil
AG Bremen – Az.: 87 Ds 220 Js 64848/20 (18/21) – Urteil vom 21.04.2021
Der Angeklagte wird wegen vorsätzlicher Verunreinigung einer Straße zu einer Geldbuße von 200,– Euro verurteilt.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine eigenen notwendigen Auslagen.
Angewandte Vorschriften: §§ 40 Abs. 1, 48 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BremLStrG
Gründe
I.
Der ledige und kinderlose Angeklagte ist gelernter Elektroniker für Automatisierungstechnik und arbeitet in der Produktion im M.-Werk in Bremen. Hier verdient er monatlich etwa 1.800,– bis 1.900,– Euro; seine monatliche Mietbelastung beträgt 800,– Euro.
Der Angeklagte ist strafrechtlich einmal in Erscheinung und wurde durch Urteil des Amtsgerichts Bremen vom 09.03.2020 (Az.: 87 Ds 671 Js 6776/18), rechtskräftig seit 05.12.2020, wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50,– Euro verurteilt.
Gegenstand dieser Verurteilung ist, dass der Angeklagte, der seit langer Zeit der Ultra-Fanszene von Werder Bremen angehört, am 26.08.2017 zusammen mit fünf weiteren Ultras im Weserstadion drei Ordner angegriffen und verletzt hatte.Die genannte Verurteilung ist noch nicht zum Bundeszentralregister angemeldet, so dass der Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten keine Eintragung aufweist.
II.
Am Abend des 06.07.2020 hatte der Angeklagte nach dem Klassenerhalt der Bundesligamannschaft von Werder Bremen durch das 2:2 im Relegationsrückspiel beim 1. FC Heidenheim zusammen mit weiteren Fans in einer Gaststätte an der Sielwallkreuzung in Bremen erheblich Alkohol getrunken.
In stark angetrunkenem Zustand stand der Angeklagte am 07.07.2020 gegen 00.20 Uhr in einer Menschenmenge von etwa 700 feiernden Fans auf der Sielwallkreuzung am Beginn der Straße Vor dem Steintor. Auf der gegenüberliegenden Seite der Sielwallkreuzung vor dem Lokal „C.-C.“ war neben ihren beiden Fahrzeugen eine größere Zahl von Polizeibeamten mit entsprechender Schutzausrüstung, insbesondere Schutzhelmen, postiert, deren Ziel es war, die Sielwallkreuzung zu räumen, um dem Straßenverkehr einschließlich des Straßenbahnverkehrs wieder die Durchfahrt zu ermöglichen. Nach anfänglich friedlicher Stimmung kam es dabei aus der Menschenmenge zu vereinzelten Übergriffen auf Polizeibeamte.
Aus Übermut, unter Umständen auch aus Verärgerung über die Polizeibeamten, die er als „Spielverderber“ ansah, warf der angetrunkene Angeklagte aus der Menschenmenge heraus sein leeres Longdrinkglas in hohem Bogen über die feiernden Fans hinweg, wobei das Glas im freien Bereich zwischen den Fans und der Polizei auf der Straße aufschlug und zerbrach. Um die auf der Straße liegenden Scherben kümmerte sich der Angeklagte nicht.
Der Angeklagte konnte aufgrund seiner Größe erkennen, dass er das Glas in einen Bereich warf, in dem sich keine Menschen befanden. Er hatte dabei auch keine Absicht dahin, die feiernden Fans oder die Polizeibeamten zu gefährden oder gar zu treffen.
Im Anschluss an den Vorfall feierte der Angeklagte mit den übrigen Fans weiter und trank auch weiter. Nachdem er aufgrund der polizeilichen Videoaufzeichnungen identifiziert worden war, wurde der Angeklagte gegen 01.50 Uhr festgenommen und schließlich wegen seines betrunkenen Zustandes in die Obhut seiner Freundin, die ihn abholte, entlassen.
III.
Der Angeklagte hat sich im Sinne der Feststellungen zu I. zu seinen persönlichen Verhältnissen geäußert.
Ergänzend sind der Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 18.03.2021 sowie das Urteil des Amtsgerichts Bremen vom 09.03.2020 (Az.: 87 Ds 671 Js 6776/18) verlesen worden.
Der Angeklagte hat den äußeren Sachverhalt wie unter II. dargelegt eingeräumt und geschildert, er habe den Klassenerhalt mit Freunden aus der Fanszene gefeiert. Dabei habe er erheblich Alkohol getrunken, zunächst Bier, später auch Wodka-Mischungen. Es habe Scharmützel mit der Polizei gegeben, in die er aber nicht verwickelt gewesen sei. Er sei dann in alkoholisiertem Zustand auf die Idee gekommen, sein Longdrinkglas in Richtung der Polizeikräfte zu werfen. Das sei eine Unmutsäußerung gewesen, weil er die Polizei für Spielverderber gehalten habe. Er habe aber bewusst dahin geworfen, wo keine Menschen gewesen seien und er niemanden habe treffen können. Er habe auch niemanden treffen wollen und habe aufgrund seiner Größe erkennen können, dass die Sielwallkreuzung frei gewesen sei.
Später sei er festgenommen worden und von der Polizei an seine Freundin übergeben worden, die ihn wegen seines betrunkenen Zustandes abgeholt habe.
Ihm sei sein Verhalten im Nachhinein peinlich, und er wolle sich dafür entschuldigen.
Weiterhin ist in der Hauptverhandlung die polizeiliche Videoaufzeichnung (USB-Stick vor Bl. 1 d.A.) in Augenschein genommen worden.
Darauf ist neben der unter II. beschriebenen Ausgangslage – feiernde Fans und auf der gegenüberliegenden Seite der Sielwallkreuzung postierte Polizeibeamte mit Schutzhelmen, dazwischen eine freie Fläche – auch das Tatgeschehen sichtbar, insbesondere der Wurf des Glases durch den Angeklagten und das Aufschlagen und Zerschellen des Glases auf der freien Fläche vor den Polizeibeamten.
IV.
Soweit dem Angeklagten von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen worden ist, sein Verhalten erfülle den Tatbestand der versuchten gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit einem tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte gemäß §§ 114 Abs. 1, 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 (nicht, wie in der Anklage angeführt, Nr. 5), Abs. 2, 52 StGB, konnte ein entsprechender Nachweis bereits aus tatsächlichen Gründen nicht geführt werden:
Aus der Videoaufzeichnung ist erkennbar, dass das vom Angeklagten geworfene Glas in hohem Bogen über die Menschenmenge hinwegfliegt und im freien Bereich zwischen Fans und Polizei aufschlägt. Weiterhin ist daraus nachvollziehbar, dass der Angeklagte aufgrund seiner Körpergröße in der Lage ist zu erkennen, wohin er wirft.
Vor diesem Hintergrund ist glaubhaft, zumindest aber nicht zu widerlegen, dass es ihm gerade darum ging, aus Übermut und möglicherweise auch aus Frust über den Polizeieinsatz durch eine unüberlegte Handlung „Dampf abzulassen“, dass er aber keinesfalls beabsichtigte, die Polizeibeamten, deren Fahrzeuge oder gar Personen aus der feiernden Menschenmenge zu treffen bzw. zu verletzen.
Es fehlte dem Angeklagten mithin am Vorsatz einer Körperverletzung oder eines tätlichen Angriffs auf die Polizeibeamten.
Dies gilt sowohl für den Wollenselement als auch für das Wissenselement des Vorsatzes, da er den Wurf gezielt dorthin richtete, wo sich keine Personen befanden. Zudem war ihm bekannt, dass die Polizeibeamten mit Schutzausrüstung im Einsatz waren, also praktisch keine Gefahr bestand, dass diese durch ein geworfenes bzw. herabfallendes Glas verletzt würden.
Soweit ein Restrisiko durch einen möglichen „Fehlwurf“ – oder eine Positionsverlagerung etwa eines Polizeibeamten während des Wurfes in den bis dahin freien Bereich hinein – bestanden hat, muss vor dem Hintergrund der erheblichen Alkoholisierung davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte dieses Restrisiko nicht erkannt und auch keinesfalls billigend in Kauf genommen hat.
Daneben sprechen auch rechtliche Erwägungen gegen eine Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit einem tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte:
Neben der Tatsache, dass der Wurf nach den tatsächlichen Feststellungen gerade nicht gezielt auf die Polizeibeamten gerichtet war, muss Berücksichtigung finden, dass die Polizeibeamten mit voller Schutzausrüstung im Einsatz waren. Eine objektive Gefahr, dass diese durch den Wurf verletzt werden, bestand mithin nicht.
Selbst bei Annahme eines entsprechenden Vorsatzes des Angeklagten läge also ein bloßes Wahndelikt vor.
Hinsichtlich des seit der Neufassung sehr weiten Umfangs des Tatbestandes und der hohen Strafandrohung des § 114 StGB (tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte) ist darüber hinaus nach Auffassung des Gerichts ohnehin eine restriktive Auslegung geboten.
Im Aufsatz von Busch/Singelnstein (NStZ 2018, 510) heißt es hierzu:
„Als tätlicher Angriff i.S.v. § 114 Abs. 1 StGB kann daher nicht (mehr) jede unmittelbar auf den Körper zielende Einwirkung in feindlicher Absicht mit körperlicher Gewalt gelten. Vielmehr muss diese Einwirkung auch
– konkret geeignet sein, das geschützte Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit tatsächlich zu beinträchtigen
– in einer Weise erfolgen, die eine gewisse Erheblichkeit erreicht.“
Nach dieser Ansicht, der das Gericht folgt, sind die Merkmale der Eignung und Erheblichkeit unabhängig von den obigen Ausführungen jedenfalls nicht erfüllt.
Auch wenn damit ein strafbares Verhalten des Angeklagten nicht vorliegt, war dieser nicht freizusprechen, da er durch den Wurf des Glases und das anschließende Zurücklassen der Scherben auf der Straße gegen seine Verpflichtung aus § 40 Abs. 1 Satz 1 des Bremischen Landesstraßengesetzes verstoßen hat.
Nach dieser Bestimmung hat derjenige, der eine Straße verunreinigt, die Verunreinigung unverzüglich zu beseitigen.
In dem Wurf des Glases, das – für den Angeklagten vorhersehbar – auf der Straße zerbrochen ist, liegt auch eine Verunreinigung der Straße, die der Angeklagte nicht beseitigt hat, indem er sich um die Glasscherben nicht weiter kümmerte.
Der Verstoß gegen § 40 Abs. 1 BremLStrG stellt eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 3 BremLStrG dar, die gemäß § 48 Abs. 2 BremLStrG mit einer Geldbuße zu ahnden ist.
Dass der Angeklagte dabei mit entsprechendem Wissen und Wollen, mithin vorsätzlich, handelte, begegnet nach den vorstehenden Ausführungen keinen Bedenken.
Dass auf der Straße liegende Glasscherben eine Verunreinigung darstellen, die zu beseitigen ist, ist auch für alkoholisierte Personen ohne Weiteres erkennbar.
V.
Eine vorsätzliche Ordnungswidrigkeit gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 3 BremLStrG ist gemäß § 48 Abs. 2 BremLStrG i.V.m. § 17 Abs. 1 OWiG mit einer Geldbuße von 5,– bis zu 1.000,– Euro zu ahnden.
Dabei musste sich bußgelderhöhend auswirken, dass der Angeklagte nicht nur die Verunreinigung nicht unverzüglich beseitigt hat, sondern diese bereits vorsätzlich verursacht hat. Zudem stellen herumliegende Glasscherben eine gegenüber anderen Abfällen besondere Gefahrenquelle dar.
Außerdem war der Angeklagte nur wenige Monate vor dem Vorfall wegen einer Straftat, die er ebenfalls im Zusammenhang mit einem Bundesligaspiel begangen hatte, auf der Basis seiner geständigen Angaben zu einer Geldstrafe verurteilt worden, auch wenn diese noch nicht rechtskräftig war.
Dem steht gegenüber, dass der Angeklagte bei der Tat erheblich angetrunken war.
Unter Berücksichtigung auch der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten hat das Gericht daher auf eine Geldbuße von 200,– Euro erkannt, die es als angemessen erachtet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 StPO.